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Gott sei gelobt! Brigitte erholte sich wieder. Wenigstens schien es so. Das Wangenrot war bald wieder da, und auch ihre Emsigkeit fand sich von neuem.
»Ich bin ein Stehaufmändl, das weißt du ja!« sagte sie lachend, wenn Steffen sie zur Schonung gemahnte.
Und zu tun gab es genug. Denn mit dem Bewohnbarmachen des alten Kastens wurde es ernst.
Die Aufstellung der inzwischen erworbenen und hergerichteten Schätze sollte beginnen, und begleitet von Mi, die in diesen Jahren zu einer goldbraunen, vollreifen Schönheit herangeblüht war, zog Brigitte nach Neuheide hinaus, und ein Dekorateur mit seinen Gehilfen folgte ihr auf dem Fuße.
Steffen, der einem wichtigen Auftrag zuliebe sein Atelier nicht zuschließen konnte, kam wenigstens über Sonntag, um nach dem Rechten zu sehen, und war des Lobes voll, wenn sie, in bangem Stolze erglühend, die Früchte ihres Tuns vor ihm ausbreitete.
Fast ein Wunder schien's, wie sie jeden finstern Spinnenwinkel heiter und wohnlich gemacht hatte, wie jedes brüchige Möbelstück in neuer Jugend erstrahlte und wie aus den einst kahlen Zimmerreihen Wohlsein und Lebensfreude einem entgegenschlug. Selbst das wüste Genist des seligen Ohms war der Ausräucherung verfallen gewesen, und da es Nordlicht hatte, stand nichts im Wege, es zur Werkstatt herzurichten.
Nun aber wollte das alles von Menschen erfüllt sein. Lachen mußte erklingen, Jubel in blühendem Wirrwarr die jahrhundertelange Öde verscheuchen.
Vorerst klapperten sie beide in der Gegend die Runde ab.
Alteingesessener steifer Adel hauste allda. Aber sah man näher hin, dann war er gar nicht so steif – nur ein wenig fremd am Anfang und voll zuwartender Neugier.
Wenn die Neuheider Viktoria vorgefahren kam und der in Livree gesteckte Gärtnerbursch die Karten hineintrug, gab es zuerst ein Rascheln und Rennen, ein Türenschlagen und eine verzweifelte Suche. – Dann aber, wenn man in dem »Salon« den üblichen Halbkreis gebildet hatte und der berühmte Malersmann in weltgewandter Unbekümmertheit sich benahm wie ein alter Bekannter, während seine blondleuchtende Gattin ein wenig befangen zwar, doch voll Anmut und Takt, von einer wohlerzogenen Landedelfrau kaum einen Unterschied aufwies, dann löste sich alsbald der Bann der ersten Ratlosigkeit; man versuchte es mit heiterem Gönnertum, und wenn dieses ebenso heiter abgelehnt wurde, dann war ganz unwillkürlich die Gleichgestelltheit da, und man erkannte, Nachbarn gewonnen zu haben, mit denen zu verkehren eher einen Gewinst darstellte, als daß man sich dessen zu schämen brauchte.
Da war ein Baron von Frundheim auf Schloß Tichau, Herrenhausmitglied und weiß Gott was sonst noch, ein stilvoller alter Gentleman, ähnlich wie einst auf der Bühne Friedrich Haase ihn dargestellt hatte. Er zeigte sich höchst verwundert darüber, daß man ein Rittergut besitzen und daneben noch Zeit haben könne, zu »mälen«. Und seine Verwunderung stieg noch, als Steffen ihm erwiderte, man könne sogar malen und daneben noch Zeit haben, ein Rittergut zu besitzen. Neben ihm saß eine zarte, blaßblonde Frau zu Anfang der Vierzig mit verschleierten Traumaugen und einem perlenden Lachen, das wie ein lange verstopfter Springquell manchmal ganz plötzlich hervorbrach.
Da war ferner Graf Disselhorst, ein stelzbeiniger und sehr fideler Jägersmann, schon stark ergraut und mit rötlich strahlendem Gipfel, aber höchst geneigt, Brigitte eine selbstgewisse und erfolgsichere Cour zu schneiden. Er war Junggeselle geblieben, aber bei ihm lebte seine Schwester, eine verwitwete Frau von Groener, die ihren Mann im Duell um einer Andern willen verloren hatte und ihr Unglück als unsichtbare Krone auf ihrem kühl und nachsichtsvoll gesenkten Haupte herumtrug.
Da war ein Herr von Menon, von seinen Standesgenossen »Freund Mais-non« genannt, weil er höflichem Emigrantentum zum Trotz als Händelsucher und Streitbold bekannt war, ein schnauzbärtiger Meergreis – mit zwei stillen, ältlichen Töchtern, die Steffen in aller Unschuld anzuhimmeln begannen.
Und da war noch einer und noch einer – an Grundgefühl und Lebensbetrachtung alle dem gleichen Neste entkrochen und doch so verschieden wie möglich.
Ihre Gegenbesuche erfolgten prompt und führten stets zu demselben uneingestandenen Triumphe für die fabelhafte Einrichtungskunst dieses verfluchten Kerls.
Auch die Antrittseinladungen ließen nicht auf sich warten, aber sie mußten leider abgesagt werden, da Steffen für die Dauer noch immer nicht da war.
Und so kam der Tag heran, da Schloß Neuheide sich den Berliner Freunden in seiner alten Feudalität und seiner neuen Lackierung darstellen konnte.
Einladungen zu einem ausgiebigen Week-end wurden versandt, damit eine Reise von langen Stunden sich lohnte.
Und andere Einladungen ergingen an die hochadligen Nachbarn, um zu erproben, wie Feuer und Wasser sich mische.
Am Sonnabend um die Dunkelstunde sollten vorerst die Berliner anrücken.
Die Fremdenzimmer dufteten von frisch gepflückten Blumen und frisch bezogenem Bettzeug. Kerzen schimmerten goldgelb von Kronen und Kandelabern. Die Tafel im Speisesaal, schon fertig gedeckt, reichte von einem Ende zum andern.
Ein wenig schweratmend, doch mit der Ruhe des Feldherrn, der seine Schlacht wohlvorbereitet weiß, ging Brigitte in den vorderen Räumen, deren Flügeltüren weit geöffnet standen, zu letzter Heerschau herum.
Wie anders, wie jämmerlich klein und bang war sie gewesen, als sie in erborgter, erschlichener Hausfrauenwürde Steffens Freunde zum ersten Male hatte empfangen dürfen!
Wie stolz in ihrer Unantastbarkeit war heut ihre Stellung – errungen durch Dienen, erobert durch Liebe, durch selbstvergessene, alles hinopfernde Liebe!
Nun er dort auf dem Vorplatz, der kommenden Gäste wartend, hin und her ging, in seinem stämmigen Herrentum, mit dem Stock aufschlagend bei jeglichem Schritte, – ob er da wohl eine Ahnung hatte, wie sehr er geliebt wurde, wie ihr ganzes Wesen erzitterte in dankbarem Jubel?
Durch die Gardine gedeckt, so daß er nichts von ihr sehen konnte, schaute sie, das Kinn in die Hände stützend, zu ihm hinaus.
Oh, er sollte zufrieden sein! Kein Haus gab es, das besser bestellt war als seines. Das würden die Freunde schon fühlen. Und wenn ihr Sinn auch mehr am Bescheidenen hing und dem Pomp der Malerfürsten im Innersten fremd war, als treue Walterin folgte sie ihm auch darin und gab ihre Kraft hin, die früher dem eignen Streben gehört hatte.
Und wenn selbst ihr bißchen Dichten, das einst ihr Heiligstes gewesen war, darüber zuschanden ging, was tat's, wenn er nur zufrieden war!
Da gellten die Glocken durchs Haus.
»Die Wagen kommen! Die Wagen!«
Ihrer viere – jawohl. – Auch die Ackerpferde hatten zum Schmerz des Herrn Verwalters mithelfen müssen!
Und darinnen Männlein und Weiblein nebeneinander, aufeinander, wie Heringe im Pökelfaß.
Lachendes Auswickeln und Recken der steifgewordenen Glieder und dann – schon mitten in der Begrüßung – der erste staunende Umblick.
Also so hauste der Tromholt! So konnte ein Malersmann hausen! Einer, der noch vor etlichen Jahren als Hungerleider an fremden Tellern herumgeleckt hatte!
»Wenn ich du wäre,« sagte Isenberg, »ich rührte keinen Stift und keine Nadel mehr an.«
Aber Naschke meinte: »Im Gegenteil! Soll er man hübsch tüchtig sein! Und ich werd' auch tüchtig sein. Übermorgen früh – noch vor der Abfahrt – depeschier' ich ans Geschäft: ›Photographen hersenden.‹ Dann mach' ich eine Extranummer mit Illustrationen: ›Tromholts Sommersitz.‹ Und dann Aufschlag – mindestens dreiunddreißigeindrittel.«
Nur Maxel Friedenthal, der einst gehungert hatte mit ihm, sagte nichts und sah nur mit großen, verloren leuchtenden Augen an den hohen Barockmauern empor und die Sandsteinurnen entlang, in denen gelbstachlig die Agaven sich blähten, und dann zurück in das Blattgewoge, das den Vorplatz umgrenzte und wo Dom neben Dom in der Dämmerung verschwamm.
Umso beredter war seine Frau: »Nein, wie ist das süß hier! Nein, wie ist das großartig hier! … Und wie mußt du glücklich sein, geliebte Brigitte! Oder beengt dich das nicht etwas? Wenn man aus kleinen Verhältnissen stammt, nicht? Ich bin ja von meinen Reisen her an dergleichen gewöhnt. Als ich zum erstenmal bei Lord Chesterfield zum Besuche war – – Nun, das war ja freilich noch ganz was anderes. Von dem Stil macht ihr euch auch hier keinen Begriff. Und dann fühlte man auch: Die Leute waren hinein geboren. Und das ist dann immer noch ganz was anderes.«
So erleichterte Frau Nelly ihr gutes Herz, während sie neben Brigitte die Treppe emporging.
Denn Brigitte führte die Ehepaare, Steffen die Junggesellen, und Mi wies den jungen Mädchen das keusche Schlafgemach. So war es eingeteilt worden, damit die Zeit nicht verlorenging.
Während die Gäste sich oben erfrischten, wurden in der Halle und in der Wohnzimmerflucht die Kerzen entzündet. Nicht eine einzige Lampe durfte brennen. Alles erstrahlte in Wachskerzenglanz, wie einst, als die Reifrockdamen die Räume durchrauscht hatten.
»Es ist so schön,« sagte Brigitte mit gefalteten Händen, »daß ich wünschte, wir wären allein.«
Aber Steffen lachte sie aus. »Betrieb muß sein. Mouvement muß sein. Wenn das Leben kein Fest ist, dann hat's keinen Sinn.«
»Dein Fest ist doch immer noch deine Arbeit gewesen,« sagte Brigitte, und rasch gewandelt und ein wenig beschämt streichelte er ihre Stirn.
Da polterten oben die ersten Schritte, und das große Staunen wurde noch größer.
Aber die lange Fahrt hatte hungrig gemacht.
Steffen sah die suchenden Blicke.
»Türen auf!«
Da lag nun der Speisesaal. Drei Kronen flammten dicht hintereinander, durch Rosengewinde verbunden. Rosen lagen in Ketten an den Gedecken entlang und schichteten sich zu Hügeln in flach ausladenden Schalen. Nie hatte man soviel Rosen beieinander gesehen.
Und übrigens: Erdbeeren auch nicht.
Nein wirklich, als zum Schluß die Erdbeeren kamen – Schüsseln und Schüsseln voll – entstengelt und eingezuckert, mit Sahne dazu, so dick, daß der Löffel drin stand wie in Honig, da blieb auch dem krittligsten Städter der Atem weg, soviel die vorauf gefutterten Gänge davon noch übriggelassen hatten.
Das Wohlgefühl stieg zur Begeisterung, und wo ein Neid sich vorzuwagen versuchte, erstickte er im Mitgenuß verschwenderischer Fülle.
So erhob man sich denn, zerflossen in verzeihender Milde.
Man trat auf die vordere Terrasse hinaus, und während von oben her Millionen ewiger Sterne wohltuenden Anteil nahmen, walteten unten die dreie des Hennessy ihres nicht minder wohltuenden Amtes. – –
Der nächste Morgen brachte neues Staunen in Menge.
Denn nun erst trat der Park in Erscheinung.
Und er war nicht mehr die versponnene und vertümpelte Wildnis, als die er sich einstmals Brigittens ängstlich-seligem Auge gezeigt hatte; er war nun ein Lustgehege, gepflegt und gesittet, mit Kiespfaden hier und Steinplatten dort, mit vielfarbigen Blumenmauern, künstlich vor wirklichen Mauern erbaut, mit weißleuchtenden Balustern und grünem Gegitter … Fließendes Wasser, von Rasenhängen begrenzt, zog murmelnd seines Wegs, und in stehenden Teichen erstrahlten lotosblumengleich die großen Sterne roter und violetter Nymphäen … Und der Rosengarten nun gar, der jeden Morgen neu entfaltete Blütenlasten der Schere des Gärtners darbot! Selbst was an steinernem Bruchwerk aus alten Zeiten herumlag, war neuer Schönheit dienstbar gemacht. Kletterrosen hatten göttliche Nacktheit mit Blumengewändern bekleidet, und wo ein Säulenstumpf sich aufrecht erhielt, da war er von Rosenranken umklammert.
Die aus der großen Steinwüste her verschlagenen Gäste hätten nicht irgendwie irgend einer Künstlergilde zugehörig sein müssen, um sich nicht vorbehaltlos von diesen Reizen fangen zu lassen.
Sie gingen umher wie die Träumenden, und nur der ungewohnt einsetzende Appetit trieb bald diesen, bald jenen ins Haus zurück. Doch bevor er noch seine verschämten Wünsche äußern konnte, sah er Berge von Sandwiches stehen und den rostroten Portwein daneben.
Auch Ausflüge zum Gutshofe hin wurden ins Werk gesetzt und Scheunen und Ställe – in den letzteren roch es sehr schlecht – mit Sorgfalt durchmustert. Die Füllen, die Kälber wurden gegriffen, um sich die Stirne krauen zu lassen, und ein rosiges Ferkelchen, das nicht rasch genug flüchten konnte, fand sich zu seinem quiekenden Entsetzen mit einer blauseidenen Krause geschmückt.
Steffen, der den Führer machte, ließ alles lachend geschehen, nur daß in den Scheunen geraucht wurde, schätzte er wenig, was hier und da Befremden hervorrief.
Brigitte war seit dem Morgentee nicht mehr zu erblicken gewesen. Zwischen Speisesaal und Wirtschaftsräumen pendelte sie hin und her, denn nicht bloß das Mittagsmahl, auch den Vespertee und das große Abendfest galt es vorzubereiten.
Wohl war aus Berlin ein Garkoch gekommen, der mit Ernst und Umsicht am Herdfeuer waltete, aber zu tun gab es trotzdem mehr als genug, denn die ländliche Bedienung war ungeschult und hatte schon gestern versagt. Glücklicherweise war es außer von ihr von niemand bemerkt worden.
Sonst pflegte sie mit heiterer Gelassenheit allen Aufgaben zu begegnen, die das Hausfrauentum ihr stellte. Heute aber übermannte sie ein Schwächeanfall nach dem andern, und eine in den Schläfen pochende Angst kam hinzu, wie sie sie niemals gekannt hatte.
›Ich bin wohl noch nicht recht gesund,‹ dachte sie und nahm sich vor, wenn alles vorüber war, ganz ihrer Ruhe zu leben.
Als Schwerstes von allem wartete ihrer die Platzordnung der Abendtafel. Sonst hatte sie sich stets auf ihren Instinkt verlassen dürfen und auch meistens Befriedigung geerntet, hier aber versagte jede Voraussicht.
Den Adel zusammenhocken zu lassen, wäre ein Bankrott an Takt gewesen, den Steffen ihr und sie sich selber niemals verziehen hätte, ihn aber aufs Geratewohl dem lockeren Ton der Berliner auszuliefern, konnte Verstimmungen nach sich ziehen, die ganz unabsehbar waren.
Und während Steffen sich unbekümmert mit den Gästen herumtrieb, saß sie spintisierend über dem Hufeisenplan, wurde jeden Augenblick zur Küche geholt und sah der Sorgen kein Ende.
Neben ihr frischte der Gärtner mit dem Morgenertrag die Rosenzauber neu auf, und Mi schrieb Namen auf die Serviettenringe, die eigens geflochten waren, damit die Hausgäste sich vollends heimisch fühlten. Ein jeder von beiden wollte Auskunft und Rat, und der Kopfschmerz wühlte ärger und ärger.
Aber alles nimmt sein Ende. Das Mittagsmahl ging vorüber, und während die Gäste sich in ihre Zimmer zurückzogen, wurde auf der Terrasse das Teezeug gelegt und die Tafel im Speisesaal für das Abendfest entsprechend erweitert.
Alle durften ruhen, nur sie nicht.
Selbst daß Steffen kam, ihr lobend die Wange zu streicheln, half ihr nicht viel. Sie freute sich kaum einmal, so müde war sie bereits.
Zwischen vier und fünf hielt der Adel seinen Einzug.
»Zum Nachmittag und Abend,« hatten die Einladungen gelautet, denn so war es Brauch in der Gegend.
Eine Karosse folgte der andern. Eine Begrüßung folgte der andern. Halb noch verschlafen, kamen die Berliner die Treppe herab. Immer neues Vorstellen war vonnöten, Brigittens Erschöpfung aber schon so groß, daß sie keinen Namen mehr wußte.
Ein Glück, daß Steffen für sie einspringen konnte.
Mit keckem Aplomb führte er die drolligsten Gegensätzlichkeiten einander in die Arme, und alles, was sie in ihrer abendlichen Tischordnung sorgsam zu vermeiden gedachte, wurde von ihm wahllos zusammengewürfelt.
Unvergeßlich war der Blick, den die Baronin Frundheim rettungsuchend umherwarf, als ihr aus heiterem Himmel ein Herr Friedenthal – ganz schlicht und schamlos: Herr Friedenthal – als Nachbar am Teetisch serviert wurde. Aber schon zehn Minuten später hatte der mit Entsetzen Empfangene gesiegt, und wer dann seinen Blick der Baronin zuwandte, sah die Schleier von den bläßlichen Augen abgestreift und ein selbstvergessenes Leuchten darin, wie wenn der Herr Jesus, der ja eigentlich Herrn Friedenthals Glaubensgenosse war, höchst selber zu ihr geredet hätte. Und später erklärte sie gar, nur an der Seite ihres Nachbarn den Park durchwandern zu wollen, dessen Märchenstimmung er sie mit unvergeßlichen Worten hatte vorausfühlen lassen.
Freilich nicht alles ging so vortrefflich vonstatten. Und wer beim Aufstehen das verzwickte Schmunzeln in dem Epikureergesicht des Grafen Disselhorst richtig zu deuten wußte, erkannte sofort, daß seine beiden Nachbarinnen, die niedliche Plaudertasche Frau Isenberg und die stets hinter Männern herjagende Diva – wie hieß sie doch gleich? –, sich mit höchst fragwürdigem Erfolg um ihn bemüht hatten.
Die ältlichen Töchter des Herrn von Menon gar, die mit ein paar im Handeln und im Reden gleich unverzagten Musikmacherinnen an einem der Rundtische zusammengesessen hatten, sahen aus wie zwei verschreckte Hühnchen, während ihr Vater, dem Herr Naschke den Besuch seines Kunstladens allzu nahegelegt hatte, mit Augenrollen den Schnurrbart kaute, als wäre er unter die Straßenräuber geraten.
An anderen Stellen wiederum erschallte herzhaftes Lachen, anzeigend, daß Ostelbien mit der zeitgenössischen Kunst erfolgreich Fühlung genommen hatte. Das weitere mußte die Abendtafel zustande bringen und der Sekt, der schon kalt lag.
Fürs erste trennte man sich. Die Herren der Nachbarschaft strebten, wie selbstverständlich, den Ställen zu, vor denen, um Steffen beizustehen, der seiner Sachverständigkeit mit einigem Rechte mißtraute, der Herr Verwalter im Bratenrock schon bereitstand. Ihre Damen hingegen wünschten, wie ebenso selbstverständlich, den Park zu besichtigen.
Hierbei durfte Brigitte als Führerin und Erklärerin nicht fehlen, und sie unterzog sich dieser Aufgabe mit zutunlichem Geschick, wiewohl die Kniee ihr längst versagten und in jedem Augenblick der Gedanke an eine noch zu erfüllende Pflicht sie nach dem Hause zurückrief. Sie nahm die ihr gespendeten Lobpreisungen mit gebührender Bescheidenheit in Empfang und unterließ nicht den Hinweis, daß bei den Damen zu Hause sicherlich alles viel schöner wäre.
Am meisten entzückt war die Baronin Frundheim, die nun alles mit Maxels Dichteraugen sah und bald auf ihn, bald auf die umgebende Anlage starrte, als sei ihr heut eine zwiefache Offenbarung geworden.
Aber auch Frau von Groener, die sonst eine kalte Katze schien, erging sich in begeisterten Ergüssen und wies auf gewisse süddeutsche Edelsitze hin, in denen sich Ähnliches allenfalls vorfand.
Die Berlinerinnen trotteten in etlicher Entfernung hinterdrein, erstens, weil sie sich in den Kreis der Hochgeborenen nicht recht hineintrauten, und zweitens, weil deren Erscheinungen in ihrer ländlichen Zurückgebliebenheit nach einer ausgiebigen Kritik dringend verlangten.
Als alles beschaut und bewundert war, einigte man sich in dem Bedauern, daß der Tennisplatz keinen hinreichenden Auslauf hätte, und war befriedigt, wenigstens über etwas den Stab haben brechen zu können.
Brigitte aber schleppte sich zum Hause zurück, die letzten Vorbereitungen zum Abendessen zu treffen, legte die Platzkarten, schrieb die Paarungen aus und schmeckte die Pfirsichbowle, die den Abend beschließen sollte.
Und wieder flammten die Wachskerzen auf. Ein letzter prüfender Blick über die verdoppelte Tafel. Daß der Atem keuchte, daß rote Schauer die Augen umdunkelten, darauf zu achten, war jetzt keine Zeit.
»Mi, das Gong!«
Und das Gong rief dröhnend die Gäste zuhauf.
Neues »Ah«, neues Bewundern.
»Graf Disselhorst, darf ich bitten.«
Und der stelzbeinige Ritter floß über von überraschtem Dank für die Bevorzugung, die er als ihm zukommend längst schon erwartet hatte, noch bevor sein Blick auf die in der Halle ausgestellte Tafel der Paare gefallen war.
Steffen führte Frau von Groener und begann sofort ihr dreist und gottesfürchtig anzuvertrauen, was Gott Eros ihm eingab, wie es in Berliner Künstlerkreisen wohl Sitte war. Die kühl-korrekte Wittib nahm jede Wendung mit einem Staunen in Empfang, das vorläufig zwischen Ablehnung und Wohlgefallen die Wage hielt, doch ihr Lächeln verriet alsbald, wohin es sich neigen würde.
Brigitte sah das Spiel mit sinkenden Lidern wie eine ferne Vision und dachte nur eines: ›Ach wäre erst alles zu Ende!‹
In halber Bewußtlosigkeit stand sie Rede und Antwort, winkte und hob das Glas, wie ihr Hausfrauentum gerade verlangte, und gewahrte mit müder, traumartiger Freude, daß Stadt und Land sich immer weiter versöhnten.
Dann klang ihr noch in den Ohren ein Wohllaut von wiegenden Versen, die Max Friedenthal ihr zu Ehren gedichtet hatte. Und dann wurde sie plötzlich umringt und umstrahlt und umschmeichelt und von Frau Nelly inbrünstig abgeküßt.
Schließlich verging ihr alles in einem hallenden, leuchtenden, duftenden Dämmer.
Aber auch jetzt noch hielt sie sich tapfer. Erst als der letzte Wagen von dannen gerollt war, als der letzte der nächtigenden Gäste ihr die Hand gedrückt und auch Steffen, der wie alle ein wenig beschwipst war, sich lachend verabschiedet hatte, sank sie in Kleidern, wie sie ging und stand, zu einem kurzen, schreckhaft zuckenden Schlafe zusammen.
Und dann hieß es: »Auf, auf! Heraus!« Morgenkleid. Frühstück.
Gebackener Schinken. Eier. Marmelade. Und neben jeglichem Teller ein Eßpaket für den Heimweg. Das alles wollte bewacht sein.
Dann eine Stunde noch voll überflüssigen Redens und Lachens – jetzt eine halbe nur – jetzt gar bloß noch kurze Minuten – und dann endlich wurden die Wagen gemeldet.
Endlich konnte man ausruhen!
Aber siehe da! Als die Gäste verstaut werden sollten, fand sich's, daß, ob man sich noch so sehr zusammendrängte, für zwei kein Platz mehr war.
Aber bei der Herfahrt sei's doch gegangen.
Ja, wie es gegangen war, das wüßten die Götter.
Schleunigst sollte zur Aushilfe der Inspektorwagen vom naheliegenden Felde geholt werden, da erklärte Maxel mit einem Opfermut, der wahrhaft Anerkennung verdiente, er und seine Frau würden bis zum nächsten Zuge hierbleiben. Für seine Redaktion komme er doch schon zu spät, und Nellys abendliche Singstunde sei auch nicht sehr wichtig.
Brigitte verbarg den Seufzer zerstörter Hoffnung in einem gastfrohen Lächeln und ahnte noch nicht, wieviel größere Hoffnungen heute zerstört werden würden.
Als die viere allein waren, sagte Maxel: »Ich glaube beinahe, Steffen, wir beide haben seit Jahren kein ruhiges Gespräch mehr geführt. Wenn es dir so paßt, wollen wir unsere Frauen allein lassen und einen Gang in den Wald hinaus machen. Ich habe sowieso manches mit dir zu bereden.«
»Mir ist's recht,« erwiderte Steffen und übersah den trostlosen, hilfeflehenden Blick, den Brigitte ihm zuwarf.
So wanderten die beiden von hinnen.
»Nun wollen auch wir einen netten Plausch miteinander machen,« sagte Frau Nelly und leckte mit dem Züngelchen, das immer unterwegs war, die karminroten Lippen.
Sie war noch immer eine hübsche, kleine Person und hätte den Aufwand an Farben gar nicht nötig gehabt, aber die Neigung dazu saß seit der Bühnenzeit in ihr fest, und darum leuchtete sie weit üppiger, als die Natur es Brigitte verliehen hatte, die im übrigen heute ziemlich erloschen war.
Und wie nun diese nichts antwortete, fuhr sie fragend fort: »Wollen wir in deinem schönen Parke spazierengehen oder uns irgendwo hinsetzen? Ich richte mich ganz nach deinen Wünschen. Wenn ich nur bei dir sein darf, du Liebes!«
Und sie nestelte sich kosig an Brigittens Schulter fest, die wie auch sonst widerstandslos geschehen ließ, was man ihr antat.
Nur gegen das Herumgehen wehrte sie sich, weil sie einfach die Kraft dazu nicht mehr besaß.
»Wenn du mit mir in mein Zimmer kommen willst,« sagte sie.
Sie hatte sich im Oberstock am Ende des linken Korridors mit den Möbeln der früheren Zeit einen Schlupfwinkel eingerichtet, den sie vor jedem, außer vor Steffen, geheimhielt.
Dort wollte sie, ohne daß jemand vom Haushalt sie aufstöbern konnte, ab und zu ihren dichterischen Arbeiten leben, an denen ihre Sehnsucht immer noch festhielt.
»Diese schlichte Umgebung entspricht wohl eher deinen bürgerlichen Neigungen,« sagte die Freundin, als der lichtdurchflutete Eckraum mit seinen weißen Tüllgardinen und dem helleichenen Hausrat vor ihnen sich auftat. »Der altertümelnde Pomp, der dich dort unten umgibt, muß dir ja nach deinem eigentlichen Wesen ein Greuel sein.«
»Warum das?« rief Brigitte erschrocken. »Steffen liebt diese Lebensform. Er darf sie sich gönnen, und ich lieb' sie mit ihm. Ich wäre ja eine Barbarin, wenn ich nicht erkennen könnte, daß sie im künstlerischen Sinne die höhere ist.«
»Die höhere, das mag schon sein, aber fremd ist sie dir doch.«
»Mir ist nichts fremd, was Steffen Freude macht. Ich habe ja auch alles einrichten helfen. Es ist mein Werk beinah so wie seins.«
»Ja, Liebes, du bist ein rührendes Geschöpf. Es wäre nur zu wünschen, daß Steffen dir Gleiches mit Gleichem vergälte.«
»Wie meinst du das?« fragte Brigitte, aufs neue erschreckend. Sie hatte allzuoft von Steffen gehört, daß Nelly eine kleine Canaille sei, um sich nicht auf Schlimmes gefaßt zu machen.
Aber was diese erwiderte, klang durchaus harmlos: »Nun, nun, ich meine nur, daß er auf das einginge, was dir Freude macht, daß er – daß er –«
»Das soll er gar nicht! Das braucht er gar nicht!« rief Brigitte in heiligem Eifer. »Steffen ist eine so starke Persönlichkeit und sein Genie legt ihm so hohe Verpflichtungen auf, daß ich eine solche Rücksichtnahme gar nicht verlangen kann.«
Frau Nelly streichelte mitfühlend ihre Hand.
»Mit soviel Rücksichtnahme,« sagte sie, »wirst du deine Position nicht gerade verbessern. Wenn unsere Männer nicht Respekt vor uns haben, was sind wir dann noch? Und gerade du wirst gut tun, hierauf zu halten, da Steffen dich doch wirklich nicht glimpflich behandelt hat.«
Brigitte fühlte, wie eine eiskalte Hand nach ihrer Herzgegend griff.
»Wie meinst du das? Woher glaubst du das?« stammelte sie.
»Nun – man spricht nicht so über seine Frau, wie Steffen über dich gesprochen hat.«
Die Eishand packte fester zu.
»Zu wem hat er das getan?« fragte sie mit zitternden Lippen.
»Nun – zu seinen Freunden – zu meinem Manne zum Beispiel.«
»Und wann?«
»Ich weiß es nicht genau. Es mag wohl eine Weile her sein. Aber ich glaube nicht, daß sich inzwischen etwas geändert hat, denn Steffen ist nun mal eine Natur, die in der Ehe keine Befriedigung findet. Es sei denn, daß man ihm den Daumen tüchtig aufs Auge setzt. Und weil ich dich wirklich liebgewonnen habe, Liebling, möchte ich dir das dringend geraten haben.«
Dies letztere war natürlich dummes Gerede und nur eines zu wissen von Wichtigkeit: »Was hat er gesagt, Nelly? Was hat er von mir gesagt?«
»Von dir?« Helles Staunen malte sich in ihren unschuldigen Augen. »Nein, von dir eigentlich nichts. Vielmehr von dir hat er nur das Schönste und Liebste gesagt. Ich wünschte, mein Maxel sagte das gleiche von mir. Aber –«
»Aber?« Nicht zu ertragen war diese Qual.
»Aber – von der Ehe als solcher – und von seiner noch im besonderen. Wie vergiftet komm' er sich vor. Und irrsinnig würd' er noch werden. Und er wisse nicht, warum er noch lebe und arbeite, denn alles sei umsonst und alles sei lästig … Und wenn er nachts aufwache, dann steh' ihm der Angstschweiß auf der Stirn bei dem Gedanken, daß er nicht mehr ein freier Mann sei … Und viel Schlimmeres noch, was ich dir gar nicht wiederholen kann … Maxel war ganz erschüttert, als er heimkam, sonst hätt' er's mir vielleicht gar nicht erzählt … Und da sagte ich mir gleich, daß ich als Frau – als Freundin will ich gar nicht mal sagen – aber wir Frauen haben doch Korpsgeist, nicht wahr? – Und ich bleibe dabei: Eine solche Lage ist unwürdig für eine von uns. Überleg dir das mal! Du wirst sicherlich zu dem gleichen Ergebnis kommen.«
Brigitte warf einen verstörten Blick zum Fenster hinaus. Draußen glühte und gleißte die sommerliche Pracht. Bis heute hatte das alles ihr mitgehört, und sie war auch redlich am Werke gewesen, es sich zu verdienen – jetzt plötzlich zerfloß es in nichts – und Steffens Liebe zerfloß in nichts – und ihr Anteil an seinem Werke zerfloß in nichts – und sie stand draußen vorm Tor – ausgestoßen für immer.
Daß die Freundin nicht log, daran gab's keinen Zweifel.
Schließlich hatte er auch ihr gegenüber aus seinen Gefühlen niemals ein Hehl gemacht. Oft hatte er Ähnliches gesagt, wenn auch nicht mit so gräßlichen Worten. Aber sie war wie vernagelt gewesen. Aus Liebe zu ihm hatte sie immer darüber hinweggehört. Und dann war er ja auch bald wieder gut und fröhlich geworden, ja zärtlich sogar. Und in letzter Zeit hatten sich solche Ausbrüche überhaupt nicht mehr ereignet, so daß sie schon glauben durfte, er habe mit dem Schicksal seinen Frieden gemacht und alles steuere einer glücklichen Lösung zu.
Das war nun zu Ende. Zu Ende für immer.
›Mein Gott, wo soll ich bloß hin?‹
Drüben saß die Freundin, blickte in Rührung und Mitgefühl zu ihr herüber und wischte mit dem spielenden Züngelchen vorsichtig über die karminroten Lippen.
»Eh' du irgendwelche Schritte tust,« sagte sie, »mußt du natürlich sorgfältig alles bedenken. Jedenfalls werden Maxel und ich dir mit unserem Rate allzeit zu Diensten stehen.«
Brigitte erhob sich mühsam.
›Wo soll ich bloß hin?‹ dachte sie immer von neuem. Und laut sagte sie: »Verzeih, ich muß jetzt nach der Wirtschaft sehen. Die Leute wissen noch nicht einmal, was sie uns vorsetzen sollen.«
»Zeige mir nur erst noch den Weg,« bat die Freundin, »denn ich weiß gar nicht recht, wo wir uns in dem großen Hause befinden. Und wenn du mir diesen Liebesdienst erweisen willst, wirst du nur Gleiches mit Gleichem vergelten.«
Dabei sah sie Brigitte auffordernd an, als ob sie einen wunder wie heißen Dank von ihr erwartete. –
In der Küche waren die Vorbereitungen zum Mittagessen schon im Gange.
Der Garkoch legte seine Rechnungen vor und fragte, wann er zur Bahn gebracht werden könne.
›Das beste wäre, ich führe gleich mit,‹ dachte Brigitte, ›denn hier hab' ich ja nichts mehr zu suchen.‹
Die Mägde, die derweilen das Porzellan und das Silberzeug wegräumten, lachten und sangen aus vollem Halse. Wahrscheinlich hatten sie sich an den Überbleibseln der gestrigen Bowle gütlich getan.
Brigitte, die sich stets freute, wenn man rings um sie froh war, und manchmal gern mitsang, fühlte heute jeden Ton wie einen Messerstich in der Brust.
Aber dann rechnete sie so fleißig, wie sie nur konnte, und wunderte sich noch, wenn die Zahlen nicht stimmten.
Und dazu plötzlich erdröhnte Steffens Stimme vom Hinterflur her.
Hochauffahrend schaute Brigitte rings um sich. Sie hatte das Gefühl, sie müsse rasch vor ihm flüchten; sie wußte bloß nicht wohin, und darum blieb sie.
Er hatte Falten des Ärgers zwischen den Augen, und seine Stimme klang hart und verdrossen.
»Um halb eins muß gegessen sein,« sagte er, »und dann fährt der Wagen vor – es wird hohe Zeit, daß wir zur Ruhe kommen.«
Gern hätte sie ihn gefragt: ›Was hast du?‹ Aber wie konnte sie? Sie wußte ja nun, wie sehr ihre Teilnahme ihm lästig war.
Darum versprach sie nur, die Suppe werde auf die Minute bereitstehen, und unwirsch ging er von dannen. –
Man kann nicht sagen, daß dieses Mittagsmahl sehr heiter war. Auch zwischen den Männern schien nicht alles in Ordnung. Sie redeten gleichgültige Dinge und sahen geflissentlich aneinander vorbei.
›Wahrscheinlich haben sie über mich gesprochen,‹ dachte Brigitte, und die Angst drückte ihr die Kehle zusammen.
Nur Frau Nelly war guter Dinge, wie eine, der ein wohltätiges Werk über Erwarten gelungen ist.
»Ihr thront ja hier wie ein Königspaar,« sagte sie. »Habt ihr wenigstens eine Ahnung, wie glücklich ihr seid?«
Und dabei sah sie unbefangen und beinahe zärtlich zu Brigitte hinüber.
Der war zumute, als wichen die drei Gesichter am Tische in weite Fernen zurück und als säße sie ganz allein in tiefer Verlassenheit da.
Und dann fing alles in ihr zu quellen und zu wühlen an – ob vor Angst oder vor Kummer oder vor Scham, sie hätte es nicht zu sagen gewußt – aber ihre Hände flatterten, ihre Schläfen klopften, und das Herz jagte, als wolle es sich selber entrinnen.
Ein Glück war's, daß in diesem Augenblick der Wagen gemeldet wurde.
Darum konnte sie's noch über sich gewinnen, tadelfreien Abschied zu nehmen, auf der Terrasse zu stehen und lachend zu winken, wie sich's gehörte.
Aber dann – ja, was kam dann?
Ein Furchtbares kam, das sie mit Bewußtsein nicht mehr erlebte, sondern Steffen nur und Mi, die dabeistanden.
Plötzlich hob sie die Hände hoch und begann zu schreien und um sich zu schlagen. Und rannte umher und stieß gegen die Wände und griff in die Haare und winselte wie ein geschlagener Hund.
»Brigit! Um Gottes willen, Brigitte!«
»Geh weg! Rühr mich nicht an! Zermartern tust du mich! Erwürgen willst du mich! Wer errettet mich vor dir? Ist keiner mehr, der mir hilft? … Papa, Papa! Hilf mir doch, lieber, lieber Papa!«
Mit gefalteten Händen flehte sie ins Leere hinein. Ihre Stimme wurde die eines bettelnden Kindes.
» Lieber Papa! Lieber Papa! Warum duldest du, daß an mir solch Unrecht geschieht? Ich hab' doch nichts Böses getan! Ich hab' ihn doch bloß liebgehabt! … Pfui, komm mir nicht nah! … Ich lauf' dir weg! Tothungern lass' ich mich! In den See werf' ich mich! Dann fall' ich keinem zur Last! Dann brauch' ich nicht mehr deine Magd zu sein! Dann brauch' ich auch deinen Geliebten nicht mehr die Türe zu öffnen! Pfui du! Pfui! Pfui!«
Und immer von neuem losschreiend, tobte sie in der Halle umher.
Erschüttert, entsetzt, ratlos und hilflos schaute Steffen ihr zu.
Mi hatte sich mit gefalteten Händen in eine Ecke gekauert und folgte verängstigten Blickes jeder Bewegung ihrer Herrin.
»Sorge, daß keiner hierher kommt,« raunte Steffen ihr zu, »vor allem das Kind nicht.«
Eilends lief sie nach hinten, die Tür zum Wirtschaftsflügel abzuschließen, verständigte Mademoiselle und kam dann wieder.
Inzwischen hatte sich Steffen vergebens bemüht, der um sich Schlagenden nahe zu kommen.
»Versuche du dein Heil,« sagte er leise, »vielleicht hört sie auf dich.«
Und mutig schritt Mi auf sie zu.
»Liebe gnädige Frau! Gute gnädige Frau, wollen Sie sich nicht ein bißchen ausruhen? Bitte, tun Sie es doch.«
Da ging ein erster Freudenschimmer über das verzerrte Gesicht.
»Mi – du? Ja, du meinst es gut mit mir! Du wirst mich nicht verlassen! Auch wenn ich hier weg muß! Versprichst du mir das?«
Und Mi versprach. Nur sich zur Ruhe legen solle sie jetzt.
»Ja alles! Alles! Bloß er soll nicht 'reinkommen! Daß er mich nicht 'rauswirft! Daß er mich nicht aus'm Bett schleppt! Wirst du aufpassen, ja?«
»Ja, ich werd' aufpassen, ja.«
Da ließ sie sich bei der Hand nehmen und folgte der Führenden willig nach ihrem Schlafzimmer hin.
Das Gesicht in den Fäusten vergraben, brach Steffen auf einem Sitze zusammen.
Noch faßte er nicht das Geschehene. Nur eins schien ihm klar: daß ein großes Unheil hiermit seinen Anfang nahm.
Eine Nervenkrise, ein Anfall, dem andere folgen würden! Ihre Gesundheit war geschwächt, ihre Kraft zerrüttet. Zuviel der Leiden und Anstrengungen waren ihr zugemutet worden, als daß ihr Körper ihnen hätte standhalten können.
Eine Viertelstunde verging, da kam Mi wieder zum Vorschein.
Gnädige Frau habe sich ohne Widerstreben ausziehen lassen und sei sofort in tiefsten Schlaf gesunken.
Behutsam schlich er sich an ihre Zimmertür. In raschen, pustenden Stößen drangen ihre Atemzüge an sein Ohr.
Und so kam er noch oft, und immer war es das gleiche.
Als er wieder einmal vor der Türspalte stand, fühlte er ein leises Zupfen an seinem Jackensaum.
Die kleine Atta war's. Mit furchtsam bittenden Augen sah sie zu ihm empor. Das waren der Mutter Augen. Oft hatte er diesen Blick an ihr gewahrt und ihn nicht zu deuten verstanden.
»Was ist mit Mammi? Ich möchte so gern zu Mammi!«
»Du kannst jetzt nicht zu Mammi, Liebling. Mammi ist sehr müde. Mammi muß ausruhen.«
»Aber ich hab' solche Angst, Papa.«
»Warum hast du Angst, mein Mausichen?«
»Mi ist zu Mademoiselle gekommen. Und dann haben sie ganz leise gesprochen und immer nach mir hingesehen. Und dann hat Mademoiselle gesagt, ich muß in den Park. Aber jetzt bin ich ihr weggelaufen. Bitte, bitte, lieber Papa, ich möchte zu Mammi.«
Er nahm sie auf seinen Schoß, und allgemach gelang es ihm, das flatternde Seelchen zur Ruhe zu bringen.
»Und wird Mammi auch an mein Bett kommen, gute Nacht sagen?«
»Das wird Mammi kaum können. Aber ich werd' kommen, Mausichen, wenn du es gern willst.«
So klein sie noch war, sie wußte doch schon, was Höflichsein ist, und ließ zwischen den Tränen eine kurze Freude in ihrem Gesichtchen aufleuchten.
Es wurde Abend.
Er hatte mit Mausi gebetet, wie einst mit den drei Pilzen im ersten Ehejahr.
Noch einmal ging er zu Brigitte und wagte sich bis an ihr Bett.
Da lag sie – rotbäckig wieder – wieder mit einem Lächeln um die geschürzten Lippen, und sicherlich fühlte sie seine Nähe, denn sie hob die Lider ein wenig und hauchte mit scheuer Inbrunst: » Lieber Steffen! Lieber Steffen!«
Aber seine Nacht wurde schlimm. Tausend marternde Ahnungen, gemischt mit Reueausbrüchen, machten den Schlaf zuschanden.
Erst bei hellichtem Morgen fand ein dumpfes Dröseln sich ein. Da stand sie plötzlich vor ihm – rosig und ausgeschlafen wie sonst – nur mit einem unruhigen Flackern im Auge.
»Sag, Steffen, was war gestern mit mir?«
»Davon wollen wir später reden, Brigitte.«
»Irgendwas war mit mir. Ich weiß nur nicht, was. Und du kamst auch so merkwürdig verstimmt von eurem Spaziergang zurück. Hat er dir Unangenehmes gesagt? Was wollen sie bloß von uns? Warum quälen sie uns? … Aber nun sind sie ja weg! Und wir sind für uns. Und alles soll wieder gut sein, ja? Bitte, bitte, sag ja!«
Ein traumhaft dumpfes Bild des Geschehenen mußte wohl in ihr wohnen, sonst hätte die Sorge ihr nicht das Herz schwer gemacht.
Aber als er dann ernstlich mit ihr sprach und ihr den krankhaften Zustand schilderte, dem sie verfallen gewesen, wollte sie nicht daran glauben.
Er verwies sie an Mi, die seine Worte bestätigen würde. Aber dessen wehrte sie sich. Alles solle vergessen und begraben sein, und nie werde Ähnliches sich wieder ereignen.
Das schwor sie ihm immer von neuem, vor Grauen und Schuldbewußtsein in sich zusammengekrochen.
Und erst als er ihr versichert hatte, daß er ihr nicht das mindeste nachtrage, klärte sie sich allmählich auf, und am Frühstückstische war sie in heiterem Frieden wieder die alte.