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In Berlin gab es sehr viel zu erledigen. Angenehmes und Unangenehmes, Geschäftliches und Weibliches. Alles bunt durcheinander.
Naschke hatte drei Bilder in seiner Ausstellung hängen. Eines davon war inzwischen verkauft. Zu billig natürlich. Aber da war nichts mehr zu machen. Um ein anderes wurde gehandelt. Depeschen flogen hin und her, denn Naschke selber saß in Norderney und spülte sich das Fett von den Rippen. Auch an Steffen war ein halb Dutzend Depeschen gesandt worden und als unbestellbar zurückgekommen, denn wo er inzwischen gesteckt hatte, wußte ja niemand. Er schimpfte kräftig, man möge ihn mit dergleichen Quark ungeschoren lassen, aber er legte den Preis fest und erhielt, was er wollte.
Das war das Geschäftliche.
Nun aber die Weiber! Hier lagen die Dinge weniger bequem.
Sieglinde, die Leidenschaft des künftigen Winters, war laut Verabredung in die Dolomiten gegangen, wo sie gemeinsam hatten klettern wollen. Drei Brandbriefe fand er auf seinem Tische liegen, und der letzte kam einer Abdankung gleich. Aber Roheit durfte er sich nicht vorwerfen lassen, drum mußte er sich wohl oder übel entschließen, ihr nachzufahren, mochte noch so wenig Erquickliches dabei herauskommen.
Lilli, das gute Tierchen, war gar in dem heißen Berlin geblieben, nur, um seine Rückkunft nicht zu verfehlen. Und es hatte doch gar keinen Zweck mehr. Immer wieder Tränen, immer wieder Adieusagen, um schließlich in dem langweiligen Chambre garni von neuem zusammenzukriechen! Als er nämlich ihrer satt geworden war, hatte er ihr nach altem Rezept eingeredet, daß das Ehebrechen im Grunde etwas sehr Unsittliches sei und daß ihrer beider Neigung die höhere Weihe erst dadurch zuteil werden würde, daß sie blutenden Herzens einander entsagten. Damit war sie auch ganz einverstanden gewesen, denn länger als ein halbes Jahr dauerte ihre ewige Liebe sonst nie. Das wußte er. Das hatte die holde Törin ihm gleich am Anfang gestanden. Und nun plötzlich diese Rückfälle! Dieses vorschriftswidrige Kleben! Ja, man hatte schon seine Plage mit den Weibern!
Aber Lillis Verabschiedung war noch nicht einmal das schlimmste. Ein Gespenst aus vergangenen Zeiten meldete sich und wurde überlebendig. Achtung! Erpressung! Jawohl.
»Inez, die Vertraute«, die einst, wenn Metas Gatte verreist war, mit dem Hausschlüssel vor der Tür gestanden hatte, treu sorgend bis morgens um drei, war jetzt die Frau eines versoffenen Klempners. Und dieser Lumpenhund hatte Wind davon bekommen, daß aus der süßen Sünde von einstmals bar Geld herauszuholen war … Meta selber aber wurde knapp gehalten – von ihrem Toilettengeld blieb kaum für den Konditor was übrig – drum mußte sie sich in ihrer Seelennot soweit erniedrigen, den längst entwichenen Liebhaber um Hilfe anzugehen. Heimlicher Briefwechsel. Heimliche Zusammenkünfte. Heimliches Hinübergleitenlassen bereitgesteckter Scheine. Scheußlich!
Bevor er Berlin verließ, schrieb er Brigitte einen langen Brief voll von weichtönendem Dank und sehnsüchtigem Rückerinnern. Nicht ein Wort stand darin, das aufgeputzt oder gar geheuchelt gewesen wäre. Und so innig verbunden fühlte er sich ihr, daß er ihr beinahe auch die Mißhelligkeiten anvertraut hätte, die der weiterwirkende Liebesbetrieb ihm bereitete. Aber das ging nun wirklich nicht an.
Eine umgehende Antwort erbat er sich nach Bozen, wo er für die nächsten vierzehn Tage in Sieglindens Nähe sein Stammquartier zu nehmen gedachte.
Ungnade empfing ihn dort, die er wie einen milden Sommerregen kaum beachtet an sich herniederrieseln ließ.
Und während die schöne Heroine mit dem Flammenblick und den konisch geschwellten Schenkeln zornig, doch versöhnungsbereit ihre wohlüberlegten Vorwürfe auskramte, dachte er immerzu: ›Brigitte, liebe Brigitte!‹
Dann folgten die ersten Kletterpartien. Sieglinde zeigte unverdrossen ihre Kühnheit, aber die imponierte ihm wenig. Selbst das nachbarliche Nachtlager in der Hütte förderte die Annäherung nicht. Beim Einschlafen dachte er: ›Liebe Brigitte!‹ Und wenn die Stimme des Führers ihn weckte, dachte er: ›Liebe Brigitte!‹
Als man der Heldentaten und des Drumrumredens genug hatte und nach Bozen zurückkehrte, fand er einen Brief von ihr. Der lautete so:
Mein lieber, lieber Freund!
Warum soll ich es verhehlen? Seit Sie fort sind, hat sich die Welt sehr verändert. Die Sonne scheint nicht mehr, das Lachen der Kinder tut weh, und der kühle Nachtwind hilft gar nichts; ich schlafe doch nicht ein.
Morgens auf dem Wege zum Bade gehe ich am Kurhaus vorbei und gucke nach der Veranda hinauf, die zu Ihrem Zimmer gehörte. Mir ist immer, ich müßte Sie wie früher beim Frühstück dort sitzen sehen. Aber der Tisch ist leer. Der Wirt hat Ihr Logis nicht wieder vermietet. Vielleicht erscheint niemand ihm würdig, nach Ihnen darin zu wohnen, vielleicht denkt er sogar, es wäre möglich, daß Sie wiederkämen.
Und ich darf es ruhig gestehen: manchmal denke ich dasselbe. Wenn Sie fühlen könnten, mit welchem Glücke ich mir wieder und wieder die Tage ausmale, die ich mit Ihnen verlebte, und wie unablässig meine Gedanken Ihnen auf Ihren Wegen folgen, so würde das vielleicht ansteckend wirken und Sie würden sich sagen: Gibt es ein Herz auf der Welt, das so warm für dich schlägt, warum sollst du es so vergeblich sich abquälen lassen?
Und dann würde ich Sie richtig eines Morgens wieder am Frühstückstisch sitzen sehen, und Sie würden lustig zu mir herabwinken und würden mir zurufen: »Warten Sie, Liebe, ich komme gleich 'runter!«
Wäre das nicht ein frohes und liebes Wiedersehen?
Doch müssen Sie um Gottes willen nicht glauben, daß ich Sie locken will. Ich meine nur, so schön, wie es hier war und wieder sein würde, kann's in den Bergen nicht sein. Und wenn alle Frauen der Welt Ihnen nachliefen, so sehr bangen wie ich würde sich keine von ihnen.
Ich weiß ja, Sie werden nicht kommen. Sie haben Besseres zu tun, als sich von einer stillen, einsamen Frau anschwärmen zu lassen. Aber wünschen darf ich's mir doch – nicht?
Suschen und Kurt und Wulle-Wulle senden dem lieben Onkel viele herzliche Grüße. Auch Mi empfiehlt sich respektvollst. Ich aber sage nichts mehr, weil ich alles gesagt habe.
Ihre Brigit.
Die nächste Folge dieses Briefes war, daß sich an Steffens linkem Fuße heftige Schmerzen einstellten, die ein weiteres Klettern schlechtweg unmöglich machten.
Der sichere Blick des herbeigeholten Arztes erkannte sofort eine Sehnenscheidenentzündung, die längeres Stillliegen erforderte.
Sieglinde machte ein saures Gesicht, zeigte sich aber zu aufopferndem Schwesterndienste ohne weiteres erbötig. Ja, sie beschloß sogar, der dringenderen Hilfeleistungen wegen in Steffens Hotel überzusiedeln, das sie, um die frisch entfachte Leidenschaft anzuheizen, solange gemieden hatte.
Das war nun gerade nicht seine Absicht gewesen. Und weil einem Kranken die nötige Pflege doch nur im eigenen Heim zuteil werden kann, so dampfte er am nächsten Tage, in einem der gastlichen Halbcoupés gefühlvoll gebettet, nach dem Norden zurück – nicht, ohne zu seiner Beruhigung festgestellt zu haben, daß ein junger, sympathischer Bergsteiger, nach Ritterdiensten zitternd, als sein Ersatzmann schon da war.
Nun saß er wieder in dem sommerlich leeren Berlin. Und malte aus dem Gedächtnis ein Brigittenbild nach dem anderen. Aber nicht eines wollte gelingen.
Zu ihr zurückzukehren, daran dachte er freilich fürs erste durchaus nicht. Allzu groß war die Gefahr, die ein neues Beisammensein fast automatisch nach sich ziehen mußte. Mit einer Brigitte spielte man nicht, und was als Ernst schon auf der Lauer lag, hieß mit einem anderen Worte Verbrechen.
Abscheulich waren die einsamen Abende. Niemals im Leben war es ihm eingefallen, sich allein gelassen zu fühlen. Im Gegenteil: er war eitel genug, die Gesellschaft seines verehrlichen Ichs jeder anderen vorzuziehen. Langeweile hatte er niemals gekannt, und wenn ihm nichts Besseres zu Sinn kam, ließ er sich von seiner Phantasie Wände und Wände vollmalen. Doch jetzt verfing das alles nicht mehr. Träge schlichen die Tage dahin, und schon durchschauerte Frühherbstahnung den schwarz einfallenden Abend.
Wenn aber gar Frau Rhein die Frühstückstablette ins Zimmer trug und er sich vorstellte, wie er gleich einem seligen Gotte auf der meerwindumspülten Veranda gethront hatte, während ein süßheiseres Stimmchen heraufrief: »Guten Morgen, Herr Tromholt!«, dann war er oft nahe daran, den Tisch mitsamt dem Geschirr der alten Wirtschafterin vor die Füße zu schleudern.
Solch ein Zustand ist nichts für die Dauer. Und schließlich gibt es ein Reisebureau, wo freundliche Männer bereit sind, einem guten Kunden, der eine Schlafwagenkarte begehrt, ein gerade noch freies Coupé zur Verfügung zu stellen.
Um sieben Uhr morgens würde die Klingelbahn ankommen. Um acht Uhr konnte man harmlos – gleichsam nur aus Versehen – auf dem leergebliebenen Platze sitzen.
Und wenn sie dann vorüberging und emporsah: »Herr Tromholt! O Gott, Herr Tromholt! Lieber Herr Tromholt!«
So würde es sein! So mußte es sein!
Gar nicht auszudenken, das Glück dieser Stunde!
Doch es kam anders. Ganz anders kam es.
Wohl saß er eines Morgens programmäßig da, nach dem Steg hinstarrend, wo sie auftauchen mußte, wohl trank er, die Ungeduld zu betäuben, einen »Fine Champagne« nach dem anderen; – es wurde neun – es wurde halb zehn – es wurde zehn – da packte ihn die Angst.
Vielleicht war sie abgereist, vielleicht war sie krank, vielleicht – –. Noch Schlimmeres, noch Wilderes belagerte sein Hirn.
Er griff nach der Mütze und rannte zum Strande hinunter.
Gott sei gelobt, dort leuchteten die drei roten Pilze!
»Onkel Tomholt, Onkel Tomholt!«
Sechs Kinderärmchen umschlangen seine Waden – denn höher reichten sie nicht. Und Mis Flammenaugen lächelten ihn an.
»Wo ist Mama?«
»Mammi is tu Ause!«
»Warum ist Mammi zu Hause?«
»Mammi ist tank!«
Also doch! Heiß sprang der Schreck ihm zum Halse empor.
Aber da legte sich Mi ins Mittel.
Nein, krank sei die gnädige Frau eigentlich nicht, nur müde – immer sehr müde. Und darum gehe sie nicht mehr baden und komme auch nicht zum Strande herunter. Aber wenn der Herr Professor nach dem Hause gehen wolle, die gnädige Frau werde sicherlich sehr erfreut sein.
Und da war er schon unterwegs.
Den Steg entlang – durchs Drehkreuz – an den Resten des Fichtenwaldes vorbei – und die Treppe empor … Sein Klopfen ganz ohne Antwort.
›Auf dem Balkon wird sie sein!‹
Ja, da war sie. Lang hingestreckt auf dem Liegestuhl. Der Blick in den Wolken verloren.
»Brigitte!«
Kein Erschrecken. Kein Erstaunen. Nur ein mattes Lächeln ging über das blasse Gesicht. Dann schlossen die Augen sich in lösendem Frieden.
»Liebe, liebe Brigitte!«
Er hockte neben ihr auf dem Rande des Korbgeflechts, er riß ihre Hände zu sich empor.
Sie lag ganz still, nur die gesenkten Lider flatterten leise.
Fast wie damals im Walde war's. Nein doch, anders, ganz anders. Erleichterung, Erlösung – und ein Traum von wiederkehrendem Glücke.
Und dann taten zwei Arme sich auf. Seine Brust lag auf ihrer Brust, sein Angesicht auf dem ihren.
Und während er so dalag, stieg das zage Gefühl in ihm hoch: ›Hier bist du gefangen und kommst nie wieder los!‹
Aber dann verschwand es sofort, erstickt von dem Glück, das auch ihn übermannte.
Und was dann noch kam – alles war Glück und blieb Glück und heimatbringender Einklang.
Zuerst fragte er natürlich, warum sie so elend sei und ihr Gesichtchen so schmal, und weshalb die Tuschkastenfarben sich ganz verflüchtigt hätten.
Aber einen Grund wußte sie nicht. Es sei alles von selber gekommen. Zuerst das Wachen in den Nächten – und dann die große Müdigkeit – und vor allem das Herzklopfen nach jeglichem Bade. Da habe sie zuerst das Baden aufgesteckt und dann die Spaziergänge, und schließlich sei ihr auch der Strand zuviel geworden. Sie habe nur immer liegen wollen hier auf dem Langstuhl. Und immer allein sein. Sogar die Kinderstimmen hätten ihr weh getan. Das sei gewiß sehr unmütterlich und fast unmenschlich, aber sie könne wirklich nichts dafür. Es sei eben alles von selber gekommen.
Ein beklommenes Gefühl sagte ihm: ›An dem allem trägst du die Schuld.‹ Aber er scheute sich, ihm Worte zu geben. Er hielt nur ihre Hände und dachte: ›Gott sei Dank, daß ich da bin!‹
Inzwischen nahte die Zeit, in der die Nachbarn heimzukehren pflegten. Darum begehrte sie aufzustehen, denn so zusammen sehen durfte sie keiner.
Aber das ging schwerer, als er sich's vorgestellt hatte. Sie taumelte und mußte unter den Armen gestützt werden. Doch drinnen im Zimmer erholte sie sich zusehends, und plötzlich war auch ein rosa Schimmer da, den die Wangenröte voranschickte.
Auf zwei Stühlen saßen sie sich dicht gegenüber, hielten die Hände über den Knien verschränkt und redeten bunt durcheinander.
Vor allem: erzählen sollte er.
Nein, da gebe es nicht viel zu erzählen. Herumgestrichen sei er kreuz und quer –
Allein?
Natürlich! Immer allein! Das heißt, nicht ganz allein. Was so der Zufall einem beschere. Doch das zähle ja nicht. Auf den Latemar sei er gestiegen. Und im Rosengarten sei er herumgetost. Aber die Hauptsache: ihr Bild habe er malen wollen, und das sei ihm dauernd vorbeigeglückt … Doch nun könne man ja nachholen, soviel der Tag an Licht nur hergebe und soviel ihre Kräfte erlaubten.
In tief atmender Ruhe lächelte sie ihn an.
Wenn er sie habe malen wollen, dann habe er ja auch an sie gedacht, und dieses zu wissen, sei ihr genug.
Da klapperten Schritte auf den Stufen der Treppe, die Tür wurde aufgerissen, und die drei Pilze stürmten herein.
»Der Onkel, der Onkel!«
Ja, da war der Onkel schon wieder, aber die Pralinees hatte er zu Hause gelassen. Und sie täten überhaupt besser, sich ruhig zu verhalten, denn sie wüßten doch, daß Mammi nicht wohl sei und daß sie das Schreien gar nicht vertrage.
Erstaunt, erschrocken glupten sie ihn an. In den Tönen hatte noch nie ein Mann mit ihnen geredet. Aber dann kamen sie gutwillig näher und schmiegten sich an seine Kniee, von drohender Übergewalt schon im voraus bezwungen.
›Wo bin ich?‹ dachte er, um sich schauend, als träumte er.
In diesem Winkelchen war er kein Fremder mehr, hier gehörte er hin, hier umgab ihn Liebe, Gehorsam und Reinheit. Hierher wagte sich nichts von dem Raub und den Ränken der Welt, vor dieser Schwelle scheute selbst das in purpurne Passion sich verkleidende Laster. Hier bot sich Zuflucht, als umklammerte man die Hörner des großen Altars.
Inzwischen kam Mi zur Türe herein und rollte verlegen die Feuerräder.
Brigitte, ahnend, um was es sich handelte, nickte bejahend zu ihr empor.
»Aber – aber –«
»Was für ein Aber?«
Da kam es zutage: es gebe auch heute die dicke Gemüsesuppe, genau so wie damals, als der Herr Professor zum ersten Male – und ob man ihn dazu wieder einladen könne.
Und mit einem Male ertönte ein Lachen, so plätschernd hell wie ein frisch herausgebrochener Springquell.
Das war die Kranke, die Todesmatte, die noch vor kurzem zu einem Lächeln kaum Kraft gefunden hatte.
Ja, sie ging sogar selbst in die Küche, den Eierkuchen zu backen, der heute noch festlicher ausfallen mußte. Und dabei taumelte sie nicht im geringsten. Nur schob sie sich lässig an den Möbeln entlang, wie eine, die süßen Erschlaffens nicht Herr wird.
Um den Nachbarn kein Schauspiel zu bieten, saßen sie heute im Zimmer, auch weil der Septemberwind schon rauh um die Ecken blies.
So würden sie fortan immer essen, erklärte sie, denn dazu ins Gasthaus zu gehen, das dürfe er ihrem Hause in Zukunft nicht antun. Auch müsse er wissen, daß sie eine Köchin von hohen Graden sei, der man Bewunderung schulde.
Sogar sein Mittagsschlaf war ihm gegönnt. Sie ging zu den Kindern, um sich auf Mis Bettstatt zu werfen, und derweilen durfte er sich's auf ihrem Sofa bequem machen.
Und während er, noch müde von nächtlicher Fahrt, ins Leere hinüberdröselte, dachte er, wie von weichen Händen gestreichelt: ›Ah, hier ist's gut sein!‹
Zu dem Abendspaziergang kam's heute nicht. Sie wollte wohl, aber die Kräfte versagten. Ihr hilfloses Daliegen war also nicht bloß Einbildung gewesen.
Aber am nächsten Morgen zwang sie bereits bis zum Strande hinunter, und als Tromholt sich zu der Gruppe gesellte, gab's ob seiner Wiederkehr weit und breit ein freudiges Staunen.
Schon gestern mochte dies Theater sich abgespielt haben, aber er war dessen nicht gewahr geworden, so sehr hatte die Sorge um sie ihn im Banne gehalten. Heute fühlte er sich dadurch geplagt und belästigt. Weniger für sich, als für sie.
»Ich schmarotze hier bei Ihnen,« sagte er, als rings die Gaffer und Knipser sich aufstellten, »und Sie werden später die Kosten zu tragen haben, denn glauben Sie ja nicht, daß Ihnen dies zwanglose Verkehren mit mir geschenkt bleiben wird.«
Aber sie lachte nur leise vor sich hin.
»Man kennt mich,« sagte sie dann. »Man weiß, daß in meinem Leben nichts Unrechtes geschieht, und man wird auch unsere Freundschaft so harmlos deuten, wie sie's verdient.«
›Harmlos?‹ fragte er sich. Nur von ihm hing's ab, ob sie dem Abgrund entrann oder nicht, war sie doch längst schon wehrlos in seiner Hand.
Am selbigen Abend wagten sie den altgewohnten Gang in die Wälder hinaus. Manchmal blieb sie wohl keuchend stehen, manchmal mußte sie sich auch seinem stützenden Arme anvertrauen, aber schließlich gelangten sie doch in das bergende Dunkel, wo sichere Zweisamkeit ihrer harrte.
Und als sie – wie damals – unter der Obhut des Buchenstammes an seine Brust geschmiegt dalag, da stieg zum ersten Male aus der Beklommenheit seiner Sinne die Frage hoch: »Sag, was wird werden?«
Sie schaute lächelnd zu ihm auf. »Was geht mich das an?« flüsterte sie. »Du bist ja da!«
»Und wenn ich eines Tages nicht mehr dasein werde?«
Sie erschauerte und schwieg.
»Hast du daran noch nicht gedacht?«
»Ich will nicht daran denken,« flüsterte sie.
»Aber in der Zeit, in der du allein warst, hast du dir auch da keine Gedanken gemacht?«
»Doch, doch! Geträumt habe ich hiervon und davon, aber es wäre zu dumm, es in Worte zu kleiden.«
»Und doch wirst du es müssen. Wirst mit mir zu Rate gehen müssen, wie wir's anfangen, daß – daß – wir uns lieb behalten und daß keiner von uns daran Schaden nimmt.«
Sie erstarrte von neuem in schweigender Abwehr.
Doch er wurde immer noch dringlicher, und zu gehorsam, zu hingegeben fühlte sie sich, als daß sie länger gewagt hätte, mit dem, was sie beschäftigte tags und nachts, hinter dem Berge zu halten.
»Ich weiß wohl,« sagte sie zögernd und stammelnd, »mich an dich zu hängen mit meinem kleinen Volk, das wäre ein Unglück … Dir die Flügel brechen, jetzt, wo du leben und hoch willst, nein, das kann ich nicht … Dazu liebe ich dich viel zu sehr, und dazu bin ich mir auch zu gut … Aber ohne dich leben – dich nie mehr sehen – vielleicht nie mehr von dir hören – nein, das – ich hab's ja ausgeprobt in diesen Wochen – nein, das kann ich erst recht nicht! Das geht über Menschenkraft, – das – das –«
»Dann sag mir um Gottes willen, wie denkst du dir, daß es werden soll?«
»Ach, wenn du mich liebhätt'st, dann wüßte ich schon!«
»Ich hab' dich lieb! Ich hab' dich so lieb, daß ich diese ganze Zeit über keine Ruh' mehr gefunden hab' ohne dich … Alles ist mir schal und ausgeblaßt erschienen ohne dich … Die Weiber hab' ich gehaßt, den Männern bin ich aus dem Wege gegangen … Selbst vor der Staffelei habe ich's nicht mehr ausgehalten. Heißt das liebhaben, oder nicht? Also sag!«
Glückselig nestelte sie sich tiefer in die Beuge seines Arms.
»Ja dann, dann darf ich es sagen … Alles, wie ich's mir zurechtgelegt habe in den vielen schlaflosen Nächten … Die Stadt, in der ich lebe, ist kein bloßes Nest – und schön gelegen dazu – Hügel und Wald, und die See nicht sehr weit – und ein blonder, urwüchsiger Menschenschlag … Wenn du da manchmal malen wolltest – Motive hätt'st du in Menge – und dann könnten wir zusammensein, soviel wir nur wollten.«
»Und dein Ruf?« warf er ein.
Sie zog mit einem süßen Wehlaut die Schultern zusammen.
»Ruf! Was ist Ruf? … Manche von meinen Freunden würden sich wohl von mir zurückziehen – vielleicht alle sogar – aber dann hätte ich ja dich – und die Hoffnung auf dich – und das Erinnern an dich … Aber vor etwas anderem habe ich Angst: eines Tags würde dir die Reise zu lang und zu beschwerlich werden – und dann würden Entschuldigungsbriefe kommen – und schließlich auch die nicht mehr. – Und dann säße ich da und hätte nichts auf der Welt als meinen Kummer … Aber ich weiß noch was Besseres! … Ich hab' doch meine Witwenpension … Sie ist ja nur klein, aber für uns fünfe – Mi rechne ich mit – reicht sie immer noch aus … Ein paar tausend Mark in Papieren dazu … Wo wir davon leben, ist gleich … Wenn ich nach Berlin zöge und mir eine bescheidene Wohnung nähme, dann wäre ich mitten in der großen Welt, und mein bißchen Schreiben würde auch davon profitieren … Und dann würdest du immer einen stillen Winkel haben, in den du dich flüchten könntest, sobald du müde wärst von all dem Treiben – und wenn du nur alle acht Tage kämst – alle acht Tage einmal – und wenn es auch nicht lange dauerte – ein Jahr vielleicht – höchstens ein Jahr – dann hätte ich dich doch gehabt – ganz für mich – und könnte davon zehren ein Leben lang.«
»Und da wolltest du ganz einfach meine Geliebte sein?«
»Was du willst, daß ich sein soll, das will ich auch!« gab sie zur Antwort, und in ihrer Stimme lag Entschluß und Zwang des Bluts und ewige Opferung.
»Nein, mein Liebes,« sagte er, »ein solches Geschenk nehm' ich nicht an. Ich bin in Weibersachen sonst ziemlich skrupellos, aber über Leichen gehe ich nicht. Und was aus dir dann werden würde, das haben mich die vergangenen vier Wochen gelehrt … Laß mich nachdenken über Nacht! Vielleicht findet sich ein Ausweg – Rettung möchte ich beinahe sagen … Denn verstrickt bin ich genau so wie du und weiß nicht aus, nicht ein.«
Am nächsten Abend machten sie den gleichen Weg. Aber jetzt war sie schon so weit gekräftigt, daß sie seiner Stütze nicht mehr bedurfte.
Sie redeten von Bildern und Büchern, und immer wieder staunte er über die Klarheit ihres Urteils, die Weite ihres Wissens und die geistigen Zusammenhänge, die sie beide vereinten.
Aber über das, was ihnen zunächst am Herzen lag, gingen sie sorgsam hinweg.
Erst als sie wieder aneinandergeschmiegt unter dem Buchenschirm saßen, den sie schon als eine Art von Heimat betrachteten, gab er sich einen Ruck und begann: »Hör mir gut zu, mein Süßes! Meine Geliebte wolltest du sein, du, deren Seele noch nie um eines Haares Breite vom Wege des Sittsamen und Gebotenen abgeirrt ist! … Du ahnst ja gar nicht, was das für dich wäre! Wieviel Ängste und Demütigungen du hinunterwürgen müßtest, selbst wenn niemand das mindeste ahnte … Nein, Kind, dazu gehört ein dickeres Fell, als du hast … Lägen die Dinge durchschnittsgemäß, dann müßtest du jetzt meine Frau werden, und alles wäre geordnet. Aber das tun sie leider nicht … Ich will frei sein, ich muß frei sein … Der Austausch zwischen Leben und Schaffen soll bei mir erst beginnen, denn was ich bisher tat, entsprang zunächst dem Kampf mit der Not und der Gier, in die Höhe zu kommen … Eine Gefährtin kann ich dabei nicht brauchen. Die wäre mir wie eine Kugel am Bein. Und du könntest diese Gefährtin am wenigsten sein, denn zu dir gehören drei kleine Geschöpfe, für die du vor allem zu sorgen hast … Dein Leben ist festgefügt, und wer zu dir gehören will, der muß hineinkriechen – egal, was aus ihm wird. Muß Familienvater werden und Haushaltungsvorstand und in der bürgerlichen Ordnung einen würdigen Platz einnehmen … Das alles wäre für mich der Tod – künstlerisch wie menschlich. Und der Tod ebenso für dich. Denn in den Greueln meines Runterkommens würdest auch du zugrunde gehen.«
Sie hatte während seiner Worte schon lange zu weinen begonnen. Erst rannen ihr die Tränen leis und verstohlen, dann brach sie jäh in ein Schluchzen aus, das sie schüttelte wie ein Krampf.
Er zog sie an sich und streichelte sie.
»Kind, hab' ich dich so gekränkt?«
»Warum sagst du das alles? Warum bist du so grausam zu mir? Habe ich mich je in dein Leben gedrängt? Habe ich dich mit irgendwelchen Ansprüchen belästigt? Nur ganz still und bescheiden habe ich dir nahe sein wollen. Hab' für dich dasein wollen, wenn du mich brauchtest. Und nun sagst du mir das!«
»Ich hab' dir ja noch nicht alles gesagt. Drum weine nicht und höre mir zu … Also das eine geht nicht, und das andere geht nicht. Aber ein Drittes, das ginge vielleicht … Gestern sagtest du etwas von einem Jahr. Ein Jahr nur wolltest du mich haben – länger nicht. Dann würdest du schon zufrieden sein … Dies Wort ist bei mir hängen geblieben … Nun gut – ein Jahr. Aber nicht ein Jahr in Heimlichkeit und in Schande. Denn als Schande würdest du's empfinden – schon allein der Kinder wegen – auch, wenn du den Kopf noch so hoch trügst … Ein Jahr vielmehr – öffentlich und ehrsam und ohne Vorwurf für dich wie für mich. Als Eheleute vor der Welt – für unser Gefühl aber als ein Paar, das sich liebt und sich den Teufel drum schert, was um sie 'rum ist.«
»Ich verstehe dich nicht,« stammelte sie.
»Was ist da viel zu verstehen? Wir heiraten uns eben, und wenn das Jahr um ist, dann lassen wir uns scheiden.«
Sie starrte ihn an, keines Wortes, kaum eines Gedankens mächtig.
»Nun?« fragte er triumphierend.
»Ich weiß nicht, Lieber. Ich begreife es noch nicht. Es wäre ja unausdenkbar schön, aber es kommt mir vor wie ein Spiel mit dem Leben.«
»Spielen wir nicht mit dem Leben, so spielt das Leben mit uns. Ich sehe keinen anderen Ausweg. Weißt du einen, so sage ihn mir.«
»Laß mir Zeit, Lieber! Ich muß es erst durchdenken schon der Kinder wegen. Ich muß – ich muß –.« Und dann, in aufflammendem Glücke, die Arme um ihn geschlungen: »Nein, nein, nichts muß ich – nichts als bei dir sein. Mach's, wie du willst! Ich will dir dankbar sein für alles.«
Und so wurde der Pakt geschlossen.
Beim Heimwege beredeten sie mit Eifer und Umsicht, wie dieses Jahr sich gestalten sollte.
Nach Berlin ziehen wollten sie nicht. Das würde beim Auseinandergehen der immer gierigen Klatschsucht allzu viel Nahrung bieten. Aber die Stadt, in der sie wohnte, war wie geschaffen dazu. Dort gab es Freunde – und überdies, wozu brauchte man Freunde? Dort gab es Theater. Dort gab es Konzerte. Und eine Kunstausstellung gab es ja auch. – »Na, hierüber schweigen wir lieber!« lachte er. – Und vor allem gab es dort Ruhe zur Arbeit, wie nirgends sonst auf der Welt. Man hatte nur nötig, sich eine passende Wohnung zu nehmen und ein Atelier ausbauen zu lassen. Die Berliner mochten lauern, soviel sie wollten. Man zeigte ihnen die Hinterseite, und damit basta!
Und wieviel sonstige Vorteile boten sich noch!
Man konnte immer beisammen sein und brauchte sich nicht zu verstecken. Man konnte reden ohne Ende, über alles, was einem das Herz abschnürte, und hatte nicht nötig, zu fürchten, an den Falschen geraten zu sein, der einen mißverstand oder gar heimlich verhöhnte. Ganz ausschütten durfte man sich, mit allem, was brach oder brenzlig in einem war, und durfte des Verzeihens immer gewiß sein.
Und das müd-glückliche Schlafengehen! Und das übermütige Erwachen, voll quirlender Schaffenslust und überkugelnder Einfälle!
Ein Jahr würde das werden, zusammengesetzt aus lauter Geburtstagen. Dreihundertfünfundsechzig Geburtstage – einer dicht hinter dem andern!
Und wenn die Festzeit zu Ende ging und man sich trennen mußte, ein jeder, um in sein eigentliches Leben zurückzukehren, dann würde man nicht etwa böse sein aufeinander, wie sonst die Geschiedenen pflegen! Im Gegenteil, gut Freund würde man bleiben und sich die herrlichsten Briefe schreiben! Eine Korrespondenz konnte das werden, wie sie gedruckt noch gar nicht vorhanden war! … Und wenn man einmal ohne einander partout nicht auskommen konnte – nun, dann traf man sich eben an fremdem Orte! – Heimlich, ganz heimlich! – Und diese Heimlichkeit, mit falschem Namen und undurchsichtigem Schleier, mit Stubenarrest am hellichten Tage und langen Spaziergängen durch die stockfinstere Nacht, würde von unbeschreiblichem Reize sein.
Eheleute, die keine sind und eigentlich doch welche sind – gab es schon jemals soviel Romantik auf Erden?
So planten und phantasierten sie stunden- und stundenlang und waren doch längst keine Kinder mehr.
Am nächsten Morgen kam noch einmal ein Rückschlag.
Bleich und müde erschienen sie unten am Strande und boten einander mit forschendem Blicke die Hand.
Er hatte die Nacht durchwacht und sie auch.
›Wird es gehen? Wird es nicht gehen?‹
War es nicht etwa ein Dummerjungenstreich, zu dem er aus tollem Begehren heraus die in Sehnsucht Willenlose verführte? War es nicht gar ein frevlerischer Traum, der in Wirklichkeit umgesetzt zugleich mit der ihren drei Kinderseelen zerstörte?
Jenes dachte er, dies dachte sie, und jeder suchte im Auge des anderen Zuspruch und Widerspruch, Entschuldigung und Entsühnung.
Und dann plötzlich, von gleichem Impulse getrieben, legten sie die Arme eng ineinander, und Arm in Arm, mit erglühenden Backen und scheu-trotzigem Blick schritten sie den Seesteg entlang, der von Badegästen schon wimmelte.
Da erhob sich weit und breit ein Staunen und Raunen, denn jeder wußte, was das bedeutete. Alles lächelte, alles grüßte, und schon war die Fama am Werke, das große Ereignis der Welt zu verkünden.