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Brigittens Ahnungsvermögen täuschte sich nicht. Das Leben des Mannes, an dessen Seite sie ging, hatte eine bedrohliche Wendung genommen.
Die Mädchenfrau, die ihn im Banne hielt, griff zerstörend bis in das Mark seines Lebens.
Das Fernsein während des Sommers hatte ihm gut getan. Beinahe schien einschlafen zu wollen, was ihm Hirn und Sinne verwirrte.
Seit sie ihn aber mit Beginn des Herbstes wieder gerufen hatte, schwoll das Leid, das sie ihm – bewußt und unbewußt – zu kosten gab, die Sehnsucht nach ihr, in der er sich stets verzehrte, und die Qual der Wehr- und Würdelosigkeit, die niemals von ihm wich, zu hellem Wahnwitz an.
Vielleicht alle sechs Wochen einmal wurde er gnädig herbeigepfiffen. Ganz unversehens, manchmal nur wenige Stunden vorher, kamen Frau Hellwigs schäbige Briefchen. Und keine Möglichkeit gab es, zu beschleunigen oder herbeizuzwingen, wonach seine Seele schrie. Nachrichten hatte sie sich verbeten, jede persönliche Annäherung blieb ihm seit jenem Vorfall verwehrt.
So besaß er sie und besaß sie doch nicht. Als eine Fremde kam sie, als eine Fremde ging sie, als eine Fremde lag sie in seinen Armen.
Gleichviel, ob sie in kindhafter Kühle lächelnd schwatzte oder in plötzlich entfesselter Glut sich über ihn warf, immer war sie die Herrscherin, die gab und nahm, verschwendete oder zurückhielt, gerade wie es ihr eben zu Sinn war.
Was diese selbstverständliche Überlegenheit hervorrief, darüber vermochte er sich nie ganz klar zu werden.
Ob es der Unterschied der Jahre war, der ein volles Vierteljahrhundert betrug und ihn in seiner Vollkraft zum alten Manne stempelte, oder der Unterschied der Stände, der den Stolz seines Künstlertums verwischte und ihn zum ungelenken Plebejer herabdrückte, er hätte es nicht zu sagen gewußt. – Vielleicht weil zu allen Zeiten das Fallbeil ihres Nichtmehrkommens über ihm schwebte. Oft genug hatte sie mit dieser Möglichkeit gespielt. Oft genug hatte die Furcht, daß sie ihre Drohung wahr machen würde, ihm die Kehle zusammengeschnürt.
Und so war er, der sonst im Verkehr mit Frauen die Oberhand hatte, allmählich in dumpfe Knechtschaft geraten.
Mehr als die Hälfte des Winters verfloß, und schon jährte sich der Tag, an dem er sie beim Feste des Kanzlers zum ersten Male erblickt hatte.
›Ob sie dran denken wird?‹ O nein doch! Sie hatte Besseres zu tun, als sich des gelegentlichen Liebhabers in Rührsamkeit zu erinnern.
Er aber versprach sich, in aller Stille ein Fest zu feiern.
Sorgsam verschloß er die Ateliertüren beide und holte aus der Kabuse alle die Bilder herbei, die er zu Lissis Preis und mit Lissis Erscheinung vor Augen in diesem Jahre gemalt hatte. In weitem Halbkreise baute er sie vor sich auf, teils auf die Staffeleien gestellt, teils am Boden gegen die Stützen gelehnt.
Eine stattliche Schar kam zusammen, mehr als er selber geglaubt hatte.
Noch niemals hatte er das alles so hübsch beisammen gehabt, war doch nur immer das Stück, woran er gerade arbeitete, dem Versteck der Kabusen entnommen worden.
Erstaunt, verwirrt, benommen, ging er von einer Leinwand zur anderen und wurde nicht müde, zu prüfen und zu vergleichen.
Da war »Die Prinzessin und der Schweinehirt« und die »Erscheinung im Moor«, da war »Manfred und Astarte« wie auch der »Feuertanz« und die »Nymphenjagd«. Da war vor allem die »höfische Sauhatz«, in der die Erinnerung an jenen Vormittag in Potsdam zu fester Gestaltung gedieh.
Und da war noch vieles, wie es Liebesjubel und Liebeszorn ihm eingegeben hatten. Daneben Aktstudien in Fülle, hier nur flüchtigen Visionen gleich, dort nach Modellen von ähnlichem Typ sorgfältig durchgeführt.
›Wo soll ich bloß hin damit?‹ dachte er, denn schon allein um Brigittens willen durfte er niemals wagen, es offen zur Schau zu stellen. Mit einem Schlage würde ihr klar werden, woran er gekrankt hatte das ganze Jahr lang; und wie zerstörend diese Erkenntnis dann auf sie einwirken würde, lag auf der Hand.
Hierüber grübelnd saß er da und fand keinen Ausweg. Die Dämmerung kam, und er merkte es kaum.
Da plötzlich klopfte es an die hintere Tür, zu der die Wendeltreppe emporführte.
Und als er unwirsch hinausrief, man wisse doch, daß er hier oben nicht gestört zu sein wünsche, hörte er Mis Stimme, ein dringendes Telegramm sei eben abgegeben worden, und gnädige Frau habe gemeint, es ginge nicht anders, er müsse drum wissen.
Da schloß er auf und ließ sich den Wisch durch die Spalte hereinreichen.
Und dieser Wisch – was enthielt er? Drei Worte nur: »Sie werden erwartet.« Und die Unterschrift: »Hellwig.«
Hinunter – fort – auf der Stelle! Nicht einmal den Rock zu wechseln, nahm er sich Zeit.
Unfern der Wohnung fand sich ein Auto, und eine Viertelstunde später hielt er vor der kahlen Kleinbürgerkaserne, die seine Gedanken stetig umkreisten.
Lissi lag auf dem Sofa und schien geschlafen zu haben. Lässig streckte sie die beringte Linke zu ihm empor. In ihren Augen glomm eine lächelnde Flamme.
»Du hättest ruhig ein bißchen später kommen können,« sagte sie. »Ich bin furchtbar vertanzt, und so still zu liegen, war eine Wonne.«
»Ist es Zufall, oder hast du behalten, was für ein Tag heute ist?« fragte er zu ihr nieder.
»Ganz und gar Zufall ist es nicht,« sagte sie. »Wir hatten Tischbesuch, und dabei war zufällig von der Gastlichkeit des Kanzlerhauses die Rede. Und da ergab sich das andere von selbst.«
»Hab Dank,« sagte er, neben ihr niederkniend, um ihr Gesicht zum Kusse näher vor sich zu haben.
Sie hielt ihm die gespitzten Lippen entgegen und war wie ein artiges Kind.
»Ich küsse sonst gar nicht gern,« lachte sie. »Du kannst dir was drauf einbilden, daß ich dir so gefügig bin.«
»Ich kann mir auf manches was einbilden,« erwiderte er, »vor allen Dingen darauf, daß du den Jahrestag feiern wolltest – gerad so wie ich.«
»Es trifft sich gut, daß ich heut Zeit habe,« entgegnete sie. »Ich bleibe zur Nacht in Berlin bei einer Tante, und die geht hernach in die Oper. Bis zum Schluß wird sie wohl nicht aushalten, aber vor neun ist sie kaum zu erwarten. Und so lange gehöre ich dir, hoher Herr.«
Damit schlug sie die Arme um seinen Hals und zog sich an ihm empor.
»Da wir heute Geburtstag feiern,« sagte er, »möchte ich dir auch das Geschenk übergeben, das ich für dich auf dem Herzen habe.«
»Was kann das sein?« fragte sie.
Statt der Antwort ging er hinaus, das Bild der Mutter zu holen, das er seit langem für sie fertiggemacht hatte und das Frau Hellwig seither in Gewahrsam hielt.
Er hatte die Haartracht geändert und manches, das damals nur hingehauen gewesen, sorgsamer ausgeführt. Ein schlichter und doch kostbarer Renaissancerahmen aus seinen alten Beständen hob die Lichtpartien noch stärker hervor; alles in allem, er durfte zufrieden sein.
Als er damit wieder eintrat, saß sie halb ausgekleidet auf dem Bettrande und sah ihm voll Neugier entgegen.
So schweigend, wie er gegangen war, so schweigend stellte er das Bild vor sie hin.
Doch kein Laut der Freude entwich ihrem Munde, kein Lächeln des Dankes belohnte ihn. Mit einem kleinen Stirnrunzeln maß sie das dem Wesenlosen noch einmal abgerungene Leben.
»Das ist gewiß alles sehr schön,« sagte sie endlich, »weit schöner noch als das, was da an der Wand hängt, aber wie, denkst du dir, daß ich es annehmen soll?«
»Was, du wolltest – –?«
Sie ließ die Achseln ein paarmal auf und nieder schnellen, wie sie es gewohnt war.
»Muß, mein Lieber! Muß, muß, muß! Zeigen dürfte ich das Bild ja doch niemandem. Nicht einmal im geheimen aufhängen dürfte ich es. Entdecken würde man es doch, und dann würde es sofort heißen: ›Wo kommt das her? Das ist ja ein Tromholt.‹ Deine Handschrift ist zu bekannt, du berühmter Mann, als daß man der Welt ein X für ein U machen könnte.«
»Und doch hast du der Hellwig das ihrige abkaufen wollen,« rief er, uneingedenk der Schweigepflicht, die ihm oblag.
»Sieh mal an,« sagte sie, die Augenbrauen hochziehend, »man läßt sich also herab, mit den Dienstboten unter einer Decke zu stecken.«
Nun mußte er versuchen, die geschwätzige Dienerin aus der Patsche zu ziehen. Darüber wurde das Bild bis auf weiteres vergessen.
Und noch einmal stieg aus Groll und Verflauung willfährige Feiertagsstimmung empor.
Ihr geschmeidiger Leib hing klammernd an seinen Gliedern, und ihr Geist, nicht minder geschmeidig, schien gerne bereit, jedem seiner Gedanken zu folgen. Als walte frohe Gemeinschaft, so sah es aus, und überquellendes Gutsein.
Aber ihn hungerte, hungerte mehr denn je. Wonach? Wenn er sich prüfte, er hätte es nicht zu sagen gewußt. Er besaß sie ja, sie lag ja in seinen Armen. Von Vernachlässigung, von Untreue, von Verlassen gar, war nicht die Rede. Sie gab, was sie zu geben hatte. Und war es etwa wenig, was sie ihm gab?
Aber ihn hungerte trotz alledem. Er wollte den Besitz eines Weibes, und neben ihm lag – eine Puppe wohl nicht, denn quirlendes Leben entlud sich in jedem Einfall, jeder Bewegung – neben ihm lag eine, die er nicht kannte, die ihn nicht kannte und ihn nichts anging und die – welch ein Widersinn! – trotzdem sein Dasein erfüllte.
Und ohne daß er es wollte, wanderte sein Sinnen ins eigene Leben zurück, zu Haus und Arbeit und Weib, und er bedachte, wie anders Brigitte mit ihm verwachsen war und wie sie an seinem Schaffen hing mit jedem Schlage ihres ermattenden Herzens. Sie hätte ein Bild gleich dem, das dort unbeachtet im Winkel des heißen Ofens abgestellt war – –
Bild! Bild! Bild! Um Gottes willen! An Bildern standen anderthalb Dutzend als halbkreisförmige Reihe bei ihm oben herum. Und der Schlüssel zur Tür – –
Er sprang aus dem Bette, er griff in die Tasche – die Tasche war leer. Der Schlüssel, der seines Lebens Geheimnis zu hüten hatte, steckte vergessen im Schlosse.
»Was hast du heute nur immer?« hörte er eine noch gutwillig maulende Stimme vom Bett her. »Erst liegst du stumm wie ein Klotz, und dann plötzlich – «
»Verzeih!« sagte er, sich ratlos die Stirne reibend.
Wenn sie die Treppe emporstieg, wenn sie eintrat – das tat sie ja öfters, um die Pinsel zu waschen, um Blumen hinzustellen und so – und es sprang ihr, wie aus einem Hexensabbat geschnitten, dies Wildlingsvolk ins Gesicht! Überall dies eine blinkäugige Vogelgesicht, überall der eine schlanksehnige Jungenleib! All das, wovon sie ausgeschlossen gewesen ein Jahr lang, sie, die zitternd bangte um jeglichen Pinselstrich! All das, was sie als seines Herzens ureigenes Leben erkennen mußte beim ersten Augenaufschlag, sie, deren Herz die Kraft zu schlagen nur hatte, weil es für ihn schlug!
Tot hinsinken konnte sie vor Jammer und Schreck, sobald sie des Geschehenen voll bewußt war.
»Nun, kommst du noch immer nicht?« hörte er die Stimme von vorhin, doch in wesentlich schärferer Klangart.
»Es ist mir – sehr schmerzlich,« versuchte er sich zu entschuldigen, »daß ich – daß ich – dich – auf der Stelle verlassen muß. Aber in jedem Augenblicke – kann durch meine Versäumnis zu Hause ein Unglück geschehen … Je früher ich heimkomme, desto größer die Möglichkeit, daß es noch zu verhüten ist … Also – noch einmal – verzeih!«
Zuerst antwortete sie gar nichts. Während er sich ankleidete, sah er, scheu zur Seite blickend, daß sie mit fest eingebissenem Munde dalag und unter hochgezogenen Brauen die Decke anstarrte.
Dann trat er an sie heran und bot ihr zum Abschiede die Hand.
Da schnellte sie in die Höhe und sagte, ihn anblitzend: »Glaubst du etwa, mein Freund, daß wir uns noch einmal wiedersehen werden?«
So sehr war er im Banne seiner Angst, daß er die Tragweite dieses Ausrufs gar nicht zu ermessen verstand.
»Was willst du damit sagen?« stammelte er.
»Nun, glaubst du, ich lasse mich nehmen und wegwerfen, wie's dir gerade gefällt? Unter Lügen und großen Gefahren habe ich mich freigemacht für dich – habe mich auf den Abend bereitet wie auf ein Fest – – und da schiebst du mich von dir, als wär' ich dir lästig? Was wird es denn schon für ein Unglück sein, das du zu Hause verschuldet hast? Sage es doch, sonst wirst du erfahren: das Unglück, das du hier anrichtest, ist größer.«
Das alles sprach sie nicht etwa gereizt oder böse – nicht einmal von Maulen und Schärfe lag etwas darin – in weichtöniger Ruhe, wie verhaltene Geigenmusik, tropfte Wort nach Wort aus ihrem lächelnden Munde.
›Wenn ich ihr gestehe, daß ihre Bilder der Grund sind,‹ überlegte er, ›dann wird die Sache noch schlimmer.‹ Voll Angst war sie einstmals emporgefahren bei dem bloßen Bericht, daß sein Pinsel sich an ihrer kostbaren Person vergriffen hatte. Wenn sie nun heute – –
Nein, die Wahrheit war hier ein Unglück. Niemals hätte sie geglaubt oder geahnt, wie sehr er Brigittens sicher sein konnte.
So half er sich also mit ein paar dürftigen Ausreden, küßte die kalten, reglosen Lippen und machte, daß er davonkam. – –
Heim! Nach Hause! So rasch, als ein waghalsiger Fahrer es schaffte.
Und als er vor seiner Haustür landete und zum Dache emporschauend die Glaswand des Ateliers erleuchtet sah, da wußte er: hier war nichts mehr zu retten.
Die Treppen hinan – ein letzter mutmachender Ruck, ehe er vom Flur her den Schlüssel ins Schloß stieß, die Katastrophe erwartend, die jetzt über ihn herfallen mußte. Und – –
– da stand sie – als Mittelpunkt in diesem magischen Halbkreis, neben dem großen Scheinwerfer, den sie ein wenig nach vorne gerückt hatte. Da stand sie mit über der Brust gefalteten Händen – während ein seliges Verklärtsein ihr Angesicht überstrahlte.
Der Vorwurf, den er ihr zurufen wollte, erstickte darüber in seiner Kehle.
»Brigitte – was – ?«
Und da hing sie auch schon lachend und weinend an seinem Halse.
»Ach Steffen, Steffen, lieber Steffen!«
»Nun! Nun! Wie denn? Was denn?«
»O Gott, was hast du da Schönes gemacht! So viel Schönes! Gar nicht auszudenken viel Schönes! O Steffen, Steffen, lieber Steffen!«
›Was heißt das?‹ fragte er sich. Voll Unschuld war sie gewiß; von ihrer vertrauenden Arglosigkeit empfing er noch heute täglich die seltsamsten Proben. Aber daß sie nicht erkannt haben sollte, wie sehr dieser ganze Bilderaufbau ein Tempel war, der einen fremden Göttin dargebracht, lag kaum im Reich des Ausdenkbaren.
So glücklich war sie, daß sie die Scheu ganz vergaß, die sie ihm gegenüber allzeit umfing, und, an seinem Arme hängend, drauflosschwatzte, wie der Augenblick es ihr eingab.
»Nein, wie hast du das nur alles fertiggekriegt? Und im geheimen, ganz im geheimen! Und warum nur? Warum hast du mir all diese Sorge gemacht? Bin ich dir gar nichts mehr wert? Gar nichts mehr? Gar nichts mehr?«
Damit sank sie auf das Sofa zurück und strich sich bekümmert über die Stirne.
»Sei wieder gut, Brigitte!« bat er voll Herzlichkeit zu ihr nieder.
Sie schlug die Augen halb lächelnd, halb klagend zu ihm empor.
»Ich bin ja schon gut! Ich will mich bloß freuen! Bloß freuen! Sonst nichts … Du hast natürlich geglaubt, ich werd' eifersüchtig sein … O Gott, ich bin es ja auch … Obgleich ich weiß, ich darf so was nicht … Denn damit lähm' ich dich bloß … Und ich will's auch nicht sein … Und ich werd's auch nicht sein, jetzt weniger denn je … Denn jetzt, wo du nichts mehr zu verheimlichen brauchst, kann ich dir wieder mal nützlich sein … Das muß ja alles noch fertig werden … Da ist vielleicht ein Jahr lang zu tun … Landschaft – und sonstige Studien – und vor allem natürlich Modell.«
Sie hielt einen Augenblick inne, als müsse sie einen Ansatz nehmen zu dem, was nun kommen sollte, und dann – mit tiefem Aufatmen – sagte sie leise: »Das beste wäre schon, sie säße dir selber.«
»Wer?« fragte er auffahrend.
»Ich weiß ja nicht, ob es geht,« fuhr sie fort, »aber wenn, – ich werde kein Hinderungsgrund sein … Ich versprech' dir, ich werde nie fragen – und nie lauschen – und nie aus dem Fenster sehen.«
»Ich verstehe gar nicht, von wem du redest,« erwiderte er, bemüht, die letzten Rückhalte nicht zu verlieren.
Sie streichelte über den Ärmel hin seine Hand. »Nun, von wem werd' ich reden, Steffichen? Hab dich doch nicht! Von der jungen Dame aus Potsdam natürlich, um die herum das alles gemalt ist.«
In seinem Schreck vergaß er, was allenfalls noch zu leugnen war. »Warum soll sie durchaus aus Potsdam sein?« fragte er, gerade noch fähig, den Ärgerlichen zu spielen, ob solcher kecken Vermutung.
»Aber, Steffichen, das ist doch alles dieselbe, die du dreimal mit Kreide skizziert hast, als du damals in der Manege warst … Ich und Susi, wir zerbrachen uns nicht schlecht die Köpfe, wozu du die Sachen eigentlich brauchtest, denn du hattest ja nichts Ähnliches vor … Und nun weiß ich es endlich! … Armer Kerl! Was hast du um dieses Mädchen gelitten! So lange schon! So lange schon!«
Da endlich quoll das Bekenntnis aus ihm heraus.
»Es ist kein Mädchen,« brummte er vor sich hin. »Es ist eine Frau.«
Sie wiegte schweigend den Kopf. Dann sagte sie ins Leere hinein: »Das ist gut! Oh, das ist gut.«
»Warum?« rief er erstaunt.
»Nun, dann ist deine Schuld doch nicht so schwer, dann trägst du doch nicht die ganze Verantwortung für jenes junge Leben.«
Er fühlte sich weich werden. ›Das gibt es!‹ dachte er. ›So viel Gutsein gibt es auf dieser Erde.‹
Bisher schien es, als habe die freudige Sorge um ihn und sein Schaffen all ihr Denken beherrscht, da plötzlich gewahrte er, wie ein Zittern durch ihren Körper lief, und was zugleich in ihrem Auge sich malte, war eine so mutlose, verzweifelte Trauer, daß ihm angst und bange wurde um sie.
»Was hast du mit einem Male?« fragte er, nach ihrer Rechten hingreifend.
»Ach nichts,« sagte sie, »nichts von Bedeutung.«
»Nein, nein,« drängte er, »jetzt gesteh nur! So leicht lass' ich mich nicht abtrösten, das weißt du.«
»Ach Gott, es wird doch nun alles seinen Weg gehen.«
»Was? Was? Was?«
»Du hast ganz recht! Wozu es hinausschieben! Reden müssen wir ja doch bald darüber.«
»Worüber, um Himmels willen?«
Sie kaute an unausgesprochenen Worten. Und endlich kam es zum Vorschein: »Bei uns wird doch nun Scheidung sein. Und drüben wird Scheidung sein. Und dann – Na ja.«
Er lachte hell auf. » Gar keine Scheidung wird sein – drüben nicht und hüben auch nicht … Und wenn du's wissen willst – ohne Zeugen gesehen habe ich sie in dem ganzen Jahr vielleicht fünf- bis sechsmal, das ist alles.«
Sie schnalzte ein wenig, wie eine Mutter, die das Weh-Weh ihres Kindes bedauert.
»Darum die ganze lange Quälerei!« sagte sie leise, und dann umso lebhafter fortfahrend: »Schadet nichts! Schadet nichts! Es hat ja seine Früchte getragen … Doch nun – ja, wie drück' ich das aus? – Du mußt nicht etwa glauben, daß das herrschsüchtige Eheweib aus mir spricht, das dich wieder allein haben will … Ich möcht' dich nur fragen: scheint dir nicht selber« – kleine Lichter wie von wiederkehrender Schelmerei blinkten in ihren Augen – »scheint dir nicht selber manchmal, als ob die Aufgabe, die jene Frau in deinem Leben zu erfüllen gehabt hat, daß die nun – na ja – daß die nun – so gut wie – zu Ende ist?«
Mit einem Ruck fuhr er auf. Ob sie ahnte, wie sehr sie sein Innerstes traf? Wie sie Uneingestandenes aus Seelentiefen ans Licht zog?
»Und sieh mal,« fuhr sie fort, »da das jetzt alles fertiggemacht werden muß, da mußt du doch freien Kopf haben … Ich will ja nicht gerade sagen: trenn dich von ihr … Wenn sie dir ordentlich sitzen wollte, wär's sogar schade – aber nach allem, was ich so ahne, kann sie es gar nicht … Und dann wird ja auch jede wirkliche Ähnlichkeit sorgsam verwischt werden müssen – denn Unglück willst du ja nicht über sie bringen … Und hier zum Beispiel und dort« – sie wies auf ein paar durchgearbeitete Stellen – »ist ja auch schon Fräulein Seyffert mit Glück für sie eingetreten – ihre Linie erkennt man ganz deutlich – und darum – und überhaupt – – na du wirst dir ja alles noch überlegen, mein Stephenson.«
»Mein Stephenson«, das war eines der Koseworte, die sich seit etlichen Jahren in Augenblicken lächelnder Zärtlichkeit bei ihr eingestellt hatten, spottend dem Anschein nach, doch umso ehrenvoller in tieferem Sinne; denn der Vergleich mit dem großen Mitschöpfer der heutigen Welt lag ihm zugrunde. Jetzt hatte sie es schon lange nicht mehr gebraucht, aber als er es hörte, da war auch er ihr so zärtlich gesonnen, daß es ihm wieder ganz heimatlich wurde.
Wochen vergingen. Er rang mit sich in wachsender Widerstandskraft. Falls sie ihn einmal noch rufen sollte, was dann?
Zwei Monate später war er so weit, die Probe aufs Exempel zu machen.
Auf den Brief, den er plötzlich von Frau Hellwig erhielt, schrieb er höflich zurück, er sei durch ein starkes Unwohlsein leider verhindert, seine Häuslichkeit zu verlassen.
Und eine weitere Einladung erfolgte nicht mehr.
»Die Prinzessin und der Schweinehirt«, ebenso wie die »Nymphenjagd« errangen auf der Frühlingsausstellung einen Erfolg, der die übelwollenden Federn ein wenig in Verlegenheit setzte. Und die »höfische Sauhatz« wurde sogar vom Kaiser erworben. In einem der leerstehenden Schlösser wird sie wahrscheinlich zu finden sein.