Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtzehntes Kapitel

Derweilen saß daheim eine Frau, still in die Ecke gedrückt, machte ihre Handarbeiten, lauschte nach dem verschlossenen Atelier hinauf, um zu wissen, ob er daheim sei, und fragte sich wieder und wieder: ›Was geht hier vor?‹

Wenn er kam, wenn er bei Tische saß, wenn er karge Abendstunden mit ihr und den Mädeln verweilte – Atta wurde groß und durfte schon manchmal dabeisein – dann gab er sich wohl den Anschein, als sei alles beim alten. Er scherzte mit den Kindern, er sprach mit ihr von den Sorgen des Haushalts, von der sich verkleinernden Schar ihrer Freunde, auch von den Arbeiten sprach er wohl, mit denen er sich herumquäle, aber alles, was er tat und sagte, war geheimer Vorbehalte voll und gleichsam nur dazu da, um die Pausen zu füllen. In Wahrheit – das sah man ihm an – weilte sein Geist ganz wo anders. Viertelstundenlang konnte er vor sich hinstarren, mit Dingen beschäftigt, von denen man nichts wußte und nichts erriet. Was man zu ihm sprach, hörte er nicht, und hörte er endlich, dann stand er kaum Rede und Antwort.

In den Nächten schlief er nur wenig. Durch die geschlossene Tür vernahm sie, wie er sich stöhnend herumwarf. Auch halblaute Monologe führte er – oder Zwiegespräche vielmehr, mit jemandem, den er bald schalt und bald anflehte und der ihm augenscheinlich niemals zu Willen war.

Sein Schlaf war schlecht schon seit Jahren. Der ihre natürlich auch. Das brachte ihr Leiden wohl mit sich. Aber auf sie kam es ja nicht an. Vor allen Dingen mußte er seine Ruhe haben, damit er am Morgen in geistiger Frische an die Arbeit gehen konnte. Und darum war es vor langem schon zwischen ihnen Sitte geworden, daß er, wenn er durchaus nicht eindröseln wollte, zu ihr herüberkam und sich schweigend neben sie legte, um in ihrem Arm, an ihrer Brust allmählich die Seelenstille zu gewinnen, die zu Schlaf und Traum hinüberführt.

Immer wieder war es ihr ein Glück gewesen, zu beobachten, wie seine Atemzüge länger wurden, wie ein Zucken und Rieseln – bei träumenden Jagdhunden sah man es so – durch seinen sich streckenden Körper lief und wie er dann endlich, endlich hinüberschlummerte.

Sie hatte sich auch etliche Mittelchen ausgedacht, diesen Prozeß zu beschleunigen, nur durfte er nichts davon ahnen; denn dann verfingen sie nicht. Wenn sie unversehens sein Handgelenk zu fassen bekam, so daß sie es mit den Fingern umspannen konnte, dann strömte ein Fluidum von ihr zu ihm hin, ihr Wille wirkte segensreich auf ihn ein, so daß er tun mußte, was sie begehrte, und siehe! bald schlief er wirklich. Oder aber, wenn sie höher lag als er, dann konnte sie mit gespitzten Lippen einen kühlenden Hauch nach seinem Hinterkopf senden. Ganz leise und regelmäßig mußte er kommen, so daß man nicht mehr davon merkte, als etwa das Streifen eines Libellenflügels verursachen kann, und erst probierte sie ihn auch immer auf dem eigenen Handrücken aus, ehe sie ihn im Ernst anwandte. Auch dieses Verfahren wirkte zumeist, nur spannte der Kehlkopf sich bald, und die Lippen wurden oft müde, sogar das Herz fing an zu rumoren, und doch war die Anstrengung der Rede kaum wert.

Aber wie groß dann der Triumph, wenn er wirklich zur Ruhe kam!

Dann endlich, endlich hatte sie ihn. Im Wachen war er ihr weltenfern, wie nahe er auch täglich neben ihr herging. Im Schlafen aber gehörte er ihr, ohne Rückhalt und Widerstand, ohne daß sie befürchten mußte, von ihm gekränkt und zurückgestoßen zu werden; auch sich von ihm bedauert zu wissen, war dann unmöglich. Dieses stumme Bedauern, das so sehr weh tat und für das sie noch dankbar sein mußte, schien alles zu sein, was von seiner Liebe noch übrig war.

Wenn er aber ganz hingegeben in ihrem Arme lag, ihr Schützling, ihr Liebling, ihr Kind, dann kehrten die alten Zeiten zurück, in denen sie einander alles bedeutet hatten – ob diese Zeiten in Wahrheit jemals gewesen waren, danach fragte sie nicht – und sie fühlte sich sicher in seinem Besitze.

So war es Sitte zwischen ihnen schon manches Jahr.

Seit diesem Frühling aber kam er nicht mehr, er liebte es sogar, beim Gutenachtsagen die Tür, die die beiden Schlafzimmer trennte und die immer halb geöffnet geblieben war, ins Schloß fallen zu lassen.

Brigitte sagte nichts dazu, aber sie grämte sich. Er brauchte sie also nicht mehr, er zog es vor, in quälerischem Wachen dazuliegen, statt sich den erlösenden Schlaf von ihr schenken zu lassen. Damit war auch der letzte Rest vertrauenden Einsseins aus dem Eheleben geschwunden.

Über die Gründe nachzusinnen, hatte kaum einen Zweck. Er ertrug ihres Leibes Nähe nicht mehr – dies Ergebnis barg Leid genug und wies auf Schlimmeres hin, das die Zukunft ihr bringen mußte. Solange sie aber noch bei ihm war, wollte sie ihm wenigstens gut tun. Leiden tat ja auch er – mehr vielleicht als sie selber.

Und eines Nachts gegen Ende des Juni hörte sie ihn ärger denn sonst in seinem Bette sich wälzen und stöhnen. Die Tür hatte er wieder einmal fest geschlossen, und darum glaubte er wohl, sich unbeachtet gehen lassen zu dürfen.

Schon fleckte die Wand sich mit helleren Streifen, und noch hatte keines von ihnen ein Auge zugetan.

Da hielt sie sich nicht länger, und im Hemde, wie sie war, trat sie bei ihm ein.

»Was willst du?« schrie er auf, jäh in die Höhe fahrend.

Schweigend setzte sie sich neben ihn auf die Bettkante. Da sank er zurück und tastete zittrig nach ihren Händen.

»Sieh mal, Steffen,« sagte sie, »das geht nun schon viele, viele Nächte so. Du schläfst nicht, und ich schlaf' nicht. Und ich höre, wie du dich abquälst. In deine Geheimnisse will ich nicht dringen. Das wird sich schon alles offenbaren. Denn irgend etwas muß ja vorgehen in deinem Leben, das zu einem großen Entschlusse drängt. Quäl dich nicht so sehr, Steffen! Du weißt, ich werde dir niemals entgegenstehen.«

»Von so was ist ja gar nicht die Rede,« stieß er unwirsch hervor.

»Was kann es denn sein,« fragte sie, »das dich antreibt, dein Leben vor mir zu verschließen? So viele Jahre schon habe ich jedes Stückchen Arbeit mit dir teilen dürfen, und nun läßt du mich kaum noch ins Atelier.«

»Du bist noch gestern drin gewesen,« warf er ein.

»Bei ganz gleichgültigen Sachen – bestellten Porträts und dergleichen – aber was du recht eigentlich machst, das weiß ich schon lange nicht mehr. Die Kabusen sind zu, und oft sind es die Ateliertüren auch … Ohne daß du mich rufst, traue ich mich schon lange nicht mehr die Treppe hinauf. Und ich bin mir doch keiner Schuld bewußt. Entmutigt hab' ich dich nie, und gleichgültig bin ich auch nie gewesen. Im Gegenteil. Du weißt, wie ich bange und bebe um einen jeden Pinselstrich.«

Er antwortete nichts. Nur ein schluckendes Ächzen brach aus seiner Kehle. Und dann bäumte er sich hoch, so daß beim Zurückfallen sein Gesicht auf ihre Hände zu liegen kam, die die seinen noch immer umfaßten.

»Und sieh mal, Steffichen,« fuhr sie fort, »du weißt doch, ich bin immer für dich da – bei Tag und bei Nacht … Früher, wenn du nicht schlafen konntest, kamst du immer und fandst auch stets deine Ruhe. Hast du das ganz vergessen? … Oder bin ich dir so abscheulich geworden in meiner Entstellung, daß du gar nicht mehr in meiner Nähe sein willst? Liebes Steffichen, im Dunkeln sind alle Katzen grau, und mögen andere Frauenkörper noch so schön sein, so gut eingewöhnt und so geborgen bist du an keinem.«

Wie sie das sagte, fühlte sie, daß er in ihre Hände hinein zu schluchzen begann. Das machte ihr Mut, ihn zu streicheln, wie sie sonst immer getan hatte, wenn es galt, den Aufruhr seines Gemütes zu sänftigen. Darum löste sie ihre Finger aus den seinen, zog die Hände unter seinem Gesicht hervor und strich ihm leise über Scheitel und Hinterkopf, immer wieder und wieder.

Und weil er sich dies ruhig gefallen ließ, wagte sie, was sie vor fünf Minuten noch für unmöglich gehalten hätte.

»Weißt du, Steffichen,« sagte sie, »mag es nun werden, wie es wolle, deine Ruhe mußt du haben! Denk an nichts weiter – ich will auch nichts mehr denken – und komm zu mir 'rüber, wie du sonst immer getan hast. Vielleicht schlafen wir dann ein alle beide.«

Und da er noch immer in die Kissen hineingedrückt dalag, hob sie seinen Kopf empor und zog ihn an seinen Armen sacht aus der Decke heraus. So führte sie ihn, der ihr gehorsam folgte, zu ihrem Bette hinüber, wo er sich, wie er es immer gewohnt war, an ihrem Halse häuslich einrichtete.

Sein Atem ging in raschen, unregelmäßigen Stößen, jeder Muskel seines Körpers war gespannt, aber bald gewahrte sie zu ihrer Freude, wie seine Glieder schlaffer wurden und sich wohlig zu recken begannen. Nicht einmal eine ihrer kleinen Künste hatte sie nötig gehabt, um ihm die Ruhe zu bringen.

Erst als er wirklich eingeschlafen war, zog sie leise den Arm unter seinem Nacken hervor, denn ihr Herz vertrug diesen Druck nicht lange, und schaffte seinem Kopf in den Kissen ein wohlgeglättetes Lager. Dann drückte sie sich still in den Wandwinkel hinein und schlief in seligem Frieden selber hinüber. – –

Von nun an wurde es besser zwischen den beiden, wenn er auch über das, was seine Seele beschwerte, hartnäckig stillschwieg. Und ob auch seine Werkstatt oft noch verschlossen blieb, so ließ er sie doch wieder an manchem teilnehmen, was er ersann und entwarf, und nachts mied er ihr Bette nicht mehr.

Freilich – zurückerobert hatte sie ihn noch lange nicht, das wußte sie wohl, aber sie hütete sich, ihn mit ihrem Forschen zu belagern. Und wenn sein Gesicht sich in allzu verquälte Falten zog, dann griff sie nur schweigend nach seiner Hand und freute sich, daß er sie nicht mehr unwillig fortwies.

Noch umgänglicher wurde er, als sie einen Monat darauf nach Neuheide übersiedelten. Er spielte mit den Mädeln Krokett und half ihnen ihr junges Tierzeug hochfüttern. Und als Kurt zu den Ferien gekommen war, ein kurzer, sehniger Bursch, bedächtigen Sinnes und jeder Himmelstürmerei fremd, da gab es lange und eifrige Streitereien, in denen er mit dem Stiefsohn gegen Gott und die Welt zu Felde zog.

Auch hinter manchem lockenden Motive war er her, nur wollte nichts Rechtes gedeihen. Mitten im Werden warf er die Leinwand fort und suchte was Neues.

Und immerzu spähte er nach dem Briefträger aus, der morgens den Gutshof besuchte, und wenn er ihn abgefangen hatte, blieb er wohl stundenlang verstimmt und gedrückt. Auch erklärte er dauernd, er müsse nach Berlin fahren, um allerhand Geschäfte zu ordnen, aber niemals wurde was draus.

Mit ängstlicher Aufmerksamkeit begleitete Brigitte jeden Wechsel in seiner Stimmung und suchte ihm auch außerhalb seiner Kunst Zerstreuung zu schaffen. Leider war ihm die Verwaltung des Gutes von jeher ein Greuel gewesen. Lieber bezahlte er jede Summe, die man ihm abverlangte, als daß er in das Räderwerk der Wirtschaft hineingriff.

Ein Glück war's, daß der Verwalter sich seit Jahren als treu und umsichtig bewährt hatte. Aber er wurde älter und fing an, ein wenig bequem zu werden, so daß ein aufsichtführendes Auge sich nicht mehr entbehren ließ. Brigitte half, soviel sie nur konnte, aber die Kraft zu emsigem Mittun fehlte ihr längst. Und so geschah es von selber, daß sie Steffen an die Pflichten gemahnte, die sein Besitz ihm auferlegt hatte. Wohl murrte und schnauzte er, aber schließlich sah er nach allem, was not tat.

So ging der Sommer leidlich dahin, und Brigitte glaubte schon, ihm über das Schwerste hinweggeholfen zu haben. Da begann bald nach der Rückkehr zur Stadt das alte Treiben von neuem.

Sie wußte genau, an welchem Tage der Rückschlag erfolgt war.

Unter der Morgenpost ein Brief, unscheinbar und dürftig, wie die Bettler ihn schicken, und bei dessen Anblick ein Aufzucken, das wie ein Blitzschlag durch seinen Körper fuhr. Dann, nach dem Lesen, ein Sprung in die Höhe und eine schweigende Flucht die Treppe empor.

Am selbigen Nachmittag verließ er ebenso schweigend das Haus, und als er um die Abendbrotstunde zurückkam, da war es alles wie damals, ehe jener nächtliche Gang an sein Bett ihn wieder zu ihr zurückgeführt hatte.

Er starrte ins Leere, er gab keine Antwort, er wies die Kinder schroff von sich weg, und wenn Susi sich ihm in schüchterner Liebe zu nahen wagte, dann schüttelte er sich, von einem unwillkürlichen Schauer ergriffen.

Schlimme Zeit! Traurige Zeit! Bei Tage schloß er sich ein, bei Nacht wälzte er sich redend und scheltend im Bette herum, und als sie einmal, von Angst getrieben, es machen wollte wie damals, da schickte er sie, wenn auch nicht unfreundlich, so doch umso bestimmter, in ihr Zimmer zurück.

Schließlich brach der Tag herein, an dem sie sich sagte: ›So geht es nicht weiter.‹

Und als er in der Spätabendstunde zum Gutenachtwunsch an ihr Bette trat – diese Gewohnheit war unverändert geblieben – da bat sie ihn, seine Hand festhaltend: »Noch einen Augenblick, Steffichen!«

»Was soll ich?«

»Das wirst du gleich hören. Setz dich nur ruhig hin. So. Ich habe nämlich beschlossen: ich will fort von dir.«

»Warum willst du schon wieder mal fort von mir?«

»Ich habe in deinem Leben nichts mehr zu suchen. Solange ich dir immer noch eine Stütze war, konnte ich eine Art von Recht für mich in Anspruch nehmen. Aber ich sehe, daß ich dir nur noch eine Last bin … Wer die Frau ist, die dein Leben jetzt ausfüllt, das kann ich ja nicht wissen, wenn du es mir nicht sagst. Denn 'rumzuspionieren, das liegt mir nicht … Aber was sie dir auch bringt, Glück oder Unglück – wahrscheinlich beides zusammen – du wirst es leichter tragen, wenn du deine volle Entschlußkraft hast. Und die kannst du nur haben, wenn ich nicht da bin … Darum laß uns beraten, wie wir am besten auseinanderkommen.«

Bebend, mit klirrenden Zähnen saß er auf dem Stuhle neben ihr und sah vor sich nieder. Und so voll Ingrimm und Verbissenheit war er, daß er die Größe ihres Opfers gar nicht zu fassen vermochte.

»Das ist ja alles nur Gerede,« sagte er, »du weißt genau, daß du nicht gehen wirst. Wie oft hast du schon gehen wollen! Wenn du deine Anfälle gehabt hattest und tausendmal sonst.«

»Du warst's, der mich nicht gehen ließ,« warf sie ein, »sonst wär' ich längst nicht mehr hier.«

»Und wo willst du hin?«

»Das weiß ich nicht. Das ist auch ganz egal … So schlimm wie jetzt war es noch nie zwischen uns. Ich weiß nicht einmal, ob du noch richtig arbeitest. Und das wurmt mich am meisten … Ich denke, brauchst du nicht mehr auf mich Rücksicht zu nehmen, dann wird das alles schon wiederkommen, selbst wenn die Frau, die du liebst, dein eigen nicht werden kann.«

Staunend, verständnislos sah er sie an. Für einen Augenblick flog der Schimmer einer wehen Zärtlichkeit über sein vergrämtes Gesicht. Aber dann straffte er sich zu seiner vorigen Härte.

»Gute Nacht,« sagte er und sprang in die Höhe. Damit verließ er das Zimmer.

Und nun war es so schlimm wie vorher. – – – –


 << zurück weiter >>