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Tante Pauline war zum Besuch gekommen. Schlicht, hausmütterlich, mit unverbrauchter Liebe angefüllt bis zu dem Rande ihrer treuen Seele.
Und mit dieser Liebe stürzte sie sich voll Inbrunst auf die kleine Schar, die sich beseligt von ihr hätscheln ließ.
Sie war kinderlos und trug noch Trauer um den Gatten, der, lange schon kränkelnd, ein halbes Jahr nach Wulle-Wulles Heimgang das Zeitliche gesegnet hatte.
In manchem mochte sie als Brigittens Abbild gelten, nur daß ihr deren zarte Reize fehlten und daß sie erdgebunden bloß im Alltäglichen zu Hause war.
Alsbald sorgte sie ausschließlich für Küche und für Kinderzimmer, und der sehnliche Ruf: »Tante Pauline, Tante Pauline« ging dauernd durch das ganze Haus.
Als Steffen dieses Wirken eine Zeitlang still beobachtet hatte, glaubte er seine Frau auch einmal für sich allein besitzen zu dürfen, und müde des Idylls, in dem er gänzlich einzuschlafen drohte, wagte er den Vorschlag, mit ihm für ein paar Monate nach dem Süden zu gehen, wo die Welt von Eis und Schnee nicht starrte und wohin zu steuern die Sehnsucht jedes Deutschen, solange er lebt, die Segel spannt.
Und siehe da! Sie, die bisher allen Versuchen, sie von den Kindern wegzulocken, flehenden, doch umso festeren Widerstand entgegengesetzt hatte, wehrte sich keinen Augenblick.
Im Gegenteil. Sie leuchtete in einem Glück, das sie, über jeden Zweifel, jede Gewissensnot hinweg, bereits von hinnen trug.
An einem frostkreischenden Morgen zu Anfang Februar fuhren sie in die Weite.
Schneeflächen, soweit das Auge reichte. Im Schnee vergraben erst recht das tief umwölkte Alpenland, in dem nichts weiter lebte als das Wildgewässer, an dessen strudelndem Gischt entlang der Zug zur Höhe keuchte.
Dann die Nacht des Tunnels, und als die Helle wiederkam, ein Schrei des Jubels aus erlöstem Herzen.
Denn das war es ja, das Paradies, in dem die Träume sich heimisch fühlten seit Kinderzeiten her.
Nein doch, das war es nicht, das war noch Winterherrschaft, wenn auch schneelos und von Abendsonne purpurn übergoldet.
Und Winterherrschaft hielt auch Mailand ganz im Banne und die Ebenen der Lombardei, wo unverschämter Schnee noch einmal wiederkehrte.
Aber dann, als der Apennin im Rücken lag – was war das? Was für eine seltsame Laulichkeit umspielte Stirn und Wangen? Was für ein nie gekannter Duft zog durch die Nachtluft prickelnd in die Nase?
»Ruhig, Brigit! Reg dich nicht auf! Und versprich dir nicht zuviel. Du wirst ja hier in Nervi allenfalls ein paar Palmen vorfinden, aber die stehen in Kübeln, ganz wie bei uns, und sind auch bloß für die Fremden da. Jedenfalls lohnt es nicht, sich danach umzusehen. Komm in den Omnibus und dann rasch auf das Zimmer. Morgen früh ist Zeit genug für die übliche Enttäuschung.«
Mitternacht war vorüber, als sie zur Ruhe kamen. Und vorher sorgte Steffen dafür, daß die Fensterläden dicht geschlossen wurden.
»Die öffne ich morgen selber,« sagte er. »Und erst dann, wenn wir beide zum Runtergehen fertig sind. Anziehen müssen wir uns bei der Lampe, selbst wenn schon draußen die Sonne scheint.«
Sie lächelte willig, und so schliefen sie ein.
Am nächsten Morgen geschah alles, wie er's bestimmt hatte. Nur daß er ihr vor dem Aufstoßen der Läden mit einem Taschentuch die Augen verband, wollte ihr allzu geheimniskrämerisch erscheinen.
»Wenn es doch nicht viel Neues zu sehen gibt,« sagte sie, »warum denn das alles?«
Da fiel auch schon die Binde, und vor ihr lag ein üppig grüner Gottesgarten, von fremden Blumen durchsprenkelt, von himmelhohen Palmen eingerahmt, zu einem Meer herniedersteigend, dessen unirdisch tiefe Bläue ein silbriger Gischt längs steil ragender Felsen umsäumte.
Niemand auf Erden konnte so jubelnd genießen wie Brigitte. Und niemand war so dankbar wie sie.
Wahrhaftig ein Glück war es, mit diesem zweiten Augenpaare die Welt noch einmal zu sehen und noch einmal zum Kinde zu werden.
Dafür lohnte es sich schon, die Ehefesseln zu tragen.
Aber diese Fesseln drückten trotzdem.
Das entpuppte sich bald, als sie die unteren Säle betraten, wo eine modische, aus allen Ländern der Welt zusammengefegte Gesellschaft sich schillernd umhertrieb.
Zwanglos, übermütig beinahe hatte Steffen sich früher unter diesen Leuten bewegt, mit lächelnder Frechheit Anschluß erzwingend, wo es ihm lohnend erschien, den Strengen, Unnahbaren spielend, wo es dem Augenschein nach für Sinne und Phantasie nichts zu gewinnen gab.
Jetzt fühlte er sich scheu und beinahe furchtsam geworden. Die Frau an seiner Seite, die schüchtern und immer von neuem erschrocken vor diesem Treiben zurückwich, lähmte auch seine Entschlußkraft. Nicht daß sie sich gerade linkisch benommen hätte, aber ungewandt war sie doch, und ein Hauch von Kleinbürgerlichkeit hing noch immer an ihr. Er sah ihren Liebreiz nicht mehr neben den geschminkten und Blicke schmeißenden Puppen, die mit der hochfahrenden Sicherheit des Weltbummlertums ihre Umgebung zu meistern verstanden.
Und als gewisse Annäherungen resultatlos im Sande verliefen, als hier und da ein kühles Rückenwenden ihn und Brigitte von dem Betriebe des Flirts und des Beziehungsuchens auszuschließen drohte, da gab er es mißmutig auf, in dieser Gesellschaft Wurzel zu fassen, die ihm plötzlich hoch über sich stehend erschien.
Auch seine sogenannte Berühmtheit half ihm nicht viel. Wer davon wußte, dem galt sie als selbstverständliches Kleingeld. Ein gutes Französisch herplappern zu können, wäre von höherem Werte gewesen. Und wenn das seine auch leidlich genügte – dafür hatte Paris wohl gesorgt – was Brigittens Lippen entfloß, gemahnte zumeist an die Künste der einstigen Selekta.
Viel fehlte nicht, daß er sich ihrer schämte.
Jedenfalls ließ er die Mahlzeiten fortan auf seinem Zimmer servieren und spielte den Hochmütigen, wo es nur anging, aber sein Auge hing mit grollender Sehnsucht an jeder Frauengestalt, die durch fremdartigen Reiz irgend ein Erleben versprach, und wäre es nicht mehr gewesen als das Redespiel einer müßigen Stunde.
Das alles war nun verschüttet, und darum packte er bald seine Koffer.
Neue Orte, neue Zauber – Gaben einer hold verschwendenden Natur mit den Zeugnissen höchster schöpferischer Menschenkraft immer von neuem vereint – aber auch immer von neuem die lockende Dämonie fremdgewordenen Weibtums dazwischen.
So daß er schließlich den Gaststätten, in denen die große Welt sich spreizt, mit Sorgfalt aus dem Wege ging und sich die Herbergen aussuchte, wo für billiges Geld der deutsche Spießer mit dem englischen Altjüngferlein am schmuddligen Mittagstisch einträchtiglich beisammensitzt.
Brigittens strahlende Einfalt ahnte nichts von dem, was in ihm vorging. Glückselig sog sie sich voll mit all dem Schönen, das sich rings um sie auftat. Wo sie hauste, was sie aß, wen der Zufall an ihre Seite führte, – eines war so gut und so liebenswert wie das andere.
Mit demselben Frohmut, mit dem sie die nächtlichen Wanzen fing, stand sie dem wollhemdigen Tölpel Rede, der mittags seiner Italienbegeisterung durch den nichts kostenden Wein den höheren Schwung gab.
Und schließlich – wie deplaciert er sich immerhin vorkam – machte Steffen gute Miene zum bösen Spiel und freute sich wahllos an seines Weibes kindlicher Freude.
An Rom waren sie wohlweislich vorübergefahren – das sollte auf dem Rückweg den Höhepunkt bringen.
Um Neapel herum tosten sie von einem Orte zum andern – und jeder überbot den andern durch nicht erträumbare Wunder. Capri, Pompeji, La Cava, Sorrent, Prajano, Amalfi, Ravello, Salerno – soviel Namen, soviel Offenbarungen.
Und dann schließlich kam Pästum mit seiner griechischen Herrlichkeit inmitten erschauernder Öde.
Als Brigitte den größten der Tempel betrat, dessen goldgelbe Säulen die Blätterzacken des Akanthus wuchernd umgrünen, sank sie in tiefster Erschütterung anbetend in die Kniee.
Aber plötzlich roch es so schlecht, und siehe, das Unglück hatte gewollt: sie war mitten in einen Kuhfladen hineingekniet, und so hatte die Arme neben umständlicher Reinigung auch noch Steffens Spott zu ertragen. – –
Nach Wochen und Wochen glückseligen Schauens ging es endlich rückwärts nach Rom – heimwärts könnte man sagen, denn welchem künstlerisch fühlenden Menschen ist Rom nicht schon immer Seelenheimat gewesen?
Schwelgend in traumreicher Arbeit zogen sie umher, bis auf das letzte Nervenfäserchen zueinander gestimmt.
Die großen Schaustücke lagen hinter ihnen – die Suche nach Heimlichkeiten begann und brachte täglich nicht auszudenkende Wunder. Was Sant' Agnese fuori barg, was auf dem Palatin neu ausgegraben wurde, was die Seitenpfade der Via Appia erzählten, was an griechischen Brocken sich zwischen den Statuenwäldern zerstreut fand, das alles kundschafteten sie aus, kamen übersatt heim und waren am nächsten Morgen längst wieder hungrig.
Schon brannte die Frühlingssonne, und von den Gartenmauern hingen die Rosengewinde, da zogen sie seufzend weiter nach Norden.
Florenz sollte dem nächsten Mal gehören, sonst wären abermals Wochen und Wochen dahingegangen. Aber auch an Venedig vorbei? Nein und tausendmal nein.
Dies Märchen wollte noch eilends erlebt sein – dann mochte der Alltag in Gottes Namen wieder beginnen.
Zudem gab's eine Kunstausstellung daselbst, für die das deutsche Komitee ein paar von seinen Bildern ausgesucht hatte.
Wenn die Zeit langte, mochte auch ihr eine Stippvisite gegönnt sein.
Drei Tage gondelten sie nun schon auf den Kanälen und in der Lagune umher, aßen im Café Florian ihre »Granita« und ließen den Mond auf die Palazzi herniederscheinen.
Da, eines Morgens, als er das Zeitungsblatt auftat, las er mit zollgroßen Lettern den eigenen Namen.
»Unserem illustren Gaste, dessen begnadete Kunst wir eben mit Staunen genießen, Gruß und Huldigung darzubringen, ist uns Ehre und Pflicht. In ihm erblicken wir den berufenen Sendboten der ruhmreichen Nation, mit der befreundet zu sein uns als ein Glück erscheint, dessen der Genius Italiens würdiger ist als der jedes anderen Volkes, das in künstlerischen Dingen sich den Stab der Führerschaft anmaßt. Möge der erlauchte Künstler – – –«
In diesem schwülstigen Tone ging's weiter.
Anfangs hatte er die Mißempfindung, genarrt zu sein. Erst allmählich machte er sich klar, daß er sich in einem Lande befand, in dem das himmelhoch jauchzende Pathos zum täglichen Frühstück gehört, ebenso wie in Deutschland der geiferspritzende Neid. Und eines lag so fern ab der ruhig messenden Wertung wie das andere. Aber freuen tat die Verhimmlung ihn doch. Und Brigitten nun erst! War sie schon vorher wie auf Wolken gegangen, so fuhr sie nun steilauf in den höchsten der Himmel. Lachend und weinend lief sie umher und brannte vor Sehnsucht, seinen Triumph an Ort und Stelle aus der Verborgenheit her bis auf die Neige auszukosten.
Inzwischen stellten die Marodeure des Ruhms sich ein.
In der bescheidenen Pension, wo sie bisher in reibungsloser Weltabgewandtheit dahergelebt hatten, begann es von Leuten zu wimmeln, die den großen Künstler aus diesem oder jenem Grunde zu sprechen begehrten.
Interviewer, Zeichner, Autographensammler, Bettler, Althändler und schlichtweg Neugierige belagerten sein Kommen und Gehen. Landsleute in der unvermeidlichen Jägerwäsche und mit verwogenem Spielmannshut streckten ihm treu-deutsch die schwarznägligen Hände entgegen, und Visitenkarten mit vielzackigen Kronen lagen auf seinem Frühstückstisch.
Brigitte, die diesen Betrieb noch nicht kannte, war zu Beginn mit glühendem Eifer bemüht, einem jeden höflich zu Willen zu sein, und entsetzte sich über Steffens höhnische Abwehr. Erst als sie erkannte, daß alles nur Raub an Zeit und an Lebenskraft war, machte sie sich daran, ihm die Lästigen kunstvoll vom Halse zu halten.
Und es kam der Nachmittag, da sie im Vaporetto nach den Gärten hinausfuhren, in deren unverwelklichem Grün der Ausstellungspalast seine weißen Tempelzinnen erhob.
Heimlich wie Diebe schlichen sie sich hinein, um unbemerkt zu genießen, was die Glorie des kommenden Weltruhms ihnen versprach.
Brigitte zitterte an seinem Arme, und auch er hatte Mühe, seine Erregung niederzukämpfen.
»Germania« stand mit goldenen Lettern über dem Eingang eines der mittleren Oberlichtsäle. Darinnen in Scharen das Volk, das der Kunst des befreundeten Reiches Bewunderung zollte. Und wo man sich am dichtesten drängte, da hing die sehr vertraute »Büßende« sowie der seine goldene Leier reckende »Orpheus«. Und das liebliche »Frühlingswunder« war auch da, dessen Holzschnitt Brigitte einst in ihre Zeichenmappe geklebt hatte. Das Urbild hingegen, das in einem rheinischen Museum hing, war ihr noch niemals vor Augen gekommen. Es war wie ein Wiedersehen und noch viel mehr als das: Rückkehr zum Mädchentum und zur Heimat war's. Mit gefalteten Händen stand sie da und dachte nicht mehr an Menschen und an Erfolg und dergleichen. Nur unsagbar, unausdenkbar glücklich war sie, und selbst er, der ihr diese Stunde geschaffen hatte, zerrann ihr zum Traum in deren Seligkeit.
Da plötzlich standen drei kleine, schwarz bebärtete Herren vor ihnen, machten tiefe Bücklinge und redeten mit einem großen Aufwand von Armschwingungen in der fremden Sprache, die sie trotz ihrem Lehrbuch noch immer nicht verstand, sehr dringlich auf Steffen ein.
Er aber machte das tiefbeglückte Gesicht, das sie als Komödienspiel längst an ihm kannte. Und dann gab's ein Händegeschüttel ohne Ende, an dem auch sie hervorragenden Anteil hatte. Und aus den drei Herren wurden sechse, aus den sechsen wurden zwölfe und mehr. Wie aus der Erde gestampft immer neue schwarze, funkeläugige Männer. Und dann bot ihr einer den Arm, und allen voran ging's in Prozession nach einem durch Vorhang und Tapetentür abgeschlossenen Raume, in dem schwere Schnitzmöbel herumstanden und Zigarettendampf mit fremden Parfüms sich vereinte.
Dort mußte sie Platz nehmen, und Sekt wurde serviert, und immer neue Reden wurden gehalten.
Steffen antwortete auf Französisch, und was sie natürlich vorher schon vermutet hatte, wurde daraus zur Gewißheit: die Ausstellungsleitung war's, der ein ihn schon kennender Journalist von seinem Hiersein berichtet hatte und die gekommen war, ihn ehrenvoll zu empfangen. Zufällig anwesende Künstler und Zeitungsleute hatten sich angeschlossen, und so war die kleine Feier entstanden, von deren Glanze auch auf Brigittens ängstliche Seele ein voller Strahl herniedersank.
Steffen aber machte nicht viel davon her.
»Uff,« sagte er, sich schüttelnd, als alles vorüber war, »so'n Kaff nennt sich nun Ruhm! Nach so was hat man gegiert ein Leben lang. Und die meisten erreichen es nie und rächen sich, wo sie nur können.«
Brigitte verstand das nicht. Sie war so trunken von all dem Glück, daß ein Mäkeln daran ihr widernatürlich erschien.
»Eigentlich bist du zu beklagen,« sagte sie, »daß du für das Schönste, das die Welt zu bieten vermag, keine Genußfähigkeit hast. Aber dafür freu' ich mich doppelt.«
Und als sie zur Ruhe gingen, trat sie an ihn, der schon halb eingeschlafen dalag, auf Zehenspitzen heran, ergriff seine herabhängende Hand und drückte einen langen, leisen Kuß darauf.
»Was machst du für Faxen?« sagte er, wieder ganz wach geworden, denn es war nicht ihre Art, sich angriffsweise in Liebkosungen zu ergehen. Gerade wenn ihr Herz ihm am heißesten entgegenschlug, zog sie sich beklommen in sich zurück.
»Verzeih! es war nur ein Dank,« sagte sie.
»Dank? wofür?«
»Daß du das ›Frühlingswunder‹ gemacht hast.«
»Was ist denn dabei so Besonderes?«
Da setzte sie sich neben ihn auf die Bettkante, und seine Hand in der ihren behaltend, malte sie ihm sein eigenes Bild.
»Sieh mal, die Blumenwiese, ganz besät mit dem Himmel voll weißen, roten und violetten Sternen, die wäre schon als Wunder genug … Nun kommen aber die Mädelchen, Halbkinder alle drei; in ihren kurzen, groben Hemdchen halten sie sich an den Händen und setzen so vorsichtig die schmutzigen Füßchen zwischen Halme und Blumen, daß man mit ihnen das Wunder doppelt fühlt … Und dann wieder ist's nicht die Wiese, sie selbst sind das Wunder … Man braucht ihnen bloß in die Augen zu sehen. Unschuld und Ahnung und Glückssehnsucht und Glücks furcht, möchte man sagen – – – alles liegt in den dummen, blauen Augen. Das ganze Geheimnis des Magdtums liegt darin … Ein Frühling steht vor dem anderen, ein Wunder bestaunt das andere … und wir, die Sehenden, bestaunen sie beide … Andere hätten die Mädelchen vielleicht nackt gemalt oder ihnen weiße Geniengewänder angezogen und gar Flügel auf den Rücken geklebt. Daß du das verschmähtest, daß du uns schlichteste Menschlichkeit botst, das ist das Schönste, das Tiefste darin … Und dafür dank' ich dir, Steffen. Dafür habe ich dir schon damals gedankt, als ich noch selbst trotz meiner Heirat nicht viel mehr als ein dummes Ding war und in meinem Innersten fühlte, was die dreie da fühlen.«
Er hatte sich aufgerichtet und sah ihr erstaunt in die Augen.
»Du, hör mal,« sagte er, »du machst mir heut manches klar, was mir damals beim Malen vorgeschwebt hat. Unsereins ist nur viel zu dämlich, um es in Worte zu kleiden – und so gewählte dazu.«
»Das darf auch gar nicht sein,« erwiderte sie, »dann würde es lange nicht so schön. Erklären müssen es immer die andern.«
»Und nun hör aber auf,« sagte er, »sonst werd' ich schließlich zu eitel.«
Gehorsam schwieg sie still und legte sich leise an seine Seite, in ihren Träumen weiter schwärmend von dem, was sein Genius ihr heute geschenkt hatte.
Er aber dachte derweilen an eine stolze, glutäugige Römerin – Römerin, nichts anderes konnte sie sein – die ihn heute, als die Herren ihn fortführten, mit ihren Blicken schier auffraß und wartend immer noch dastand, als das Ehrengeleit ihn endlich seiner Wege gehen ließ.
›Wär' ich allein gewesen,‹ sagte er sich, ›wer weiß, was sich daraus entwickelt hätte!‹
Und seufzend schlief er hinüber.