Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebentes Kapitel

Die Welt, in der Steffen Tromholt lebte, konnte nur dem Anschein nach als diejenige gelten, die sie so lange gewesen war. In Wahrheit hatte sie sich gar sehr verändert.

Die Räume, die er bewohnte, waren zwar noch die gleichen: das Wohnzimmer mit seinem persischen Ruhebett, seinen zwei flandrischen Gobelins, seinem Danziger Schrank und den Schweizer Renaissancescheiben, um das nüchterne Tageslicht zu weicher Dämmerung zu dämpfen – das Eßzimmer in Bologneser Barock – ein wenig Kramladen allerdings, mit seinen Zinnhumpen und seinen unechten Majoliken – das Schlafzimmer in weiß-goldenem Empire, mit zwei dünnlichen Genien über dem lilienbesäten Betthimmel, dem Waschtisch, der wie sonstige fünfhundert Waschtische der Josephine oder der Hortense gedient haben sollte, und einer Chaiselongue, die um besserer Bequemlichkeit willen aus dem Magazin eines beliebigen Tapezierers hierher gepflanzt worden war. Sodann als Hauptsache das Atelier, in dem sachliche Kahlheit regierte und nur eine von brokatenen Vorhängen umhegte Tee-Ecke zum Plaudern und Ausruhen – zum Entkleiden der Modelle übrigens auch – vorsorglich einlud.

Die gleiche geblieben war auch Frau Rhein, die alte Wirtschafterin, ein dürres Gestelle, das selbst in den Tagen des Wohlstands an Leibesfülle nicht zunahm, und obwohl jüngst ein volles Jahr lang nichts weiter zu tun gewesen war, als ahnungslosen Besuchern zu erklären, daß der Herr für unbestimmte Zeit abwesend sein würde. Sie kochte mäßig, sparte wohl auch in die eigene Tasche, aber auf ihre Verschwiegenheit konnte man zählen. Und noch niemals war es vorgekommen, daß eine heimlich ausforschende Freundin von der Existenz ihrer Schicksalsschwestern etwas erfahren hätte.

Und schließlich war ja auch der Freundeskreis noch immer der gleiche. Da war Reginald Naschke, der bekannte Kunsthändler, der als gerissener Manager sich längst unentbehrlich gemacht hatte und der mit bald demütiger, bald herrschsüchtiger Beflissenheit auch Steffens Privatleben zu lenken versuchte.

Da war Max Friedenthal, der mächtige Kritiker, der sich rühmte, ihn entdeckt und »gemacht« zu haben, und der, seit sie beide noch unbekannt in den Kneipen des Ostens die Nächte miteinander durchzecht und durchstritten hatten, Intimusrechte in Anspruch nahm.

Da war mit kaum minderen Rechten Albin Isenberg, der vielgepriesene Graphiker, der seinen eigenen Ruhm willig dem seines Freundes unterordnete und mit unbestechlicher Einsicht Irrtümer rügte und Mängel in Vorzüge wandeln half.

Aber sie alle drei hatten Frauen. Und die bildeten ein eigenes Kapitel. Drum tat man besser, sich in jetziger Lage ihnen so fern wie möglich zu halten.

Und da waren noch manche, mit denen gemeinsam man so lange geschuftet und getollt, Erkenntnisse gerafft und in Torheiten sich festgefahren hatte. Ihnen allen fühlte man sich plötzlich fremd geworden.

Von den Weibern ganz zu schweigen. Seit das Gerücht durchgedrungen war, daß die übereilt geschlossene Ehe ein rasches Ende gefunden hatte, tauten etliche der auf Eis gestellten Neigungen prompt wieder auf. Briefe voll schlecht verhehlten Mitleids fanden sich ein, Tröstungen wurden verheißen und zweisame Abende, in deren Verlauf die scheintote Freundschaft wieder aufleben mußte.

Er aber antwortete mit höflicher Abwehr und blieb allein. Blieb auch allein, wenn ab und zu eine Einladung zu Diners oder Routs sich in sein Leben verirrte. Ihrer viele waren es nicht. Denn die Gesellschaft hegte Zweifel, wie man sich zu ihm zu stellen habe. – Verheiratet war er, Besuche hatte er nicht gemacht, die Frau kannte niemand. – Von Mesalliance erzählte man sich und von notgedrungener Gutmachung eines leichtsinnigen Streiches. In den Salons des Westens, in denen er früher aus- und eingegangen war und wo brünette Millionärstöchter dem unlängst aufgegangenen Stern für den Heiratsfall die Herzen geöffnet hielten, fühlte man sich durch eine solche Abirrung verletzt und mißachtet.

Eine arme, kleine Provinzwitwe mit drei Kindern, vorgezogen den Erbinnen kühner Intelligenz und üppig entfalteten Reichtums – hier gab's nur eine Antwort: Achselzucken und Fallenlassen.

So geschah's, daß Steffen Tromholt, als er mit seiner Rückkehr in die altgewohnten Verhältnisse wieder einzutreten gedachte, sich plötzlich einer von Grund aus verwandelten Welt gegenübersah und sich verfemt und gemieden fühlte.

Selbst an denjenigen Häusern, in denen man ihn mit offenen Armen wieder aufgenommen hätte, ging er fortan mit scheuem Trotze vorüber. Was sollte er antworten, wenn man ihn fragte: »Warum ist Ihre liebe Frau nicht hier?« oder: »Wieviel Kinderchen haben Sie gleich?« oder: »Wie fühlt man sich so als Hauspapa?«

Dergleichen Anzapfungen warteten seiner immer von neuem, sobald die Tür zu den Empfangsräumen sich vor ihm geöffnet hatte.

Ja, wenn sie einfach seine Geliebte gewesen wäre! Dann hätte das ganze Geschehnis ein anderes Gesicht erhalten. Wo jetzt in seiner Seele Duckmäusertum, Pflichtgebundenheit und das Gefühl des Geknechtetseins sich breitmachten, hätten Leidenschaftsglut, Hochschwung und Rausch das Leben regiert und das Schaffen befruchtet.

Daß Einsamkeit ihn umgab, das mochte noch hingehen. Denn wer sich nicht Gesellschaft genug ist, den hole der Teufel! Aber darüber konnte kein Zweifel sein: sein Schaffen stand stille.

Oh, malen tat er ja immer. Nicht umsonst pflegte er von sich zu sagen, daß er noch im Grabe die Sargwände ausmalen würde. Aber innerer Zwang und äußerer Segen mangelten jeglicher Stunde.

Orpheus mit seiner Eurydike stand auf der Staffelei – alte Liebe hieß ihn immer wieder im Griechentum eine Heimat suchen –, aber dieser Orpheus war ein Fadian, und Eurydike trug viel zu ausgesprochen Brigittens Züge, als daß er sich der Gelassenheit seines Schöpfertums hätte erfreuen können. Man mochte pinseln, soviel man wollte, immer wurde Brigitte daraus. –

Eines Tages besuchte ihn Isenberg, stand lange vor dem halbvollendeten Bilde, wiegte mit spitzem Munde den Bulldoggenkopf und sagte – gar nichts.

Erst als Steffen mit argwöhnischen Fragen in ihn drang, ließ er sich herbei, ihm Rede zu stehen.

»Joa – na joa … 's Können ist ja das alte. Was man mal zusammengegrapscht hat, das nimmt einem so leicht keiner ab. Aber wo is mein Freund Tromholt? Ich seh' nischt von ihm … Barocke Sache – mit hohem Pathos – ich will nich grad sagen, daß es falsch is – aber echt is es auch nich … Das Beste is noch das süße Frätzchen von dem sich umkehrenden Weibe. Das is wenigstens mit Liebe gemacht. Aber sonst – schad' um die Leinwand!«

Steffen fühlte die Wut so heiß in sich aufsteigen, daß er ihm am liebsten die Tür gewiesen hätte. Das war schon öfters geschehen und hatte der Freundschaft keinen Abbruch getan.

Aber heute spürte er nicht einmal dazu die Kraft. Schweigend setzte er sich in die Tee-Ecke, sog an seiner röchelnden Shagpfeife und überließ dem Freunde das Feld, der von einem Bilde zum andern ging, hier knurrend billigte, dort spuckend tadelte und nur ab und zu zum Zeichen uneingeschränkter Achtung drei Finger der Rechten salutierend an die Stelle legte, wo zu Zeiten seines Dienstjahres der Mützenschirm die Schläfe begrenzt hatte.

Am besten gefielen ihm die Herbstbilder, die Steffen zu Beginn seines Ehejahres vor den Toren der Stadt halb spielend hingeworfen hatte.

»Da ist der richtige Oktobermuff drin,« sagte er, »und das Kobalt ist wie vom Himmel gefallen.«

Steffen dachte: ›Da war noch der einstige Schmiß in mir, bis er sich dann so allmählich totlief.‹

Isenberg setzte sich neben ihn, langte sich eine Zigarre aus dem dastehenden Kasten und sagte: »Also los! Was is nu mit dir?«

»Was wird mit mir sein?« erwiderte Steffen. »Ich mach's so gut, wie ich kann. Wem's nicht gefällt, der läßt's bleiben.«

»Und aus deinem Dachsbau kriechst du wohl überhaupt nich mehr?«

»Was hat das mit meinem Malen zu tun?«

»Sehr viel hat das mit deinem Malen zu tun. Der Apfel, den man nich lüftet, der fault oder verschrumpelt.«

Steffen sprang in die Höhe. »Ich verbitte mir dergleichen! Denn an so was glaubst du doch selber nicht. Mit Arbeit habe ich noch alles bezwungen. Ich zwinge auch das.«

»Was?«

Die kleinen Schweinsaugen lagen blank auf der Lauer, Konfidenzen herausfordernd.

Und wäre der Freund noch Junggeselle gewesen, so hätte er sie ihm auch nicht verweigert. Aber dem saß eine Frau zu Hause, niedlich, rundlich und maulflink. Die hätte noch heute alles herausgepreßt, was in Ewigkeit verschwiegen sein mußte.

Und schließlich ging er von dannen, ohne daß Brigittens mit einem einzigen Worte gedacht worden wäre. –

Die Tage flossen dahin. Modelle kamen und gingen, als einzige Abwechslung in seinem verödeten Leben.

Da war eine – Vollweib – aus guter Familie sogar, – deren armseligen Einkünften sie heimlich einen kleinen Zuschuß verschaffte.

Als sie zutraulich geworden war, blieb sie oft nach der Sitzung in ihrer weißen Glieder Pracht auf dem Diwan sitzen, rauchte eine Zigarette nach der andern und bleckte die Beißzähne lockend zu Steffen empor.

Es war Gewöhnung, ja Grundsatz bei ihm, Modelle unberührt zu lassen, um Hand und Auge nicht zu beirren. Aber an dieser hätte er sich beinahe vergriffen, so sehr quälte die Einsamkeit.

Und eines Tages bat er sie, zum Abend wiederzukommen, um eine Scheinwerferstudie von ihr zu machen.

In Wahrheit graute ihm vor dem unablässigen Warten und dem Anläuten der Zeitungsfrau, dem einzigen Begebnis, das, ersehnt und enttäuschend zugleich, den spärlichen Verkehr mit der Außenwelt einen Tag wie den andern beschloß.

Als sie zur festgesetzten Stunde eintrat, fand sie wohl in der Tee-Ecke den Abendbrottisch gedeckt, doch keine Anstalten getroffen, die die besprochene Arbeit verlangte.

»Ich bin sehr müde heute,« sagte er, »aber ich konnte dir nicht mehr abschreiben. Wenn es dir recht ist, essen und plaudern wir und lassen die Zeichnerei auf ein nächstes Mal.«

Ein Lächeln leisen Triumphes umspielte den üppigen Mund. Bei der Mahlzeit vertrat sie die Hausfrau mit Eifer und Würde. Ihre Worte zeigten noch mehr als sonst, daß sie geistige Schulung besaß und auch des Takts nicht ermangelte.

Beim Abräumen half sie Frau Rhein, versah die Kaffeemaschine und pflanzte Steffen eine brennende Zigarette zwischen die Zähne. Über allem, was sie sprach und lächelte, lag eine vorausschauende Schelmerei, die ihm befahl, auf der Hut zu sein.

Aber plötzlich – mitten im Reden – überwältigte ihn die Nähe des schönen Weibes, das, angekleidet, wie es heut war, mit allem andern Weibtum auf gleiche Stufe rückte, so mächtig, daß er vor ihm auf die Kniee sank und mit einem verhaltenen Schluchzen den Kopf in seinen Schoß herniederdrückte.

Sie fuhr vor Freude erbleichend zusammen, faßte sich aber sofort und saß ganz still, nur ihre linke Hand ruhte mit liebkosendem Zausen auf seinem strudligen Haar.

Endlich raffte er sich empor.

»Vergib, daß ich dich behelligt habe. Das beste wird sein, ich bringe dich 'runter.«

Erstarrend in Verständnislosigkeit suchte sie seine Augen, die ihren Blick nicht zu ertragen vermochten. Dann erhob sie sich schweigend und griff nach ihrem Hute.

Am nächsten Morgen kreuzten sich zwei Briefe.

Sie schrieb ihm, daß sie sich unwohl fühle und daher nicht kommen könne. Er schrieb ihr, daß er sich einer andern Arbeit zugewandt habe und deshalb auf ihre Besuche verzichten müsse.

Bis auf weiteres blieb dies der einzige Versuch, in der Annäherung an eine Fremde Trost und Entspannung zu finden. –

Eines Tages sprengte Naschke die Tür, die auf neuerlichen Befehl hin auch den Freunden verschlossen blieb.

Mit Lackstiefeln, in gestepptem Covercoat, behende, fidel, die Nasenflügel sichernd in dem rosig blondbärtigen Vollmondsgesicht, betrat er unangemeldet das Atelier und überraschte Steffen über einer Kohlenskizze, die herkulesartige Muskelgebirge aus dem weißen Flachland des Kartons emporwachsen ließ.

»Also was is los?« fragte er. »Meine Tromholts sind ausverkauft. Warum wird mir keine Ware jeliefert?«

»Ich habe nichts,« erwiderte Steffen, ihm Rauchbares anbietend.

»Haben nichts? So? Und das da? Und das da?«

Er wies auf den Orpheus und auf eine »Büßende«, zu der ihm die unlängst Abgedankte gesessen hatte.

»Kitsch!« sagte Steffen und zuckte die Achseln.

»Dieser Kitsch ist unter Brüdern ein Vermögen wert,« erwiderte er. »Nie hat Ihre Kunst einen höheren Marktwert erreicht. Das klaviert sich der Blinde mit seinen fünf Fingern ab. Eine neue Stimmung is 'reinjekommen. Jemüt is 'reinjekommen. Ein inneres Weh is 'reinjekommen, das mit finfdausend Mark Zuschlag nich zu hoch taxiert wird … Jeben Sie her, jeben Sie her, und ich bürge Ihnen: übermorgen is es verkauft!«

»Ich gebe nichts her,« sagte Steffen.

»Natürlich! Natürlich! Seit wir Ritterjutsbesitzer sind, seit wir Schloßherr sind, haben wir's ja nich mehr nötig. Da spielen wir bloß noch den vornehmen Amateur. Staffieren höchstens die eigenen Wände aus … Wieviel Zimmer haben Sie in Ihrer Ritterklitsche? Zwanzig, vierzig – was? Da können Sie ja malen bis ins neunzigste Jahr und finden immer noch leere Stellen – was?«

Steffen lachte und klingelte nach Portwein.

»Ach was! Ihr Jesöff wird mich nich milder stimmen. Ware, Freundchen, Ware heißt meine sittliche Forderung … Da – jelandschaftert haben wir auch! Fabelhaft – fabelhaft! Dem Menschen wächst ein Joldschatz auf der flachen Hand. Passen Se auf! Ich setz' einen Artikel in meine nächste Sturm-und-Drang-Nummer: ›Steffen Tromholt auf neuen Wegen.‹ Oder: ›Des Meisters Wiedergeburt.‹ Oder so … Morgen hält 'ne Jepäckdroschke mit den nötigen Decken vor Ihrer Tür – damit fahren wir erst zum Rahmer – dann kündige ich eine Spezialausstellung an – und dann hab' ick bloß noch für die nötige polizeiliche Absperrung zu sorgen, damit das Volk von Berlin in seinem Ansturm mir nich die Bude demoliert … Wat sagen Se nu?«

»Ich stelle nicht aus,« erwiderte Steffen.

Herr Naschke wurde ernst. Er setzte sich auf den Diwan der Tee-Ecke, nippte von dem angebotenen Portwein und begann in einem Ton, der von dem bisherigen sehr verschieden war: »Lassen Sie uns mal vernünftig reden, lieber Freund. Der Künstler gleicht einem Börsenpapier … Ihr Ruf is in der Hausse – Gott sei Dank! Und daß es noch 'ne Weile so bleiben wird, dafür wird Ihr Freund Naschke schon sorgen. Gesetztenfalls, daß Sie ihm das Jeschäft nich zu sehr erschweren … Aber in alle Ewigkeit klettert man nich. Seinen Zenit erreicht ein jeder, und auf so'ner Turmspitze für die Dauer 'rumzuturnen, is 'ne verfluchte Sache … 'ne neue Mode kommt manchmal wie 'n Jewitter und fegt in den Abgrund, was sich nich sehr gut festhalten kann … Was muß man da tun? Immer im Mouvement stehen. Immer in den Zeitungen stehen. Das is die beste Unfallversicherung … Sehen Sie, die Komödianten, die verstehen's … Bald hat einer 'nen Autounfall jehabt, bald is ihm seine Frau durchjejangen – oder noch besser er seiner Frau. Bald is er kontraktbrüchig jeworden, weil ihm von da und da eine fabelhafte Summe händeringend jeboten worden is. Am nächsten Tage aber is er nich kontraktbrüchig jeworden, weil er eben ein edler Mann is. Und so weiter, und so weiter. Das jibt jede Woche 'ne neue Notiz. Großartig … Mit so'nen Mittelchen können wir natürlich nicht aufwarten. Unsere sind feiner. Aber tüchtig sein müssen wir auch. Und Sie müssen helfen. Jawohl – Siemüssenhelfen … Erstens: immer auf dem Markte vertreten sein. Immer ausstellen. Nich bloß auf der Großen, wo selbst ein Rembrandt sich verkrümeln würde … Die Feuilletons müssen andauernd Futter haben. Selbst unser Maxel kann nichts über Sie schreiben, wenn Sie ihm nich die entsprechenden Daten jeben. Und wenn Maxel schreibt, schreibt die janze Kritikerschaft hinterher, das versteht sich von selbst … Dann aber zweitens: immer zu sehen sein, – die edle Persönlichkeit hübsch in den Vordergrund stellen … Jawohl, da zoppen Sie zurück! Das paßt dem hohen Herrn nich. Möchte lieber den vornehmen Einsiedler spielen … Was is denn in Sie jefahren? Waren doch früher nich so! Auf jeder Premiere zeigte man Sie. Auf jedem Schwoffest taten Sie mit. Wissen Sie noch, wie Sie dem L. P. die Traute Steinberg ausjespannt haben? Und wie der alte Seladon hinter Ihnen herweimerte: ›Dieser Mensch jeht über Leichen‹? … Ja, da waren Sie noch 'n Kerl. Machen Sie's doch wieder so! Immer los. Die Welt liegt da mit ausjebreiteten Schenkeln. Man braucht sich bloß zu bedienen.«

»Das mag alles sehr gut und schön sein,« sagte Steffen.

»Nichts is jut und schön, was ich da quatsche. Nur ein Notschrei sozusagen. Treiben Sie's man so weiter. Sie werden ja sehen, wohin es führt.«

»Und Arbeit und Können und künstlerischer Ernst – die gelten nichts?«

»Ach was. Das Moralische versteht sich von selbst. Können muß dasein und alles übrige auch. Glauben Sie, Reginald Naschke würde sonst mitten in der regsten Geschäftszeit die vier Treppen zu Ihnen 'raufklettern, wo's noch nich mal 'n Fahrstuhl jibt? Nee, Freundchen, so hoch versteigt sich die heißeste Liebe nich. Aber nu heißt's auch: sich bessern. In diesem Sinne: Guten Morgen.«

Damit war er draußen, eine Wolke von Jockeiklub hinter sich zurücklassend.

Mit zitterndem Ingrimm dachte Steffen darüber nach, daß selbst er, durch den ihm Brigitte einst zugeführt worden war, mit keiner Silbe ihrer gedacht hatte. So sehr mißachtete man sie, so ganz hielt man sie bereits für abgetan, daß man ihrer nicht einmal mehr Erwähnung tat.

Und er schämte sich für sie. Schämte sich auch für sich selber, weil er nicht den Mut gefunden hatte, das Gespräch auf sie hinüberzulenken.

Aber was konnte er sagen, ohne sie bloßzustellen und den Fehltritt einzugestehen, als der in diesen Kreisen seine Ehe gewertet wurde?

Noch hatte er mit keinem über seine Lage gesprochen. Keiner ahnte, wie's in ihm aussah, in welchen Kämpfen er bei Tage und bei Nacht mit sich rang.

Da – wenige Tage später – kam ein Brief von Max Friedenthal:

 

Von Deiner Tür wird man zurückgewiesen. Telephon hast Du nicht. Schriftliches bleibt unbeantwortet. Was denkst Du Dir eigentlich? Glaubst Du, man könne Freunde abschaffen wie junge Hunde? – Noch nie ist es mir eingefallen, mit dem Finger darauf zu weisen, was ich für Dich getan habe. Heute muß ich es, ob es mir auch noch so schwer fällt. Also: Morgen abend acht Uhr in unserer einstigen Stammkneipe. Vielleicht erinnerst Du Dich ihrer noch aus den Zeiten her, in denen wir nicht das Geld hatten, die feinen Weinrestaurants zu frequentieren. Solltest Du mich vergebens warten lassen, so wirst Du nie mehr von mir hören. Vorläufig noch

Dein Maxel.

 

Das hieß die Pistole auf die Brust gesetzt und machte jedes Ausweichen unmöglich.

Zur festgesetzten Stunde schlug er den Weg nach dem Norden ein, wo in der Gegend des Rosenthaler Tors die Schwemme gelegen war, in der sie einst mit manchem andern Kumpan, den das Leben seither – weiß Gott wohin – verschlagen hatte, den großen Weltproblemen verwegen zu Leibe gerückt waren.

›Wenn er etwa Bekenntnisse von mir erwartet,‹ so schwor er sich zu, ›dann soll er sich mächtig geschnitten haben.‹

Aber als der altvertraute Dunst von Bier und Rollmöpsen und Käse ihm wie ein Symbol hemdärmliger Wahrhaftigkeit mahnend entgegenschlug, als die Fiedelbogengestalt des schmächtigen Freundes an einem der rot umfransten Tische jäh in die Höhe fuhr und eine lange, schmale Knochenhand sich ihm zum Gruß entgegenreckte, da wurde bereits der Argwohn in ihm wach, daß sein Gelöbnis alsbald in die Brüche gehen würde.

Und was für schöne Augen er immer noch hatte, der Maxel! Mit sorgendem Leuchten, wie die einer Mutter, ruhten sie auf ihm. Und ein Dichter lag in ihnen begraben, mit allen Weichheiten und Sehnsüchten einer Dichterseele. Jetzt freilich tunkte er seine Feder in Schwefelsäure und schrieb Artikel, vor denen das künstlerische Berlin erzitterte. Nur ihm, Steffen, war er allzeit ein liebender Wegbereiter geblieben.

In trüben Seideln stand das Bier vor ihnen. Die Zigarren dampften. Aber das Gespräch wollte nicht recht in Fluß kommen. Allzu schwer lastete das Unausgesprochene auf den Gemütern.

»Wie geht's deiner Frau?« fragte Steffen, nur um irgend etwas zu fragen. Denn diese Frau war eine Canaille, an die der Ahnungslose geraten war, weil die verfahrene Sängerin sich ihn geangelt hatte.

»Wichtiger ist: Wie geht's deiner Frau?« gab jener zurück. »Und wie geht's dir mit deiner Frau? Darüber zerbrechen sich die Leute schon lange die Köpfe.«

»Ich lieb' meine Frau – sehr einfach!«

»Ja, ja, das wissen wir. Sonst hätt'st du sie nicht geheiratet. Aber bist du nun eigentlich glücklich in dem Doppelleben, das du da führst?«

»Natürlich bin ich glücklich. Wenigstens –«

»Wenigstens – was?«

»Soweit ein prinzipieller Ehegegner – als solchen kennst du mich ja – in diesem heiligen Stande glücklich sein kann.«

Die nervösen Finger des Freundes krümmten sich zu einer Greifbewegung, als wollte er sagen: ›Jetzt habe ich dich!‹

»Das heißt auf deutsch: unglücklich bin ich,« erwiderte er. »Und damit eröffnest du mir nichts Neues. Denn so eine Trennung spricht Bände. Ich möchte dich darum präziser fragen: Wie lange denkst du diesen Zwischenzustand weiterzuführen?«

So lange hatte Steffen an sich gehalten. Jetzt brach er los: »Ich werde irrsinnig. Ich bin vergiftet. Ich zapple bloß noch. Ich schreie nach Hilfe, aber keiner hilft mir. Was du hier siehst, bin gar nicht mehr ich, das ist bloß ein Stück Automat. Ich stehe auf und weiß nicht warum. Ich male und weiß nicht wozu. Ich leg' mich hin und sag': ›Gott sei Dank, jetzt brauchst du ein paar Stunden lang nichts mehr zu denken‹ … Aber in der Nacht fahr' ich hoch und wisch' mir den Angstschweiß von der Stirn: ›Mensch, was ist mit dir geschehen? Deine Freiheit ist zum Teufel. Deine Erdkraft ist futsch. Verheiratet bist du – Ehekrüppel bist du – Vater von vier Kindern bist du … Was gehen die mich an? Was geht mich das alles an?‹ Und dann denk' ich, ich hab' bloß schlecht geträumt … Aber nein doch, 's war kein Albdruck. Wirklichkeit ist alles und bleibt Wirklichkeit, auch den nächsten Tag über – und den übernächsten Tag über – und immer, und immer und immer.«

Er stützte den Kopf in beide Arme und keuchte in tränenlosem Schluchzen vor sich nieder.

Max Friedenthal griff nach ihm hinüber und umfaßte sein Handgelenk.

» So schlimm hätte ich's mir freilich nicht vorgestellt,« sagte er, sichtlich ergriffen, »wenn auch Zeichen seelischer Zerrüttung genug vorhanden waren. Nur eines bei der Chose verstehe ich nicht: Es gibt doch ein Heilmittel, man läßt sich halt scheiden!«

Verzweifelt lachte ihm Steffen ins Gesicht.

»Scheiden! Päh, scheiden! Lieber heute als morgen. Aber – –« Er stockte.

In Max Friedenthals Gesicht erwachte etwas wie Drohung.

» Will sie etwa nicht?« fragte er. Sicherlich arbeitete sein Hirn bereits an dem Plane erlösender Dazwischenkunft.

Steffens Verzweiflung schlug plötzlich in Hohn um.

»Hast du 'ne Ahnung! Möchtest sie vielleicht gar an den Weibern messen, wie sie hier unter uns 'rumlaufen? Und wenn sie dran stürbe, dann wollte sie immer noch, weil sie wüßte, daß ich will … Nee, mein Kerlchen, da sitzt das Hindernis nicht. Hier sitzt es, hier ganz allein!« Und er klopfte sich gegen die Brust.

»Bist du ganz und gar ein Waschlappen geworden, du starker Mann, du?« fragte jener.

»Laß lieber die Schimpfworte! Diesmal verfangen sie nicht. Hier handelt sich's nicht um Schwächlichkeit, um Hörigkeit, und wie die schönen Vokabeln alle wohl heißen, hier steht Menschentum auf dem Spiele … Daß ich sie liebhab', das würde sich niederkartätschen lassen. Aber hier ist etwas, was es nicht zum zweitenmal gibt in der Welt. Hier ist Paradies. Hier ist Wunderland. Hier ist ein niedergestiegenes Märchen. Kleinbürgerlich zwar. Und das ist gewiß ein Malheur. Aber in dieser Kleinbürgerlichkeit soviel Poesie, soviel – soviel – ich weiß nicht, ich finde die Worte nicht. Aber schildern will ich es dir.«

Und er erzählte ausführlich von seinem neulichen Dresdener Besuche und den Eindrücken, die er mit sich nach Hause getragen hatte.

»Und das soll ich zerstören, wie irgend ein plumper, versoffener Prolet? Soll Feuer anlegen an ein Glück, das nichts ist wie liebliche Hingabe und Sehnsucht nach mir? Ich brauche mir nur auszumalen, wie sie dasitzt Abend für Abend – bloß mit mir beschäftigt – ganz in mich versunken – und mit dem Rest ihrer Besinnung tapfer drauflosarbeitet, bloß um, wenn möglich, auch hierin zu mir zu gehören – sag, Mensch, hieltest du das aus? Ich halt's nicht aus. Ich – ich – ich – ach Gott, ich bin schon dreimal bei Göring vor der Tür gewesen – du weißt, Göring führt meine Prozesse. Einmal war ich auch schon oben – aber glaubst du, ich hätt' das Wort ›Scheidung‹ über die Lippen gebracht? Sie ist längst darauf gefaßt. Sie weiß, es muß sein. Aber ich quäl' keine Fliege zu Tode, um wieviel weniger – –«

»Also aus Mitleid quälst du lieber dich selber zu Tode,« warf Friedenthal ein.

»Wenn du das Wort Mitleid gebrauchst, dann reden wir aneinander vorbei. Hier handelt sich's um ganz andere Dinge.«

»Um was denn?«

»Das muß man fühlen, das muß man – –. Du hast früher einmal so schöne Verse gemacht. Übersetz dir das, was hier geschieht, in die Sprache jener Empfindungen. Vielleicht verstehst du mich eher. Hier ist ein Mensch. Es gibt doch nur wenige, die dieses Wort verdienen. Und Menschenmord begeht man nicht. Damit richtet man sich selber zugrunde.«

Freund Maxel wiegte den hakig geschnittenen Kopf.

»Die Grundfrage, scheint mir, ist die,« sagte er bedächtig, wie einer seiner Vorfahren, der ein talmudisches Rätsel erwog, »fühlst du dich imstande, mit der Familie, die du nun einmal gegründet hast – wenigstens teilweise gegründet hast – für die Dauer zusammenzuleben, oder nicht?«

»Nie, nie mehr, nie!« rief Steffen so laut, daß die ringsum sitzenden Philister die Köpfe erhoben, »ich hab's ausprobiert. Ein ganzes Jahr lang. Es sah ja aus wie Glück und war auch vielleicht Glück. Friede und Umsorgtsein und Zärtlichkeit, alles war da, aber Idyllen sind nichts für mich. Kindergekribbel ist nichts für mich. Ich hab's ja lieb, das kleine Volk. Wie soll man so was nicht liebhaben? Nicht mal strenge sein kann ich, wo es sich hingehört, aber wenn ich mich mit ihm abgeb', komm' ich mir vor wie auf dem Maskenball. Neben mir steht mein eigentliches Ich und sieht mir zu und sagt: ›Du bist ja meschugge!‹«

»Und für dein eigen Fleisch und Blut hast du nicht was Besonderes übrig?«

»Im Gegenteil. Ich würd's sogar als ein Unrecht betrachten, da einen Unterschied zu machen. Ich werfe alles zusammen zu einem Häuflein Unglück, und aus dem Häuflein wird ein Berg, unter dessen Last ich ersticke.«

Der Freund nahm das vorspringende Kinn zwischen seine fünf Finger.

»Dann gibt es nur eine Parole,« sagte er. »Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Ich werde mit Göring sprechen.«

»Das wirst du nicht,« schrie Steffen noch einmal auf. »Für mein Schicksal sorg' ich alleine. Und wenn ich jetzt eine Reue fühl', so ist es die, dir Konfidenzen gemacht zu haben. Es gibt Dinge, die muß man stillschweigend tragen. Ein jedes Beschwatzen macht sie nur schlimmer. Ich weiß, du meinst es gut, aber ich bitte dich: vergiß, was du heute gehört hast!«

Und dann brachen sie auf. – – –

Das Ergebnis dieser Unterredung war, daß Steffen das Gefühl nicht mehr los wurde, sich aufs schwerste an Brigitte versündigt zu haben.

Und statt dem Rate des Freundes zu folgen, beschloß er, ihr eine Genugtuung zu geben, die das Geschehene so gut wie noch möglich wieder verwischte.

Er lud die nächsten Freunde, sechs bis acht an der Zahl – soweit sie verheiratet waren, mit ihren Frauen – per Rohrpost zum Frühstück ein und depeschierte Brigitte, daß er sie morgen mittag erwarte.

Es war ein regnerisch dunkler Dezembertag und die Straßen lagen mit dicklicher Soße grau überschwemmt.

Da stieg sie lachend aus ihrem Abteil. Schon von weitem leuchteten die Tuschkastenfarben.

Und wie hübsch sie gekleidet war! Keine grande dame aus der Tiergartenstraße konnte es besser. Einen grünen Plüschhut trug sie verwegen ins silbrige Blondhaar gedrückt. Eine Pelerine von geripptem Bauernvelvet umschmiegte schwerfaltig die hochgezogenen Schultern, und an den Füßen klirrten süße Holzpantöffelchen, von roten Saffianstreifen über dem Spanne festgehalten.

»Au, fein bist du!« sagte er anerkennend, nachdem er sie mit einem Kusse begrüßt hatte.

»Findst du das wirklich?« fragte sie strahlend. »Ich habe für den Fall, daß du mich rufen solltest, schon lange vorgearbeitet. Habe eine von meinen Oberschlesischen Eisenbahnbedarfaktien verkauft und mir bei dem ersten Dresdener Schneider, demselben, der für den Hof und die vornehmen Engländerinnen arbeitet, bei dem habe ich mir die nötige Garderobe bestellt … Du mußt auch nicht erschrecken über die Holzpantinen,« fügte sie ein wenig verlegen hinzu, denn sie hatte bemerkt, daß deren Klappern ringsum Aufsehen erregte. »Die kommen aus Paris und sind das Allermodernste, hat er gestern gesagt … Und weil doch so'n Schmutz ist – nicht wahr, du bist mir nicht böse?«

›Die Liebe, die Holde!‹ dachte er. ›Und so was soll man verlassen!‹

Als sie zu Hause anlangten, begann erst ein großes Bewundern.

»Also das sind Gobelins? Echte und wahrhaftige Gobelins? … In der Dresdener Galerie sind ja auch welche. Die Raffaelschen, du weißt. Aber daß ein Privatmann so etwas besitzen kann, das habe ich mir niemals vorgestellt. Und all die orientalischen Teppiche! O Gott, o Gott, wie ärmlich muß es dir immer bei mir erschienen sein!«

Und dann das Eßzimmer mit seinem gebuckelten Schnitzwerk! Und das Schlafzimmer gar mit dem weiß-goldenen Waschtisch, vor dem einst Königinnen in edler Nacktheit gestanden hatten!

»Hier werde ich vor lauter Ehrfurcht kein Auge zumachen!«

Als dann schließlich das Atelier seine Pforten auftat, wurde sie ernst und schweigsam. Mit großen, andächtigen Augen maß sie die rundum lehnenden Bilder. Jedes bekannte grüßte sie mit froh erschrockenem »Ach!«, und über die Kante der Staffelei, auf der der begonnene Herkules stand, strich schüchtern ihre liebkosende Hand.

»Und wer ist die Frau, die ihm das Kleidungsstück hinhält?« fragte sie, indem sie den Blick die eben angelegten Linien entlanggleiten ließ, die die Absicht kundtaten, ihr Ebenbild zu umreißen.

Zögernd sagte er: »Das soll – Dejanira werden.«

Sie stutzte. »Dejanira?« Nachdenklich sah sie ihn an, während ihr Kopf arbeitete, um sich den Lauf der alten Sage zu vergegenwärtigen.

»Etwas Dreiteiliges hatt' ich im Sinne,« wiegelte er ab, »aber vielleicht lass' ich es liegen, wie tausend andere Dinge.«

Und dann trat wohlgefällig und beflissen Frau Rhein herzu und meldete, daß das Mittagessen bereit sei. Eine richtiggehende Frau im Haus – etwas Ähnliches war ihr noch niemals begegnet. Brigitte schüttelte ihr herzhaft die Hand, und schon war ihre Seele gewonnen.

Als sie bei Tische saßen, erzählte er, welch ein Plan in der Luft schwebte. Alle hätten sie zugesagt und ahnten noch nicht einmal, eine wie große Überraschung ihnen bereitet war.

Brigitte erschrak heftig.

»Hast du dir auch überlegt – –?«

»Alles habe ich überlegt. Wer von ihnen dich noch nicht kennt – und das sind ja die meisten – soll endlich wissen, wen ich zur Frau habe.«

Sie langte dankbar nach seinem Arm hinüber und sprach nicht weiter davon.

Aber um die Vesperzeit begann in der Küche ein großes Rumoren. Ins Theater gehen? Keine Idee. Hausfrauenpflichten lägen vor, denen die gute Frau Rhein durchaus nicht gewachsen sein würde. Torten wurden gebacken – Fische bestellt – zwei Rehrücken kamen – Bouillon siedete, um den Kochherd für morgen zu entlasten. Singend huschte sie hin und her, und Frau Rhein, die ziemlich bequem geworden war, segnete ihr Erscheinen.

Das Bereiten der Tafel am nächsten Morgen wurde ein neues Fest. Blumen in Schalen – Blumen verstreut – alles schmückte sich wie von selber. Sektkelche reichten nicht aus? Wutsch, war sie weg – hinab in die fremde Stadt. Und nach einer halben Stunde schon wieder da, die Tasche mit Glaszeug unter dem Arme. Tischkarten fehlten? Weg war sie schon wieder. Da! Hübsch goldgerändert, wie sich's gehörte. Nur das Namenschreiben mußte er selber besorgen. Aber für das Setzen der Paare hatte sie feinen Instinkt, obwohl ihr das Netz der Beziehungen fremd war.

Und dann, als der Weißwein kalt und der Rotwein warm stand, als sie ihr neues, rostrotes Kleid trug, das dem Oberschlesischen Eisenbahnbedarf sein Dasein verdankte und aus dem das hellblonde Haargekräusel wie eine Lichtwolke hochstieg, dann durften die Gäste kommen.

Und sie kamen. Kamen und machten sehr große Augen. –

Glückstrahlende Begrüßung und öliges Lächeln. – Nur hier und da trafen zwei heimliche Blicke sich: ›Was soll das bedeuten?‹

Aber sie, in stolzer und harmloser Hausfrauenfreude, nahm alles für echt und liebte sie, wie sie da waren.

Frau Naschke, eine starke, noch hübsche Blondine, bei der sie ja einstmals verkehrt hatte, drückte sie mit einer Art von süßsaurer Mütterlichkeit an ihren prallgeschnürten Busen. Frau Meta Isenberg, niedlich und schwatzhaft wie immer, bat um den Vorzug, ihr bei ihrem Eintritt in die Gesellschaft Führerdienste zu leisten, und Frau Nelly Friedenthal gar, deren dünnlicher Grazie die Niedertracht aus allen Knopflöchern sah, begehrte sie stürmisch zur Freundin.

Ihr Mann aber stand in der Ecke, wiegte prophetisch den düsteren Lassallekopf und maulte.

Bei Tisch war es wie immer bei Tische. Die gute Laune entzündete sich, die Gespräche wuchsen zum Lärm, und alles schien selig.

Brigitte hatte sich Naschke zum Tischherrn gewählt und Friedenthal als Steffens ältesten Freund an ihre Rechte gesetzt.

Jener machte betuliche Scherze, und dieser erging sich in anteilnehmenden Fragen – forschte nach Eltern und Kindern, nach erster Ehe und Schulzeit und war höchlich erstaunt, als er erfuhr, daß sie das Lehrerinnenexamen gemacht und akademische Kurse gehört hatte. Sie plauderte aus, was ihr nur irgend zu Sinn kam, ohne Ahnung davon, welch unbarmherziger Prüfung sie unterworfen wurde; nur von ihrem Schriftstellern schwieg sie, weil sie sich unwürdig fühlte, davon ein Aufhebens zu machen.

Immer glückseliger wurde sie, und als gar Isenberg aufstand und auf den neuen Stern am Himmel der Freundschaft einen poltrigen Toast ausbrachte, wäre sie ihm am liebsten gleich um den Hals gefallen.

Aber Steffen sah schärfer. Er beobachtete die schielenden Blicke nach ihr, er ahnte den Inhalt geflüsterter Zwischenreden, und je sieghafter ihr schüchterner Liebreiz erstrahlte, desto verbissener krampfte Mißgunst die Herzen der Frauen zusammen.

Nein, in diesem Kreise war nichts für sie zu hoffen! Er selbst hatte ihr die Stellung verdorben und mußte die Folgen tragen mit ihr.

Und als er wieder allein war, lehnte er wie bisher auch für sich selber jede Einladung ab.

Doch wenn die Einsamkeit ihm die Kehle zuschnürte, dann flog eine Depesche zu ihr hinüber: »Komm!« Und schon dem nächsten Zuge entstieg sie, lachend und leuchtend, genau wie beim ersten Mal.

Oder er selbst setzte sich auf die Bahn und stand binnen drei Stunden wohlig aufseufzend vor ihrer Tür.

Und immer war es das gleiche: Ein Jubelschrei, wenn nur sein Läuten ertönte, sechs Kinderärmchen, die in eifersüchtigem Verlangen sich nach ihm aufwärtsreckten, in den Kissen selig dröselnd ein Apfelgesichtchen, in dem die Züge der toten Mutter sich widerspiegelten, – Friede, Weichheit, Gutsein und sich lösende Sehnsucht.

An eine Scheidung wurde fürs erste nicht mehr gedacht.


 << zurück weiter >>