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Vierzehntes Kapitel

Fürs erste ging alles gut, und Steffen, der anfangs drauf gedrungen hatte, einen Nervenarzt zu Rate zu ziehen, wich ihren Bitten und ließ den Gedanken fallen; zudem mußte die sänftigende Stille des Landlebens das Ihrige tun, um alles wieder in Ordnung zu bringen.

Mit nie zu stillendem Eifer gab Brigitte sich den Aufgaben hin, die der lange verwaiste Gutshof seiner endlich über ihm waltenden Herrschaft tagtäglich stellte. Wenn sie auch keine gelernte Landwirtin war, so kam ihr doch immer zu Hilfe, daß sie als Gutsbesitzerstochter mit der Welt, die sie umgab, aus Kindheitszeiten vertraut war.

Und was sie anfaßte, gedieh unter ihren gesegneten Händen.

Ein jeder – vom Verwalter bis hinab zum letzten der Knechte – hatte sie lieb. Nie grollte sie, nie schalt sie, nie gab sie Befehle. Eine Bitte, ein lächelnder Wunsch, und alles geschah wie von selber.

Auch hatte sie einen untrüglichen Blick, den rechten Mann an die rechte Stelle zu setzen. Der Säufer verschwand nach dem Vorwerk hin, wo keine Schenke ihn in Versuchung führte, der Faulpelz wurde einem Tüchtigen an die Seite gestellt, und wer mit den Mägden im Graben lag, fand sich eines Tages als Ehemann wieder.

Jeder, der Sorgen hatte, kam zu ihr und ging getröstet von dannen. Und nur wenn ihr Gutsein störrischer Tücke begegnete, rief sie Steffen herbei, der dann als strafender Herrgott donnernd dareinfuhr.

Ihm selbst war das »Regieren« schon längst eine Last geworden, und wenn nicht alles am Schnürchen ging, sprach er sofort von Verkaufen.

Sehr ernst war diese Drohung nicht gemeint, denn sein Herz hing an Neuheide als dem Anker seines schwankenden Daseins.

Aber seine Arbeitsgier schien noch immer im Wachsen. Und was ihn hemmte und abzog, wurde zum Todfeind für ihn.

In den Atelierräumen, die Brigitte aus der Einsiedelei des Oheims für ihn hergerichtet hatte, hauste er wie der Zauberer in seiner Küche. Doppeltüren schlossen sie ab, und wehe dem, der ungerufen hinein wollte!

Nur Brigitte durfte allenfalls um ihn sein. Ja, manchmal sogar ging es nicht ohne sie. Dann mußte sie mit einem Buch oder einer Handarbeit still bei ihm sitzen und ihren Senf dazu geben, wenn er es wünschte.

Ihr Urteil wurde immer wichtiger für ihn, und oft zwang er nicht weiter, wenn sie ihm ihre Billigung nicht ausdrücklich dargetan hatte.

Fast schien es ihr, als ob die schöne, trotzige Sicherheit, in der er als Schaffender bisher seines Wegs gegangen war und der er recht eigentlich seine Erfolge verdankte, irgend einen Knacks bekommen habe. Aber wie oft und vorsichtig sie auch forschte, zu irgendwelchen Gründen gelangte sie nicht.

Da eines Tages, inmitten eines Anfalls von zweifelndem Unmut, kamen sie unversehens zum Vorschein.

Jene Stunde der Aussprache mit der untadligen Freundin, die immer noch quälend in ihr fortwirkte, war durch einen ähnlichen Freundschaftsdienst auch ihm zum Unheil geworden.

»Was hilft's, daß man sich abrackert und Blut schwitzt über all seinem Können!« polterte er los. »Wenn man nicht schöntut vor den Machern der Mode, wird man schließlich doch zum alten Eisen geworfen.«

Erschrocken bat Brigitte ihn um Erklärung, denn Töne gleich diesen hatte sie noch niemals aus seinem Munde vernommen.

»Was wird sein? Was wird viel sein?« hohnlachte er. »Unsere Kunst ist ihnen nicht mehr gut genug. Übern Rhein ist eine neue Heilsbotschaft gekommen, da sollen wir partout hinterher. Als ob ich mir das nicht längst an den Schuhsohlen abgelaufen hätte. Aber die Herren Krämer wittern Morgenluft. Neue Geschäfte sind zu machen. Und die Preßbonzen geben die Parole gehorsam weiter, ohne zu ahnen, daß sie die Genasführten sind.«

Brigitte verstand von dem allem nicht eine Silbe, und er fuhr fort: »Maxel natürlich macht mit. Die ganze Kritikerschaft macht mit. Und wer nicht zu Kreuze kriecht und um die Gnade bittet, hinterherschwänzeln zu dürfen, der ist geliefert. Der kann seinen Malkasten einpacken und in Pension gehen, dorthin, wo die Kitschfabrikanten von Anno Tobak als Großpapas ihre Rente verzehren.«

»Bitte, bitte, sprich doch endlich vernünftig,« mahnte Brigitte.

Also, was war geschehen?

Maxel hatte ihm von der Gründung einer neuen Gruppe berichtet, die unter der Führung eines Vielgenannten, Vielgewandten die Forderungen der empörerischen Jugend aufzufangen und zu einem alles niederreißenden Strome zu sammeln gedachte. Wenn er klug sei, so werde er nicht verfehlen, bei ihr Anschluß zu suchen. Zwar habe man bisher nicht die Absicht geäußert, ihn hinzuzuziehen, aber Maxel, der gute Beziehungen hatte, wolle das Seinige tun, eine Verbindung anzubahnen, so daß er, gleichsam mitverjüngt, an dem Siegeszuge der Jugend teilnehmen dürfe.

»Und wenn die Jugend nischt kann, wie es meistens der Fall ist?« hatte er gefragt.

Aber Maxel war der Meinung gewesen, dann werde sein Können sich umso leuchtender davon abheben, während es in der endlosen Bilderwüste der Großen Ausstellung zu allmählichem Unbeachtetsein verurteilt sei. Ja, noch schlimmere Wendungen hatte er gebraucht, bedachtsam zwar, um ihn nicht zu verwunden, aber mit den unverkennbaren Merkmalen abflauender Schätzung und heimlichen Entfremdetseins. Und das alles unter dem Deckmantel einer rührig sorgenden Freundschaft, die kein höheres Streben kannte, als dem Gefährten früherer Zeiten einen Platz an der Sonne zu sichern.

»Ist es nicht schon eine Haarigkeit,« schalt Steffen weiter, »einem zu Gemüte zu führen, daß man so eine Sorge überhaupt braucht? Warum lassen sie mich nicht arbeiten wie bisher? Daß ich mich je zum Routinier erniedrigen werde, das glaubt selbst mein bitterster Feind nicht. Gelegenheitsdreck habe ich noch nie zu Markte getragen. Aber mir ahnt allerhand. Zu groß bin ich ihnen geworden, und wenn sie mich hier auf meinem Herrensitz sehen, dann packt sie erst recht eine Mordswut. Die Türen verschließen – das wäre das Richtige gewesen.«

Brigitte versuchte ihn zu beruhigen. Sie meinte, er nehme das alles viel zu schwer, und vielleicht sei es auch wirkliche Freundschaft gewesen, die Maxel bewogen habe, ihm jene Vorschläge zu machen.

»Im übrigen«, fuhr sie fort, »kannst du dich mit mir trösten. Auch mir hat jener Vormittag keinen Segen gebracht.«

»Was war mit dir?« fragte er, argwöhnisch werdend. »Hat die kleine Canaille Gift gespritzt?«

»Laß, laß,« bat sie. »Wenn du gut zu mir bist und an deinen Bildern Freude hast, dann gibt es kein Gift, das mir was anhaben könnte.«

Darauf nahm er sie in den Arm, streichelte sie ein wenig und kehrte in neubelebter Zuversicht zu seiner Arbeit zurück. –

Der Sommer, der diesen Begebnissen folgte, war lichter Tage und fröhlicher Abende voll.

Gäste kamen und gingen, und Steffen gab in seiner gewalttätigen Weise wohl acht, daß Brigitte sich nicht übernahm. Er trieb sie aus der Küche hinaus, wenn sie gerade ein kulinarisches Wunderwerk ausprobierte, und schloß sie dann im Schlafzimmer ein, so daß sie sich wohl oder übel ausruhen mußte. Dies Verfahren trug gute Früchte, und ein Anfall fand sich fürs erste nicht wieder.

Als die Schulferien begannen, setzte der Wagen eines Nachmittags die beiden älteren Kinder ab, die seit dem Jahre von Attas Geburt Neuheide nicht mehr betreten hatten.

Das war ein Staunen, ein Jubeln, ein Verzaubertsein ohne Ende. Und Brigitte tat's ihnen gleich. Sie erlebte alles Werden noch einmal durch sie, und wer beobachten konnte, wie sie mit ihnen, in Mutterfreude erglühend, die Arme zärtlich um ihre jungen Schultern geschlagen, von einem Platze zum anderen zog, erklärend, ans Herz legend und stets darauf bedacht, Papas Taten zum Himmel zu heben, der erkannte wohl, wie schwer sie an dem Opfer trug, das sie mit der Preisgabe der beiden der Gattenliebe gebracht hatte.

Ein großes Glück war es, daß in den heranreifenden Gemütern keine Spur von Bitterkeit über ihr Ausgeschaltetsein sich vorfinden ließ. Froh und anschmiegsam flogen sie wie ihrem Mammi auch dem Vater entgegen. Zweifellos nahmen sie als Fügung des Himmels hin, was sein Verlangen nach Unbeirrtsein grausam genug ihnen angetan hatte.

Und Schaden erlitten sie offenbar nicht. Ob auch das Mutterauge nur selten auf ihnen ruhte, unter der Obhut ehrsamer und gutherziger Leute entwickelten sie sich in seelischem Gradwuchs unbekümmert den Jahren entgegen, in denen das Schicksal über künftige Artung seinen entscheidenden Spruch fällt.

Kurt, der auf der Quarta saß, wußte sich für Menschheitsrechte zu begeistern und fand in dem Tod auf dem Schlachtfelde das allein erstrebenswerte Ziel. In Susi gar, die unter lichtblondem Haarschopf Mutters rosige Blütenhaut leuchten ließ, entrollte werdende Jungfräulichkeit bereits ihre Schmetterlingsflügel.

Freunde und Freundinnen kamen bald hinterher. In den Korridoren und zwischen dem Fliedergesträuch gab es ein Tollen, ein Lachen, ein Singen und Wichtigtun ohne Ende.

Wenn Steffen von seiner Arbeit aufschaute oder ermattend das Handwerkszeug sinken ließ, dann dachte er wohl, nach dem lieben Lärm hinauslauschend: ›So sieht das Glück aus.‹

Aber nie versäumte er hinzuzufügen: ›So könnte es aussehen.‹

Denn der Glaube daran, seinen Weg verfehlt zu haben, in Nichtigkeiten verfangen zu sein, saß viel zu fest im Innersten seines Wesens, als daß er wieder ganz frei und ganz froh hätte werden können.

Und dennoch geschah es oft genug, daß er, beinahe wunschlos gestimmt, sich schwelgend dem Genusse des Augenblicks hingab.

Die Morgenfrühe mit ihrem Rotdunst in Busch und Gezweig, die Mittagsstille mit ihrer Lichtflut über Wiesen und Heiden, in der zu versinken die ganze Welt versunken sein hieß, und dann die Dämmerstunde mit ihrem Feierabendgeläut in müdgewordener Seele, das alles bot des Glückes zu viel, um nicht zu löschen, was an Sorge und Hader im Herzen wohl brannte.

Nicht ferne vom Gutshof, zu Wagen in einer Viertelstunde erreichbar, lag ein See, weit hingedehnt zwischen Rohrgemäuer und Erlendickicht.

Dorthin ging mit großem Getöse, mit Aufeinandersitzen und Ellbogengeschubse allabendlich die jauchzende Fahrt.

Dicht vor dem Röhricht, dem offenen Wasser zugewandt, war auf Pfählen eine Hütte gezimmert, durch eine Bohlenbrücke vom Ufer aus zu erreichen. Eine Zwischenwand teilte sie in zwei Kabinen. Die eine für alles, was männlich war, die andere für das, was sich zum Weibtum bekannte. Davor eine Plattform, von der man auf Treppenstufen zum Wasserspiegel hinabstieg, und längs dem Geländer eine dreiteilige Bank als Rast und als Ausguck.

Brigitte badete nicht, weil ihr Herz es nicht aushielt. Und wenn Steffen seine Schwimmtouren hinter sich hatte, dann setzte er sich im Bademantel neben sie, und beide schauten dem tobenden Volke zu, das sich natürlich vom Wasser nicht trennen wollte.

Die weißschimmernden Kinderleiber, jeder von einem Springquell funkelnden Silbers umhüllt, die enzianblauen und veilchenfarbenen und bis zu purpurnem Feuer aufglühenden Tinten des Sees, das goldgrüne Schilf als Rahmen ringsum, das in Blut zerflossene Oval der niedertauchenden Sonne – Entlein und Möwen in schwarzem Gestrichel über den erlöschenden Himmel huschend – das alles zusammen bot ein Bild, in dem die Gefilde der Seligen nicht mehr bloß als Sehnsucht und Wunschtraum die Seele durchirrten.

Dann packte Steffen wohl Brigittens Hand, wie er zu tun pflegte, wenn an ihrer Seite ihm das Herz weit zu werden begann, und glaubte, mit ihr verschmolzen zu sein in dem einen Gefühl: so ist es schön, und schöner kann es nicht werden.

Oder konnte es doch? Es sollte ja. Es mußte ja.

Zum Gipfel seines Daseins ist im Vollbewußtsein des Erreichten noch nie ein Mensch geklommen. Immer noch scheint es höher zu gehen, immer noch sind die Möglichkeiten des Glücks und der Macht nicht ausgeschöpft, immer noch mischt ein Bodensatz von Not und Angst sich selbst in den süßesten Trank, den die Stunde des Wohlseins zu bieten vermag.

Brigittens Glücksgefühl lag sicherer eingefügt in dem Untergrund ihres Gemüts. Die Heiterkeit, die ihr ganzes Wesen durchtränkte, hätte auch bei minderer Gunst des Schicksals ihr Daseinsrecht behauptet. Und wiewohl das Grausen jener Plauderstunde mit der wohlmeinenden Freundin als leise Bitternis immer noch weiterwirkte, so gab sie sich doch ohne Rückhalt den Segnungen des friedlichen Lebens hin.

Die liebste Zeit des Tages waren ihr die Spätabendstunden, wenn die Kinder zur Ruhe gegangen waren, wenn Steffen mit den jeweiligen Gästen in den umdunkelten Gängen des Parkes umherschwärmte – manch ein angesponnener Flirt mochte dabei zum Austrag kommen – und wenn nur das Flüstern eines nahen Rinnsals, das über ein zweihandhohes Wehr sich seinen Weg zum Weiher bahnte, die Geleitmusik gab.

Und wenn sie einsam auf der Terrasse saß, den Blick in den Sternen verloren, dann streifte die schon lange geknebelte Phantasie ihre Fesseln ab, und die Hoffnung erwachte von neuem, der Bilderwelt, die unertötbar in ihr lebte, dichterische Form zu verleihen.

Unermeßlich war der Reichtum, der aus geheimnisvollen Tiefen zu allen Zeiten emporstieg. Aus jeder Geschichte erwuchsen zehn andere, aus jeder Gestalt wurde ein vielfiguriger Reigen. Das Wirbeln, das Drängen, das ewige Gebären überwältigte sie fast und machte sie selig und krank.

Dazwischen erklangen Verse. Ungewollt, ungerufen waren sie da. Man hatte nur nötig, sie niederzuschreiben. Ebenso wie die Pläne, die in Luft zerfließen mußten, wenn man ihnen nicht festere Wirklichkeit gab.

Doch dafür fehlte die Zeit. Zu viel Pflichten brachte der Tag, zu viel Menschen lauerten darauf, betreut und versorgt, erheitert und unterhalten zu sein. Die Wirtschaft, die Kinder, die Gäste, alle wollten ihr Teil. Und mehr noch er, Steffen, mit dem halbheimlich zusammenzuhocken den Höhepunkt jeglichen Tages bildete.

Aber selbst dieses Glück ließ die Sehnsucht nicht schweigen, wieder einmal man selber zu sein. Sie war da und mahnte und bat und warf ihre Netze in irgend eine blaue Zukunft hinein, in der von selber frei werden mußte, was jetzt vergebens um Erlösung rang.


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