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Zweiunddreißigstes Kapitel

Wenige Tage später trat zwar nicht die kleine Canaille, aber ihr Maxel in die Erscheinung.

Brigitte trug ihm schon lange keinen Groll mehr nach und empfing ihn so herzlich, wie es dem ältesten Freunde ihres Mannes gegenüber geziemte.

»Aber warum hast du dich vorher nicht angemeldet?« fragte sie. »Nun ist Steffen gerade nicht zu Hause.«

»Ich komme auch gar nicht zu Steffen,« sagte er, »ich komme zu dir.«

»Ach nein,« rief sie lachend, »was kannst du von mir armer Person wohl wollen?«

Dabei gewahrte sie, wie sehr er sich in letzter Zeit verändert hatte. Wenn man die Freunde nach langer Pause wiedersah, schienen sie alle Ruinen gleich, er aber war insbesondere zermürbt und verfallen. Lang, schmal und krumm schritt er daher. Von dem schönen Lassallekopf war nicht viel mehr übrig. Die Hakennase saß wie ein Geierschnabel zwischen den eingesunkenen Backen, die Unterlippe hing müde herab, und nur die Augen hatten den alten Himmelsglanz bewahrt.

Sie bot ihm Platz an und wartete, daß er beginne. Aber er mahlte mit den Zähnen und schwieg.

»Na, na, Maxel,« tröstete sie im voraus, »so schlimm wird's doch nicht sein.«

»Sie ist mir diese Nacht durchgebrannt,« knirschte er vor sich hin.

»Um Gottes willen!« rief sie, »warum denn?«

»Nicht wahr?« sagte er. »Das hätte sie vor zwanzig Jahren schon haben können. Jetzt geht das doch gar nicht mehr. Jetzt ist das bloß 'ne Blamage. Wenn's mir nicht passiert wäre und ich schriebe darüber ein Feuilleton, dann würd' man sich bucklig lachen.«

»Nun sag mir bloß den Grund, Maxel.«

»Grund! Grund! ›Gründe‹ mußt du sagen! Denn solche Dinge haben immer einen Plural als Basis. Und es ist sehr gut, daß dem so ist. Wär's einer, dann gäbe es vielleicht Tragik. Da es aber soundsoviele sind, mit denen sie herumulkt – – denk dir! – bei ihren Fünfundvierzig –«

›Na, na,‹ dachte Brigitte und rechnete im stillen noch ein paar Jährchen hinzu.

»– so brauch' ich die Sache durchaus nicht ernst zu nehmen.«

Schon wieder hatte Brigitte ein leises Bedenken, denn soviel Weltwissen besaß sie doch, um auch hinter diesem Rauche ein Feuer zu suchen.

»Aber denk dir die Geschmacklosigkeit!« fuhr er fort. »Da war so ein junger Laffe gestern bei Oppenheims, mit dem hat sie sich nach Tische in ein halbdunkles Zimmer gesetzt und Gesellschaft Gesellschaft sein lassen. Beim Abschiednehmen mußt' ich sie mir erst mal zusammensuchen. Meinst du, daß so was geht?«

»Nu, lieber Gott,« sagte Brigitte, die schon bereit war ihr beizuspringen.

»Als wir zu Hause ankamen, machte ich ihr erst mal den Standpunkt so klar, wie Männer in meiner Lage – sie ist nicht sehr ehrenvoll, diese Lage! – es eben können. Und was sagt sie? ›Ich bin eine Künstlerin‹, sagt sie, ›und wünsche das Leben einer Künstlerin zu führen‹ … Dabei ist es beinah schon ein Vierteljahrhundert her, daß sie zum letztenmal auf der Bühne stand … ›Und ich wünsche, daß du dich anständig benimmst,‹ erwiderte ich. ›Wem mein Benehmen nicht paßt, der läßt es eben bleiben,‹ sagt sie und rennt in den Korridor. Ich hör' noch die Tür klappen – und weg ist sie … Was kann man da tun?«

Hierüber war in Brigittens Seele kein Zweifel. »Man muß sie zurückholen,« sagte sie.

»Wenn man nur wüßte, wo sie ist! Außerdem will ich sie gar nicht mehr. Ich muß meine Ruhe haben.«

Brigitte lächelte zweifelnd. »Doch, doch, du willst sie,« erwiderte sie. »Wenn man nicht weit vor der silbernen Hochzeit steht, dann behält man die Frau schon für immer, so gut, so schlecht, wie sie ist. Frag man Steffen, der denkt auch nicht mehr dran, sich scheiden zu lassen.«

»Ach du! Du bist ein Engel!« rief Maxel voll Inbrunst. »Wer dich hat!«

Und Brigitte sprach im stillen zu ihm: ›Hättst du das nur immer gedacht, mir wäre im Leben viel Leid erspart worden!‹ Aber sie hütete sich wohl, diesen Gedanken laut werden zu lassen. Nun er selber in Not war, wäre das ein billiger und unschöner Triumph gewesen.

Zugleich kam ihr ein helfender Einfall. »Hör, Maxel,« sagte sie. »Ich hab' so die Idee, sie wird sich bei mir melden. Wenn nicht anders, um sich etwas Geld zu leihen. Denn viel Geld haben wir Frauen ja niemals bei uns, wenn wir mit unseren Männern zusammen aus sind … Na, und das übrige, denk' ich, das wird sich von selber ergeben.«

In aufquellender Dankbarkeit griff er nach ihren Händen. »Brigitte!« rief er, »du liebe Brigitte!«

Und dann, wie in einer plötzlichen Eingebung: »Also Steffen ist nicht zu Hause?«

»Nein, Steffen ist nicht zu Hause.«

»Kann man vielleicht mal – 'n bißchen 'reingucken bei ihm? Bloß damit man auf andere Gedanken kommt! Es wär' wirklich eine Wohltat für mich.«

In Brigitte blitzte es hell auf. ›Ach,‹ dachte sie, ›ein paar Vorwürfe nehme ich später schon mit in den Kauf!‹ Und laut sagte sie: »Er liebt es zwar nicht, daß man ohne ihn oben herumstöbert, aber – da du es bist!« – –

»Sieh mal an!« rief er, vor den mythologischen Herrschaften stehend. »So importante Aufträge hat er. Und mir sagt er gar nichts davon?«

»Ihr sprecht ja schon lange nicht mehr über das, was er macht.«

»Westen Schuld ist das? Schließt er nicht schon seit Jahren zu vor mir?«

»Das kannst du ihm nicht verdenken, Maxel. Da du ein paarmal recht lieblos über ihn geschrieben hattest – –«

»Was heißt lieblos? Man ist doch nicht etwa bestechlich! Wenn der heilige Geist der Sachlichkeit über einen kommt, da gibt es denn keine Freundschaft – und da haut man wohl auch mal daneben … Aber sag doch, was ist das hier?«

Eifrig gab sie die nötige Auskunft.

»So, so! Ist nicht möglich! So, so!«

Stillschweigend sah sie zu, wie sein Hirn zu arbeiten anfing. Sie wußte, der nächste Artikel wurde geboren.

Und dann rief er in plötzlichem Rückfall: »Um Gottes willen! Um Gottes willen! Wo mag sie bloß stecken? Und das ganze Farbenmagazin hat sie vergessen! In ihrer wirklichen Couleur erkennt sie ja kein Mensch!«

»Umso besser,« sagte Brigitte.

»Da hast du eigentlich recht,« bestätigte er und sah sie nachdenklich an, als gingen ihm über ihre Intelligenz die Augen erst auf.

Zum Schluß wurde ausgemacht, daß jeder den andern telephonisch benachrichtigen solle, sobald die Entflohene ein Lebenszeichen von sich gegeben hätte, um gemeinsam das Nötige in Erwägung zu ziehen. – –

Und zwei Stunden später meldete Loni, Frau Doktor Friedenthal sei da und wünsche gnä' Frau sehr dringend zu sprechen.

Die fortgelaufene Nelly trat ein, und jetzt war sie gar keine kleine Canaille mehr, sondern in Blick und Miene ein hochgemutes, zum Äußersten entschlossenes Heldenweib. – Übrigens leuchtete sie auch jetzt wie ein Paradiesvogel. Was sich an Barem im Pompadour vorgefunden, hatte wohl schon in der Frühe seine guten Dienste getan.

»Wo bist du die Nacht über gewesen?« fragte Brigitte.

»Du weißt?«

Brigitte bejahte.

»Nun, dann brauch' ich ja vor dir auch nichts zu verhehlen. Ich bin frei. Frei bin ich. Endlich bin ich frei. Diese Sklaverei hat ein Ende. Endlich kehr' ich zu meiner Bestimmung zurück.«

»Zu welcher Bestimmung?« fragte Brigitte.

»Das weißt du nicht? … Als ich damals so wahnsinnig war, meiner Kunst den Rücken zu drehen – denn diese elende Stundengeberei, die rechne ich nicht –, da glaubte ich, ich würde nach einem kurzen Intermezzo zu ihr zurückkehren … aber noch ist es Zeit! … Ich werde mit Jubel empfangen werden – Ehrenpforten wird man mir bauen – und wenn ich erst die Bretter betrete – –«

»Aber das kannst du ja von Maxels Hause aus auch. Er wird dir kein Hindernis in den Weg legen.«

»Nie mehr überschreite ich jene unselige Schwelle. Nie mehr!«

Kühner werdend sagte Brigitte: »Maxel ist nämlich hier gewesen. Ach, er war so lieb! Er rief immerzu: ›Ach Gott, ach Gott, wie mag's ihr bloß gehen?‹ Wir wissen ja beide, wie gutherzig er ist.«

»Das sind sie alle, diese Juden!« rief Frau Nelly. »Bloß wenn – –«

»Für dich paßt sich der Antisemitismus nun wirklich nicht,« unterbrach sie lachend Brigitte.

»Ich bin's ja sonst auch nicht. Bloß, wenn er mich sekkiert, dann kommt bei ihm das semitische Blut zum Vorschein.«

»Und er war noch so besorgt,« verteidigte Brigitte ihn weiter. »Sogar an deine Stifte hat er gedacht und gemeint, man müsse sie hinter dir herschicken.«

Frau Nelly erstarrte. »Was – für Stif–te?« Dieser Versuch, die Ahnungslose zu spielen, mißlang, denn zugleich kamen die Tränen ihr. Doch nicht für lange. Erschreckend besann sie sich wohl, daß eine »zurechtgemachte« Frau nie weinen darf, und darum tupfte sie mit dem Taschentuch vorsichtig um die schwarzberänderten Lider herum, die verheerenden Spuren der Rührung rasch zu vertilgen, noch ehe sie Furchen ziehen konnten.

Und nun saß sie da, einer Meduse gleich und schielte giftig ins Leere.

»Mit dem jungen Mann gestern abend«, fuhr Brigitte fort, »hatte er vielleicht nicht ganz unrecht. Ich würde an deiner Stelle meine Flirts immer im stillen abmachen. Was braucht die Welt um solche Dinge zu wissen?«

»Der junge Mann will mich heiraten,« trotzte sie wie ein Backfisch.

»Das sagen sie immer zu den Müttern, wenn sie ihnen den Hof machen, und hernach, wenn's drauf ankommt, dann heiraten sie die Töchter.«

Nun wurde sie aber ernstlich böse. »Was du da redst! Ganz ungewaschenes Zeug! Ich hab' doch gar keine Tochter.«

»Ich weiß das. Aber 'n Mann hast du. Und das ist ein lieber und guter und nachsichtiger Mann. Glaubst du, mein Steffen würde geduldet haben, was du jetzt treibst, als ich noch so verführerisch schlank war wie du?«

»Warst du niemals!« stellte sie fest und machte vor lauter Nachdruck ein Doppelkinn.

»Das ist richtig. Ich hatte höchstens nur immer die berühmte Rubensfigur … Aber nun komm! Ich setz' mir bloß noch den Hut auf, und dann fahren wir dich zu Maxel nach Hause.«

»Ich – ich – ich – –«

»Ich weiß, ich weiß! Oder vielmehr: ich weiß gar nichts. Denn das mit der unseligen Schwelle hab' ich schon längst wieder vergessen. So was sagt man wohl im ersten Zorn, aber hernach, wenn man sich ein bißchen beruhigt hat –«

»Ich hab' mich noch gar nicht beruhigt.«

»Doch, doch, du hast. Und dadurch wirst du auch wieder die volle Herrschaft über ihn ausüben.« – –

Eine halbe Stunde später war alles in Ordnung. Maxel hatte verziehen oder vielmehr: die kleine Canaille hatte verziehen. Und als sie Brigitte zur Garderobe hinausgeleitete, sagte sie in dem ungewohnten Überschwang ihrer Gefühle: »Du hast heute manches für mich getan, und dafür will ich dir auch was Gutes tun und dir einen sehr nötigen Rat geben: Nimm dich vor der Person in acht, die da neulich bei euch aufgetaucht ist. Sonst wird sich da was entwickeln, was dir sehr übel heimkommen kann.«

Aber Brigitte lachte nur sorglos. »Was du dir denkst! Ich kenne doch meinen Steffen.«

Da hob die kleine Canaille schlußmachend die Achseln, als wollte sie sagen: ›Der ist nicht zu helfen. Die ist zu dumm.‹


Etliche Tage später erschien in der großen Tageszeitung, der Maxel seinen Einfluß verdankte, aus seiner Feder ein Aufsatz, der den geheimnisvollen und aufreizenden Titel führte: »Gebt ihnen Wände!«

Darin war die Ansicht ausgesprochen, daß das ganze Chaos der modernen Kunstbestrebungen nur daher komme, daß unsern Malern keine großen dekorativen Aufgaben mehr gestellt würden. Andernfalls wäre die Kunst zwangsläufig den schulmäßigen Weg weitergegangen, den ihr zu ihrem Heile einst die kirchlichen und weltlichen Fürsten gewiesen hatten. Ein historischer Rückblick gab der These das überzeugende Schwergewicht. Mit Giottos Assisifresken und Raffaels Stanzen wurde begonnen, dann folgte eine Aufzählung der bekanntesten Dekorationsstücke aus den seither verflossenen Zeiten. Über Correggios Kuppelausmalung und den Dogenpalast schritt sie weiter bis zu den Genovevabildern des Pantheons und Kaulbachs gemalter Geschichtsphilosophie. Sodann war die Gegenwart in Betracht gezogen, die den Künstlern von Jahr zu Jahr spärlichere Wohltaten streue, so daß, da dem Werdenden ja doch keine Hoffnungen erblühten, das wüsteste Sansculottentum habe Platz greifen können. Nur hie und da finde sich noch eine Aufgabe, die des Schweißes der Edlen wert sei. An Erlers Wiesbadener Kurhausbilder wurde erinnert, an Kampfs und einige andere Fresken, um zu beweisen, daß auch der Jetztlebenden schöpferische Phantasie Problemen höchster Gestaltungsart durchaus gewachsen sei.

Und ganz zum Schluß, scheinbar absichtslos hingeworfen, wußten einige Zeilen von dem großen Zyklus zu erzählen, der unter den Händen Steffen Tromholts seiner Vollendung entgegenreife.

Kein Wort des Lobes schloß sich daran. Auch der Platz, für den die Bilder bestimmt waren, wurde wohlweislich verschwiegen, denn der bloße Name des Schlosses, das dem Vielbeneideten bis vor kurzem gehört hatte, würde ausgereicht haben, um neue Mißstimmung gegen ihn zu erwecken.

Dieser Artikel machte aus verschiedenen Gründen erhebliches Aufsehen, und plötzlich sah Steffen sich wieder in die erste Reihe der Schaffenden gerückt.


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