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siehe Bildunterschrift

Brenn-Nessel, Urtíca úrens L.

Zu den gemeinsten und wehrhaftesten Schuttpflanzen gehören unsere Brenn-Nesseln. Während bei der großen, 1 m Höhe erreichenden Nessel (U. dioeca) Staub- und Griffelblüten auf verschiedene Pflanzen verteilt sind, sitzen sie bei der kleineren, auf unserer Tafel abgebildeten Schwester einhäusig auf demselben Stocke, und zwar gesondert in achselständigen Ährchen. Die Staubblätter umgiebt ein vierteiliges grünes Perigon, an den Fruchtblütchen lassen sich zwei kleine Kelch- und zwei größere Kronenblätter unterscheiden. Die Staubblätter verstreuen ihren Pollen mittels eigentümlicher Schleuderbewegungen. Sie liegen in der geschlossenen Blüte nach innen gekrümmt, so daß die Antheren mit der Vorderseite gegen die Basis ihrer Träger, mit den Rückseiten gegen einander gepreßt sind, streben aber infolge der ihnen innewohnenden Spannung, sich geradezustrecken. Sobald das im Sonnenschein sich öffnende Perigon sie von der einzigen Hemmung befreit, schnellen die vier Staubblätter auseinander und schleudern aus den gleichzeitig geöffneten Antheren den Pollen in Gestalt kleiner Staubwölkchen hervor. Der fast immer vorhandene Lufthauch trägt ihn auf die Narben desselben oder eines benachbarten Stockes. Es ist bemerkenswert, daß die große Nessel, die wegen ihrer Zweihäusigkeit nicht so sicher auf Bestäubung rechnen kann, einen ausdauernden, kriechenden Wurzelstock besitzt, während die beiden kleineren Arten, die Brenn-Nessel und die seltenere pillentragende (U. pilulífera), einhäusig und einjährig sind.

In die Nesseln zu geraten, mag höchstens für einen bußfertigen Sünder von Gewinn sein; denn sie haben ihr Möglichstes gethan, um sich jeglichen Besuch vom Leibe zu halten. »Dat Krut kenn ick, säd de Düwel« – setzte sich aber trotzdem hinein. Von der Wurzel bis zu den Perigonblättchen ist es mit zahlreichen, einzeln stehenden Brennhaaren bewehrt, einzelligen Auswüchsen der Oberhaut, deren spröde, mit Ameisensäure gefüllte Spitzen bei der leisesten Berührung in die Haut dringen, abbrechen und ihren ätzenden Inhalt in die Wunde ergießen. Das genügt schon als Schutz gegen pflanzenfressende Säugetiere, aber nicht gegen die Schnecken, denen die weitläufig stehenden Brennhaare das Ankriechen und Nagen höchstens erschweren, aber nicht unmöglich machen. Sie werden durch kurze, mit den Spitzen abwärts gerichtete Borstenhaare des Stengels ferngehalten. Nur die Raupen gewisser Tagfalter aus der Gattung Vanessa lassen sich durch diese doppelte Schutzwehr nicht abhalten. Auf der großen Nessel lebt die Raupe des Tagpfauenauges, auf der kleinen die des Fuchses; auch die Raupe des Admirals nährt sich von Nesselblättern.

Als Schutzmittel gegen den Blitz und die Behexung des Viehs, zur Vertreibung von Krankheiten und als Schönheitsmittel für Mensch und Tier stand die Nessel früher in hohem Ansehen. Sie half gegen Milzbeschwerden, Podagra und Nasenbluten; ihre flachen, samenähnlichen Nüßchen wurden dem Vieh gegeben, um das Fell glatt und glänzend zu machen, und verliehen, als Thee zubereitet, der menschlichen Haut die Zartheit des Sammets und die Glätte des Alabasters. Auch zu Liebestränken wurde sie verwendet: so brennend wie die Nessel sollte die Liebe dessen werden, dem man ihren Saft auf die Thürschwelle goß. Das Märchen weiß auch noch von der Verwendung der Nesselfaser zu Gespinsten zu erzählen.

Nesselgewächse, Urticaceen, Kl. XXI. einjährig. Juli – September. H. 0,30 bis 0,60 m.

 


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