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Frankfurt, d. 26 Xbr. 74.
Meine theüern Freunde!
Ihr wollt den ganzen Umfang von der Krankheit u. dem Tode unserer Fraülein Klettenberg wissen? Ein schmerzlicher Auftrag! Dies kann ich euch versichern. Mein Gemüth ist so ganz in Traurigkeit verlohren, daß ich mir nicht zu rathen noch zu helfen weiß. Ich weiß, ich werde sie wieder sehen; aber izt, izt fehlt sie mir! Meine Rathgeberin, in deren Schooß ich alles ausschütten konnte, ist in die Herrlichkeit eingegangen, wovon sie so oft mit Entzüken sprach. Ihr seyd noch hier, ich bin noch hier – aber es wird ein Tag kommen, dann wird sie auferstehn! Dann werden wir auferstehen, u. uns freüen mit unaussprechlich herrlicher Freude! Amen.
Am 7 Xbr. waren wir sehr vergnügt beisammen, ich habe sie lange nicht so munter gesehen, nicht der kleinste Gedanke von Krankheit fiel mir ein. Um 8 Uhr gingen wir von einander. In der Nacht bekam sie einen heftigen Frost, hernach Hize. Am 8ten erfuhr ich nichts davon, am 9 früh ließ sie mir sagen, sie wäre krank; wie ich zu ihr komme, fand ich sie ganz leidentlich, sie selbst glaubte, es werde nichts zu sagen haben; den 10. wurde sie schlimmer, aber in der Nacht wurde es dem Anschein nach wieder besser, ich verließ sie nicht. Als am 11. der Medicus in die Stube kam, lief ich voller Freüde ihm entgegen – »sie ist besser!« sagte ich. »Das gebe Gott, sagte Er, aber wir sind noch nicht über den Berg.« Am 12ten, sobald ich früh Morgens zu ihr kam, sagte Sie: »Gute Nacht, Räthin, ich sterbe!« Vor Weinen konnte ich kein Wort reden. Sie winkte, ich sollte näher kommen, drükte mir die Hand u. sagte: »wandle vor ihm und sey fromm!« – sahe mich mit unaussprechlich heiterm Gesichte an, u. war sehr ruhig u. vergnügt.
Nachmittag kamen einige christliche Freunde zu ihr. Wir fragten: »ob sie leiden könnte, wenn wir einige christliche Verse sängen?« »O ja« sagte sie. Wir sangen: Komm! ist die Stimme deiner Braut u. Sie verlangte das Lied: Die Seele Christi heilige mich. Ein Freund fragte sie: »Wie ihr beym Anblik des Todes zu Muthe sey?« »Ich bin so voll Seligkeit, daß die arme Hütte es nicht aushält, sie muß davon zerbrechen«, sagte sie. Ich sagte aus einem Lied: Hier ist nichts als die Todsgestalt u. den Stachel hat er verlohren! Hallelujah.
Des Abends, da die andern Freunde weg waren, u. ich allein bei ihr saß, sagte sie: »Der Doctor!« Ich bildete mir ein, sie meine den Medicus, u. sagte: »Er ist weggegangen.« »Nein, sagte sie u. deutete auf mich. »Meinen Doctor meinen Sie?« Sie nikte mit dem Kopfe. »Ach, sagte ich, der glaubt so wenig, daß sie sterben, daß er mir aufgetragen hat, Ihnen zu sagen, wie er morgen mit dem Prinzen von Weimar nach Mainz reisen werde – dreymal hab ich schon angefangen, ihn auf Ihren Tod vorzubereiten, es ist aber alles vergebens. »Sie stirbt nicht! sagt er immer, das kann nicht seyn, Sie stirbt nicht.« Sie lachte. »Sag ihm Adieu, ich hab ihn sehr lieb gehabt.« »Ach meine Beste, sagte ich. Sie gehen izt in die Ewigkeit, auf die Sie sich schon so oft im Geist gefreüt haben – ich gönne Ihnen Ihre Ruhe u. Seligkeit von Herzen – aber ich bleibe noch zurük. Wenn die Seligvollendeten noch an Ihre zurükgebliebenen Freünde denken – o so denke an Deine treue Räthinn.« Sie gab mir ein Zeichen mit dem Kopf, daß sie es thun wolle. Ich blieb die Nacht bei ihr. Thee, den sie in ihren gesunden Tagen am liebsten trank, war auch in diesen lezten noch ihre beste Erfrischung; überhaupt war diese Nacht sehr erträglich. Sie hatte keinen grossen Schmerzen, u. wenn man die Freundlichkeit in ihrem Gesichte sah, konnte man nicht glauben, daß sie so krank, u. ihrem Ende so nahe sey. Mein lieber Sohn, Lavater! hat ihren freundlichen Blik gesehen, u. kann sich einen Begrif davon machen. Morgens, als am 13. kamen die Freundinnen wieder, wir sezten uns ums Bette herum, um bis auf die Lezte bei unserer lieben Freundinn auszuhalten. Sie sahe uns an, u. lächelte. »Habt euch unter einander lieb« – war ihr lezter liebevoller Befehl. Wie sie das Singen überaus liebte, sangen wir etliche Verse aus dem Lied: Christi Blut u. Gerechtigkeit etc.
Um sie nicht zu ermüden, redeten wir nicht viel, dann u. wann einen schiklichen Spruch, oder aus schönen Liedern einen schönen Vers. Um 8 Uhr kam der Medicus, D. Metz, ein rechtschaffener Mann, u. einer ihrer besten Freünde, der sein Vermögen darum gegeben hätte, sie beym Leben zu erhalten; ich sagte zu ihm: »Lieber Herr D. ist es dann gewiß, daß unsere Freündinn stirbt? Haben Sie gar nichts mehr, Ihr zu helfen?« »Frau Räthinn, sagte er mit seiner gewohnten Ernsthaftigkeit: da Elias sollte gen Himmel fahren, kamen die Propheten Kinder zu Elisa u. sprachen: Weissest du auch, daß der Herr wird deinen Herrn heute von deinen Häuptern nehmen. Er aber sprach: Ich weiß es wohl, schweiget nur stille.« – Hierauf ging er ans Bett, u. nahm einen solchen christlichen Abschied, der uns allen durch die Seele ging; doch versprach er Nachmittag wieder zu kommen, nicht als Arzt, weil seine Kunst am Ende war, sondern als Freund. Um 11 Uhr kam der Chirurgus, u. wollte nach der Ader sehen, die Fräulein hielte das für unnöthig, bath ihn aber, ihr zu sagen, ob ihre Augen nicht gebrochen wären? Der gute Mann, dem das in seinem Leben villeicht nicht vorgekommen, wußte nicht, was er sagen sollte. Nach einigem Besinnen sagte er: »Die Augen sind noch helle, aber der Puls geht schwach.« Die Frl. schüttelte den Kopf, und lachte. Um ½12 Uhr sagte sie, »nun ists besser, ich habe keinen Schmerzen mehr –« rükte sich im Bette zurecht, u. sagte mit halbgebrochener Stimme: »Gute Nacht!« Darauf lag sie stille, redte nichts mehr, der Othem wurde kürzer, blieb manchmal aus, kam wieder, um 12 Uhr nahm endlich der erlöste Geist von seinem Körper Abschied.
Meine Seele sterbe des Todes dieser Gerechten!! – Einige Minuten blieben wir ganz stille. Eine Freundinn, die vom Schmerz weniger betäubt war, als die andern, that ein herrliches Gebeth, dankte Gott für alle, der seligen Frl. von Klettenberg erwiesne Wohlthaten an Seele u. Leib, munterte uns auf immer mehr dem Ziele nachzujagen, immer mehr auf Jesum, den Anfänger und Vollender des Glaubens zu sehen, u. Fleiß anzuwenden, daß unser Keiner dahinten bleibe. Noch muß ich sagen, daß das 17 Kap. Johannis, u. die Sprüche: Wer an mich glaubt, der wird den Tod nicht sehen ewiglich! – Ich bin die Auferstehung u. das Leben – u. dgl. ihr ganz besonders lieb waren ....
Den 16. wurde sie zur Erde bestattet.
Ich seh im Geiste Gottes Sohn
Holdselig ihr entgegen eilen,
um seinen höchst glorreichen Thron
mit ihr als seiner Braut zu theilen.
Willkomm, Willkomm, Willkomm – erklingt,
das durch den ganzen Himmel dringt.
Von den verklärten Geistersphären
da wird sie ihren Namen hören –
und was sie hier im Herrn gekannt,
beut ihr frolokend Mund und Hand.
Hier habt ihr, liebe Freunde, die ganze traurige Geschichte. Gönnt mir einen Plaz in Eurem freundschaftlichen Herzen, u. seyd versichert, daß ich bis ins Grab u. noch drüber hinaus seyn werde,
Eure treüe Freündinn
E. Goethe.