Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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4. Der Papst Silverius wird ins Exil geführt. Hungersnot in Rom. Menschlichkeit der Goten. Vitiges besetzt den römischen Hafen. Portus und Ostia. Eintreffen von Verstärkungen in Rom. Die Goten schlagen einen Ausfall zurück. Steigende Not in der Stadt. Die Gotenschanze und die Hunnenschanze.

Belisar hatte Grund, die Treue mancher Senatoren zu beargwöhnen, und niemand durfte ihn der Härte anklagen, als er einige Patrizier aus der Stadt in die Verbannung schickte; aber sein Verfahren gegen Silverius kann nicht leicht auf Rechnung hochverräterischer Einverständnisse mit den Goten gesetzt werden, denn es war eben dieser Papst, welcher die Römer zur Aufnahme Belisars in die Stadt ermuntert hatte. Dieses unangenehme Ereignis fertigt Procopius mit kurzen und diskreten Worten ab: »Da man argwöhnte, Silverius, der Oberpriester der Stadt, schmiede mit den Goten Verrat, so sandte er ihn sofort nach Hellas und ernannte bald darauf einen andern Bischof mit Namen Vigilius.« Der Sturz des Silverius war jedoch die Folge von Ränken der Kaiserin Theodora, welche die Widerrufung der Beschlüsse des Konzils von Chalkedon und die Einsetzung des verdammten Patriarchen Anthimus in Konstantinopel von einem neuen Papst hoffte, da Silverius selbst dies standhaft verweigerte. Sie benutzte dazu die Bedrängnis Roms, unterhandelte mit ihrem Günstlinge, dem Diakon Vigilius, einem ehrgeizigen Römer, welcher als Apocrisiarius oder Vertreter der Kirche in Konstantinopel gewesen war, und forderte Belisar durch Briefe auf, Silverius unter schicklichen Vorwänden zu entfernen, auf den Stuhl Petri aber Vigilius zu erheben. Dieser hatte ihr für das Papsttum die Anerkennung des Anthimus und die Verwerfung des Konzils von Chalkedon versprochen.

Der schwache Belisar gehorchte den Geboten zweier schändlicher Frauen, der allmächtigen Theodora und der listigen Antonina, seiner eigenen Gemahlin; denn beide hatten gleich niedrige Geburt und Zügellosigkeit zu Vertrauten gemacht, obwohl sie einander fürchteten und haßten. Er besaß nicht den Mut, den Zorn dieser Weiber auf sich zu laden, und tat sich selbst Gewalt an, indem er sich zum Vollstrecker ihrer Anschläge hergab. Antonina und Vigilius stellten falsche Zeugen, welche beschworen, daß Silverius an Vitiges geschrieben habe: »Komme an die Porta Asinaria neben dem Lateran, und ich will dir die Stadt und den Patricius in die Hände geben.« Der bedrohte Papst flüchtete sich in die Kirche S. Sabina auf dem Aventin, aber Belisar ließ ihn von dort in den Palast der Pincier rufen, wo er selbst während der Belagerung wohnte. Der unglückliche Silverius traute der ihm eidlich zugeschworenen Sicherheit und verließ sein Asyl. Die begleitende Geistlichkeit blieb am ersten und zweiten Vorhange zurück, und Silverius trat mit Vigilius in das innere Gemach des Palasts, wo der Feldherr zu Füßen der Antonina saß, die sich auf einem Ruhebett gelagert hatte. Als sie ihn erblickte, rief die vollendete Schauspielerin: »Sage, Herr Papst Silverius, was taten wir dir und den Römern, daß du uns in die Hände der Goten liefern willst?« Während sie ihn mit Vorwürfen überhäufte, trat Johann, ein Subdiaconus der ersten Region, herein, nahm das Pallium vom Halse des Papsts und führte ihn in ein Schlafgemach. Dort zog er ihm die bischöflichen Kleider ab und steckte ihn in ein Mönchsgewand, worauf ein anderer Diakon dem draußen harrenden Klerus mit kurzen Worten verkündigen ging, der Papst sei abgesetzt und Mönch geworden. Auf dieses flohen die Geistlichen auseinander. Vigilius aber wurde unter dem Schrecken des griechischen Machtgebots vom Senat und Klerus zum Papst erwählt, nachdem sein Vorgänger bereits nach Patara in Lykien abgeführt worden war. Die gewaltsame Absetzung des Silverius durch Belisar war im März 537 geschehen, und wahrscheinlich am 29. desselben Monats ordinierte man Vigilius. Das despotische Eingreifen des kaiserlichen Generals in ihr Priestertum zeigte den Römern klar genug, daß die Herrschaft der Goten leicht zu tragen war, das Joch der Byzantiner aber schwer auf ihnen lasten werde. Vigilius war Römer von edler Abkunft, Sohn eines Konsularen Johannes, derselbe Kardinaldiaconus, welchen sein Gönner, der Papst Bonifatius II., zu seinem Nachfolger zu erwählen gewagt hatte. Diese unkanonische Handlung war dann freilich widerrufen worden, aber seit jener Zeit strebte Vigilius nach dem Papsttum. Als Nuntius in Byzanz hatte er sich am dortigen Hof mächtige Freunde gewonnen und jetzt auf tumultuarische Weise den Heiligen Stuhl usurpiert.

Die schrecklichste Hungersnot wütete unterdes in Italien und begann auch Rom zu verheeren. Sie zwang Belisar, alle, die zur Verteidigung der Mauern nicht tauglich waren, aus der Stadt zu treiben. Diese Unglücklichen zogen in Schwärmen fort, um sich im Lande zu zerstreuen oder im Tiberhafen sich einzuschiffen und die Gastlichkeit Neapels anzuflehen. Die Goten ließen sie ungekränkt des Weges ziehn. Ihre Menschlichkeit gebot während der ganzen Belagerung selbst dem Feinde Achtung, der ausdrücklich ihnen nachgerühmt hat, daß sie weder die Basilika St. Peters noch St. Pauls berührten, obwohl beide Kirchen in ihrem Bereiche lagen. Doch erlitten andere Heiligtümer im Stadtgebiet jede mit einem Kriege verbundene Zerstörung. Das gotische Kriegsvolk wurde vom Papst Vigilius beschuldigt, die Katakomben und zahlreiche Friedhöfe beschädigt und die Marmorinschriften des Damasus zerbrochen zu haben. Vigilius selbst scheint während der Belagerung ein Wohltäter des Volkes gewesen zu sein.

Nur zu einer blutigen Handlung des Hasses ließ sich Vitiges fortreißen: er sandte Boten nach Ravenna und befahl dort, diejenigen Senatoren, welche er als Geiseln von Rom entführt hatte, zu töten. Um endlich die Stadt noch enger zu umschließen und ihr die Zufuhr ganz abzuschneiden, besetzte er Portus. Der Tiber ergießt sich dort in zwei Armen ins Meer, welche die Heilige Insel bilden. Der Hafen Ostia am linken Ufer war schon in alten Zeiten versandet, weshalb der Kaiser Claudius am rechten Ufer einen Hafen und Kanal ausgraben und in das Meer einen Molo werfen ließ. Dies war der Ursprung des berühmten Portus Romanus oder Urbis Romae. Die großartige Anlage erweiterte Trajan durch einen inneren Hafen in sechseckiger Gestalt, den er mit prächtigen Bauwerken umgab. Er ließ zugleich einen neuen Kanal, die Fossa Traiana, graben, welche noch heute im rechten Tiberarm von Fiumicino erkannt wird, und Portus wurde seither zu einer bedeutenden Hafenstadt; schon in den ersten christlichen Jahrhunderten war es ein Bistum. In der letzten Zeit des Heidentums, ja noch in der Mitte des V. Jahrhunderts pflegten die Römer nach der Insel zwischen Portus und Ostia hinauszuziehen, den Stadtpräfekten oder Konsul an der Spitze ihrer Scharen, um dem Castor und Pollux zu opfern und an dem immer frischen Grün sich zu erfreuen. Denn weder die Sommerhitze noch der Winter tötete dort die Blumen, und im Lenz bedeckte sich die Insel mit Rosen und Balsamstauden, so daß sie die Römer den Garten der Venus nannten. Für die Erhaltung des Hafens sorgte später noch Theoderich, indem er das wichtige Hafenamt einem Comes übertrug. Selbst zur Zeit des Procopius war Portus noch immer eine ansehnliche und mit festen Mauern umgebene Stadt, während das alte Ostia am linken Flußufer bereits verödet und mauerlos dastand; denn obwohl noch beide Flußarme beschafft werden konnten, nahmen doch die Schiffe ihren Weg nach Portus. Eine treffliche Straße führte aus dem Portuensischen Tor nach dem Hafen, und der Fluß, welchem sie noch entlangläuft, zeigte sich belebt von Schiffen, die, durch Stiere an Tauen aufwärtsgezogen, sizilisches Getreide und Waren des Orients nach Rom brachten.

Nachdem Vitiges, ohne Widerstand zu finden, Portus mit 1000 Mann besetzt hatte, schnitt er den Römern die Verbindung mit dem Meere ab, und so wurden die Transporte auf den beschwerlichen und unsicheren Weg von Antium beschränkt.

Den moralischen Eindruck jenes Verlustes verringerte jedoch zwanzig Tage darauf das Eintreffen von 1600 hunnischen und slavonischen Reitern, und diese Verstärkung machte es Belisar möglich, die Feinde durch kleine Gefechte vor den Toren zu beunruhigen, in welchen die Geschicklichkeit der sarmatischen Pfeilschützen über die nur mit Lanzen bewaffnete Reiterei der Goten den Sieg davontrug. Kleine Erfolge erhitzten den Mut der Belagerten; sie verlangten einen allgemeinen Ausfall auf die Schanzen des Feindes, und ihrem Ungestüm gab Belisar nach. Die größte Truppenzahl sollte aus der Pinciana und dem Salarischen Tore ausfallen; eine geringere aus der Porta Aurelia ins Feld des Nero einbrechen, um die Goten von der Milvischen Brücke abzuhalten; eine dritte aus dem Tor St. Pancratius herausziehen.

Aber die Goten, durch Überläufer auf den Ausfall vorbereitet, empfingen die Griechen in wohlgeschlossenen Schlachtordnungen, deren Mitte das Fußvolk, deren Flügel die Reiter bildeten. Nach einem Kampf von vielen Stunden gelang ihrer Tapferkeit ein vollständiger Sieg; weder vermochten die Griechen sich der Milvischen Brücke zu bemächtigen, wodurch sie das jenseitige Lager würden abgeschnitten haben, noch konnten sie die diesseitigen Schanzen erobern; von allen Seiten zurückgeworfen, verdankten sie ihre Rettung nur der kräftigen Wirkung der Schleudern auf den Zinnen.

Nach diesem mißglückten Ausfalle beschränkten sich die Belagerten auf kleinere Gefechte, während die Goten die in der Stadt wütende Hungersnot durch immer engere Einschließung zu steigern suchten. Sie besetzten zwischen der Via Latina und Appia, fünfzig Stadien vor der Stadt, einen Ort, wo zwei sich durchkreuzende Wasserleitungen die Anlage eines Kastells möglich machten. Nachdem sie die Bogen dieser Aquädukte vermauert hatten, errichteten sie ein festes Lager für 7000 Mann, welches jede Zufuhr von der neapolitanischen Seite verhinderte. Hierauf stieg die Not auf das Äußerste; die Kräuter um die Wälle reichten nicht hin, die Pferde zu nähren, und das nachts von den Reitern gesicherte Getreide (es war bereits das Jahr zur Sommersonnenwende vorgerückt) stillte nur den Hunger der Reichen und auf Augenblicke. Jegliches Getier wurde zur Speise; ekle Würste, welche die Soldaten aus dem Fleisch gefallener Maultiere machten, wogen die Senatoren mit Gold auf. Die Hitze gesellte zum Hunger die Klimafieber, und unbegrabene Leichen verpesteten die glühenden Straßen Roms.

Unfähig, diese Qualen zu ertragen, erhob sich das Volk und verlangte durch Abgesandte von Belisar einen letzten Verzweiflungskampf. Aber der Feldherr beschwichtigte die Schreienden durch seine unerschütterliche Ruhe und vertröstete sie auf nahen Entsatz und die heransegelnde Proviantflotte. Er schickte Procopius und selbst Antonina nach Neapel, um dort so viel Schiffe als möglich mit Getreide zu befrachten. Endlich waren byzantinische Truppen in Unteritalien gelandet; Euthalius kam mit Löhnungsgeldern nach Terracina und gelangte unter dem Schutz von hundert Reitern glücklich in die Stadt. Um jetzt auch den Getreidetransport zu sichern, besetzte Belisar Albanum und das Kastell Tibur, welche der Aufmerksamkeit der Belagerer unbegreiflicherweise entgangen waren. Den Feind in seiner Verschanzung an der Via Appia zu beunruhigen, schob er die hunnische Reiterei vor und ließ sie ein Lager bei St. Paul beziehen. Auch zu dieser Basilika führte vom Ostischen Tor, am Tiber entlang, ein Porticus, welcher festen Anhalt bot. Von hier, von Tibur und Albanum aus. wurde das Lager an der Via Appia durch Streifereien bedroht, und die leichten Reiter Belisars verhinderten die Goten, auf der Campagna Lebensmittel einzutreiben. Weil die niedrige Lage Fieber erzeugte, konnten sich indes weder diese noch die Griechen in den Lagern behaupten. Die Hunnenschanze ward aufgehoben und die gotische Besatzung an den Wasserleitungen zurückgezogen. Offenbar hatte die Zerstörung derselben zur Folge gehabt, daß ganze Strecken Landes vor der Stadt versumpften, und noch Jahrhunderte später gab es deshalb sumpfige Stellen in der Nähe Roms.


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