Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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3. Arnold von Brescia. Sein erstes Auftreten; seine Verbindung mit Abälard. Seine Lehre von der Säkularisierung der Kirchenstaaten. Seine Verurteilung durch den Papst. Seine Flucht und sein Verschwinden. Cölestin II. Lucius II. Kampf des Papsts und der Konsuln gegen den Senat. Der Patricius Jordan Pierleone. Die senatorische Ara. Lucius II. und Konrad III. Unglückliches Ende Lucius' II.

Die Wiederherstellung des Senats war nicht durchaus ein Truggebilde, sondern auch eine wirkliche Tat und für die Römer des Mittelalters so rühmlich, als es für die Vorfahren der Auszug auf den heiligen Berg gewesen war. Ein damaliger berühmter Reformator, Arnold von Brescia, wird mit Unrecht als der Hauptheld einer Umwälzung betrachtet, die aus den Trieben der Zeit und den besondern Verhältnissen Roms hervorgehen mußte. Dem Adel die Gewalt, dem Klerus den Grundbesitz, dem Papst das Fürstentum zu nehmen, seine Hoheitsrechte aber auf die Volksgemeinde zu übertragen, dies waren klare historische Ziele, für welche es keiner Doktrin bedurfte. Seit dem Investiturstreit kämpfte der dritte Stand gegen das weltliche und geistliche Lehnssystem; die Freiheitsglut der italienischen Republiken verzehrte den Feudalismus des altfränkischen Reichs, und das tote Mönchswissen durchwehte schon der Hauch der ketzerischen Kritik. Doch nichts ist törichter als dem XII. Jahrhundert die prinzipielle Absicht auf Vernichtung der Feudalität beizulegen oder irgendwelchen Demagogen jener Zeit von einer europäischen Föderativ-Republik träumen zu lassen.

Solche Ideen hat man aus Unkenntnis des Mittelalters Arnold von Brescia zugeschrieben,. welcher freilich einen großen Einfluß auf einige Kreise des bürgerlichen Lebens ausgeübt hat. Arnold, Abälard, St. Bernhard sind merkwürdige Zeitgenossen und Helden eines großen Dramas der Kultur. Sobald die jungen Demokratien, noch zweifelhaft und unsicher, noch im Schatten der Kirche und des Reichs, emporwuchsen, mußte ein solcher Mann wie Arnold, voll Enthusiasmus für die praktische Freiheit des Bürgertums, gerade in der Lombardei erstehen, ein Volkstribun im Priestergewande, dessen ernster Geist das Ideal der von entstellender Weltlichkeit gereinigten Kirche und des erneuerten Urchristentums in sich trug. Abälard, der philosophische, und Arnold, der politische Ketzer, standen auf dem gleichen Boden des sich befreienden Bürgertums. Nach den finstern Heroen der dogmatischen Alleingewalt, nach Päpsten wie Gregor, nach Kaisern wie Heinrich, ist es erfreulich, Märtyrer der Freiheit kommen zu sehen, die in ihren Händen die Fahne einer edleren Menschlichkeit und die unblutige, aber furchtbare Waffe des forschenden Gedankens und des freien Willens tragen.

Die Lebensgeschichte Arnolds ist sehr dunkel; er war am Anfange des XII. Jahrhunderts in Brescia geboren, wanderte nach Frankreich, studierte unter Abälard Dialektik und Theologie und war wohl jahrelang sein Gefährte. Nach Brescia heimgekehrt, wo er regulärer Kanoniker wurde, stürzte er sich in den Kampf der Bürger gegen ihren Bischof Manfred. Die Konsuln Rebald und Persicus führten das Volk, und Arnold entflammte es durch Reden, in denen er die unapostolische Weltlichkeit der Priester geißelte. Sein Grundsatz war: daß jeder Güterbesitz des Klerus unchristlich sei, daß alle Zivilgewalt den Fürsten und Republiken gehöre, die Geistlichkeit nur auf die Zehnten anzuweisen sei. Brescia war einer der Sitze der Pataria; Szenen wie in Mailand erneuerten sich dort: der gewaltige Volksredner konnte an Ariald erinnern, ohne dessen Richtung zu teilen. Denn auch damals war der Klerus so verderbt, daß Gregor VII. umsonst gelebt zu haben schien. Der lange Investiturstreit, Schisma und Faktionswesen, da einander bekämpfende Bischöfe bald für Rom, bald für Deutschland Partei nahmen, hatte die Prälaten so verwildert, daß Worte fehlen, es zu sagen. Ein Satiriker wird bei den Verwünschungen der Heiligen jener Zeit lächelnd fragen, worin denn die Reformen eines ganzen Jahrhunderts bestanden hatten, wenn St. Bernhard oder Anselm noch im Jahre 1140 die Laster der Geistlichen mit den düstern Farben Damianis malen mußten. »Könnte ich doch«, so seufzte der Abt von Clairvaux, »vor meinem Tode die Kirche Gottes sehen, wie sie in alten Tagen war, als die Apostel ihre Netze auswarfen, nicht um Gold und Silber, sondern um Seelen zu fangen.«

Die aufgeklärte Meinung hatte die Wurzel dieser Übel längst erkannt; nicht Konzile noch Orden konnten sie heilen; das Rettungsmittel hieß: Entkleidung der Bischöfe vom weltlichen Besitz. Die Erkenntnis dieses großen Prinzips war eins der Ergebnisse der Kämpfe um die Investitur; und sogar ein Papst hatte es in höchster Not anerkannt. Arnold nahm die Idee Paschalis' II. wieder auf und predigte sie kühn auf den Gassen freier Städte mit der Stimme des Zeitgeistes und des Volks. Dies war die praktische Wirkung jenes alten Kampfs, welcher aus der Region des Königshofes auf die städtische Kurie und den Markt hinüberging.

Die Fortschritte, welche die Gesellschaft überhaupt infolge der Kämpfe des Staats gegen die Hierarchie der gregorianischen Kirche gemacht hatte, waren sehr groß; die politische und soziale Bewegung der Völker, das Aufleben der Industrie, des Handels, der Wissenschaften, die neuerwachte Liebe zum klassischen Altertum brachten die Welt plötzlich in einen schneidenden Gegensatz zur römischen Kirche, und die Römer, welche im XII. Jahrhundert das Dominium Temporale des Papsts bekämpften, sprachen sich darüber so klar und entschieden aus wie ihre Enkel am heutigen Tag.

Die Lehre Arnolds hallte mächtig in der Lombardei und in Rom wider; denn was er predigte, Säkularisierung der Kirchenstaaten, war das Bedürfnis der Zeit. Aber das Volk in Brescia bestritt nicht immer glücklich die vereinigte Macht des Klerus und der Capitane; Manfred verklagte die Grundsätze Arnolds auf dem lateranischen Konzil des Jahres 1139, und Innocenz II. begriff ihre Folgen für Rom, wo die republikanische Partei nur die Gelegenheit zum Losbruch erwartete. Er verdammte Arnold als Schismatiker, legte ihm Stillschweigen auf und verbannte ihn aus Italien. Der aus Brescia Verwiesene wanderte zu Abälard, welcher im Frühling 1140 auf einem scholastischen Turnier zu Sens den Mystiker Bernhard zu besiegen hoffte. Arnold verteidigte öffentlich seinen Meister und sah sich in dessen Prozeß gezogen. Der Spruch des römischen Konzils hatte ihn berühmt, die Verbindung mit Abälard dem Klerus verhaßter gemacht, und Bernhard trat jetzt mit den Waffen der Disziplin auch gegen ihn auf. Es gab jedoch Ansichten, in denen auch er mit einem verabscheuten Feinde einig war. Nicht weniger heftig als der Demagoge von Brescia geißelte er die weltlichen Laster der Bischöfe, und in seinem Buch »Von der Betrachtung« sprach er sich bald nachher selbst zu einem Papst, seinem Schüler, mit Entschiedenheit gegen die politische Stellung des Klerus aus. Er legte seinen evangelischen Forderungen den Satz des Apostels zugrunde: daß, wer dem Herrn diene, nicht mit weltlichen Geschäften sich zu befassen habe. Er erinnerte den Papst, daß seine Würde ein geistliches Amt, nicht eine »Herrschaft« sei, daß er den Spaten des Gärtners, nicht das Zepter des Königs zu führen habe, daß sein Dominium vielleicht ein irdisches, doch nimmer ein apostolisches Recht besitze, da den Aposteln die Herrschaft verboten sei. Er seufzte voll altchristlichen Gefühls, daß die Bischöfe und Päpste, gehüllt in weltliche Hoffart, in Seide, Purpur und Gold, was Petrus nie gekannt habe, einherschritten, und er rief endlich dem Papste zu, daß er in solcher weltlichen Gestalt nicht der Nachfolger Petri, sondern Constantins sei. Wenn der Heilige einen sittenreinen Reformator verfolgte, dessen Meinung über die weltliche Herrschaft des Klerus er nicht verdammen, sondern billigen mußte, so geschah es nur, weil Arnold nicht jene allein, sondern die Autorität des Römischen Stuhls und die gregorianische Hierarchie bekämpfte, und weil er ihm als Rebell verabscheuungswürdig war. Der große Abt seufzte, daß die Kirche, die reine Lilie unter Dornen, rings von Sektierern umringt werde, daß sie eben erst dem Löwen (Pierleone) entronnen, nun auf den Drachen (Abälard) gestoßen sei. Er schrieb an den Papst; er bezeichnete Arnold als den Waffenträger des Goliath Abälard und verklagte beide der Ketzerei. Der Papst befahl, sie in Klöstern einzusperren; doch der lebensmüde Freund Heloises fand ein Asyl, die Versöhnung mit der Kirche und nach zwei Jahren einen ruhigen Tod zu Cluny; aber Arnold, kühn und voll Tatenlust, verkündigte zuerst auf dem Berge der heiligen Genoveva in Paris ungehindert seine Lehren gegen die Weltlichkeit des Klerus, bis Bernhard seine Verweisung aus Frankreich durchsetzte. Flüchtig wanderte hierauf Arnold weiter. Das kleine Zürich nahm ihn auf und erwarb sich schon 400 Jahre vor Zwingli ein schönes Recht auf die Dankbarkeit freidenkender Menschen. Hier fand er Anhänger selbst unter dem hohen Adel. Allein der Abt von Clairvaux forderte vom Konstanzer Metropoliten die Festnehmung des Ketzers; in seinem salbungsvollen Brief mußte er freilich bekennen, daß Arnold von sittenreinem Wandel sei, ein Mann, wie er sich ausdrückte, der nicht ißt noch trinkt, sondern mit dem Teufel hungert und nur nach dem Blute der Seelen dürstet.

Der Verfolgte fand an Guido, dem damaligen Legaten in Böhmen, einen noch einflußreicheren Beschützer; denn dieser gebildete Kardinal war einst sein Mitschüler in Paris gewesen. Er nahm ihn bei sich auf, an irgendeinem Orte in Deutschland, bis der unermüdliche Ketzerspäher auf dem Felsen Petri auch an Guido entrüstet schrieb: »Arnoldus von Brescia, dessen Rede Honig, aber dessen Lehre Gift ist, der von der Taube das Haupt, vom Skorpion den Stachel trägt, den Brescia ausspie, Rom verabscheute, Frankreich vertrieb, Deutschland verwünscht, Italien aufzunehmen sich weigert, ist, so sagt man, bei dir; hüte dich, daß er dem Ansehen deines Amtes nicht schade; ihm hold sein, heißt dem Gebote des Papsts und Gottes selbst widerstreben.« Es ist unbekannt, welche Wirkung diese Aufforderung hatte, ob Arnold weiter, vielleicht in die stillen Alpentäler mystischer Katharer wanderte, oder ob er noch ferner im Schutze jenes Kardinals blieb – kurz, er verschwindet für Jahre, bis er plötzlich unter den römischen Republikanern wieder erscheint.

Indes wurde Papst der Kardinal Guido, ein Toskaner aus Castello. Ohne Zweifel war auch er ein Schüler Abälards gewesen; er besaß eine nicht gewöhnliche Bildung, wie dies schon der ehrenvolle Titel des Magisters anzeigt, welchen er sich in Frankreich erworben hatte. Er bestieg den Heiligen Stuhl als Cölestin II. schon am 26. September 1143, nur zwei Tage nach dem Tode seines Vorgängers, denn die Revolution der Stadt Rom veranlaßte seine schnelle Wahl. Nur fünf Monate dauerte sein Pontifikat, und die Bemerkung, er sei am Palladium gestorben, macht es wahrscheinlich, daß auch er mit den Römern zu keinem Abschluß kam, sondern sich während heftiger Kämpfe in den Schutz der Frangipani hatte begeben müssen.

Cölestin starb am 8. März 1144; und sein Nachfolger wurde am 12. März Lucius II., Gerhard Caccianemici aus Bologna, ehedem Kanzler unter Innocenz und Legat in Deutschland zur Zeit der Wahl des Königs Lothar. Sein kurzer Pontifikat war unglücklich, er selbst fiel als Opfer der Revolution. Während die neue Kommune auf dem Kapitol sich unter blutigen Kämpfen einrichtete, warf sich der ratlose Papst in die Arme seiner großen Lehnsträger; er suchte auch beim Könige Siziliens Hilfe, dem er von früher befreundet war. Roger I., schon mit Cölestin II. über die ihm von Innocenz II. erteilten Investiturrechte in Streit, wollte diesen mit Lucius schlichten; sie trafen einander in Ceprano und entzweiten sich; der König befahl seinem Sohn, in Latium einzurücken, und der Papst verstand sich nun zu einem Vertrage, worin Roger seinerseits ihn gegen die Römer zu unterstützen gelobte. Mit seiner und des Adels Hilfe hoffte Lucius die Kommune zu sprengen; denn fast alle Konsuln ergriffen seine Partei, weil mit dem Übergange des Kirchenstaats auch ihre Lehen an die Gemeinde zurückfallen mußten. Der Geschlechteradel stand fortan als eine Parte Guelfa gegen das Volk. Selbst die Frangipani, alte Häupter der deutschen Faktion, verbanden sich mit dem Papst. Er erlaubte ihnen, sich in Besitz des Circus Maximus zu setzen, welchen sie in den Bereich ihrer palatinischen Burg zogen; sie besaßen seither mit dem Circus auch das Colosseum, das Septizonium, die schon zu Türmen erhöhten Bogen des Titus und des Constantin, den Janus Quadrifrons und andere Türme in der Stadt.

Die bedrängte Kommune suchte sich indes mehr Kraft zu geben; sie erhob einen Patricius zum Haupt der Republik. Jordan Pierleone, ein Bruder des Gegenpapsts Anaklet und der einzige seines Geschlechts, welcher aus Ehrgeiz oder anderen Gründen zum Volk übergegangen war, erhielt diese Gewalt. Die römische Gemeinde ahmte also nicht andere Städte nach, sie stellte keine Konsuln auf; denn dieser Titel war in Rom wesentlich aristokratisch, und die feindlichen Großen fuhren fort, ihn zu tragen. Da es damals keinen Kaiser gab, konnte der Patricius noch als sein Stellvertreter gelten, und die Volkspartei anerkannte aus Politik die Oberhoheit des römischen Königs. Der Abschluß der ersten Stadtverfassung unter Jordan Pierleone fiel ins Jahr 1144; von ihm wurde die senatorische Epoche gezählt. Die Gemeinde beschloß jetzt die Entsetzung des Papsts vom Weltlichen, indem sie ihn aufforderte, alle Hoheitsrechte dem Patricius abzugeben und von Zehnten oder einer Staatspension zu leben. Die Stadt erneuerte den Versuch der Entthronung des Papsts wie zur Zeit Alberichs; sie hat ihn seither oft und bis zum heutigen Tage wiederholt. Darf man nicht Rom die Ewige Stadt nennen, da ihre Schicksale sich so ganz gleich geblieben sind?

In seiner Not wandte sich Lucius II. hilfeflehend an den römischen König Konrad III., mit welchem das große Geschlecht der Hohenstaufen am 7. März 1138 den deutschen Thron bestiegen hatte. Aber auch die Römer baten diesen um die Anerkennung ihrer Republik. Er antwortete ihnen nicht, vielleicht noch voll Groll gegen die Städte Italiens, die ihn, den ehemaligen Gegenkönig Lothars, so schimpflich preisgegeben hatten. Die Gesandten des Papsts, die ihn um Bestätigung und Anerkennung des Kirchenstaates baten, nahm er zwar bereitwillig auf, aber er überließ Italien und Rom sich selbst; denn die Schwächung der Papstmacht durch die Römer, welche seine Autorität anerkannten, mußte ihm willkommen sein.

Rom war voll Tumult. Der Papst schrieb am 20. Januar 1145 an den Abt Peter von Cluny, daß er sich nicht nach San Saba (auf dem Aventin) begeben könne, um dort den Abt zu ordinieren. Zwar behauptet der Lebensbeschreiber dieses Papsts, daß es ihm gelungen war, die Senatoren zu bewegen, vom Kapitol herabzusteigen und den Senat abzuschwören, doch das ist ein Irrtum. Denn Lucius machte eine letzte verzweifelte Anstrengung, seine weltliche Gewalt den Römern zu entreißen. Ein Papst belagerte und stürmte das Kapitol wie Brennus oder Vitellius, doch Pierleone und seine Senatoren, vor deren erhitzter Phantasie aus den tarpejischen Trümmern die Schatten des Altertums emporsteigen mochten, verteidigten es gleich den Vorfahren mit Tapferkeit; ein Steinwurf, so wollte man wissen, streckte den Vikar Christi zu Boden, und die Geschichte gesellte zu Manlius und Gracchus auch einen Papst, der auf dem Clivus Capitolinus blutend niedersank.

Lucius II. starb nach wenig Tagen im Kloster St. Gregor auf dem Coelius, wohin man ihn unter dem Schutz der Frangipani gebracht hatte, am 15. Februar 1145.


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