Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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Zweites Kapitel

1. Paschalis II. verdammt das Privilegium. Die Römer empören sich wegen der Wahl des Stadtpräfekten. Pier Leone. Seine Burg am Marcellustheater. Die Diakonie S. Niccolò in Carcere. Abfall der Campagna. Heinrich V. kommt nach Rom. Flucht des Paschalis. Burdinus von Braga. Ptolemäus von Tusculum. Rückkehr und Tod Paschalis' II. Seine Denkmäler in Rom.

Der Friede wurde in Rom schon im Jahre 1116 zerstört, wo Heinrich nach der Lombardei kam und Paschalis, von dem Widerspruch aller Bischöfe gedrängt, auf dem Lateranischen Konzil im März das Privilegium der Investitur als erzwungen mit feierlichem Anathem verdammte. Die Aussöhnung, welche der Kaiser durch den Abt Pontius von Cluny versucht hatte, scheiterte; zwar weigerte sich der Papst, Heinrich durch das Konzil bannen zu lassen, aber er trat der Exkommunikation seiner Legaten nicht entgegen und duldete es, daß der Erzbischof Jordan von Mailand im Dom dieser Stadt den Kaiser als gebannt verkündigte; er erklärte, nur ein Konzil könne diesen Bann der Bischöfe aufheben.

Während die Gesandten Heinrichs mit dem Papst unterhandelten, verstanden sie sich heimlich mit der Partei in Rom, die des Kaisers Ankunft herbeiwünschte. Augenblickliche Wut gegen das Kaisertum ergriff die Römer, aber ihr Widerwille gegen die Papstgewalt war ewig. Der Tod des Stadtpräfekten bot ihnen gerade jetzt Gelegenheit zu offener Empörung dar. Die römischen Großen bewarben sich in dieser Zeit so begierig um die Präfektur wie ihre Ahnen um den Konsulat, denn der Blutrichter Roms war eine einflußreiche Person. Aller Augen richteten sich auf den Stadtpräfekten, wenn er bei feierlichen Prozessionen von seinen Richtern umgeben neben dem Papst einherschritt, in phantastischen Gewändern, in einer weitärmeligen Dalmatika von roter Seide, in einem prachtvollen, mit Gold besetzten Mantel, auf dem Haupt die Mitra von purpurrotem Samt, das eine Bein mit goldener, das andere mit roter Hose bekleidet. Seine Wahl veranlaßte, wie jene des Papsts, wütende Parteikämpfe. Wenn der Erwählte sich dem Volk auf einer Kanzel dargestellt und die Gesetze Roms beschworen hatte, pflegte man ihn in Prozession zum Papst zu führen, der ihm die Bestätigung gab, und endlich erhielt der Präfekt von einem kaiserlichen Bevollmächtigten die Belehnung mit dem Reichsadler und dem bloßen Schwert. Denn der Kaiser betrachtete ihn als seinen Vikar in der Stadt, aber auch die Päpste hatten das Recht, ihn zu bestätigen. Sie begehrten, die Investitur der wichtigsten Stadtobrigkeit dem Kaiser zu entziehen, und in günstigen Zeiten ernannten sie den Präfekten aus eigener Macht.

Als der Stadtpräfekt Petrus am Ende März 1116 starb, wollte Paschalis sein Amt einem Sohne Pier Leones übertragen, aber die kaiserliche Partei und das Volk, welches diesen reichen Magnaten haßte, stellte den Sohn des Petrus, einen Neffen des Ptolemäus von Tusculum, zum Präfekten auf. Der Papst nahm die Insignien der Präfektur an sich und wollte seinen Kandidaten durchsetzen. Am Osterdonnerstag war er im Lateran, als die Volkspartei in die Kirche drang, ihren jungen Kandidaten Petrus ihm vorstellte und mit Geschrei seine Bestätigung forderte. Die heilige Handlung wurde frech gestört, und der Mittelpunkt dieser wütenden Szene war ein trotziger Knabe in Trauerkleidern, welcher Präfekt von Rom zu sein verlangte. Der Papst beschied die Tobenden auf einen andern Tag; sie stürmten drohend aus dem Lateran; Rom spaltete sich in zwei Faktionen, für welche selbst die Grafen der Campagna Partei nahmen. Der Aufstand wuchs während des Fests. Als der Papst am Ostermontag nach dem St. Peter zog, stellten ihm die tobenden Römer an der Engelsbrücke wieder den Präfektensohn vor und verlangten seine Investitur. Sie vergriffen sich voll Wut am päpstlichen Gefolge; die nach dem Lateran heimkehrende Prozession wurde vom Kapitol herab mit Steinwürfen verfolgt. Der junge Kandidat legte die Zeichen der Präfektur an; der Straßenkrieg begann, Türme und Häuser wurden zerstört, Kirchen geplündert und Frevel jeder Art verübt.

Das Volk stürmte die Burg Pier Leones, aber sie war eine der festesten der Stadt. Das große Marcellustheater, in dessen Nähe die Türme der Pierleoni standen, eignete sich trefflich zu einem Kastell, und der Tiber, endlich die Trümmer großer Portiken, namentlich der Octavia, gaben dieser Gegend zwischen dem Fluß und dem Kapitol noch mehr Festigkeit. Es ist merkwürdig, daß die Pierleoni, Neulinge jüdischer Abkunft, ihre Wohnung in der Nähe des alten Trasteveriner Ghetto und der Inselbrücke behielten oder nahmen, welche von den Juden, die schon damals neben ihr wohnten, Pons Judaeorum genannt wurde. Der Mittelpunkt ihrer Burg war jenes Theater, und ihre turmartigen Häuser erstreckten sich am Fluß bis S. Niccolò in Carcere, einer alten Diakonie, die man in schönen Tempeltrümmern erbaut hatte. Diese Kirche dauert noch heute, aber die Paläste der Pierleoni sind verschwunden. Ihre Türme haben sich in hohe Wohnhäuser verwandelt, und in ihren Resten befindet sich heute die Büffelschlächterei und das Lumpen-Magazin der Juden vom nahen Ghetto. So sank die Stätte eines Geschlechts stolzer Senatoren und Konsuln der Römer durch wunderbare Ironie wieder in ihren Ursprung zurück, denn auf jener Stelle, wo im Schutze der jüdischen Emporkömmlinge der berühmte Papst starb, welcher die Kreuzzüge gepredigt hatte, wo aus den Pierleoni selbst ein Papst hervorging, häufen wieder Juden Lumpen auf, gleich den Ahnen des Petrus Leo und des Anaklet II.

Pier Leone rief den Papst, der nach einer empfindlichen Niederlage seines Anhanges nach Albano entflohen war, dringend zum Entsatz herbei. In seiner Not verschleuderte Paschalis Kirchengüter an die Barone, namentlich an Ptolemäus, den er mit Aricia belieh. Seine Milizen drangen in Rom ein; die Gegenpartei wurde geschlagen, der junge Präfekt gefangen und schon nach dem Kastell Fumone abgeführt, als der treulose Ptolemäus die Päpstlichen plötzlich am Algidus überfiel, den Neffen befreite und jene selbst zu Gefangenen machte. Sein Abfall gab das Zeichen zum Aufstand der Campagna; die Römer griffen die Burg Pier Leones an, und der unselige Paschalis suchte Schutz in den Türmen Sezzas im Volskergebirg. Die aufständischen Großen luden jetzt Heinrich nach Rom ein; er schickte ihnen Briefe und Geschenke, in Hoffnung, daß diese Bedrängnis den Papst gegen ihn nachgiebiger machen werde. Der Aufstand war in der Tat so heftig, daß man sich verwundern muß, warum es den Römern nicht schon damals gelang, sich eine freie Verfassung zu geben; aber mit dem Sommer endete der Parteikrieg, und Paschalis, welcher von Benevent Truppen herbeigezogen hatte, konnte wenigstens in Trastevere einziehen. Ob er sich mit den Römern vertrug, indem er den Präfekten Petrus anerkannte, ist ungewiß; denn die Stadt oder der in ihr herrschende Adel hatte sich damals tatsächlich vom Papsttum unabhängig gemacht.

Nun aber kam der Kaiser selbst, worauf sich dieser gepeinigte Papst, einem rastlos gejagten Wilde gleich, zu neuer Flucht erheben mußte. Heinrich, durch die erfolglosen Bemühungen seiner Gesandten gereizt, wollte ihn noch einmal zu seinem Willen zwingen; denn Paschalis verlangte, daß er sich dem Urteil eines Konzils unterwerfe, aber der Sohn Heinrichs IV. war über solche Künste hinlänglich belehrt. Er kam um Ostern 1117 mit der Miene nicht eines Feindes der Kirche, sondern als suche er in aller Demut die friedliche Schlichtung des Streites um die Investitur; doch der Papst floh sofort nach Monte Cassino und Benevent. Berald, Abt von Farfa, Johann Frangipane und Ptolemäus erklärten sich augenblicks für Heinrich; er eroberte einige päpstliche Städte, und die Römer öffneten ihrem ehemaligen Feinde die Tore. Ein förmlicher Triumphzug wurde ihm von seinen Anhängern bereitet; der Kaiser ritt mit seiner Gemahlin durch das bekränzte Rom, umjauchzt vom Volk, empfangen von schismatischen Prozessionen, aber kein Kardinal noch Bischof begrüßte ihn.

Er versuchte, den Klerus zu gewinnen; einige Kardinäle und Burdinus, Erzbischof von Braga, des Paschalis Legat, unterhandelten mit ihm, doch jeder Vergleich zerschlug sich an der Weigerung, der Investitur zu entsagen. Am Osterfest begab sich der Kaiser nach dem St. Peter, nicht über die Hadriansbrücke, wo das Kastell von den Päpstlichen gehalten wurde, sondern auf einer Barke übersetzend. Er versammelte ein Parlament, zu dem auch einige Kardinäle erschienen; er beklagte die Abwesenheit des Papsts und offenbarte seine Wünsche für den Frieden zwischen Kirche und Reich. In einer hochtönenden Rede pries er die Folgen der Eintracht beider Häupter der Christenheit; der Ruhm des einen, so sagte er, würde der des andern sein, ihre gemeinsame Kraft die Furcht aller; auf sie würden Senat, Konsuln und Adel, alle guten Bürger der Stadt und der Welt befriedigt blicken; »Goten, Gallier, Spanier, Afrikaner, Griechen und Lateiner, Parther, Inder und Araber würden uns fürchten oder lieben. Aber ach! anders sind unsre Handlungen, und andre Früchte ernten wir.«

Die Kardinäle antworteten mit einer mutigen Rede, worin sie ihm das Bild der Wirklichkeit und seiner Gewalttaten entgegenhielten. Sie weigerten sich, ihn zum Fest zu krönen; denn sooft die Kaiser an hohen Festtagen in Rom waren, pflegten sie sich vom Papst die Krone aufsetzen zu lassen, um so den Umzug durch die Stadt zu halten. Der ehrgeizige Burdinus vollzog diese Handlung als päpstlicher Legat, worauf Heinrich das Osterfest mit großer Pracht feierte. Fast ganz Rom gewann er durch Gold; den jungen Präfekten bestätigte er im Amt; das mächtigste Capitanengeschlecht verband er sich sogar durch Verschwägerung. Ptolemäus fand sich hoch geehrt, als ihm der Kaiser seine uneheliche Tochter Berta vermählte. Dieser Graf, ein Sohn Ptolemäus' I. von Tusculum und Enkel des Konsuls Gregorius, blickte mit Stolz auf den schon zweihundertjährigen Ruhm seines Geschlechts, welches, wie sein Neffe, der Diaconus Petrus in Monte Cassino, versicherte, geradeswegs von Juliern und Octaviern abstammte. Heinrich bestätigte den Grafen im Besitz aller von seinem Großvater ererbten Güter durch kaiserliches Pergament; er machte ihn gleichsam reichsunmittelbar und stellte so vor die Tore des Papsttums dessen alten tuskulanischen Feind drohend auf. Die Macht des Ptolemäus war im Verhältnis zum Kirchenstaate sehr groß; denn sie erstreckte sich von der Sabina bis zum Meer, so daß dieser »Diktator von Tusculum«, der Herzog und Konsul aller Römer, förmlich als der Fürst Latiums erscheint. Die Tusculanen führten auf ihre eigene Hand Krieg mit den Gaëtanern und schlossen dann wie unabhängige Fürsten mit ihnen Verträge, wonach sie jener Republik Handelssicherheit in ihrem Gebiete zusagten.

Paschalis hielt unterdes ein Konzil in Benevent, wo er Burdinus bannte. Auf seine Bitten schickte der Fürst von Capua Truppen ins Römische; aber obwohl der Kaiser schon um Pfingsten nach Toskana gezogen war, genügten die Vasallen Tusculums und einige Deutsche, sie zu verjagen. Erst im Herbst konnte sich Paschalis mit einem größeren Heer nach Benevent aufmachen und bis Anagni vorrücken. Der kranke Greis feierte das Weihnachtsfest in Palestrina unter dem Schurze des Petrus Colonna, dem er den Besitz jener Stadt aus Not mochte bestätigt haben. Seine Partei verstärkte sich, und befreundete Barone führten ihn nach Rom zurück, wo die Faktionen wütend miteinander kämpften. Sein Erscheinen mit frischen Truppen in Trastevere schreckte den Abt von Farfa und Ptolemäus; die Römer fielen zu Paschalis ab, und schon wurden die Sturmmaschinen gegen den St. Peter gerichtet, worin der Präfekt mit vielen Konsuln verschanzt lag, als die Kräfte des Papsts zusammenbrachen.

Sterbend ermahnte er die Kardinäle zur Eintracht, zur Vorsicht, zum Widerstand gegen die »Anmaßung der Deutschen«, dann verschied er in der Nacht des 21. Januar 1118, acht Tage nach seiner Rückkehr, in einem Gebäude neben dem ehernen Tor der Engelsburg. Weil im St. Peter wie in einer Schanze die Gegner lagerten, mußte der Tote im Lateran begraben werden. Der Pontifikat Paschalis' II. war elend und drangvoll wie wenige vor ihm; er hatte ihn hingebracht nicht allein im Kampf mit dem Kaiser, sondern in beständigem Aufruhr, und selbst die ganze Kirche hatte er gegen sich empört gesehn.

Kein Mausoleum erinnert mehr an den unseligsten Papst, der vom Sohne jenes Kaisers ins Grab geängstigt wurde, welchen einst Gregor VII. mit dem Fluch in die Grube gestürzt hatte. Nur ein paar von ihm hergestellte Kirchen sind noch seine Denkmäler in Rom; S. Bartolomeo auf der Tiberinsel, S. Adriano auf dem Forum (damals noch immer in tribus Fatis genannt); ferner S. Maria in Monticelli und vielleicht auch S. Clemente, dessen Kardinal er gewesen war. Diese alte, durch den Brand unter Guiscard zerstörte Basilika wurde vom Kardinal Anastasius dem Jüngeren am Anfange des XII. Jahrhunderts nicht mehr erneuert, sondern sie versank als Krypta unter die Erde. Der Neubau wurde über ihr in gleicher Linie mit der neuen lateranischen Straße aufgeführt. Das beste Denkmal des Paschalis war die erneuerte Kirche der Vier Gekrönten auf dem Coelius, welche derselbe normannische Brand zerstört hatte. Er weihte sie am 20. Januar, kurz vor seiner Flucht vor Heinrich V. Ihre heutige Gestalt rührt indes aus späterer Zeit her.

So war Paschalis trotz seiner Bedrängnisse nach einer langen Epoche wieder der erste Papst, welcher Bauten in Rom unternahm zu einer Zeit, wo der Faktionskrieg täglich Monumente der Alten und Kirchen verwüstete.


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