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4. Die Bischöfe erheben sich gegen Paschalis II. Ein Konzil im Lateran kassiert das Privilegium. Die Legaten bannen den Kaiser. Alexius Komnenus und die Römer. Belehnung des Normannenherzogs Wilhelm. Tod der Gräfin Mathilde. Die mathildische Schenkung.
Ein Sturm der Entrüstung erhob sich in der gregorianischen Partei. Sie sah durch die Schwäche eines Papsts das große, unter so vielen Kämpfen errungene Werk Gregors zerstört. Diejenigen Kardinäle, welche nicht mit Paschalis gefangen gewesen, schmähten ihn, daß er nicht den Tod des Märtyrers der Unterwerfung unter des Kaisers Gebot vorgezogen habe; sie nannten seine Handlung, welche doch nur dem Bereiche der Kirchendisziplin angehörte, dreist Ketzerei; sie verlangten den Bruch des Vertrags. Der Papst sah sich in einem schrecklichen Zwiespalt; die Zeloten wiesen mit Fingern auf ihn als einen Verräter des Herrn, und der Unglückliche verbarg sich verzweifelnd in der Einsamkeit zu Terracina und selbst auf der Insel Ponza.
Die Kirche befand sich zu Paschalis in demselben Verhältnis, wie ein moderner Staat sich zu dem Monarchen befinden würde, welcher die Verfassung gebrochen hat, aber selten hat ein Volk den Verfassungsbruch seines Herrschers mit gleicher Kraft durch konstitutionelle Mittel des Gesetzes bekämpft, als es damals die Kirche und ihre Parlamente taten. Johann von Tusculum und Leo von Ostia versammelten eine Synode zu Rom, wo man sofort die Dekrete Urbans und Gregors erneuerte und das Privilegium Heinrichs V. für null erklärte. Diesem Urteil trat mit Heftigkeit der Bischof Bruno von Segni bei, damals zugleich Abt von Monte Cassino. Man verlangte von Paschalis den Widerruf und die Exkommunikation des Kaisers; fremde Bischöfe erhoben entrüstet ihre Stimme; Johann von Lyon schrieb ein gallisches Konzil aus; die päpstlichen Legaten versammelten Synoden, und so groß war die Erbitterung, daß man von Absetzung des Papstes sprach. Ein Schisma drohte auszubrechen; denn auch Paschalis hatte seine Verteidiger nicht allein in jenen Kardinälen, die mit ihm einverstanden waren, sondern unter allen Anhängern des Kaisers, endlich unter orthodoxen aber gemäßigten Bischöfen, an deren Spitze der berühmte Ivo von Chartres stand. Paschalis, schwach und furchtsam, war innerlich unsicher; er schrieb besänftigend an eifernde Bischöfe, tadelte die Ausfälle der zelotischen Kardinäle gegen das Oberhaupt der Kirche und bekannte reuevoll, daß er nach Mitteln suche, Geschehenes ungeschehen zu machen.
Am 18. März 1112 versammelte er ein Konzil im Lateran; er schilderte, was er gelitten und wie er zu jenem Vergleiche gedrängt worden sei; er erklärte das Privilegium als unrechte Handlung; aber den Weg, es zu verbessern, müsse er dem Konzil überlassen, denn er selbst werde den Kaiser niemals bannen noch wegen der Investituren belästigen. In der letzten Sitzung reinigte er sich sogar vom Vorwurf der Ketzerei durch ein feierliches Glaubensbekenntnis und die Anerkennung der Beschlüsse seiner Vorgänger, worauf die Synode ohne ihn einstimmig erklärte, das Privilegium sei als unkanonisch kassiert.
Die Geschichte Heinrichs V. und Paschalis' II. liefert einen der auffallendsten Beweise, wie leicht im politischen Leben Verträge geschlossen und gebrochen werden, auch wenn sie mit allen Siegeln der Religion bedeckt sind. Nur die Übergewalt kann einen Vertrag aufrecht halten, der dem einen oder andern Teile schädlich ist, und sein festester Kitt wird immer ein gemeinschaftlicher Vorteil sein. Ein strenges Urteil wird fragen, welche Handlung am Papst tadelnswürdiger war, seine erste, wo er sich von Furcht oder Mitleid einen unkanonischen Vertrag abzwingen ließ, oder seine zweite, wo ihn Furcht und Reue zu dessen Bruche nötigten. Wenn Paschalis, ehe er das letzte tat, abgedankt hätte, so würde er ein kleiner Papst und ein größerer Mensch gewesen sein. Da er Papst blieb, schlug er den anständigsten, aber gefährlichsten Weg ein: er überließ die Entscheidung dem Konzil, dessen Autorität er das Papsttum unterwarf. Wir können nicht mehr in seinem Herzen lesen, um zu sehen, wie in ihm christliche Demut, Scham und Reue, menschliche Schwachheit und Zorn gemischt waren; aber er widerstand lange den Aufreizungen des Fanatismus, welchem Eide nicht heilig sind. Sein von Haß freies Verhalten zum meineidigen Heinrich während und nach seiner Gefangenschaft gibt ihm Anspruch auf den seltenen Titel eines Priesters; und wir wagen jenes auch aus christlicher Gesinnung, nicht einzig aus der Furcht abzuleiten. Die Beschlüsse des Konzils wurden an den Kaiser mit der Aufforderung gesandt, auf die Investitur zu verzichten; Heinrich V. lehnte dies ab, und Paschalis blieb lange in freundlichem Briefwechsel mit ihm.
Was er selbst zu tun sich weigerte, taten seine Nuntien. Die Legaten a latere, welche die Päpste in alle Provinzen der Kirche wie ihre Alter ego ausschickten, erlangten seit Nikolaus II. und Gregor VII. eine unerhörte Macht. Von allen gefürchtet, von den Fürsten wie von den Bischöfen und Gemeinden, wurden sie, nach dem aufrichtigen Geständnis des heiligen Bernhard, eine Plage der Länder, deren Geld sie, wie die Prokonsuln des alten Rom, erpreßten; aber sie halfen den Päpsten die Höfe der Könige und die Landeskonzile unterwerfen. Ihr Amt wurde die Schule der feinsten diplomatischen Kunst, und sie selbst waren die eigentlichen Staatsmänner jener Zeit. Conon von Praeneste erfuhr kaum in Jerusalem die römischen Vorgänge, als er sich, ein päpstlicher Legat, die Kühnheit herausnahm, den Kaiser zu bannen. Der Erzbischof Guido von Vienne, Heinrichs Vasall, versammelte im Oktober 1112 ein Konzil, erklärte die Investitur von Laienhand als Häresie, belegte den Kaiser als einen zweiten Judas mit dem Anathem und verlangte die Bestätigung dieser Beschlüsse von Paschalis unter Androhung, ihm den Gehorsam zu verweigern. Der Haß des Klerus gegen Heinrich, welchen auch viele Römer teilten, ermunterte damals den griechischen Kaiser zu dem Versuch, veraltete Ansprüche zu erneuern. Alexius Komnenus, ein glücklicher und kluger Monarch, sah sein Reich durch die Kreuzzüge gesichert, welche ihm mit der Gründung des Königreichs Jerusalem und anderer syrischer Staaten eine Schutzwehr gegen die Türken aufgerichtet hatten; er schickte Gesandte nach Rom, beklagte das Unglück des Papsts, beglückwünschte den Widerstand der Römer gegen einen räuberischen Usurpator und wünschte nach altem Recht die römische Krone. Die Römer traten gegen Heinrich auf, indem sie eine pomphafte Gesandtschaft wirklich nach Konstantinopel schickten, wegen der Krönung zu unterhandeln; aber der Papst beteiligte sich nicht an diesem theatralischen Vorgange, und nur der jetzt noch unabhängiger in Rom regierende Adel nahm die Gelegenheit wahr, ein geräuschvolles Aufsehen zu machen.
Paschalis genoß übrigens einiger ruhiger Jahre in Rom; nur ging er ab und zu nach Apulien, um dort die Rechte der Kirche wahrzunehmen. Am 15. Oktober 1114 hielt er ein Konzil in Ceprano, und hier, wo Gregor VII. einst Robert Guiscard beliehen hatte, gab er dem Nachfolger Rogers, dem Herzog Wilhelm, die Belehnung mit Apulien, Kalabrien und Sizilien. So suchte die römische Kirche, in immer bedrängterer Lage sich den Schutz des normannischen Italiens zu erhalten, dessen Lehnshoheit ihr verblieb, und zugleich eröffnete ihr der Tod der großen Gräfin die Aussicht, andere, ihr schon vermachte Länder in Besitz zu nehmen.
Mathilde starb siebzigjährig am 24. Juli 1115 auf ihrem Schloß Bondeno de' Roncori bei Canossa und ließ als Erben ihrer Güter den Papst zurück. Die berühmte mathildische Erbschaft, eins der verhängnisvollsten Geschenke in der Geschichte, ist zu ihrer Zeit der Erisapfel gewesen, welchen ein Weib zwischen die Päpste und die Kaiser warf. Seit Pippin hat keine andere Schenkung gleiche Bedeutung gehabt; auch schwebt dasselbe Dunkel über beiden. Ihre wirklichen geographischen oder juridischen Grenzen sind nie ermittelt worden, und mit Recht muß man sich verwundern, daß die mathildische Urkunde keine einzige Ortsbestimmung enthält, während doch in Schenkungsakten jener Zeit die Ländereien mit peinlicher Genauigkeit umschrieben wurden. Eine erste Schenkung hatte Mathilde Gregor VII. gemacht; aber die zweite Urkunde bemerkt, daß jenes erste Instrument verloren ging, weshalb Mathilde am 17. November 1102 zu Canossa ein neues Pergament in die Hände des Kardinallegaten Bernhard niederlege, worin sie der römischen Kirche alle ihre Güter diesseits und jenseits der Berge vermache zur Erlösung ihrer und ihrer Verwandten Seelen. Das besonnene Urteil hat längst die Ansicht verworfen, daß Mathilde sich über alle Rechtsbegriffe ihrer Zeit hinwegsetzen konnte und dem Papst auch die großen Reichslehen schenkte, die ihre Ahnen besessen hatten, wie die Markgrafschaften Tuszien, Spoleto und Camerino, wie Mantua, Modena und Reggio, Brescia und Parma. Aber wenn sich ihre Schenkung auch nur auf ihre Allodialgüter bezog, welche vom Po herab bis zum Liris zerstreut lagen, so war es damals nicht immer mehr möglich, die Grenze zwischen Allodium und Reichslehn aufzufinden, und die Kirche konnte sich dieser Ungewißheit bedienen, um ihren Titeln mehr Ausdehnung zu geben.
Die Klugheit Gregors VII. hatte das Erbe Mathildes für die Päpste ausersehen; der zerfallene Kirchenstaat konnte nicht allein daraus erneuert, sondern ein breiter Grund zur Herrschaft über Italien gelegt werden. Wenn die Päpste, welche Süditalien zu einem Fahnenlehen St. Peters gemacht hatten, sich auch in Besitz der Güter Mathildes setzten, vielleicht auch ihre Reichslehen sich übertragen ließen, so leistete ihnen wirklich fast ganz Italien Vasallenpflicht, und das fabelhafte Geschenk Constantins wurde beinahe zur Wirklichkeit. Die mathildische Schenkung, welcher Art sie immer war, wird ein politisches Meisterstück der Päpste bleiben; aber es vergingen lange Jahre, ehe sie sich auch nur zum kleinsten Teil dieses Erbes bemächtigten. Drei Prätendenten bestritten ihnen die Hinterlassenschaft, zuerst die Städte, welche glücklich ihre Autonomie errangen; jene in Tuszien (Pisa, Lucca, Siena, Florenz, Arezzo) schon während der Regierung Mathildes im Besitz republikanischer Verfassungen, wurden später völlig frei, und kein Papst hat sie je beansprucht, noch hat die Kirche Modena, Reggio, Mantua und Parma beansprucht, während Ferrara ein wirkliches Kirchenlehen blieb, da es an Tedald, den Großvater Mathildes, war verliehen worden. Die andern Prätendenten waren Welf V. von Bayern als Mathildes Gemahl und Heinrich V. als Kaiser und Verwandter des lothringischen Hauses. Und kaum hatte Heinrich den Tod der Gräfin erfahren, so schickte er sich an, nach Italien zu gehen, ihre Güter an sich zu nehmen; Paschalis aber konnte sich nimmer einer mathildischen Scholle bemächtigen. Zwischen seinen Nachfolgern und den Kaisern blieb das Erbe der berühmten Gräfin lange der praktische Gegenstand des Streits, in welchem der große Kampf der geistlichen und weltlichen Gewalt fortdauernd neue Nahrung fand.