Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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6. Liga Karls V. mit Leo X. Krieg in der Lombardei. Einnahme Mailands. Tod des Papstes im Dezember 1521.

An demselben 8. Mai 1521, von welchem die Achtserklärung Luthers datiert war, unterzeichnete Don Juan Manuel den Bündnisentwurf zwischen dem Papst und Karl in Rom. Seine Artikel waren folgende: Mailand und Genua sollen Frankreich entrissen und ihrer legitimen Regierung wiedergegeben werden unter der Oberhoheit Karls, ihres »wahren Fürsten«. In Mailand wird Francesco Maria Sforza als Herzog eingesetzt, in Genua als Doge Antoniotto Adorno. Zehntausend Schweizer werden um 200 000 Dukaten gesoldet, wovon der Papst die Hälfte zahlt. Nach der Vertreibung der Franzosen verspricht Karl, Parma und Piacenza der Kirche zu geben, auch Ferrara ihr erobern zu helfen. Er nimmt Florenz und die Medici in seinen Schutz, er verspricht, alle Bedränger des katholischen Glaubens und Heiligen Stuhls mit ganzer Macht zu verfolgen. Dagegen gelobt der Papst, Karl mit Neapel zu belehnen, ihn zur Kaiserkrönung aufzunehmen und im Kriege gegen Venedig zu unterstützen. Den Schweizern wie dem Könige von England soll eine Stelle in dieser Liga offen bleiben. Der Abschluß dieses Vertrages war das Werk des Kardinals Julius Medici; der Kaiser versprach ihm als Lohn den Protektorat Spaniens, ein Bistum und ein Gehalt von 10 000 Dukaten.

Die Hauptsache war, schweizerisches Kriegsvolk zu kaufen. Schon hatte die von Frankreich bezahlte Partei in Luzern, früheren Verträgen gemäß, dem Könige Franz die Soldwerbung gestattet; doch gelang es dem Kardinal von Sitten, dem unermüdlichen Aufwühler seines Vaterlandes für papistische Zwecke, dasselbe Soldgeschäft in Zürich durchzuführen. Zwingli, in welchem die Schweiz ihren Reformator gefunden hatte, eiferte gegen diesen schmachvollen Menschenhandel. »Wohl billig«, so sagte der edle Bürger, »tragen auch diese römischen Kardinäle weite Mäntel und rote Hüte; schüttle sie, und es fallen Dukaten heraus, winde sie, so rinnt der Deinigen Blut herunter.« Die Schweizer bewilligten dem Papst, welcher ihnen einen Tribut von 35 000 Dukaten zahlte, einige tausend Soldknechte, und dies entschied den Krieg. Noch versuchten die Gesandten Venedigs, den Frieden zu erhalten, den Papst umzustimmen; am Ende des Mai kam dieser sogar wieder ins Schwanken.

Manuel meldete dem Kaiser von neuen Unterhandlungen mit dem Grafen von Carpi, dem damaligen Gesandten Frankreichs, und er riet ihm sogar, Leo durch die Drohung eines Konzils zu schrecken. Da kam der Papst zum Entschluß: am 29. Mai unterzeichnete er die Urkunde der Liga.

Die Venetianer erstaunten, daß Leo, welcher die Reichsgewalt bisher von Italien ferngehalten, Karl in das Land zog. Sie konnten ihm vorwerfen, daß er dem Frieden den Krieg vorziehe, um durch ein paar Städte seinen Kirchenstaat zu vergrößern. Zum Kriege war der Papst in keinem Fall gezwungen, wohl aber war es Karl V. Sein Gegner reizte seine Feinde in Flandern wie in Navarra auf. Das ungedeckte Navarra ließ er von Andreas de Foix überfallen. Als dies der Kaiser vernahm, rief er aus: »Gott sei mein Zeuge, daß ich diesen Krieg nicht begonnen habe; Frankreich will mich größer machen als ich bin.« Zum venetianischen Gesandten Gasparo Contarini sagte er in Mainz: »Entweder wird mich der König vernichten, oder ich werde der Gebieter Europas sein.« In der Tat forderte damals Frankreich die aufsteigende Reichsgewalt Karls V. aus ähnlichen Gründen zum Krieg heraus, wie es in unsern Tagen das unter Preußens Führung wieder aufsteigende Deutschland herausgefordert hat. Es war zu Pampelona in Navarra, wo Ignatius Loyola am 20. Mai 1521 durch eine französische Kugel verwundet wurde. So ward dieser schreckliche Spanier im Hintergrunde der Zeit sichtbar, in demselben Monat, als Karl V. Luther in die Reichsacht tat. Die dämonische Kraft bildete sich, welche dazu bestimmt war, die Reformation von den romanischen Völkern und dem Vatikan abzuhalten, in unserm Vaterland aber nicht ganz national werden zu lassen.

Auch in Italien machten die Franzosen die ersten kriegerischen Bewegungen. Morone hatte in Reggio, wo Guicciardini Generalleutnant des Papsts war, viele Verbannte Mailands versammelt, mit denen er einen Plan auf diese und andere Städte des Herzogtums entwarf. Diese Verschwörung bewog den Marschall Lescun, Thomas de Foix, einen Bruder Lautrecs, des Statthalters von Mailand, zu einem Versuch, sich Reggios durch Handstreich zu bemächtigen. Er mißlang am 23. Juni. Hierauf erklärte der Papst den Kirchenstaat für angegriffen und verkündete die Liga mit dem Kaiser. Den französischen König tat er in den Bann und sprach sogar seine Untertanen vom Eid der Treue los, wenn nicht Franz in bestimmter Frist die Waffen niederlegte und Parma und Piacenza herausgab. Das verbündete Heer des Kaisers und des Papsts befehligte Prospero Colonna, unter welchem der junge Marchese von Pescara, Fernando d'Avalos, stand. Des Papsts Feldhauptmann war Federigo Gonzaga von Mantua, Legat des Kriegs der Kardinal Medici. Die Verbündeten versuchten zuerst, Parma zu nehmen, aber Alfonso entsetzte diese Stadt durch einen Zug nach Modena. Nachdem der Herzog von Ferrara den Inhalt des Bündnisses zwischen Leo und Karl erfahren hatte, war er auf die Seite Frankreichs getreten, und nur ihn, die machtlosen Bentivogli und die Venetianer hatte Franz I. zu Bundesgenossen. Dieser Fürst erkannte alsbald, daß er den Krieg in großer Übereilung begonnen hatte; er versuchte vergebens, zu Calais im August die Vermittlung Englands anzurufen; vielmehr schloß auch diese Macht am 25. August zu Brügge ein Bündnis mit Karl wider ihn ab. In seinem eigenen Lande bedrängt, vermochte der König keine Hilfstruppen nach Italien zu schicken, während 10 000 Schweizer über den Po gegen Mailand vordrangen. Mitten unter diesem Kriegsvolk sah man zwei Kardinäle, Sitten und Julius Medici, in purpurnen Gewändern einherreiten, silberne Kreuze vor sich, ein Spott auf die christliche Religion. Sobald nun die Generale der Liga ihre Verbindung mit den Schweizern bewirkt hatten, konnte sich der bei Vaprio geschlagene Lautrec nicht mehr halten. Er zog auf Mailand zurück, brannte die Vorstädte ab, ließ als Ghibellinen verdächtige Bürger hinrichten und erbitterte das unglückliche Volk, welches seine Befreier, neue Plagegeister, herbeirief. Am 19. November 1521 verjagten Prospero und Pescara die Venetianer von den Wällen Mailands, worauf der Marschall Lautrec nach Como abzog. In der Nacht rückte der Kardinallegat Medici in die unverteidigte Stadt ein. Die meisten Städte des Herzogtums unterwarfen sich, nur Cremona, die Burgen in Mailand, in Novara, Arona und Alessandria hielten noch die Franzosen.

Leo X. empfing am 24. November in seiner Villa Magliana die frohe Botschaft, daß Mailand genommen sei. Das ist mir mehr, so sagte er, als mein Papsttum. Und so waren politische und kriegerische Erfolge die wichtigsten Angelegenheiten wie die höchsten Freuden der damaligen Päpste; zu jämmerlichen Territorialverhältnissen war die moralische Weltmacht der Kirche eingeschrumpft. Man sprach davon, daß der Kardinal Medici Herzog von Mailand, Sforza an seiner Stelle Kardinal werden solle. Ganz aufgeregt kam Leo am 25. November in die Stadt zurück; das Volk strömte ihm mit Ölzweigen in den Händen entgegen, und Musikchöre begrüßten ihn. Drei Tage lang feierte man Freudenfeste. Der Papst wollte ein Konsistorium berufen, aber die Aufregung machte ihn krank; er stellte selbst die Dankprozession nach S. Maria del Popolo ein.

Bald darauf hörte er den Fall Piacenzas, und daß seine Truppen den Herzog von Ferrara hart bedrängten. Alfonso befand sich nach der Niederlage der Franzosen in verzweifelter Lage; er hatte durch den Entsatz Parmas die Bündischen herausgefordert und durfte erwarten, daß sie jetzt dem Vertrage gemäß über ihn herfallen würden. Leo hatte ihn mit neuem Bann und Ferrara mit dem Interdikt belegt. Der Herzog verschanzte sich in seiner Hauptstadt, entschlossen, mit Ehren unterzugehen, und er machte der Welt in einem Manifest die verwerflichen Mittel bekannt, mit denen der Papst an seinem Sturz gearbeitet hatte.

Am 1. Dezember hörte Leo, daß auch Parma übergegangen sei; an demselben Tage verschied er. Sein plötzlicher Tod erweckte den grundlosen Verdacht der Vergiftung. Die Feinde Leos jubelten; man rief dem Toten das bekannte Epigramm auf Bonifatius VIII. nach: »Wie ein Fuchs kamst du auf den Thron, wie ein Löwe hast du regiert, wie ein Hund bist du gestorben.« Alle die Leo wegen seiner Wortbrüchigkeit haßten, die er beim Ämterkauf und durch Finanzkünste getäuscht hatte, überschütteten sein Andenken mit Satiren. Berichte jener Tage aus Rom sagen, daß zahllose Personen, Gläubiger des Papsts, ruiniert waren. Die Bank Bini hatte 200 000 Dukaten zu fordern, das Haus Gaddi 32 000, die Bank Strozzi drohte zu fallieren. Ricasoli hatte dem Papst 10 000 Dukaten geliehen, 80 000 der Kardinal Salviati, welcher auf seine Benefizien verzichtet hatte, um daraus Geld zu schaffen; der Kardinal Santi Quattro und Armellini hatten jeder 150 000 Dukaten zu fordern. »Kurz, es gibt keinen Diener oder Günstling Leos, der nicht zugrunde gerichtet sei; in Wahrheit, es ist wunderbar, daß er zugunsten des Heiligen Stuhls weder auf seine Verwandten, noch Lieblinge und Freunde Rücksicht nahm; wohl muß man staunen, wenn man sieht, wie seine Familie verarmt und auseinandergestoben ist.« Die apostolische Kammer fand sich so ausgeleert, daß man für den glänzendsten der Päpste nicht einmal die Leichenkerzen bezahlen konnte; man mußte sich derer bedienen, die man für die Exequien des Kardinals Riario gebraucht hatte. Die Poeten, die Künstler und Gelehrten, die Toskaner in Rom und tausend Menschen, welche Leos Großmut genossen hatten, beweinten ihn mit heißen Tränen. Man pries ihn glücklich, weil er nach dem Empfang einer Siegesnachricht gestorben war. Sein sehnlichster Wunsch, die Franzosen aus Italien vertrieben, Parma und Piacenza der Kirche wiedergegeben zu sehen, war in der Tat erreicht worden. Ob dieses Glück, welches der nächste Kriegswechsel zerstören konnte, groß genug war, um die letzte Stunde eines Papsts zu verherrlichen, konnten freilich Philosophen oder Christen bezweifeln.

Nicht nur als der glanzvollste, auch als der glücklichste der Päpste ist Leo X. der Mitwelt wie Nachwelt erschienen. Und doch wagte schon ein Zeitgenosse in ihm das Bild eines Sterblichen zu sehen, der in Wahrheit tief unglücklich gewesen sei. Eine unheilbare Krankheit, Verbannung, Gefangenschaft, Feindschaft, Verschwörung von Kardinälen, Kriege, endlich der Verlust fast aller seiner Nächsten und Freunde verdunkelten die genußreichen Tage des Papsts. Wenn Valerianus die Bedeutung der deutschen Reformation hätte ahnen können, so würde er daraus noch stärkere Beweise für seine melancholische Ansicht gezogen haben: denn Leo X. sah diese Reformation nicht allein entstehen, sondern er hatte durch den Mißbrauch der Papstgewalt und die heidnische Üppigkeit seines Hofes sie tatsächlich herausgefordert.

Rühmliche Eigenschaften mischten sich in der Natur Leos mit Zügen von Leichtsinn, Falschheit und Herzlosigkeit. Seine Klugheit ruhte nicht auf dem Grunde edler männlicher Charakterstärke. Sein Wesen, weit angelegt, doch ohne sittlichen Ernst, ohne Tiefe und Ursprünglichkeit, schillerte von allen Reflexen der Renaissancebildung seiner Zeit, wodurch es glänzend erschien. Sein Machiavellismus floß aus der Quelle der weltlichen Papstgewalt, mit welcher die moralischen Tugenden des Priesters niemals vereinbar gewesen sind. Auch das wohlwollendste Urteil wird bekennen, daß der sophistische Versuch zugunsten der Beurteilung der Handlungen von Päpsten den Fürsten vom Geistlichen zu trennen unstatthaft sei. Denn würden sie vor dem Tribunal der Apostel einen Richter finden, der ihnen erlaubte, ihre Sünden mit dem weltlichen Königsmantel zu bedecken und die Verbindung zweier Gewalten als die zweier Naturen zu betrachten? Als weltliche Fürsten waren Menschen wie Julius II. und Leo X. nicht schlechter, oft besser als andere Monarchen der Zeit: als Päpste werden sie jedem gerechten Urteil unerträglich und verabscheuungswürdig erscheinen. Die Päpste jener Epoche erhoben den Anspruch, die Stellvertreter Christi, ja die Vikare Gottes auf Erden zu sein; eben darum geht die Geschichte mit ihnen unerbittlich zu Gericht. Denn sie verfälschten aus Herrschsucht das göttliche Gesetz der Liebe, und sie verdrängten aus der Welt mit den gemeinen Begierden irdischer Macht das hohe Ideal des Christentums.

Die Posaunenklänge der Lobredner und Hofschmeichler Leos X. (und kein Papst hat jemals so viele und beredte gehabt) können die Ansicht der Nachwelt nicht mehr beirren, welche sich weigern muß, in diese Vergötterung Leos X. einzustimmen und ihn den großen Menschen der Geschichte beizuzählen. Das Papsttum, wie es die Borgia und Rovere umgeformt und ihm überliefert hatten, nahm er auf und brachte ihm die vollendete mediceische Kunst der Diplomatie hinzu, worin er Meister war. Dies System der verlarvten Intrige und Hypokrisie und der staatsklugen Doppeldeutigkeit hat er als eine weltliche Dogmatik des Heiligen Stuhls seinen Nachfolgern übermacht. Der Jesuitismus entstand zuerst als kirchenstaatliche Politik. Leo hielt im Papsttum noch den Schwerpunkt der europäischen Verhältnisse fest und gab ihm ohne Frage die Suprematie in Italien. Er steigerte die geistliche Macht des Heiligen Stuhls, welcher er auch Frankreich wieder unterwarf, während er in Deutschland an diesem Bemühen scheiterte. Was man als seine großen Ideen zu bezeichnen pflegt: die Vertreibung der Fremden aus Italien, die Einigung dieses Landes unter der Papstherrschaft, die Herstellung des Friedens und Gleichgewichts in Europa und der orientalische Krieg: das erscheint in seinen Handlungen entweder so zerstückt oder so verunglückt, daß man daraus nur künstlich ein Programm seiner Regierung machen kann.

Die Kirche selbst ließ Leo X. am Abgrund des Verderbens stehen. In Pläne von Glanz und Herrschaft, in ästhetische Schwelgereien versenkt, zeigte er für die kirchliche Krisis auch nicht das leiseste Verständnis. Von seiner Herrlichkeit berauscht, genoß er in ihr die ganze Größe und Fülle der geistlichen Macht als ein weltumfassendes Glück: im Genuß ward so das Papsttum verschwelgt wie das alte Imperatorentum Roms. In den Pomp des neulateinischen Heidentums hat er dies Papsttum versenkt. Seine christliche Aufgabe begriff er nicht, weil er wie alle Renaissance-Päpste die Größe des Papsttums mit jener der Kirche selbst verwechselte, und diese römische Verfälschung des christlichen Ideals, der längste und schrecklichste aller Irrtümer der Päpste, erzeugte die deutsche Reformation.

Der Name Leos X. strahlt am hellsten in der Geschichte der Kultur. Darin bezeichnet er, wenigstens hergebrachterweise, den Zenit der Renaissance. Das Glück war ihm dort am günstigsten. Er erntete, was größere Vorgänger schöpferisch ausgesät hatten. Er hielt das Füllhorn der Liberalität in Händen gerade in der Zeit, wo der italienische Nationalgeist seine klassische Vollendung fand. Leo X. besaß hier Vorzüge, die ihn als Papst zum Vertreter der Epoche machten: vorurteilslosen Sinn für alles Große und Schöne in der Kultur, wirklichen Enthusiasmus für Schöpfungen des Genies, Verständnis der gesamten Zeitbildung und endlich bei fürstlicher Abkunft fürstliche Großmut. Es ist auch wesentlich der Nimbus des Cosimo und Lorenzo Medici, der ihm vorweg eine augusteische Stellung in der Kulturgeschichte gesichert hat.


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