Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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4. Ludwig II. wird zum Kaiser gekrönt. Absetzung des Kardinals Anastasius. Ethelwolf und Alfred in Rom. Prozeß gegen den Magister Militum Daniel vor dem Tribunal Ludwigs II. in Rom. Leo IV. stirbt im Jahre 855. Die Fabel von der Päpstin Johanna.

Der Sarazenenkrieg und die Stiftungen Leos verdecken alle sonstigen Ereignisse in Rom, deren nur wenige während seines Pontifikats zu berichten sind. Im Jahre 850 setzte der Papst Ludwig II. im St. Peter die Kaiserkrone auf, nachdem ihn zuvor Lothar dem Gebrauche gemäß in der öffentlichen Reichsversammlung gekrönt hatte. Der Tag der Krönung ist unbekannt. Der neue Kaiser bekämpfte die Sarazenen in Unteritalien, denn im Jahre 852 belagerte er Bari. Er zog jedoch nach Oberitalien zurück, worauf sich die Römer bei Lothar beklagten, daß Ludwig nichts zu ihrem Schutze tue. Ein Konzil wegen disziplinarischer Angelegenheiten nahm im Dezember 853 für einige Zeit ihre Aufmerksamkeit in Anspruch, denn hier wurde Anastasius, Kardinal von St. Marcellus, verdammt und seiner Priesterwürde entsetzt. Er hatte seit fünf Jahren seine Kirche verlassen und sich der päpstlichen Vorladung nicht gestellt; im Frühjahr exkommuniziert, war er nach Aquileja entflohen; der Kaiser aber, von welchem Leo die Auslieferung desselben verlangte, hatte ihn fruchtlos aufsuchen lassen. Dieser Vorfall zeigte, wie hoch sich bereits der Stolz jener Presbyter erhob, die man Kardinäle nannte und aus deren Mitte schon seit langer Zeit die Päpste erwählt wurden. Sie verdrängten nach und nach den Einfluß der Palastminister, bis sie später zu dem gebietenden Heiligen Kollegium oder dem kirchlichen Senate wurden.

Den Papst erfreute bald darauf die Erscheinung zweier Britenfürsten: Ethelwolf kam nach Rom, sich von Leo salben und krönen zu lassen, und mit ihm war sein junger Sohn Alfred, welcher seine Krone einst mit dem unsterblichen Ruhm eines Helden und Weisen schmücken sollte. Die einjährige Anwesenheit dieser Fürsten gereichte der Angelsachsenkolonie, die durch den Brand so viel gelitten hatte, zur Förderung, denn der freigebige König gab seinen Landsleuten Mittel, ihre Häuser aufzubauen. Er bestätigte auch der römischen Kirche den Peterspfennig, und seither wurde dieser eine regelmäßige Steuer, welche das englische Volk an Rom entrichtete.

Das Lebensende Leos IV. verbitterte ein Streit, der klar genug bewies, wie tief Rom vom Kaiser abhängig war. Der Magister Militum Daniel hatte sich zu Ludwig begeben, seinen Feind Gratian mit plumpen Anklagen zu verderben, welcher ebenfalls Heermeister, aber zugleich päpstlicher Konsiliar und Superista war und verräterischer Verbindungen mit den Griechen angeklagt wurde. Die Römer ließen bittere Reden genug über den Kaiser hören, seitdem die Sarazenen ihre größten Heiligtümer geplündert hatten; sie verspotteten das ohnmächtige fränkische Kaisertum, welches von ihnen zum Schutze Roms und der Kirche eingesetzt worden war, und urteilten, daß es besser sein würde, das Reich wieder den Byzantinern zurückzugeben. Solchen Tadlern konnten die Kaiser freilich die Schutthaufen vieler fränkischer Städte, selbst die Ruinen des Aachener Palasts zeigen, welchen sie vor den Normannen nicht hatten schützen können. Ludwig hatte bereits mehr von der Stimmung in Rom erfahren; der Papst selbst war beschuldigt worden, gegen die Reichskonstitution zu handeln oder auf Neuerungen zu sinnen. Er hatte sich schriftlich gerechtfertigt und bereit erklärt, sich jedem Richterspruch zu unterwerfen, wenn er gegen die Gesetze des Reichs gefehlt haben sollte. Wäre dies nicht voraufgegangen, so hätte die Anklage eines einzelnen Römers Ludwig nicht in solchen Aufruhr bringen können.

»Von unermeßlichem Zorn entflammt«, eilte er nach Rom, ohne sein Kommen anzuzeigen. Leo empfing ihn mit allen Ehren und sah dem Prozeß ruhig entgegen. Das kaiserliche Placitum wurde im Palast Leos III. beim St. Peter gehalten, wo sich Papst und Kaiser, der fränkische und römische Adel versammelten. Kläger, Beklagter und Zeugen erschienen; Daniel wurde der frechsten Lüge überführt und in die Gewalt des verleumdeten Gratian gegeben. Aber der Kaiser wünschte und erhielt seine Begnadigung.

Wenige Tage nach diesem Prozeß starb Leo IV. am 17. Juli 855. Wie ein zweiter Aurelian glänzt dieser ausgezeichnete Mann in der Geschichte der Stadt durch die Wiederherstellung und Erweiterung ihrer Mauern; er hätte sich mit vollem Recht Restaurator Urbis nennen können. Sein Andenken dauert in Rom mit der Leostadt fort.

Eine der wunderlichsten Fabeln, welche die Phantasie des Mittelalters erzeugt hat, gab dem kraftvollen Leo IV. zum Nachfolger ein abenteuerliches Weib, und durch viele Jahrhunderte haben Geschichtschreiber und Bischöfe, ja Päpste selbst und alle Welt geglaubt, daß der Stuhl Petri zwei Jahre von der Päpstin Johanna besetzt gewesen sei. Diese Sage fällt aus dem Kreise der historischen Tatsachen, aber nicht aus dem der Geschichte der Meinungen im Mittelalter; daher muß sie hier kurz verzeichnet werden. Ein schönes Mädchen, die Tochter eines Angelsachsen, obwohl in Ingelheim geboren, glänzte, so wurde gesagt, in den Schulen von Mainz durch ungewöhnliche Gaben des Genies. Von einem jungen Scholasten geliebt, verhüllte sie ihr Geschlecht in die Mönchskutte, welche sie in Fulda nahm, wo ihr Freund Benediktiner war. Sie studierten mitsammen alles menschliche Wissen; sie reisten nach England, nach Athen, wo die verkleidete Schöne die hohe Schule der Philosophen besuchte, von denen die Phantasie der Chronisten jene Stadt noch erfüllt glaubte. Hier starb ihr Freund, und Johanna oder Johannes Anglicus, wie sie sich nannte, ging nach Rom. Ihre Kenntnisse erwarben ihr eine Professur an der Schule der Griechen, denn in eine solche verwandelte die Fabel jene Diakonie, die wir unter dem Namen St. Maria Scholae Graecorum kennen. Sie begeisterte die römischen Philosophen, sie entzückte die Kardinäle, auch ohne daß sie ihr Geschlecht ahnten, und sie wurde das Wunder Roms. Ihr Ehrgeiz aber strebte nach der Papstkrone; als nun Leo IV. gestorben war, vereinigten sich die Kardinäle in ihrer Wahl, da sie niemand würdiger fanden, der Christenheit vorzustehen, als Johann Anglicus, das Urbild aller theologischen Vollkommenheit. Die Päpstin bezog den Lateran, und sie scheute sich nicht, ein Liebesverhältnis mit ihrem vertrauten Kammerdiener anzuknüpfen. Die Folgen bedeckte das weite Papstgewand, bis die Natur die Sünderin überraschte. In Prozession nach dem Lateran ziehend, wurde sie zwischen dem Colosseum und S. Clemente von den Mutterwehen überfallen, sie gebar einen Knaben und verschied. Die entsetzten Römer begruben sie auf jener Stelle und errichteten daselbst zum Denkmal dieser unerhörten Begebenheit eine Statue, welche ein schönes Weib mit der Papstkrone auf dem Haupt darstellte, ein Kind in den Armen haltend. Seither vermieden die Päpste diesen Ort, wenn sie auf der Heiligen Straße nach dem Lateran zogen, von ihm Besitz zu nehmen, und sie unterwarfen sich einer förmlichen Prüfung ihrer Mannheit auf der Sella stercoraria, einem durchbrochenen Marmorstuhl im Porticus des Lateran.

Diese rohe Fabel war das Erzeugnis der Unwissenheit, der Sucht nach romanhaften Dingen und vielleicht auch des Hasses der Römer gegen die weltliche Herrschaft der Päpste. Man verkennt in ihr nicht die Zeit der Mirabilien, welche sie freilich nicht haben, oder des XIII. Jahrhunderts. Sie entstand in dessen Mitte und fand sich zuerst als Interpolation in einigen Handschriften des Martinus Polonus und des Marianus Scotus. Sie ging daraus in alle Chronisten über und wurde so allgemein geglaubt, daß man sich um das Jahr 1400 nicht scheute, die Büste der Päpstin Johanna in der Reihe der Papstbilder aufzustellen, die im Dom Sienas die Wände zierten. Die unglaubliche Einfalt von Zeiten, wo keine Fabel oder Tradition durch Kritik zerstört ward, schützte das Bildnis in jenem Dom; es stand dort 200 Jahre lang unter den Päpsten unangefochten, mit der Inschrift »Johannes VIII., ein Weib aus England«, bis der Kardinal Baronius in Clemens VIII. drang, es zu entfernen, worauf die weibliche Gestalt in die Figur des Papsts Zacharias verwandelt wurde.


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