Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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Viertes Kapitel

1. Bonifatius IX. Papst 1389. Ladislaus König von Neapel. Das Jubiläum von 1390. Mißbrauch mit den Indulgenzen. Habsucht Bonifatius' IX. Der Kirchenstaat löst sich in Vikariate auf. Vertrag des Papsts mit Rom. Unruhen. Bonifatius geht nach Perugia und Assisi. Er schließt Vertrag mit Rom, wohin er zurückkehrt 1393. Widerstand der Banderesi gegen das päpstliche Regiment. Clemens VII. stirbt. Benedikt XIII. Papst in Avignon 1394. Verschwörungen in Rom. Sturz der Banderesi und der Freiheit Roms durch Bonifatius IX. 1398. Er befestigt die Engelsburg und das Kapitol.

Pietro Tomacelli, Kardinal von S. Anastasio, Neapolitaner, wurde am 2. November 1389 in Rom gewählt und am 11. als Bonifatius IX. geweiht; ein noch junger Mann von 30 Jahren, von festem Willen, gereifter Einsicht, untadelhaften Lebens. Die Fehler der Politik seines Vorgängers begreifend, eilte er, das Haus Durazzo anzuerkennen und vom Banne zu lösen. Sein Legat krönte den jungen Ladislaus im Mai 1390 zum Könige Neapels, und die römische Kirche stützte sich wieder auf dieses Königreich, ihr altes Vasallenland.

Ein Papst, der sich mit der Jubiläumsbulle in Händen auf den Thron setzen konnte, war großer Vorteile gewiß. Das von Urban VI. angesagte Fest fand im Jahre 1390 statt, und obwohl die schismatischen Völker nicht daran teilnahmen, so strömten doch Wallfahrer aus Deutschland, Ungarn, Böhmen, Polen und England nach dem längst entweihten Rom. Die heilige Jubelfeier war zu einer Geldspekulation des Papsts geworden, welcher Beauftragte in alle Länder schickte und die Indulgenzen für so viel Geld ausbieten ließ, als die Reise nach Rom würde gekostet haben. Diese schamlosen Agenten rafften aus mancher Provinz mehr als 100 000 Goldgulden zusammen. Geld war die große Triebfeder jener hierarchischen Finanzanstalt in Rom geworden, welche man zum Hohn des Christentums noch immer die Kirche nannte; denn ohne dies konnte sie die Kriege um ihr Dasein nicht bestreiten. Die beklagenswertesten Mißbräuche nahmen überhand, Simonie und Wucher wurden mit nackter Schamlosigkeit betrieben. Die Zeitgenossen schildern Bonifatius IX., einen Mann von höchst mangelhafter Bildung, aber von scharfem Verstande, als grenzenlos habsüchtig und gewissenlos. Während seines Pontifikats gab er jedes Kirchenamt um Geld und Geldeswert hin; für jede Bittschrift ließ er sich zahlen. Er verschmähte selbst wenige Goldstücke nicht, denn sein Spruch war, daß ein kleiner Fisch in der Hand besser sei als ein Walfisch im Meer. Seine Verwandten, seine gierige Mutter und seine zwei Brüder, scharrten unablässig Geld zusammen.

Wie sein Vorgänger war auch Bonifatius gezwungen, Kirchengüter zu veräußern und Kirchenschätze zu verpfänden. Aus bitterster Geldnot und um die Zahl seiner Gegner zu verringern, erteilte er Magistraten und Tyrannen massenhaft Vikariate im Kirchenstaat. Seit dem Januar 1390 gab er solche an Albert von Este für Ferrara, an Antonio Montefeltre für Urbino und Cagli, an die Malatesta für Rimini, Fano und Fossombrone, an Ludwig und Lippus Alidosi für Imola, an Astorgius Manfredi für Faenza, an Ordelaffi für Forli. Den Städten Fermo und Ascoli und selbst dem mächtigen Bologna verlieh er (auf 25 Jahre) den Vikariat in Stadt und Gebiet. Indem diese Herren und Republiken für einen jährlichen Tribut in solches Verhältnis zum Papste traten, anerkannten sie dessen Hoheit und verpflichteten sie sich, seine Feinde zu Feinden, seine Freunde zu Freunden zu haben. So beschleunigte sich die Auflösung des Kirchenstaats in erbliche Kleinstaaten. Bonifatius IX. rüstete sich auf diese Weise mit Geldmitteln aus, ja er sah sich als Landesherr in den Patrimonien der Kirche wieder anerkannt, was seit einiger Zeit kein Papst mehr von sich hatte rühmen können. In wenigen Jahren erwarb er mit Einsicht und Kraft die wichtigsten Städte wieder, Perugia, Spoleto, Todi, Viterbo, Ancona, Bologna, welchen allen er mehr oder minder ihre Autonomie sicherte.

In Rom war bald nach dem Jubiläum die Stimmung dem Papst feindlich geworden; denn hier behaupteten noch Konservatoren und Banderesi die Freiheit der Republik. Kein Senator ist irgend in diesem Jahre sichtbar. Streitigkeiten der Kurie mit den Konservatoren, welche den Hof des Papsts ihrem Forum unterwerfen wollten, gaben Ursache zur Uneinigkeit. Am 11. September 1391 schloß deshalb Bonifatius einen Vertrag mit der römischen Gemeinde, wodurch diese gelobte, die Immunität des Klerus anzuerkennen, die Kurie nicht mit Zöllen zu belasten, die Stadtmauern und Brücken herzustellen, zur Wiedererlangung der tuszischen Kirchengüter beizutragen und alle römischen Barone zum Schutz- und Trutzbündnis mit dem Papst und der Stadt aufzufordern. Am 5. März 1392 machte er mit Rom einen weiteren Vertrag zum Zweck des Kriegs wider die Feinde im Patrimonium. Beide Teile verpflichteten sich, eine gewisse Anzahl Reiter auszurüsten, um den Stadtpräfekten Johann Sciarra, Galassus und den Bastard Johann von Vico zu bestreiten. Der Papst erklärte ausdrücklich, daß alle jenen Tyrannen abgenommenen Orte dem römischen Volk gehören sollten, mit Ausnahme von Viterbo, Orchio und Civitavecchia. Die bald enttäuschten Römer liehen ihm bereitwillig ihre Miliz dar, um Johann Sciarra, welcher sich im Jahre 1391 Viterbos bemächtigt hatte, und die vom Gegenpapst dort besoldeten gallischen Banden zu bekämpfen. Sie kräftigten den Papst, der sich ihrer zu bedienen wußte, dann aber erhoben sie sich im Jahre 1392; die Waffen in der Hand drangen sie in den Vatikan und rissen aus dem Palast, vor den Augen des Papsts, die Domherren des St. Peter, welche sich weigerten, die Güter dieser Basilika zu veräußern, wie von ihnen zum Zweck der Kriegskosten verlangt worden war. Bonifatius, in der Stadt unsicher, ergriff deshalb die Gelegenheit, welche ihm Perugia darbot, um Rom zu verlassen und dann zu zwingen, ihn unter günstigen Bedingungen zurückzurufen.

Perugia, von den Faktionen der Beccarini und Raspanti zerrissen, lud den Papst ein, diese Unruhen durch seine Gegenwart zu schlichten. Die Stadt bot ihm die volle Signorie, und er ging dorthin im Oktober 1392. Ein Jahr lang blieb er daselbst, mit gutem Erfolg bemüht, die Marken wiederzugewinnen; denn Ancona, Camerino und Jesi, Fabriano und Matelica unterwarfen sich; selbst der Stadtpräfekt, von den Milizen Roms hart bedrängt, suchte den Frieden, und die schon reuigen Römer übergaben das Dominium Viterbos dem Legaten des Papsts. Im Sommer 1393 ging indes Bonifatius aus Perugia, wo eine Revolution ausgebrochen war und Biordo de Michelotti sich zum Tyrannen aufgeworfen hatte, nach Assisi. Dort luden ihn römische Gesandte dringend zur Rückkehr ein; denn das römische Volk war in Furcht, er möchte in Umbrien seinen Sitz behalten, und diese Furcht hatte der Papst vorausgesehen. Er erklärte sich zur Rückkehr bereit, doch unter Bedingungen, welche er nach Rom sandte. Ihr Inhalt war folgender: der Papst darf fortan den Senator erwählen, oder wenn er dies nicht will, so müssen die mit der Senatsgewalt bekleideten Konservatoren ihm den Treueid leisten. Der Senator darf weder von den Banderesen noch von andern Magistraten im Amt beschränkt sein. Das römische Volk verpflichtet sich, die Straßen nach Narni und Rieti freizumachen und zum Schutz der Schiffahrt eine Galeere zu unterhalten aus den Zöllen der Ripa und Ripetta. Der Klerus und der päpstliche Hof stehen nur ihrem gesetzlichen Forum zu Recht, nämlich die Höflinge vom geistlichen Stande dem Auditor Camerae, die vom weltlichen dem Marschall des Papsts, die römische Geistlichkeit seinem Vikar. Sie alle, der Papst und die Kardinäle, sind zoll- und steuerfrei. Die Magistrate dürfen unter keinem Titel die Güter der Kirchen, Hospitäler und frommen Orte Roms beanspruchen. Zwei gute Männer werden jährlich zu Verpflegungsbeamten ernannt, einer vom Papst, der andere durch das Volk. Für die Rückkehr Bonifatius' IX. werden tausend wohlgerüstete Reiter als Geleit und 10 000 Goldgulden als Reisekosten dargeliehen. Diese Artikel schickte der Papst von Assisi nach Rom, wo ein Konsilium von hundert Bürgern aus jeder Region und der Generalrat mit den Magistraten zusammenkamen. Das Parlament vollzog in Gegenwart des Kardinals von Todi und des Abts von St. Paul am 8. August 1393 auf dem Kapitol den Vertrag, indem es die Bedingungen annahm und beschwor.

Diese merkwürdige Urkunde blieb im wesentlichen auch für die folgende Zeit die Grundlage des politischen Verhältnisses zwischen dem Papst und der Stadt Rom.

Bonifatius kehrte jetzt, am Ende des Jahrs 1393, zurück und wurde mit Ehren aufgenommen. Er reizte zuerst nicht das Volk durch die Einsetzung eines neuen Senators; wenigstens wird in den Akten jener Zeit kein solcher bemerkt. Indes der eben vollzogene Vertrag erschien den Demagogen zu ungünstig für die Rechte des Volks. Die Unzufriedenheit brach schon im Mai des folgenden Jahrs hervor, hauptsächlich durch die Banderesi veranlaßt, deren Gewalt zu brechen sich Bonifatius vorgenommen hatte. Man bedrohte ihn selbst mit dem Tode, und nur die Dazwischenkunft des jungen Königs Ladislaus beschwichtigte den Sturm. Er kam im Herbst 1394 mit zahlreichen Truppen nach Rom, wo er den Papst aus seiner gefährlichen Lage befreite.

Zu derselben Zeit starb Clemens VII. am 16. September 1394 in Avignon. So wurde Bonifatius von einem Gegner erlöst, welcher Rom unablässig beunruhigt hatte, während sich eine lang ersehnte Möglichkeit für die Beilegung des Schisma darbot. Da es darauf ankam, die Wahl eines Nachfolgers Clemens' VII. zu verhindern, eilte die Universität Paris, die avignonesischen Kardinäle von ihr zurückzuhalten. Allein sie erwählten schon am 26. September aus ihrer Mitte den Spanier Petrus von Luna zum Papst. Am 3. Oktober setzte sich derselbe auf den schismatischen Thron zu Avignon als Benedikt XIII. Alle Versuche, welche durch Synoden und Universitäten, selbst von Königen gemacht wurden, das Schisma beizulegen, scheiterten an den unausgleichbaren Ansprüchen beider streitenden Teile. Die Welt gewöhnte sich bereits an zwei Kirchen und zwei Päpste mit ihren sogenannten Obedienzen.

Alsbald suchte Benedikt XIII. den römischen Gegner durch Feinde im Kirchenstaate zu bedrängen. In Umbrien standen zwei Tyrannen in Waffen, der Peruginer Biordo de Michelotti, welcher Assisi überwältigt hatte, und Malatesta de Malatestis von Rimini, der sich Todis bemächtigte. In Kampanien war Honoratus von Fundi fortdauernd der gefährlichste Feind. Er schickte Briefe an die Römer, sie zum Abfall von Bonifatius und zur Anerkennung Benedikts zu reizen. Einige Edle, Johann und Nicolaus Colonna und Paul Savelli, deren Geschlechter schon fast seit einem halben Jahrhundert in geschichtsloses Dunkel zurückgesunken waren, trachteten danach, sich der städtischen Herrschaft zu bemächtigen. Das Volk Trasteveres erhob einen Aufstand, der jedoch unterdrückt ward, und zur Strafe verlor es seine bürgerlichen Rechte. Nur dem Könige Ladislaus verdankte es Bonifatius, daß er wiederholte Verschwörungen überwinden konnte. Die großen Erfolge, welche dieser Fürst wider seine Gegenpartei im Königreich Neapel zu erringen begann, erleichterten dem Papst die Unterwerfung Roms und Kampaniens. Im Frühjahr 1397 schloß selbst Honoratus mit ihm Frieden; bald darauf suchten auch die Colonna die Absolution.

Der mit entschiedenem Willen verfolgte Plan, das Volksregiment Roms umzustürzen und die Gewalt der Zünfte zu brechen, nachdem schon längst jene des Adels gebrochen war, gelang endlich dem Papst durch die listige Benutzung eines niedergeworfenen Aufstandes. Im Jahr 1398 willigte das römische Volk in die Aufhebung der Banderesi und die Einsetzung eines Senators; die Aussicht auf den bevorstehenden Gewinn des Jubeljahrs 1400 hatte nicht geringen Anteil an dieser Nachgiebigkeit der Römer; denn die Habsucht war oftmals die Verräterin ihrer Freiheit. Nachdem der Senat jahrelang nicht mehr besetzt worden war, ernannte der Papst Angelus de Alaleonibus von Monte S. Maria in Giorgio zu seinem Vizesenator. Aber eine große Partei im Volk war in heftiger Erbitterung. Man entwarf mit dem Grafen von Fundi den Plan zur Wiederherstellung des Banderesen-Regiments. Die Führer der Verschwörung waren Petrus Sabba Juliani, Pietro Cenci und Natolo Buci Natoli, alle drei ehemalige Konservatoren. Die Revolution sollte im August losbrechen, der Graf Honoratus während des Aufstandes das Tor St. Johann überfallen. Jedoch die Wachsamkeit des Vizesenators vereitelte dies; die Häupter der Verschworenen fielen unter dem Henkerbeil auf den Stufen des Kapitols. Unter dem Schrecken dieser Hinrichtung ward Bonifatius IX. wirklich Herr von Rom. Das Regiment der Banderesi wurde jetzt für immer abgeschafft; die Herrschaft der Zünfte verschwand; die Gilde der Schützen und Schildträger verlor die politische Macht, welche sie fast fünfzig Jahre behauptet hatte, und das frühere System der Verwaltung Roms durch einen halbjährigen fremden Senator und die drei Konservatoren der Stadtkammer wurde unter verstärkter Autorität des Papsts hergestellt. Die Freiheit nahm Abschied vom Kapitol.

Die Umwälzung, welche Bonifatius im Sommer 1398 vollbrachte, macht in der bürgerlichen Geschichte der Stadt Epoche. Man muß von ihr den Untergang der republikanischen Selbständigkeit der Römer herleiten, welche nach langen Bestrebungen, einen politischen Staat für die Dauer auszubilden, an dieser Aufgabe verzweifelten. Nachdem seit Cola di Rienzo der kriegerische Adel zerstört worden war, zerfiel auch die Macht des Bürgertums aus innerer Haltlosigkeit. Rom anerkannte im Jahre 1398 zum erstenmal das volle Dominium eines Papsts. Bonifatius IX. hatte am 11. Juli 1398 Malatesta Galeotti de Malatestis von Rimini auf sechs Monate zum Senator ernannt. Die Römer sträubten sich, ihn anzunehmen, aber nach den Vorgängen im August setzten sie ihm keinen Widerstand mehr entgegen. Der Papst machte ihn zugleich zum Generalkapitän der Kirche, um durch ihn alle weiteren Aufstandsversuche niederzuhalten. Seither regierte bis zum Tode dieses Papsts eine nicht mehr unterbrochene Reihe von fremden Senatoren die unterjochte Republik.

Seine Gewalt zu sichern, ließ Bonifatius IX. die zertrümmerte Engelsburg herstellen und mit einem Turm bewehren. Der vatikanische Palast ward gleichfalls zur Festung gemacht nach dem Muster der Papstburg Avignons; der Senatspalast auf dem Kapitol, welchen der Brand unter Cola di Rienzo zerstört hatte, wurde ausgebaut und befestigt, trotz des Murrens der Römer, die sich beschwerten, daß ihr Gemeindehaus zur päpstlichen Zwingburg werde. Dieser Bau war nur von Ziegelstein aufgeführt und so roh, daß später Flavius Blondus sich solchen Anblicks schämte und klagte, daß dies einst glanzvolle Kapitol nichts Sehenswertes mehr aufweise außer der Kirche der Franziskaner in Aracoeli. Bonifatius suchte auch das verfallene Ostia aufzurichten, um die Tibermündung gegen provençalische und katalanische Piraten zu schützen. Er entnahm deshalb die Stadt Ostia der Jurisdiktion des Kardinalbischofs und stellte sie unter die päpstliche Gewalt. Die Tibermündung diente wieder zur Station für einige Galeeren; denn zum erstenmal nach langer Zeit wurde eine päpstliche Flotte bemerkbar. Zu ihrem Admiral machte der Papst Caspar Cossa von Ischia. So war seine Tätigkeit groß und königlich. Aber sind es Kriegsschiffe, Heere und Zwingburgen, welche den Gegenstand der Sorge und des Ruhms eines Oberpriesters der Religion zu bilden haben?


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