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Die Aufgabe des Geschichtschreibers der Stadt Rom im Mittelalter ist vollendet und er an sein Ziel gelangt. Wie vom Gipfel eines hohen Berges, welchen ausdauernd er erstieg, kann er seinen Blick rückwärts in die langen und dunklen Zeiträume wenden, die er durchmessen hat, und vorwärts in noch folgende bis dort, wo die Grenze der Gegenwart von der Zukunft umhüllt wird. Wenn es die Tat des Geschichtschreibers ist, die Gestalt der Zeiten zu entschleiern, so erwartet er das Urteil der Denkenden, ob es ihm gelang, mehr als nur schattenhafte Umrisse vom Antlitz der geheimnisvollen Vergangenheit zu zeichnen.
Der Geist des Mittelalters ist in Wahrheit für uns oftmals rätselhafter als der des klassischen Altertums, an dessen Trümmern er seine Geschichte angeknüpft hat. Ganze Gebiete in ihm liegen von Nacht verschüttet, auf welche kaum aus Chroniken und Urkunden ein Schimmer fällt. Das Mittelalter ist die Entwicklung der abendländischen Menschheit durch das Prinzip der christlichen Religion auf dem Grunde der antiken Kultur; es ist die große Werkstätte und das Schatzhaus aller unserer Kulturideen. Je mehr nun wir selbst uns von ihm entfernen, desto geheimnisvoller und ehrwürdiger erscheint uns seine Gestalt. Die Erhabenheit seiner Ideale und ihr religiöser Tiefsinn, die Größe seiner weltumfassenden Systeme, die phantasievolle Übergeistigung alles Irdischen, die Mannigfaltigkeit seiner Lebensformen, die tiefen Widersprüche der übersinnlichen und der wirklichen Welt und ihr zerstörender wie befruchtender Kampf: alles dies stellt einen Kosmos von Ideen und Erscheinungen dar, dessen innerstes Wesen sich in Mysterien zu verhüllen scheint. Viele Stellen in der Welt des Mittelalters, welche einst hell erschienen, sind für unsern veränderten Blick abgeblaßt: viele, die das vergangene Menschengeschlecht dunkel sah, sind für uns zum Licht der Vernunft aufgehellt. Begriffe und Dogmen, Rechte und Gesetze, Glaube und Denkweise, Kirche und Staat, haben ihren Ort im geistigen Weltsystem verändert, oder sie sind unter unsern Horizont gesunken, und diese Verwandlung ist die Geschichte selbst. Vermag nun der Geschichtschreiber deren viel verschlungene Wege mit Sicherheit wieder zurückzulegen, die Gesetze ihrer Bewegung fehllos zu erkennen, den Schatten der Zeiten ihr nachgeschichtliches Dasein zu sichern und aus dem Verfall der Tatsachen das geistige Bild der vergangenen Welt als deren unzerstörbare, weil ideale Wirklichkeit zu erheben? Ich fühlte noch einmal das ganze Gewicht meiner Aufgabe lebhaft hier, wo ich nach der mich beglückenden Arbeit von siebzehn Jahren von der Geschichte der Stadt Rom den Abschied nehmen muß. Aus Trümmern der Jahrhunderte, deren geschichtliche Strömung für uns periodenweise versiegt ist, erkühnte ich mich, sie vom Boden Roms aufzulesen, und mein Werk ist nur ein unvollkommenes Fragment. Aber wie es auch sei, ich lege es als eine Opfergabe dankbar und voll Ehrfurcht zu den Füßen der Roma nieder.
Der Plan zu ihm entsprang aus dem überwältigenden Anblick der monumentalen Natur Roms und wohl auch aus der dunkel in der Zeit ruhenden Ahnung, daß die Geschichte des römischen Mittelalters ihrem völligen Abschluß durch den Untergang der päpstlichen Herrschaft nahe sei und daß die Stadt Rom, nach der langen Dauer ihrer Vergeistlichung, einer zweiten Metamorphose, ihrer Wiederverweltlichung, entgegensehe. Während ich diese Geschichte schrieb, war ich Augenzeuge erst der Wiederherstellung des Papsttums nach seinem augenblicklichen Fall im Jahre 1848 und dann der großen Umwälzungen Italiens, welche die letzte Katastrophe Roms herbeigeführt haben. Diese Erlebnisse förderten mein Werk, denn sie schärften mir den Blick für die Grundideen und geschichtlichen Triebe der römischen Vergangenheit, und sie öffneten mir zugleich viele Archive Roms und Italiens, welche mir ohne jene Umwälzungen kaum zugänglich geworden wären.
Ich begann meine Aufgabe im Jahre 1855, und ich beendigte sie im Jahre 1871, in derselben Zeit, wo der Untergang des weltlichen Staats der Päpste eine geschichtliche Tatsache wurde. In Wahrheit, es konnte keinen mehr bedeutenden und beziehungsvollen Augenblick für die Vollendung der Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter geben.
Freunde dieses Werkes fordern mich auf, die Geschichte der Stadt bis zu dieser abschließenden Gegenwart in derselben Weise fortzuführen, wie ich das Mittelalter aus seinen Urkunden zu behandeln versucht habe. Sie nötigen mich deshalb, ihnen zu sagen, daß und warum ich diese neue Aufgabe nicht unternehmen werde.
Die Epoche vom Tode Clemens' VII. abwärts würde dem Geschichtschreiber der Stadt einen nur spärlichen Inhalt darbieten und fast ausschließlich zur Geschichte des in immer engere Grenzen moralischer Macht sinkenden Papsttums werden. In diesen drei Jahrhunderten konnte die Stadt Rom weder mehr ein mitwirkendes Glied der Geschichte des Abendlandes, noch ein Spiegel für die Bewegung Europas sein. Der Geschichtschreiber würde daher Mühe haben, die großen Weltströmungen in bezug auf die Stadt Rom zu bringen oder nur dem versteckten Fortleben jener Grundgedanken nachzuspüren, welche das Wesen des römischen Mittelalters bestimmt haben. Ich meine, außer der Papstgewalt, das Prinzip der städtischen Republik und die Idee des Kaisertums.
Von der Kaiserkrönung Karls V. bis gegen das Ende des XVIII. Jahrhunderts beherrschten die Päpste Rom in so vollkommener Ruhe, daß sie in dieser Epoche des politischen Absterbens Italiens und auch der Erstarrung des Papsttums ihre glücklichste, aber ruhmloseste Zeit gehabt haben. Die Kaiseridee wie das munizipale Prinzip ruhten in Vergessenheit, bis die alten Kämpfe durch die Französische Revolution wiedererweckt wurden. Von diesem Augenblick, wo eine neue Kette nationaler, sozialer und wissenschaftlicher Umwälzungen begann bis auf unsere Gegenwart, wird ein Fortsetzer dieser Geschichte der Stadt Rom den Todeskampf des politischen Papsttums zu schildern haben, und unter seinen Händen wird sich das neu belebte Gemälde Roms zur Tragödie des Unterganges des Kirchenstaats und auch der bisherigen Form des Papsttums gestalten. Er wird das traumhafte Erwachen der Republik auf dem Kapitol am Ende des XVIII. Jahrhunderts und den Riesenschatten des Cäsarentums darstellen, welcher sich in Napoleon plötzlich über Rom und der Welt erhob, während die rechtmäßige Reichsgewalt, der deutschen Kaiser, erlosch. Er wird den jähen Sturz jenes Cäsarkolosses und die Herstellung der Papstgewalt durch den Wiener Kongreß schildern und dann bemerken, daß alsbald ein heftigerer Kampf der weltlichen Triebe gegen diese geistliche Restauration begann. Er wird dartun, daß jene drei die Stadtgeschichte Roms bestimmenden Grundgedanken durch einen andern verdrängt wurden, durch den Trieb der Nationalität. Er wird zeigen, wie der national-politische Gedanke, welchen Cola di Rienzo zuerst erfaßt, aber noch mit altrömischen Rechtsbegriffen und mit kirchlicher Scholastik verflochten hatte, sich vom mittelalterlichen Wesen loslöste; er wird nachweisen, wie diese Trennung von jedem Bezug auf die alten Ideen des Reichs, der Kirche und der Munizipal-Republik und wie überhaupt die grundsätzliche Abwendung der modernen Staatstheorie und der europäischen Politik von der theologischen Weltanschauung der Vergangenheit dem nationalen Prinzip den Sieg gegeben hat.
Der Geist der Weltgeschichte hat sich vor unsern Augen in einem Gewitter von Katastrophen entladen und so viel Untergang und Schöpfung mit sich geführt, daß von den Jahren 1870 und 1871 ein neues Zeitalter Europas beginnen muß, auch wenn die jüngsten Veränderungen statt dauernder Gestalten nur Übergangsformen und Probleme erzeugt haben sollten. Wer nun die Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter verfolgt hat, hält auch die Fäden des geschichtlichen Gewebes in der Hand, das die lateinische und die germanische Welt umschlingt und dessen Knotenpunkt Rom ist; er wird demnach den vollkommenen Zusammenhang des geschichtlichen Prozesses erkennen, welcher in den Ereignissen der Gegenwart solche Erfolge gefunden hat.
Die ghibellinischen Ideen der Entweltlichung der Kirche, der Kampf des reformatorischen Prinzips gegen die Papsthierarchie, das Streben des Papsttums nach der geistlichen Alleingewalt, Cäsarismus und Nationalität, das Ringen Italiens nach Unabhängigkeit und Einheit, der gleiche Einheitsdrang Deutschlands, der Riesenkampf dieses Volks mit dem französischen um das Recht seiner Neugestaltung, vielleicht um die europäische Gewalt: alle diese durch die Vergangenheit miteinander verflochtenen Ideen, Triebe, Bedürfnisse und Gegensätze der Geschichte sahen wir in dem großen Drama unserer Zeit zu einem Weltsturm aufgeregt. Aus ihm trat Deutschland in seiner politischen Reformation hervor, auf welche seine kirchliche mit Notwendigkeit gewiesen hatte. Es stellte nach einem Interregnum von 64 Jahren die Kaisergewalt in dem protestantischen Hause Hohenzollern wieder her; das Deutsche Reich erstand als ein nationales, von dem alten dogmatischen Bezug auf Rom und Italien abgelöst. Dieses Land selbst, welches auf Grund der Dogmen des Mittelalters jahrhundertelang die Domäne des deutschen Kaisertums gewesen war, um dann seit Karl V. die lange Fremdherrschaft Spaniens und Österreichs zu erdulden, ward völlig frei und konnte unter der Zustimmung Europas mühelos seine nationale Umgestaltung vollenden. Seit den Tagen des Gotenkönigs Theoderich wurde es zum erstenmal wieder ein einiges Königreich. Italien und Deutschland, diese beiden feindlich verketteten Schicksalsgeschwister der Geschichte, aus deren wechselseitiger Beziehung im Mittelalter die Kultur Europas wesentlich entstanden ist, wurden durch die Freiheit voneinander abgetrennt und endlich miteinander versöhnt.
Mitten in diesen Umwälzungen vollzog sich der Fall des Papsttums, wie es Julius II. auf politischen Grundlagen neu aufgerichtet und Karl V. anerkannt hatte, nach dem vollendeten fünfundzwanzigsten Regierungsjahr Pius' IX., des Papsts, der am längsten auf dem Stuhle Petri gedauert hat. Der Untergang der ältesten und für die Empfindung vieler Menschen ehrwürdigsten Macht Europas, welche die zahllosen Umwälzungen eines Jahrtausends zu überstehen vermocht hatte, ist das große Trauerspiel der Gegenwart. Diese Macht selbst war das geschichtliche Erzeugnis der politischen und kirchlichen Verfassung Europas; die Ideen und Bedürfnisse der Zeiten erschufen, erhielten und bekämpften sie. Sie fiel in unsern Tagen im Sturm der Weltgeschichte, und ihre Gruft umgaben Völkerkämpfe und Ereignisse, nicht minder groß und welterschütternd, als jene gewesen waren, welche der schwache und unselige Clemens VII. erfahren hatte. Ihr Grabgeläute war der Donner so furchtbarer Schlachten, wie die Geschichte solche kaum je zuvor gesehen hat, und der Zusammensturz eines Kaiserreichs. Sie ging unter, sowohl durch die zerstörende Gewalt der ganz veränderten Ideen des Menschengeistes, als durch die Unveränderlichkeit ihres eigenen Prinzips. Denn wie immer in ähnlichen Untergängen der Geschichte macht das vorwärtsdrängende Leben die Fortdauer eines Prinzips in starrer Unbeweglichkeit zur tragischen Schuld. Die politische Gestalt des Papsttums ward in der sich erneuernden Welt zum Anachronismus und zur Anomalie und ihr Fall zum Urteilsspruch der Geschichte selbst.
Seit der Gegenreformation, welche den Geist der Renaissance tötete, ohne verjüngende Lebenskraft, setzte sich das sinkende Papsttum, nur noch um sein Dasein kämpfend, in immer schrofferen Widerspruch zur europäischen Kultur, die doch das Ergebnis der Weltarbeit und zum größten Teile das Produkt der christlichen Kirche ist. In ohnmächtigem Zwiespalt mit dem fortschreitenden Leben, dem es furchtsam den Stillstand gebieten wollte, mit der Freiheit der Staaten und Völker, mit der wachsenden Wissenschaft, deren Entwicklung es von sich ausschloß, wandte sich das Papsttum, aus Bewegungslosigkeit fast geschichtslos geworden, nur dem mittelalterlichen Ideal Gregors VII. zu, in dessen Erneuerung es seine Rettung suchte. Die gewaltsame Verkündigung der päpstlichen Absolutie, für welche die wirkliche Verfassung des europäischen Geistes weder mehr den Glauben noch das Bedürfnis besitzt, war in unserer jüngsten Vergangenheit der beklagenswerte, dreiste und verzweifelte Protest der Papstgewalt gegen ihren eigenen Untergang, das heißt gegen ihre unausbleibliche, von der Geschichte gebotene Umgestaltung. Sie war zugleich der dogmatische Schlußstein der gregorianischen Kirche, über welchen hinaus begreiflicherweise nicht mehr fortgeschritten werden kann. Die riesige Pyramide des römischen Papsttums ist am 18. Juli 1870 vollendet worden.
Als geschichtliches Denkmal wird sie allen Zeiten sichtbar bleiben, wenn andere noch so große Gestalten der Vergangenheit immer tiefer unter den Gesichtskreis der Menschheit gesunken sind. Wenn sie zugleich das Mausoleum für eine nun vergehende Form des Papsttums selber ist, so hat die Geschichte nicht Heroentitel genug, um sie auf diese Pyramide zu schreiben und mit ihnen die weltumfassende Wirksamkeit, die großen schöpferischen Taten und den unvergänglichen Ruhm der Päpste auch nur annähernd zu bezeichnen.
Wenn in einem kommenden Jahrhundert die leidenschaftlichen Kämpfe mit der Hierarchie, in welchen wir noch stehen, erloschen sind oder wenn die Päpste selbst nur noch Namen und Gestalten der Vergangenheit sein werden, dann erst wird sich ihrer Erinnerung die volle Bewunderung der Menschheit wieder zuwenden, und ihre lange Reihe wird am Himmel der Kulturgeschichte ein System bilden, dessen Glanz alle anderen Reihen von Fürsten und Regierern der Zeiten überstrahlen muß.
Ein künftiger Geschichtschreiber des Falles der Papstgewalt wird mit Erstaunen bei der Tatsache verweilen, daß der Nachfolger Petri in derselben Stunde, wo er jene schwindelnde und verblendende Höhe seiner dogmatischen Allmacht erstieg, wo er das innere Leben und die Entwicklungsfähigkeit der Kirche in jenes Dogma der Unfehlbarkeit wie in einen Sarkophag zu versenken wagte, die irdischen Verhältnisse von sich abfallen sah, daß er die materielle Grundlage seiner geistlichen Macht, den tausendjährigen Besitz der Stadt Rom und des Kirchenstaats verlor. Er wird dann wohl zu beweisen vermögen, daß dies Zusammentreffen beider Tatsachen, der gewaltsamen Zerstörung der alten Verfassung der Kirche durch das Papsttum und des Zusammensturzes von dessen fürstlicher Landeshoheit, eine geschichtliche Notwendigkeit gewesen ist, daß die eine die andere bedingt hat.
Am 20. September 1870 bemächtigten sich die Italiener Roms. Zu diesem Ereignis, dessen Neuheit uns Lebenden kaum noch faßbar erscheint, führte vom Langobardenkönig Desiderius bis auf Viktor Emanuel eine lange Kette von Ursachen und Wirkungen. Und wie dasselbe durch die Vergangenheit Italiens bedingt worden ist, so steht es auch im Zusammenhang mit der Veränderung der Grundideen in der Verfassung Europas überhaupt. Ich meine hier den völligen Zusammenbruch jenes Universalgedankens von der christlichen Republik, der sich in dem Weltsystem der Kirche und des Reichs ausgedrückt hatte, bis die Entstehung der modernen Monarchien und die deutsche Reformation dies Ideal zu zerstören begannen. Seit dem Jahre 1806, wo das römisch-deutsche Imperium erlosch, erlebte Europa erst den Fall des napoleonischen Universalreichs, sodann den Rückzug Österreichs, auf welcher Macht noch ein Reflex der alten Kaiseridee geruht hatte, aus allen seinen geschichtlichen Beziehungen zu Italien, endlich den Untergang des zweiten napoleonischen Kaisertums, der letzten Schutzmacht des politischen Papsttums. Deutschland, von wo die Zerstörung der allgemeinen Kirche durch die Reformation ausgegangen war, stellte zwar das Reich wieder her, aber nur in den verengten Grenzen der Nationalität. In die nationale Besonderung ist die alte Reichsidee Dantes zurückgesunken und aus Europa in der Gegenwart tatsächlich geschwunden.
Rom, die geschichtliche Quelle jenes Weltideals, blieb naturgemäß das letzte Kapitel der Idee von der allgemeinen christlichen Republik, deren Fahne hier, vom Kaisertum verlassen, in tragischer und selbstverschuldeter Einsamkeit Pius IX. entfaltete. Ich habe es in dieser Geschichte dargestellt, wie seit Karl dem Großen bis auf Karl V. das welthistorische System des Papsttums von jenem des Kaisertums untrennbar gewesen ist, wie eins das andere voraussetzte, trug und hielt, wie selbst ihr feindlicher Zusammenstoß nur ihre Energien steigerte, ohne daß eins das Prinzip des andern verneint hätte, und wie der Verfall des einen notwendig auch den des andern bedingen mußte. Vielleicht darf man es selbst heute sagen, daß die ungewohnte Ehrfurcht der Völker vor einer erhabenen Tradition den Fortbestand Roms als einer säkularisierten Freistadt Italiens würde gefordert oder doch gewünscht haben, wenn sich das Papsttum in einer idealen Größe gezeigt hätte. Doch in seiner schrecklichsten Krisis bekannte sich dieses mit einer in der Geschichte nie zuvor erlebten Offenheit zum grundsätzlichen Feinde der modernen Kultur und ihrer allen gebildeten Völkern teuersten Güter, und die Geschichte des letzten Vatikanischen Konzils wie aller der kirchlichen Akte Pius' IX., die ihm voraufgegangen sind, wird dereinst die vollkommene Abwendung der Völker, der Staaten und Regierungen von diesem Papsttum und dessen unausbleiblichen Fall erklären.
Dem Sturz der Reichsidee, dem Zusammenbruch jener allgemeinen Ideale entsprechend, haben die Italiener, durch keinen Protest in Europa gehindert, vielmehr von der öffentlichen Meinung unterstützt, den Papst gewaltsam entthront, einem unerträglich gewordenen Zustande Roms und der Römer ein Ziel gesetzt und die alte Weltstadt Rom zur Hauptstadt ihres jungen nationalen Königreichs gemacht. Ein künftiger Geschichtschreiber wird die Wirkung dieser unermeßlichen Tatsache und die Umwandlung zu schildern haben, welche durch sie die Gestalt des Papsttums, der Kirche, Italiens und der Stadt Rom notwendig erfahren muß. In dem sibyllinischen Buch der zukünftigen Schicksale Roms kann kein Lebender lesen und kein Prophet voraussagen, ob die Alma Roma fortan nur als beglückte Hauptstadt des schönsten Königreichs und einer edlen Nation, andern Hauptstädten gleich, fortdauern wird oder ob sie, wenn allgemeine Bedürfnisse der Welt es fordern sollten, noch dereinst in kommenden Zeiten wieder das von den Jahrhunderten geheiligte Gefäß für den aus der Geschichte nie verlierbaren und in der Zukunft vollkommner darzustellenden Bundes- und Einheitsgedanken der Menschheit werden wird. Wenn aber jene Ideale, welche Rom diese einzige Stellung in der Welt gegeben haben, überhaupt schon der Vergangenheit anheimgefallen sind und wenn die sich immer freier entwickelnden Völker Europas nicht mehr eines solchen internationalen Mittelpunkts bedürfen, so werden doch die großen Erinnerungen und die Denkmäler der Geschichte den Bezug der Stadt Rom auf die Menschheit dauernd wacherhalten.
Als das ehrwürdigste Vermächtnis der Geschichte übernahmen die Italiener Rom, und wohl hat jene niemals einem Volk einen gleich erhabenen Sitz verliehen, mit ihm zugleich aber nie eine schwierigere Aufgabe und ernstere Pflicht auferlegt, als diese ist: die Erhalter und Erneuerer der Stadt Rom zu sein, an ihrer Größe selbst wieder groß zu werden und den furchtbaren Zwiespalt zwischen der Kirche und der Nation durch eine moralische Reform auszusöhnen.
Vierzehn Jahrhunderte nach dem Falle des alten Römerreichs zogen sie als ein geeinigtes und freies Volk in Rom ein, nicht weil sie die altersschwachen Mauern Aurelians erstürmen durften, sondern weil hinter diesen Mauern das alternde Papsttum zum Sinken kam, während die ringsum verwandelte und sich wandelnde Welt die Ursachen dieses Sinkens zum Teil in sich selber trug. Denn nur als die Idee der Kirche lebensvoll und weltbeherrschend war, vermochten auch die in der Vergangenheit oft bedrängten, fast immer wehrlosen Päpste Rom zu verteidigen und zu behaupten. Ohne Anmaßung des Propheten darf man wohl heute sagen, daß die Epoche der Herrschaft der Päpste über Rom für immer beschlossen ist und daß nie ein Kaiser mehr die Alpen herabsteigen wird, um in einer Romfahrt den umgestürzten Thron vatikanischer Priesterkönige wieder aufzurichten. Denn sein Sturz bezeichnet eine neue und große Phase in der Entwicklung des europäischen Geistes, und die kühne Revolution, wodurch er vollzogen ward, steht unter dem Schutze der von der gebildeten Welt anerkannten Grundsätze des nationalen Rechts und der bürgerlichen wie religiösen Freiheit, deren Fahne eben die Italiener auf den Trümmern des römischen Papstkönigtums erhoben haben.
Den ruhigen Beobachter der Weltschicksale mag der Anblick dieses Falles einer alten und ehrwürdigen Macht dazu aufregen, jene Betrachtungen über die Wandelbarkeit aller irdischen Größe fortzusetzen, die wir am Anfange dieser Geschichte an den Fall des Römerreichs geknüpft haben. Denn an einem solchen Abschnitt ihres geschichtlichen Lebens ist die Stadt Rom offenbar wieder angelangt: auch heute ist es ein Fallen und Erstehen, eine innere und äußere Metamorphose, die sich bereits zu vollziehen beginnt. Nachdem die Römer, wie es diese Geschichte dargetan hat, jahrhundertelang verurteilt geblieben waren, ihre eigene bürgerliche Natur der Macht des Papsttums aufzuopfern, sind sie endlich von diesem Bann für immer erlöst worden; und erst heute, wo sie durch Italien in ihre Selbständigkeit und Männerwürde und in viele ihnen bisher versagte Rechte und Güter der Kultur wiedereingesetzt und zu einem neuen Leben erweckt sind, kamen auch jene tragischen Schatten der Geschichte zur Ruhe, deren lange Reihe von Crescentius zu Heinrich IV., dem Büßer in Canossa, von Arnold von Brescia und den Hohenstaufen, über Dante, Cola di Rienzo, Petrarca und Machiavelli hinaus bis zu unseren Zeiten herabreicht.
Fast zwanzig Jahre lang war ich Zeuge des letzten Ringens der Stadt Rom um ihre endliche Wiedergeburt zu einem Volke freier Bürger; ich versenkte mich in derselben Zeit in die Vergangenheit der Stadt: ich forschte den Schicksalen und Wandlungen Roms, den großen Taten und großen Verirrungen der Päpste in elf Jahrhunderten nach, ich schilderte dieses inhaltreichste und erschütterndste Trauerspiel der Weltgeschichte, und ich beschrieb die ewig wiederholten, ewig um dasselbe Zentrum kreisenden Kämpfe und Leiden Roms und Italiens und den verhängnisvollen Anteil, welchen seit den Gotenzeiten Deutschland daran zu nehmen berufen war: und eben deshalb darf ich mich glücklich preisen, weil die Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter diesen wirklichen Abschluß gefunden hat. Denn wohl ein seltenes Glück gab es mir, nicht allein diese Geschichte in Rom selbst zu schreiben und zu vollenden, sondern auch an ihrem Schlusse die endliche Sühne eben jener Schicksale und Leiden Roms, Italiens und Deutschlands zu erleben, welche in diesen Büchern verzeichnet stehen.
Rom, am 19. Januar 1872.
Finis