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1. Unruhen in Rom. Girolamo, die Orsini und Colonna kommen in die Stadt. Abzug Riarios. Innocenz VIII., Cibò Papst 29. August 1484. Seine Kinder. Verschwörung der Barone in Neapel. Robert Sanseverino päpstlicher Generalkapitän. Krieg mit Neapel. Friede August 1486. Anarchischer Zustand in Rom. Käuflichkeit der Justiz. Franceschetto Cibò mit Maddalena Medici vermählt. Ermordung Girolamo Riarios in Forli April 1488. Katharina Sforza. Die Nepoten Cibò.
Der Tod Sixtus' IV. war das Zeichen zur Erhebung der so lange erdrückten Gegenpartei. Ein unbeschreiblicher Tumult erfüllte Rom; die Hölle schien dort losgelassen. Freund und Feind, Barone, Bürger und Kardinäle verschanzten ihre Häuser, während das Volk voll Erbitterung über die Wucherherrschaft der sixtinischen Nepoten den Palast Riarios bei S. Apollinare verwüstete, die Kornmagazine und die genuesischen Wechselbanken plünderte. Nun aber rückten am 14. August Girolamo und Virginius im Eilmarsch heran, nachdem sie auf die Kunde vom Tode des Papsts ihr Lager vor Palliano in voller Flucht dem Feinde überlassen hatten. Die Kardinäle befahlen ihnen, bei Torre del Quinto stehen zu bleiben; aber Katharina, das kühne Weib des Nepoten, warf sich in die Engelsburg, diese für ihren Gemahl zu behaupten. Mit gleicher Eile kamen jetzt auch die rachelustigen Colonna, zuerst der Kardinal, welchen das Volk frohlockend in seinen Palast bei Trevi führte, dann Prospero und Fabrizio, die Savelli und andere Ghibellinen. Der Nepot Girolamo verzweifelte daran, ferneren Einfluß auf das Papsttum und Rom zu behalten; er begab sich zu den Orsini nach Isola. Man baute Barrikaden in ganz Rom. Vom Monte Giordano her zogen Reitergeschwader durch die Straßen mit dem Ruf: Orsini und Kirche; von den Santi Apostoli her sprengten die Gegner durch das Marsfeld mit dem Geschrei: Colonna! Ein Bürgerkrieg drohte auszubrechen. Selbst Florenz und Siena versprachen den Colonna Hilfe gegen den verhaßten Riario. Der Magistrat versammelte die Bürger auf dem Kapitol und forderte die Kardinäle zur schnellen Papstwahl auf.
Erst am 17. August begannen die Exequien des toten Papsts, wobei nur elf Kardinäle erschienen; denn Cibò, Savelli, Colonna, Julian Rovere, der sich bei S. Pietro in Vincoli verschanzt hatte, und Ascanio Sforza, der jüngste aller Kardinäle, welcher in vier Tagen von Mailand nach Rom gekommen war, gaben vor, daß ihnen die Engelsburg den Weg versperre. Endlich gelang es, die Parteien zu einem Waffenstillstande zu bewegen: Girolamo verpflichtete sich, die Engelsburg für 4000 Dukaten auszuliefern, worauf sich die Orsini nach Viterbo, die Colonna nach Latium, der Nepot in seine Staaten zurückziehen sollten. Dies geschah am 25. August, und tags darauf begann das Konklave im Vatikan.
Die fünfundzwanzig Kardinäle standen sich in zwei Parteien gegenüber: hier Borgia, Aragon, Orsini, dort die Venetianer, Cibò, Colonna und Rovere. Borgia glaubte seiner Wahl so sicher zu sein, daß er seinen Palast verbarrikadieren ließ, um ihn vor Plünderung zu schützen. Die Wahlkapitulation ward aufgesetzt und beschworen. Sie beschränkte noch mehr die Alleingewalt des Papsts; sie übertrug auf die Kardinäle jede namhafte Gewalt im Staat, so daß die weltlichen Elemente immer mehr aus diesem verschwanden und er ausschließlich zum Priesterstaate wurde. Ganz offen und schamlos warb man Wahlstimmen. Man versprach Paläste, Ämter und Einkünfte, Burgen und Legationen. Als Ascanio und Aragona mit Borgia nicht durchdrangen, verkauften sie ihre Stimmen Cibò, und am 29. August 1484 wurde dieser Kardinal als Innocenz VIII. ausgerufen. Er verdankte seine Wahl wesentlich Julian Rovere, welcher für ihn durch Bestechungen und Angebote gewirkt hatte.
Johann Battista, Sohn Aranos Cibò und der Teodorina da Mare, war in Genua im Jahre 1432 geboren. Sein Vater, der Vertraute Calixts III., hatte im Jahre 1455 das Senatorenamt Roms bekleidet und sich auch als Vizekönig Neapels unter René hervorgetan. Auch sein Sohn diente dem Anjou und ward dann Geistlicher. Paul II. machte ihn zum Bischof von Savona, Sixtus IV. zum Bischof von Molfetta und im Jahre 1473 zum Kardinal. Cibò war ein großer und schöner Mann, weder durch Reichtum noch durch Talente ausgezeichnet, wenn auch nicht ohne Kenntnisse. Seine Laufbahn verdankte er seiner leutseligen Natur und der Kunst der Schmeichelei. Er bekannte sich ohne Scheu zu einer zahlreichen Nachkommenschaft, womit ihn in jüngeren Jahren eine Neapolitanerin beschenkt hatte. Die römische Satire spottete darüber in beißenden Epigrammen. Sein Sohn Franceschetto galt als sein Nepot.
Innocenz VIII. übernahm die Regierung unter schwierigeren Verhältnissen, als Könige die ihrige vor sich finden. Wenn diese ein ererbtes Staatswesen antreten, so kam fast jeder Papst als Gegner des Systems seines Vorgängers auf den Thron. Die Verfassung des Kardinalskollegium war das einzige Band, welches beim Papstwechsel den römischen Priesterstaat zusammenhielt, und dieser würde jedesmal zerfallen sein, wenn nicht Furcht vor Tyrannen die Städte bewog, bei der Kirche auszudauern. Vor allem war der Gehorsam Roms von Wichtigkeit. Diese Stadt, welche nur vom Reichtum der Kurie lebte, besaß noch einen Rest ihrer Verfassung; sie sicherte noch ihre Rechte gleichsam durch eine eigene Wahlkapitulation, wodurch sich jeder neue Papst verpflichtete, alle römischen Ämter und Benefizien nur Bürgern Roms zu geben. Ohne Zweifel fiel es dem Papst schwer, sein der Stadt gegebenes Versprechen vor den Ansprüchen der gierigen Prälaten aufrechtzuhalten. Auch brachte er Verwandte und Freunde ohne weiteres in die Liste der Bürger, um sie auf Kosten dieser zu bereichern. Man sagte daher in Rom, daß Innocenz VIII., durch Wahlbestechung wie Sixtus IV. auf den Thron gelangt, in dessen Spuren vorwärtsgehe.
Parteiwut stürzte Rom alsbald in Verwirrung, denn die Colonna erhoben sich schon im März 1485, die Orsini zu bekämpfen und die Unbilden zu rächen, welche sie unter Sixtus IV. erlitten hatten. Innocenz lud beide Faktionen vor das Friedensgericht; da sich die Colonna fügsamer zeigten, wandte er sich ihnen zu. In diesen Geschlechterkrieg wurden bald auch die Angelegenheiten Neapels verflochten. Schon als Kardinal war Innocenz dem Hause Aragon feind; als Papst wollte er die Lehnrechte nicht schmälern lassen, die sein Vorgänger preisgegeben hatte. Er wies am 28. Juni 1485 den weißen Zelter zurück und forderte den hergebrachten Tribut. Ferrante und sein schrecklicher Sohn Alfonso gingen eben an die Ausführung ihres Plans, sich von der Plage des Baronalwesens zu befreien. Denn Hunderte von Feudalherren spotteten der Staatsgewalt, immer drohend, Anjou und Frankreich ins Land zu rufen, und sie machten eine gesetzmäßige Regierung unmöglich. Im Sommer 1485 reifte der Plan des Königs. Die bedrohten Barone riefen den Papst nicht vergebens zum Beschützer auf. Sein allmächtiger Ratgeber Julian Rovere, der ihn zum Papst gemacht hatte und jetzt beherrschte, zog ihn in dieses furchtbarste aller Dramen des XV. Jahrhunderts, »die Verschwörung der Barone«, hinein. Julian haßte die Spanier, zu deren Partei seine Gegner Ascanio und Aragona hielten; er neigte sich zu einer Verbindung mit Frankreich. Dem Papst stellte er vor, daß es der Kirche vorteilhaft sei, Neapel in tiefere Abhängigkeit vom Heiligen Stuhl zu bringen. Eins der Häupter der Barone, Antonello Sanseverino, Fürst von Salerno, war der Schwager seines Bruders Giovanni della Rovere, des Präfekten von Rom, und dieser besaß das Lehen Sora im Königreich Neapel. Man knüpfte Unterhandlungen mit Genua und auch mit den Venetianern an, denen man den Besitz neapolitanischer Seestädte verhieß. Die Barone schlossen durch ihre Boten ein Bündnis mit dem Papst, der sich verpflichtete, sie in Schutz zu nehmen und René von Lothringen auf den Thron Neapels zu berufen.
Die Empörung Aquilas eröffnete den Krieg; diese Stadt rief am 17. Oktober 1485 den Schutz der Kirche an, deren Fahne sie aufzog. Beide Teile schlossen ihre Bündnisse; zu Neapel standen Florenz und Mailand, zum Papst Genua und Venedig. Am Ende des Oktober kam Robert Sanseverino nach Rom, welchem die Venetianer erlaubt hatten, in päpstlichen Dienst zu treten, und Innocenz machte ihn zum Gonfaloniere der Kirche. Dieser alte, gutmütige Mann war mit seinen zwei Söhnen gekommen, von welchen Gasparo wegen seiner Kühnheit Fracassa genannt wurde. Die Orsini nahmen Sold vom Herzog Alfonso; sie streiften von Nomentum bis vor Rom. Zu beiden Seiten des Tiber entbrannte der Krieg zwischen ihnen und den Colonna, welche mit den Savelli zum Papste hielten. Aber Innocenz zeigte sich ganz schwach und untauglich. Als die Orsini, deren Palast auf Monte Giordano der Kardinal Julian eines Nachts in Flammen gesetzt hatte, vor die Tore drangen und die Rede ging, daß Alfonso im Anzuge sei, rief er alle selbst um Mord Gebannte in den Dienst der Kirche zurück, worauf sich Rom mit Schwärmen ruchlosesten Volks erfüllte. Nur der Wachsamkeit Julians, den man bewaffnet die Mauern besichtigen sah, mochte es zuzuschreiben sein, daß Virginius nicht in Rom eindrang. Der Orsini haßte diesen mit den Colonna verbündeten ruhelosen Kardinal; er schwor, sein abgeschlagenes Haupt auf einer Lanze durch die Stadt tragen zu wollen, und streute Pamphlete gegen ihn aus. Die Römer rief er durch Manifeste auf, Innocenz zu vertreiben und darin einen andern Papst und andere Kardinäle zu wählen.
Am Weihnachtstage langte endlich die Armee Sanseverinos in Rom an, worauf dieser General die Nomentanische Brücke erstürmte. Doch seine Kriegführung war ohne Kraft. Er vertrieb zwar die Orsini aus Mentana, was zur Folge hatte, daß der Kardinal dieses Hauses Monterotondo den Päpstlichen übergab. Aber die Einwohner Mentanas erhoben sich auf ein falsches Gerücht vom Tode des Papsts, worauf Innocenz dies Kastell von Grund aus zerstören ließ. Jenes Gerücht war am 21. Januar entstanden; ein panischer Schrecken bemächtigte sich Roms; die Kaufläden schlossen sich, das Kapitol ward zugesperrt; jeder suchte sein Eigentum zu flüchten; jeder Kardinal verschanzte sich in seinem Palast. Der Krieg zog sich indes nach Tuszien hinüber, wo Sanseverino die Kastelle der Orsini bestürmte, während der Stadtpräfekt von Benevent aus mit den Baronen ins Feld zog und Fabrizio Colonna ins Marsenland drang, den Orsini Tagliacozzo zu entreißen. Nur mit seinen Mitteln und der Hilfe der Colonna bestritt der Papst diesen Krieg; denn die Venetianer schickten ihm keine Truppen. Alfonso näherte sich bereits Rom; doch hatte auch der Papst ein Schreckmittel für Ferrante bereit. Im März 1486 schickte er den Kardinal Julian nach Genua, René herbeizuholen und deshalb mit Karl von Frankreich zu unterhandeln. Der mittellose René zeigte freilich wenig Eifer, die Krone Neapels zu erkämpfen, wozu ihm der Monarch Frankreichs seine zweifelhafte Unterstützung nur nach langem Sträuben verhieß. Gleichwohl machte Furcht den König von Neapel zu einem Vergleiche geneigt, und diesen vermittelten Lorenzo Medici und die Gesandten des Königs Ferdinand von Aragon, welcher nicht wünschen konnte, daß die Franzosen nach Italien gezogen wurden. Die spanische Partei im Kardinalskollegium drang auf Frieden; ihr Führer war Borgia, ihr Gegner der ränkevolle Franzose Balue, welchen Julian Rovere aus dem Gefängnis von Loches befreit, Sixtus IV. nach Rom gezogen und zum Kardinalbischof von Albano gemacht hatte. Beide Kardinäle mißhandelten einander mit schimpflichen Worten im Konsistorium.
Den friedlichen Neigungen gab endlich die Annäherung des Herzogs von Kalabrien im Monat Juni mehr Nachdruck. Er belagerte fruchtlos Cervetri und Anguillara, während der Papst Robert Sanseverino, den er für einen Verräter zu halten begann, zurückrief, um Rom zu verteidigen. Die französische Partei suchte zwar den Frieden zu hintertreiben, aber Borgia und Ascanio gingen nach Isola, mit den Orsini zu unterhandeln. Schon streiften die Reiter Alfonsos bis Trastevere; denn durch Mangel gezwungen, gab der Herzog das Patrimonium auf und zog über den Tiber bei Fiano, um Latium zu gewinnen. Die Römer selbst waren in solche Not gebracht, daß sie einen Waffenstillstand nachsuchten. Der schwache Innocenz sah sich nur von Verrätern umringt: denn alles war in Rom feil; keinem Kastellan konnte getraut werden; täglich kerkerte man Verdächtige ein. Endlich entschloß er sich zum Frieden, indem er die Unternehmung Renés rückgängig machte. Am 11. August 1486 unterzeichneten für den König Ferrante sein Kriegskapitän Gian Giacapo Trivulzio und der gelehrte Pontano das Friedensinstrument: der König verpflichtete sich zu dem jährlichen Tribut von 8000 Dukaten und versprach, Aquila wie die empörten Barone zu begnadigen.
Manche Kardinäle, vor allen Julian, waren mit diesem Frieden nicht einverstanden, weil er weder der Kirche wahre Vorteile gab, noch deren Bundesgenossen vor der Rache des Königs sicherstellte. Nur das römische Volk dankte dem Papst aufrichtig; denn die Campagna lag in Trümmern; man sah nur verbrannte Orte, nur Scharen von Bettlern oder von Räubern. Blutrache und Gewalttaten jeder Art bildeten infolge dieser Kriege das Gepräge der römischen Gesellschaft seit Sixtus IV., und diese erscheint nicht etwa bloß deshalb in so auffallender Verwilderung, weil wir gerade aus jener Epoche die genauen Tagebücher zweier Römer besitzen. Vielmehr zeigt die italienische Natur überhaupt im letzten Drittel des XV. Jahrhunderts einen Zug dämonischer Leidenschaft: die Tyrannenmorde, die Verschwörungen, die Treubrüche sind herrschend; eine frevelvolle Selbstsucht greift um sich, der schreckliche Grundsatz wird reif, daß der Zweck die Mittel heilige. Mit Schauder lesen wir heute die Berichte von der massenhaften Abschlachtung der Barone Neapels, wozu der schwache Papst nach einigen schüchternen Vorstellungen furchtsam schwieg; doch weniger empört die Tatsache selbst als die Wahrnehmung, daß sie nur Furcht, nirgends Entrüstung erzeugte. Die Zeit der Entheiligung der christlichen Religion war auch die Epoche der Kämpfe um die Bildung monarchischer Staaten in Europa. Derselbe Zug teuflischer Grausamkeit und Selbstsucht erscheint in England während des Kriegs der Rosen, in Frankreich unter der Herrschaft Ludwigs XI., während die Maurenkriege Spanien fanatisierten. In der Geschichte des Papsttums und seiner Nepoten wird derselbe Geist bald greller als am Hofe Ludwigs XI. oder Ferrantes zu Tage kommen.
Nachdem Innocenz VIII. durch den jüngsten, kläglich geführten Krieg die Anarchie in Rom entfesselt hatte, vermochte er nicht mehr, sie zu zähmen. Fruchtlos erließ er Edikte gegen Bluträcher und Räuber. Jeder Morgen enthüllte die Schauder der Nacht, die Erdolchten, welche auf den Straßen lagen. Man plünderte Pilger, selbst Gesandte vor den Toren der Stadt aus. Die Gerichte waren machtlos oder feil. Die Nepoten verkauften schamlos das Recht. Als einst der Vicecamerlengo gefragt wurde, weshalb die Übeltäter nicht bestraft würden, sagte er in des Geschichtschreibers Infessura Gegenwart lachend: Gott will nicht den Tod des Sünders, sondern daß er leben, aber zahlen soll. Verbrecher henkte man in der Torre di Nona, wenn sie insolvent waren, aber man ließ sie frei, sobald sie der richterlichen Kurie eine Summe erlegten. Mörder erlangten für Geld ohne Mühe einen Freibrief vom Papst, der ihnen erlaubte, mit Bewaffneten in der Stadt umherzugehen, um sich gegen Bluträcher zu verteidigen. Franceschetto Cibò hatte einen förmlichen Vertrag mit dem Vizekämmerer gemacht, wonach jedes Strafgeld über 150 Dukaten ihm selbst, das geringere der Kammer zufiel. Jedermann spottete der Justiz, und jeder half sich selbst mit Bewaffneten. Als Bernardo Sanguigni im Hause einer damals berühmten Kurtisane Grechetta von einem Franzosen erstochen wurde, sprangen aus dem Palast Crescenzi mehr als vierzig Jünglinge hervor, seinen Tod zu rächen. Sie verbrannten jenes Haus. Mehr als 2000 Menschen nahmen an diesem Aufruhr teil.
Jeder Palast bildete damals ein verschanztes Lager; jede Wohnung eines Kardinals mit ihrem ganzen Bezirk ein Asyl. Diese hohen und breiten Häuser waren noch burgartig und mit kleinen Türmen versehen. Das gewaltige Portal schloß eine mit Eisen bekleidete Türe, die, wenn sie verrammelt war, nicht leicht gesprengt werden konnte. Sie führte durch ein gewölbtes Vorhaus in große Säulenhöfe mit steilen Steintreppen und Logen in den Obergeschossen; und dort wie in den weiten Gemächern konnte der Kardinal viele hundert mit Archibusen bewaffnete Söldner verteilen; ja selbst an Artillerie fehlte es in solchem Palast nicht. Wenn Frevler den Schutz eines Kardinals erlangten, so verteidigte sie dessen »Familie« mit den Waffen in der Hand gegen die Justiz. Als eines Tags junge Römer Leute des Kardinals Ascanio verwundeten, zog dessen Familie mit Wurfgeschoß öffentlich aus, und sie verwundete mehr als zwanzig Personen auf der Straße. Der Kapitän der Curia Savelli nahm eine Exekution in der Nähe des Palasts des Kardinals Balue vor; aus dem Fenster verbot dies der Kardinal, weil hier sein Bezirk sei. Da der Exekutor nicht gehorchte, befahl jener seinen Leuten, den Gerichtshof zu stürmen. Sie verwüsteten ihn, zerstörten die Akten und befreiten alle Gefangenen. Hierauf schickten die Kardinäle Savelli und Colonna nachts Truppen gegen ihren Kollegen aus. Der Papst rief die Streitenden in seinen Palast, wo sie einander mit Beleidigungen überhäuften. Die ganz weltliche, ganz fürstliche Gestalt, welche das Kollegium der Kardinäle überhaupt angenommen hatte, ist für die Zeit der Renaissance besonders bezeichnend. Ihre Macht, durch Häufung von Pfründen, durch Verbindung mit fremden Höfen gesteigert, war jetzt so groß, daß sie das Papsttum sich zu unterwerfen strebten. In Rom erschienen sie wie die wieder aufgestandenen Senatoren des Altertums. Fast ein jeder war, wie der Papst selbst, von einer Kurie und von Nepoten umgeben. Sie gingen oder ritten einher in kriegerischer Kleidung, kostbare Degen an der Seite. Eine dienende Mannschaft von mehreren hundert Personen lebte im Palast fast jedes Kardinals, und sie konnte durch Bravi vermehrt werden. Dazu kam der Anhang im Volk, welchem der Hof des Kardinals Nahrung gab. Fast jeder dieser Kirchenfürsten besaß seine Faktion, und sie wetteiferten miteinander, ihren Glanz namentlich bei den Kavalkaden und den Karnevalspielen zu entfalten, wo sie Triumphwagen mit Masken, Sängerchören und Komödianten auf ihre Kosten ausrüsteten und durch die Stadt ziehen ließen. Die Kardinäle verdunkelten damals die römischen Großen, aber sie nahmen für dieselben Partei.
Innocenz hatte Orsini und Colonna zum Waffenstillstande bewogen; erst war er diesen geneigt, dann wandte er sich plötzlich jenen zu. Seinem Sohn Franceschetto, welcher im neapolitanischen Kriege leer ausgegangen war, erwarb er im Jahre 1487 die Hand Maddalenas, einer Tochter des Lorenzo Medici und der Clarice Orsini, der Schwester des Virginius, wodurch das orsinische Geschlecht den verlorenen Einfluß wiedergewann. Auch hatte Lorenzo seinen Sohn Piero im März 1487 mit Alfonsina, einer Tochter Roberts Orsini von Tagliacozzo und Alba, vermählt. Madonna Clarice brachte mit ihrem Sohn Piero die Tochter dem Gemahle Cibò in einem prachtvollen Aufzuge von vielen hundert Personen zu Roß nach Rom am 3. November 1487. Die Vermählung wurde am Sonntag, dem 20. Januar 1488, feierlich im Vatikan vollzogen. Sie hatte die wichtigsten Folgen, denn sie öffnete den Medici den Zugang zum Papsttum. Lorenzo selbst, welcher seine Hausmacht in Florenz wanken sah, schloß sich enge an die Kirche an. Er leistete ihr sofort einen wichtigen Dienst, indem er ihr zum Wiederbesitz Osimos verhalf. In dieser Stadt hatte sich nämlich im April 1486 Boccolino dei Gozzoni zum Tyrannen aufgeworfen: durch den Frieden mit Neapel haltlos geworden, unterhandelte er mit den Türken, die er einlud, sich der Pentapolis zu bemächtigen. Der Papst sandte Truppen gegen ihn unter dem Kardinal Julian und nahm Trivulzio in Sold. Der kühne Rebell verteidigte sich tapfer ein Jahr lang, bis ihn die Vorstellungen Lorenzos bewogen, Osimo der Kirche für 7000 Dukaten zu verkaufen.
Der Wechsel der Politik im Vatikan brachte um diese Zeit eine Spannung zwischen dem Papst und dem Kardinal Julian hervor, der sich schon im September 1487 nach Bologna begab. Bisher allmächtig, drohte ihn der Einfluß seiner Feinde, der Orsini, zu verdrängen. Überhaupt begann das Glück des Nepoten Sixtus' IV. zu sinken. Girolamo, welcher nach dem Tode seines Oheims Forli und Imola zu behaupten gewußt hatte, fiel am 14. April 1488 unter den Dolchen von Tyrannenmördern. Sie stürzten seine nackte Leiche aus den Fenstern des Palasts auf die Straße, worauf sich die Forlivesen erhoben und das Herrenschloß plünderten. In die Verschwörung glaubte man den Papst eingeweiht, da er hoffen durfte, seinen eignen Sohn zum Signor Forlis zu machen. In der Tat rief die so befreite Stadt den Schutz der Kirche an, und ihre Boten wurden freundlich im Vatikan aufgenommen. Aber Innocenz zeigte wenig Zutrauen, Furcht hielt ihn zurück. Die Hoffnungen der Forlivesen vereitelte die Energie des Weibes des Ermordeten. Diese Amazone verteidigte die Burg mit Heldenmut. Zwar rückte der päpstliche Governator von Cesena in Forli ein, aber alsbald schickten Giovanni Bentivogli und Gian Galeazzo der Gräfin Truppen zum Entsatz. Der päpstliche Heerhaufe ward gefangengenommen, die Tyrannenmörder wurden gevierteilt, und schon am 28. April 1488 rief man Ottavio Riario, den Sohn Girolamos, zum Herrn Forlis aus. Bald darauf erschreckte ein anderer Mord Italien: Galeotto Manfredi von Faenza wurde in seinem Palast durch sein eigenes Weib Francesca Bentivogli umgebracht. Das Volk wählte hierauf Astorre, den kleinen Sohn des Ermordeten, zum Herrn.
In Rom sagte man, daß der Papst Forli wie Aquila aus jammervoller Schwäche wider die gegebenen Zusagen preisgegeben habe. Zu seiner Mäßigung mochte er durch die Rücksicht auf den Kardinal Julian, den Verwandten der Riarii, bestimmt worden sein. Dieser aber war nach Rom zurückgekehrt und wieder der einflußreichste Ratgeber des Papsts. Die Cibò waren Menschen zu geringer Art, als daß sie dem Kardinal Rovere den ersten Platz an der Kurie streitig machen konnten. Sie begnügten sich mit gemeinen Glücksgütern, ohne wie die Borgia oder Riarii in die politischen Angelegenheiten des Papsttums sich einzumischen. In demselben Jahre vermählte Innocenz seine Enkelin Donna Peretta, eine Tochter der Teodorina und des genuesischen Kaufherrn und päpstlichen Schatzmeisters Gherardo Usodimare, mit Alfonso del Carretto, dem Marchese von Finale. Zum Ärger aller Frommen, wenn es deren in Rom gab, wurde diese Hochzeitsfeier mit glanzvollem Prunk in den Gemächern des Vatikan vollzogen, wobei der Papst neben den Frauen am Festschmause teilnahm.