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1. Pontifikat und Tod Sabinians und Bonifatius' III. Bonifatius IV. Das Pantheon wird der Jungfrau Maria geweiht.
Nach dem Tode Gregors blieb der Stuhl Petri ein halbes Jahr unbesetzt, bis die Bestätigung des Nachfolgers anlangte. Dies war Sabinianus aus Volaterrae, ehemals Diaconus und Nuntius der römischen Kirche in Konstantinopel. Er übernahm sein Amt in unheilvoller Zeit; denn Rom und ganz Italien wurden von schrecklicher Hungersnot heimgesucht. Zwar öffnete er die Kornspeicher der Kirche, aber der Vorrat reichte nicht aus, das Volk zu ernähren. Dieses verwünschte jetzt sogar das Andenken Gregors, indem es ihn beschuldigte, daß er den Schatz der Kirche vergeudet hätte. Eine rohe Sage erzählt, daß der zürnende Geist Gregors seinem Nachfolger erschienen sei, ihn mit Vorwürfen überhäuft und endlich aufs Haupt geschlagen habe, worauf der Papst gestorben sei. Sabinian wurde, so scheint es, von manchen Römern als Feind und Neider seines Vorgängers angesehen; er starb im Februar 606, wahrscheinlich während eines Aufruhrs des Volks, und selbst der Tote hatte noch die Wut des hungernden Pöbels zu fürchten, denn er wurde aus dem Lateran auf Umwegen um die Stadtmauern nach dem St. Peter geführt. Daß sein Tod ein gewaltsamer gewesen war, wird nicht berichtet.
Ein Jahr lang blieb der Apostolische Stuhl unbesetzt, bis Phokas die Wahl des Römers Bonifatius III. bestätigte, eines Sohnes des Johannes Kataaudiokes, dessen Name die griechische Abstammung beweist. Auch die kurze Regierung dieses Papsts ist inhaltleer; nur bemerken die Chroniken, daß er dem Kaiser Phokas ein Dekret abgewann, wodurch der Streit des römischen Bischofs mit dem Patriarchen von Konstantinopel um den Primat glücklich beendet wurde. Denn der Kaiser erklärte, daß Rom als apostolisches Haupt der Christenheit zu betrachten sei. Bonifatius III. starb, wie die Schriftsteller der Kirche annehmen, am 10. November 607. Am 15. September des folgenden Jahres wurde Bonifatius IV. Papst, ein Marse aus Valeria.
Seine mehr als sechs Jahre lange Regierung war peinvoll durch Hungersnot, Seuchen und feindliche Bedrängnis. Man mag sich vorstellen, wie schnell damals das verlassene Rom zugrunde ging. Doch gerade unter diesem Papst taucht eins der herrlichsten Bauwerke der Stadt aus dem tiefen Dunkel auf, in welchem es jahrhundertelang begraben lag. Das umfangreiche Marsfeld war mit Prachtbauten aller Art angefüllt gewesen, aber seine Hallen, Bäder und Tempel, seine Stadien, Theater und Lusthaine hatten nur zum Vergnügen des Volks gedient, und die Bevölkerung konnte dort nicht groß sein. Die Kirchen, welche daselbst entstanden, sammelten neues Leben um sich her; sie dienten überhaupt in den verödeten Regionen Roms, wie andere in den verlassenen Landschaften der Campagna, als Mittelpunkte neuer Bevölkerungsgruppen. Von den vielen Kirchen der Stadt haben wir bisher im Marsfeld nur zwei namhafte erbauen sehen, und zwar an seinen äußersten Grenzen: St. Laurentius in Lucina und in Damaso. In seiner Mitte gab es wohl nur kleinere Oratorien. Dort nun stand das Pantheon in einem mit großen Marmorbauten bedeckten Gebiet, welches durch die Überschwemmung des Jahres 590 verwüstet worden war. Im Kreise umher reihten sich die Thermen des Agrippa, des Nero oder des Alexander, der Tempel der Minerva Chalcidica und das Iseum, das Odeum und das Stadium Domitians, und während sich auf der einen Seite die großen Anlagen der Antonine erhoben, standen auf der andern das Theater des Pompejus und angrenzende Arkaden. Alle diese Prachtbauten waren dem Verfalle preisgegeben, alt und verwittert, aber schwerlich schon ganz Ruinen.
Das Pantheon, das schönste Denkmal Agrippas, hatte schon länger als 600 Jahre den Elementen getrotzt; weder die Überschwemmungen des Tiber, die noch jetzt fast alljährlich die Rotunde umfluten und in ihrem Innern stromgleich aufquellen, noch die Wolkenbrüche des Winters, welche durch die Kuppelöffnung auf den vertieften Marmorboden herabstürzen und von unterirdischen Kanälen aufgefangen werden, konnten diesen festen Bau erschüttern. Seine prachtvolle Vorhalle, zu der fünf Stufen emporführten, stand unversehrt mit allen sechzehn Säulen aus Granit und deren korinthischen Kapitellen von weißem Marmor. In ihren beiden Nischen dauerten vielleicht noch die Standbilder des Augustus und Agrippa, welche der letztere dort aufgestellt hatte. Das Dachgerüst aus Balken von vergoldetem Erz konnte keine Gewalt der Zeit zerbrechen, und noch hatte die vergoldeten Bronzeziegel, mit denen sowohl die Vorhalle als die Kuppel selbst bedeckt waren, kein Räuber abgerissen. Ob das Giebelfeld noch seinen Schmuck besaß, von dem uns keine Beschreibung geblieben ist, wissen wir nicht. An die Thermen Agrippas sich anlehnend, konnte das Pantheon ursprünglich nicht zu einem Tempel gedient haben, aber der später erfolgte Anbau der Vorhalle, den noch Agrippa in seinem dritten Konsulat machen ließ, beweist, daß es dazu bestimmt wurde. Schon Plinius gab ihm den Namen »Pantheon«, und Dio Cassius sah darin außer den Statuen des Mars und der Venus auch die des vergötterten Caesar, welchem zugesellt zu werden Augustus sich geweigert hatte. Diese Statuen lassen eine cäsarische Bestimmung erkennen, auch wenn der Tempel von der Göttermutter Kybele den allgemeinen Titel und den besondern vom Jupiter Ultor entlehnte, in Erinnerung an den großen Sieg des Augustus bei Actium. Die Edikte der christlichen Kaiser hatten die Schließung aller Tempel befohlen, und vielleicht war seit zwei Jahrhunderten kein Römer mehr in das Innere des Pantheon eingedrungen; die großen, mit Erz beschlagenen Türflügel (sie sind schwerlich noch die heutigen) hatten jedoch sicherlich Westgoten und Vandalen aufgebrochen. Doch Schätze fanden sie dort nicht; die glänzende Marmorbekleidung oder die mit metallenen Rosen geschmückten Kassetten der Wölbung konnten ihre Gier kaum reizen. In den sechs Nischen des innern Runds wie in den zwischen ihnen angebrachten Aedicula fanden sie verlassene Götterbilder, von denen sie die wertvollen rauben mochten, und selbst Bonifatius IV. hat wohl deren noch einige im Pantheon vorgefunden.
Dieser Papst betrachtete mit Verlangen das Wunderwerk der Kunst, welches sich für eine Kirche so wohl eignete. Sein rings umschlossener Bau auf einem freien Platz, von der Form der Tempel abweichend, lud ihn zur Besitznahme ein, und die schöne Kuppel, eine in die Luft gehobene Sphäre, in welche das Licht der Gestirne magisch niederquoll, schien ihm für die Himmelskönigin Maria eine passende Wohnung abzugeben. Die letzten Kaiser hatten das Prinzip, daß die Tempel der Heiden nicht zerstört, sondern dem christlichen Kultus geweiht werden sollten, in Edikten ausgesprochen; Gregor selbst hatte es wenigstens für Britannien durch seine Verordnung an den Bischof Melitus bestätigt. Man folgte spät diesem Grundsatz, der bereits im alten Athen durchgeführt worden war, wo man den Parthenon, den Sitz der jungfräulichen Athene, in eine Kirche der Jungfrau Maria verwandelt hatte. Nichts aber beweist deutlicher, daß die Päpste kein Eigentumsrecht an den alten Bauwerken Roms besaßen, als die ausdrückliche Bemerkung der Chronisten, Bonifatius habe vom Kaiser Phokas das Pantheon sich erbeten und zum Geschenk erhalten. Die Beziehungen der römischen Kirche zu Byzanz waren demnach freundlicher Natur; demselben Kaiser hatten die Römer eben erst, im Jahre 608, die Ehrensäule auf dem Forum aufgestellt.
Bonifatius versammelte die Geistlichkeit Roms: die Türen des Pantheon, mit dem Kreuz versehen, wurden aufgetan, und in die erhabene Rotunde strömten zum erstenmal Prozessionen singender Christenpriester, während der Papst die Marmorwände, von denen man die Zeichen des Heidentums entfernt hatte, mit Weihwasser besprengte. Die vom Gloria in excelsis, welches die Wölbung mit lautem Echo zurückgab, erschreckten Dämonen konnten jetzt der Phantasie der Römer sichtbar werden, wie sie aus der Öffnung der Kuppel das Freie suchten. Es waren ihrer so viele, als es heidnische Götter gab, und bis auf Bonifatius' Zeit hatte man das Pantheon als den eigentlichen Sitz der Dämonen in Rom betrachtet. Das spätere Mittelalter wußte, daß es von Agrippa der Kybele und allen Göttern geweiht worden war, und glaubte, daß er die vergoldete Erzstatue jener Göttin über der Kuppel aufgestellt hatte. Was man im XII. Jahrhundert erzählte, konnte schon 600 Jahre früher Volksglaube sein, und das Pantheon galt vor allem als Tempel der Kybele. Dies dürfen wir schon aus den Titeln folgern, welche Bonifatius IV. der Rotunda gab: er weihte sie nämlich der Jungfrau Maria und allen Märtyrern. Die christliche Kirche liebte es, in die zum Gottesdienst verwandten Tempel solche Heilige einzusetzen, welche den daraus verjagten Göttern einigermaßen entsprachen. So war der angebliche Tempel der Zwillingsbrüder Romulus und Remus den Zwillingen Cosma und Damianus geweiht worden; so hatte die heilige Sabina die Göttin Diana vom Aventin verdrängt, und so wurden die beiden Militärtribunen Sebastian und Georg die Nachfolger des Kriegsgottes Mars. Bonifatius lehnte sich demnach an die Tradition: die große Mutter Kybele wurde durch die neue magna mater verdrängt und der Tempel »aller Götter« in eine Kirche »aller Märtyrer« verwandelt. Die Ansprüche des römischen Stadtkultus, welcher Heilige aus allen Ländern in sich aufnahm, fanden in diesem christlichen Pantheon einen passenden Ausdruck. Wir bezweifeln nicht, daß Bonifatius die Katakomben Roms beraubt hat, um ganze Wagenladungen sogenannter Märtyrerknochen in die Konfession des neuen Heiligtums zu versenken.
Nach dem Martyrologium Romanum wurde das Pantheon am 13. Mai geweiht, doch die Angaben des Jahrs schwanken zwischen 604, 606, 609 und 610. Noch jetzt feiert man in Rom an jenem Tage seine Dedikation; das Fest aller Heiligen begeht man am 1., das aller selig Verstorbenen am 2. November, sei es, daß schon Bonifatius diese Tage dazu bestimmt oder erst Gregor IV. dies getan hat. Denn erst im IX. Jahrhundert wurde das ursprünglich römische Fest auch von den Völkern jenseits der Alpen angenommen. So ging das allgemeine Trauerfest der Christenheit aus der Rotunde des Agrippa hervor; aus dem Pantheon aller Götter ergoß sich über die christliche Welt ein Geist milder Wehmut und heiligen Erinnerns, welcher noch in den spätesten Jahrhunderten das musikalische Genie Italiens und Deutschlands zu einigen der schönsten Schöpfungen erregt hat. Das Pantheon war zum Tempel der Pietät und Requies umgeschaffen, und noch heute wird man das unvergeßliche Rund nur mit Andacht betreten. Der schönste Bau des alten Rom hatte also seine Rettung vorn Untergange der Kirche zu verdanken, die sich seiner zu ihrem Kultus bediente. Wenn dies nicht geschehen wäre, so würde das herrliche Monument im Mittelalter zu einer Adelsburg geworden sein, die Verwüstungen zahlreicher Kriegsstürme erlitten und nur in trümmerhafter Gestalt, wie das Grabmal Hadrians, sich erhalten haben. Mit Recht wurde diese glückliche Tat Bonifatius' IV. für groß genug geachtet, um als ein Titel der Unsterblichkeit auf sein Grab geschrieben zu werden. Die neue Kirche galt wegen ihres Alters, ihrer Schönheit und Heiligkeit den Römern seither als das Kleinod ihrer Stadt und blieb das eifersüchtig gehütete Eigentum der Päpste. Noch im XIII. Jahrhundert beschwor jeder Senator Roms, daß er neben dem St. Peter, der Engelsburg und anderen päpstlichen Dominien auch die S. Maria Rotunda dem Papst verteidigen und erhalten werde.