Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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3. Johann VIII. Papst im Jahre 872. Tod des Kaisers Ludwig II. Die Söhne Ludwigs von Deutschland und Karl der Kahle streiten um den Besitz Italiens. Karl der Kahle Kaiser im Jahre 875. Verfall der imperatorischen Gewalt in Rom. Karl der Kahle König Italiens. Die deutsche Faktion in Rom. Exzesse des Adels. Formosus von Portus.

In jener Zeit hatte jedoch die Kirche noch das Glück, daß nicht minder kräftige Päpste einander folgten, als jene waren, die Rom dem byzantinischen Joch entzogen hatten. Während die Throne der Karolinger von immer schwächeren Regenten eingenommen wurden, bestiegen den Stuhl Petri ihnen an diplomatischer Kunst, Festigkeit und Kraft unendlich überlegene Männer.

Hadrian II. starb, und der noch kräftigere Johann VIII., Sohn Gundos, ein Römer vielleicht langobardischen Stammes, wurde am 14. Dezember 872 ordiniert. Auch der Kaiser Ludwig II., der letzte Karolinger von tatkräftigem Sinn und des Kaisertums würdigen Plänen, starb nach wenigen Jahren. Nachdem er unter rühmlichen Anstrengungen lange in Unteritalien gekämpft hatte, das Königreich vor den Sarazenen zu retten und es zu einigen, aber unvermögend gewesen war, den innern Zerfall, welchen das feudale Prinzip und die Immunität der Bistümer notwendig herbeiführen mußte, aufzuhalten, starb er bei Brescia am 12. August 875 und wurde in St. Ambrosius zu Mailand begraben. Er war der erste Kaiser des Mittelalters, der sich in das verhängnisvolle Labyrinth Italiens verstrickte und, fast zum Italiener geworden, dort unterging. Sein Tod bildet einen Abschnitt in der Geschichte des Reichs, welches mit ihm Macht und Würde verlor; denn jetzt sank es zu einem Puppenspiel in der Hand des Papsts und der italienischen Großen herab, während Italien selbst in jenen bis auf unsere Tage dauernden Widerspruch geriet, der es auf Grund seiner geographischen Lage zu einem Zankapfel zwischen Frankreich und Deutschland gemacht hat.

Außer seiner Tochter Irmingard hatte Ludwig keine Erben zurückgelassen. Seine Oheime Karl der Kahle von Frankreich und Ludwig von Deutschland strebten jeder nach dem Besitze Italiens und der Kaiserkrone. Eine Reichsversammlung, im September zu Pavia durch die Kaiserin-Witwe zustande gebracht, welche die deutsche Partei bevorzugte, hatte keinen Erfolg. Die Waffen sollten entscheiden. Ludwigs Söhne, Karl der Dicke und Karlmann, wurden von dem mächtigen Markgrafen Berengar von Friaul begünstigt, der durch seine Mutter Gisela ein leiblicher Enkel Ludwigs des Frommen war. Sie stiegen einer nach dem andern die Alpen herab, ihren Oheim zu bekämpfen, wurden aber von ihm durch Gold und Lügen in Untätigkeit versetzt. Die Kaiserkrone war diesem erbärmlichen Fürsten vom Papst bereits zugesichert worden. Denn schon zu Lebzeiten Ludwigs II., dessen Kraft Rom gefürchtet und gefühlt hatte, warf die Kirche ihre Blicke auf Frankreich, und Hadrian hatte Karl dem Kahlen heimlich versprochen, daß er nach des Kaisers Tode keinem anderen Fürsten als ihm die Krone geben werde. Der Gedanke, diese an einen nationaldeutschen König zu übertragen, lag noch ferne, oder er schien doch wegen der zu nahen Verbindung Italiens mit Deutschland gefährlich; Johann VIII. zögerte daher nicht, sich für die französische Partei zu entscheiden, weil sie die stärkere war und ihm Hoffnung auf nachdrücklichen Beistand gegen die Großen Roms und die furchtbaren Sarazenen gab. Er lud Karl den Kahlen durch die Bischöfe Formosus von Portus, Gadericus von Velletri und Johann von Arezzo ein, zur Krönung nach Rom zu kommen, und Karl eilte, sie zu erlangen. Am 17. Dezember 875 wurde er vom Papst feierlich im St. Peter begrüßt, sodann am Weihnachtstage zum Kaiser der Römer gekrönt.

Mit so großen Geldsummen hatte Karl die Stimme des Papsts und der Römer erkauft, daß seine deutschen Feinde ihn mit Jugurtha verglichen, der den feilen Senat Roms bestach. Weil er nicht wie seine Vorgänger durch den Willen eines kaiserlichen Vaters und die Wahl einer Reichsversammlung die Kaiserkrone empfangen hatte, so mußte er sich herablassen, um die Stimme des römischen Adels als Kandidat zu werben, und der Papst durfte in einer Sprache, wie sie noch nie war vernommen worden, den römischen Kaiser öffentlich als sein Geschöpf zu bezeichnen wagen. Wir kennen nicht vollständig den Vertrag, welchen Karl der Kahle mit der Kirche geschlossen hat. Da er seine Krone aus den Händen eines huldvollen Gebers empfangen hatte, mußten die Zugeständnisse, die er machte, groß sein. Hätten die Schenkungen eines ohnmächtigen Fürsten den Wert gehabt wie jene Ludwigs des Frommen, eines gebietenden Kaisers, so würden sie wohl als ein gewichtiges Diplom in der Geschichte des Papsttums geprangt haben. Die kaiserliche Majestät sank mit Karl dem Kahlen tief herab, die päpstliche stieg hoch empor. Die Konstitutionen Karls des Großen und Lothars verfielen in Rom, die Rechte der imperatorischen Gewalt hörten auf oder waren doch nichts als ein wesenloser Name; das Kaisertum wurde zum Spiel bald der Päpste, bald der großen Lehnsträger, und bald konnten sich italienische Grafen mit der Krone Karls brüsten, aus dessen Reich sie als Kronvasallen hervorgegangen waren.

Der neue Kaiser blieb nur bis zum 5. Januar 876 in Rom. Er eilte nach Pavia, gefolgt vom Papst selbst, und hier wurde er in einer Versammlung der Bischöfe und Großen des Königreichs Italien nicht allein in der Kaiserwürde bestätigt, sondern auch erst zum König Italiens erwählt und durch Anspert, den Erzbischof von Mailand, gekrönt, während doch seine Vorgänger in diesem Königreich einfach durch Beschluß des Kaisers und eines außeritalienischen Reichstags dazu ernannt worden waren. So bildet die Wahl Karls des Kahlen überhaupt einen Wendepunkt in der Geschichte Italiens; an ihr zeigte sich sowohl die außerordentlich gesteigerte Macht des Papsts, der Bischöfe, der Optimaten Italiens, als auch das bestimmte Hervortreten des norditalienischen Nationalgefühls. Der König übertrug dem Herzog Boso, dessen Schwester Richilda er zum Weibe genommen hatte, die Verwaltung der italienischen Angelegenheiten; er selbst reiste nach Frankreich, um sich dort auch von dem Reichstage jener Länder im Juli zu Ponthion als Kaiser anerkennen zu lassen, wo er im prachtvollen byzantinischen Gewand erschien und von den Legaten des Papsts wie ein Lehnsmann ein goldenes Zepter empfing.

Nachdem sich Johann VIII. die Kaisergewalt untertan gemacht hatte, war er von Pavia nach Rom zurückgekehrt, wohin ihn das Vordringen der Sarazenen und die feindliche Haltung des städtischen Adels rief. Dem Siege über das Imperium folgten so anarchische Zustände, daß derselbe bald genug zu einer kläglichen Niederlage des Papsttums wurde, welches kein kaiserlicher Arm mehr beschützte; selten sind Pläne des Ehrgeizes durch eine gleich bittere Ironie verhöhnt worden, wie sie die Päpste Roms damals erfuhren. Es gab in der Stadt eine mächtige, deutsch gesinnte Partei, welche mit der Kaiserinwitwe, mit Berengar von Friaul, Adalbert von Tuszien und den Markgrafen von Spoleto und Camerino Einverständnisse unterhielt. Der Wahl Karls hatte sie widerstrebt, sie trachtete überhaupt nach Unabhängigkeit und beängstigte den Papst auf jede Weise. Der Charakter dieser Großen entsprach der Roheit ihrer Zeit, aber wenn ein von allen Zeitgenossen als heilig gepriesener Mann, der Bischof Formosus, in ihrer Gesellschaft gefunden wurde, so unterliegt die Wahrheit der gegen sie erhobenen Beschuldigungen doch einigem Zweifel.

Formosus von Portus, durch seine Mission im Lande der Bulgaren ausgezeichnet, unter den Geistlichen durch Talente und Wissen hervorragend, hatte sich den Haß des argwöhnischeren Papsts und vieler Kardinäle zugezogen. Wenn er zuvor abgeschickt wurde, Karl zur Krönung einzuladen, so hatte er diese Gesandtschaft entweder widerwillig übernommen oder sich ihr aus Klugheit gefügt, seine Gesinnungen verschleiernd, die sich zur deutschen Partei neigten. Man mochte fürchten, daß er nach der Papstkrone strebe, weil er als ein bedeutender Mann einer großen Faktion versichert war. Er hatte sein Bistum Portus, ungewiß warum, verlassen. Man warf ihm deshalb vor, daß er sich mit den Römern gegen Kaiser und Papst verschworen habe.

Die Großen der Stadt bildeten eine mächtige Nepotenverwandtschaft. Es waren darunter Generale der Miliz oder Minister des Palasts, ein Nomenclator Gregor, sein Schwiegersohn Georg, Constantina, seine Tochter, der Secundicerius Stephan und ein Magister Militum Sergius. Georg hatte sein Weib, die Nichte Benedikts III., ermordet, um sich mit Constantina zu verbinden; der Einfluß seines Schwiegervaters Gregor und die Bestechung der Richter machten ihn von jeder Strafe frei. Auch Sergius, Nepot des großen Papsts Nikolaus I., verstieß sein Weib, um dem Beispiele eines königlichen Ehebrechers zu folgen und mit seiner fränkischen Konkubine Walwisindula zu leben. Diese frevelvollen Männer zwang die neue Kaiserwahl und die Zurückkunft des Papsts, Rom zu verlassen, in einer Zeit, wo die Sarazenen bis vor die Tore der Stadt streiften. Georg und Gregor beraubten erst den Lateran und andere Kirchen, dann öffneten sie nachts das Tor St. Pancratius und entflohen, ein Versteck im Spoletischen zu suchen. Dies gab dem Papst zur Anklage Grund, sie hätten die Mohammedaner in Rom einlassen wollen; er versammelte am 19. April 876 eine Synode im Pantheon. Nach Verlesung der Anklagen sprach er über jene Römer und den Bischof von Portus die Exkommunikation aus, wenn sie sich bis zu einem bestimmten Tage nicht stellten. Da dies nicht geschah, wurde das Urteil vollzogen und Formosus außerdem seines Bistums wie jedes geistlichen Grades entsetzt. Es unterliegt kaum einem Zweifel, daß er und die flüchtigen Römer mit den Markgrafen von Spoleto und Camerino wie mit Adalbert von Tuszien in Verbindung standen, weil wir sie bald darauf unter deren Schutz werden auftreten sehen, aber ihr verräterisches Einverständnis mit den Sarazenen ist unwahrscheinlich, und wenigstens muß Formosus davon freigesprochen werden.


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