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5. Abfall der Reichsstände von Heinrich IV. Er entkleidet sich der königlichen Macht. Er sucht die Lossprechung vom Bann. Canossa (1077). Moralische Größe Gregors VII. Die Lombarden wenden sich vom König ab. Er nähert sich ihnen wieder. Tod des Cencius. Tod des Cinthius. Tod der Kaiserin Agnes in Rom.
Heinrich gab dem Banne den Bann zurück, aber er erkannte bald, wie mächtig der römische Gegner sei, welcher die Empörung in seinem eignen Lande gegen ihn ins Feld führte, den Großen lockende Aussicht auf den Thron bot, Fanatismus und Aberglauben, furchtbare Bundesgenossen der priesterlichen Gewalt, bewaffnete, Klerus, Adel und Volk Deutschlands reizte, von einem gebannten Despoten sich abzuwenden und einen andern König zu wählen, dem er, sobald er ihn für würdig befunden, die apostolische Weihe geben wolle. Wenn Heinrich ein wirklicher Monarch gewesen wäre, so hätte er den Bann ertragen, aber seine Reichsgewalt ruhte nur auf dem unsichern Grunde des Lehnswesens, und dieser Verfassung allein verdankten die herrschsüchtigen Päpste ihre Erfolge.
Die Geschichte des Deutschen Reichs schildert den Abfall von Fürsten, Bischöfen, vielem, doch nicht allem Volk von einem Könige, den sie fürchteten oder haßten; wir begnügen uns zu bemerken, daß dieser hochbegabte, in den Waffen männliche, aber von ungeregelter Leidenschaft verzehrte König durch die deutsche Gegenpartei selbst in die schimpfliche Demütigung zu Canossa getrieben wurde. Das aus politischen Gründen empörte Deutschland stand zu zwei Dritteln gegen ihn und zu Rom; seine mächtigen Feinde, an ihrer Spitze Welf von Bayern, Rudolf von Schwaben und Berthold von Kärnten, verachteten seine Ladung nach Worms, während sie selbst im Oktober zu Tribur mit den päpstlichen Legaten tagten. Die Furcht der Fürsten vor seinen monarchischen Absichten und ihre unselige Parteiwut machte sie zu Bundesgenossen Roms. Umsonst die Bitte des Königs, in seiner Person nicht die Würde des Vaterlandes und Reichs zu schänden. Die Versammlung in Tribur verriet das Vaterland, indem sie das dreiste Wagnis des Papsts, den König zu bannen, als ein Recht und demnach seine schiedsrichterliche Gewalt über das Reich erkannte. Sie erklärte Heinrich für abgesetzt, wenn er nicht bis zum 2. Februar 1077 entbannt sei; an diesem Tage solle ein Parlament in Augsburg über ihn urteilen unter dem Vorsitze des Papsts; bis dahin solle er als Privatmann in Speyer leben. Der mutlose Fürst unterwarf sich einem Schimpf, welchen kaum Karl der Kahle würde ertragen haben; er widerrief die Beschlüsse gegen den Papst und begab sich nach Speyer.
Gregor, den die Deutschen nach Augsburg luden, kündigte sein Erscheinen an. Aber während er die Lande seiner Freundin durchzog, klomm Heinrich, die Lossprechung suchend, auf den Pfaden der Geächteten mit dürftigem Geleit über die furchtbaren winterlichen Eisfelder des Mont Cenis. Dieser charakterlose König warf sich von einem Extrem in das andere; sich verlassen findend, schleuderte er seine Waffen von sich und stürzte sich von der Höhe königlichen Stolzes wie ein Selbstmörder in die tiefste Schmach, an die Knie des Feindes, der ihm staunend seinen Fuß auf den Nacken stellte. Als er hörte, daß Gregor nach Deutschland kommen wolle, gab ihm sein Verstand ein, dies zu hindern. Ein rechter Mann würde ein Heer zusammengerafft und sich rasch zwischen den Papst und Deutschland geworfen haben; jedoch Heinrich besaß nur Schlauheit, nicht Genie. Der erste italienische Zug des Sohnes jenes Heinrichs III., unter dessen eisernen Kriegsscharen Italien erbebt hatte, ist das klägliche Schauspiel der Bußfahrt eines verdammten Flüchtlings und bettelnden Sünders, ein Triumph des Aberglaubens über Verstand und Ehre, aber auch ein großer Sieg der moralischen, von der Kirche dargestellten Gewalt über rohe Despoten. Nur dies ist schön, daß die Schmach der Fahrt Heinrichs durch die rührende Treue seines Weibes gemildert wird, welches er zuvor verstoßen hatte und das nun liebevoll die Gefahren mit ihm teilte.
Als Heinrich in Italien erschien, begrüßte ihn der laute Jubel der Lombardei. Die Norditaliener hatten nur deutsche Könige die Alpen herabsteigen gesehen, um mit Gewalt nach Rom zu ziehen, Päpste ein- und abzusetzen und das Imperium zu nehmen; sie glaubten, daß er gekommen sei, Gregor als einen »Feind der Menschheit« von seinem Stuhle herabzuwerfen. Zahlreiche Vasallen strömten aus vielen Städten diesseits und jenseits des Po zusammen; und Gregor, in Mantua haltmachend, flüchtete nach Canossa, einer Burg Mathildes, wo er sich verschloß. Der König hörte indes die Zureden der Grafen und Bischöfe, und sein gequältes Herz war die Beute des Stolzes und der Furcht, die es zugleich zerrissen. Doch in unsagbarer Verblendung stieß der Jüngling die Lombarden von sich und taumelte einem moralischen Tode zu. Der nahe Tag von Augsburg schreckte ihn; Scham hemmte seinen Fuß, Angst trieb ihn gegen Canossa fort, dessen verhängnisvolle Burg sich endlich seinen Blicken zeigte. Dort saß hinter dreifachen Mauern der Priester, der ihn verflucht hatte, und ein Weib, welches diesen Priester mit ihrem Schilde deckte, während von Gewissensangst gepeinigte Bischöfe Deutschlands täglich im Schlosse anlangten, die Absolution zu erflehen. Heinrich unterhandelte wegen der Lossprechung; Frauen vermittelten als barmherzige Schwestern, die Gräfin Mathilde und die Gräfin Adelheid, seine Schwiegermutter.
In der Geschichte des Papsttums werden ewig zwei Szenen glänzen und die geistige Größe der Päpste dartun: Leo, vor welchem der furchtbare Würger Attila zurückweicht, und Gregor, vor dem Heinrich IV. im Büßerhemde kniet. Aber das Gefühl des Betrachters dieser weltberühmten Szenen wird ungleich von ihnen bewegt, denn die erste wird ihn mit Ehrfurcht vor einer reinen moralischen Höhe erfüllen, die andere ihn nur zur Bewunderung eines fast übermenschlichen Charakters zwingen. Indes, der waffenlose Sieg des Mönchs hat mehr Anrecht auf die Bewunderung der Welt als alle Siege eines Alexander, Caesar oder Napoleon. Die Schlachten, welche die Päpste des Mittelalters schlugen, wurden nicht durch Eisen und Blei, sondern durch moralische Macht erkämpft, und die Anwendung oder die Wirkung so feiner geistiger Mittel ist es, welche das Mittelalter bisweilen über unsere Zeit erhebt. Ein Napoleon erscheint einem Gregor gegenüber nur als Barbar.
Drei Tage lang stand der unglückliche König vor dem Tore der innern Burg, das Büßerhemd über seinen Kleidern, um Einlaß flehend. Der zögernde Gregor traute den Zusagen eines wankelmütigen Fürsten nicht, und dies war natürlich; jedoch die Demütigung des Königs machte diesen zum Gegenstande des Mitleids, die Hartherzigkeit jenes mußte selbst Mathilde grausam erscheinen. Als der Papst den Gedemütigten (am 28. Januar) lossprach, vernichtete er zugleich sein Königtum: die Krone solle er in seine Hände niederlegen, so lange Privatmann bleiben, bis ein Konzil ihn gerichtet habe; im Falle seiner Wiedereinsetzung solle er schwören, dem Willen des Papsts stets folgsam zu sein. Gregor empfand, daß das Papsttum durch ihn einen weltgeschichtlichen Augenblick feiere. Otto I. vergoß einst Tränen beim Anblick eines unbedeutenden Papsts, der flehend seine Arme zu ihm erhob; auch Gregor weinte aus Erschütterung, als er den König der Deutschen, das Oberhaupt des Abendlandes, in Tränen vergehend zu seinen Füßen sich auf den Boden werfen sah; aber der eherne Geist dieses römischen Mönchs wurde nur einen Augenblick lang erweicht. Die majestätische Ruhe, mit welcher er über Heinrich das Gericht vollzog, verleiht ihm eine schreckliche Erhabenheit.
»Wenn ich,« so sprach er, indem er die Hostie brach, »der mir gemachten Anklagen schuldig bin, so werde mir der Genuß dieser Oblate zum augenblicklichen Tod«. Er verzehrte sie unter dem Jubelgeschrei des fanatisierten Volks und bot ihre Hälfte kalt und ruhig dem Könige zu gleichem Gottesurteil dar. Heinrich sank in ein klägliches Nichts bei dieser schrecklichen Versuchung, die er würdelos bestand. Gut, daß er nicht meineidig wurde wie Lothar; und vielleicht weckte doch dieser Augenblick der Scham und Verzweiflung in der Tiefe seines Herzens den Geist der Mannheit wieder auf und stellte ihn selbst moralisch wieder her.
Die menschlichen Dinge gipfeln in der Höhe und Tiefe und steigen dann herab und empor. Derselbe Augenblick sah Gregor auf der Sonnenhöhe seines Glücks, Heinrich in der Tiefe seines Falls; jener stieg nun langsam zum Gewöhnlichen herab, dieser richtete sich langsam wieder auf. Als er aus dem Schloß, wo er die Würde des Reichs und die Größe der Väter gelassen hatte, wie ein Mann herauskam, der aus einem schrecklichen Traum erwacht, empfing ihn tiefe Grabesstille in der Lombardei. Die tapfern Lombarden, noch in den Waffen, wandten sich verächtlich von ihm ab; die Grafen, die Bischöfe kehrten ihm den Rücken oder empfingen ihn kalt; die Städte, in denen der republikanische Geist schon kräftig emporwuchs, weigerten ihm die Herberge oder verpflegten ihn mit saumseliger Verachtung nur vor ihren Mauern. Ein Gefühl des Unwillens ging durch Norditalien: Heinrich habe der Krone unauslöschlichen Schimpf angetan; sie seien bereit gewesen, mit ihm vereint den öffentlichen Feind zu bekämpfen, nun habe er verräterisch seinen schimpflichen Frieden mit ihm gemacht; den kleinen Konrad müsse man an des unmännlichen Vaters Statt erheben, mit ihm nach Rom ziehen, ihn zum Kaiser krönen, Gregor verjagen, einen andern Papst wählen.
Heinrich hatte Canossa nur verlassen, um die Beute eines neuen Widerspruchs zu werden. Wenn er, wie er den Lombarden erklärte, die Lossprechung nur nachsuchte, um frei zu sein und sich am Papst zu rächen, so muß jedes Urteil seine Falschheit verdammen, die Strenge des Papstes aber entschuldigen. Nur durfte ein Menschenkenner wie Gregor sich voraussagen, daß er einem leidenschaftlichen Fürsten wohl die äußerste Schmach, aber nicht den Zwang auflegen konnte, sie ewig zu dulden. Das Unmaß des Sieges rächte sich naturgemäß an Gregor. Er verweigerte dem Könige mit Grund die Bitte, in Monza die Krone Italiens zu nehmen, und Heinrich hielt eine Weile die Lombarden von sich fern, dann suchte er sich mit ihnen auszusöhnen. Er empfing in Piacenza seine Anhänger, welche die ihnen vom Papst aus Canossa dargebotene Absolution männlich verworfen hatten. Wibert von Ravenna näherte sich ihm und auch Cencius. Dieser Römer mußte über einen König erstaunen, der sich vor demselben Papst in den Staub geworfen, welchen er nur kurz zuvor bei den Haaren aus einer Kirche geschleppt hatte; nun kam er nach Pavia, gegen Gregor sein Glück zu versuchen, doch es scheint, daß Heinrich Anstand nahm, ihn zu empfangen. Der rachsüchtige Römer lauerte vor den Toren Canossas; er war unermüdlich, Pläne zu schmieden, Verschwörungen anzuzetteln, bis er plötzlich in Pavia starb. Die Gregorianer jubelten, daß Catilina in die Hölle hinabgefahren sei, doch die vom Papst Geächteten, an ihrer Spitze der Erzbischof Wibert, geleiteten ihren Freund mit geräuschvollem Pomp in die Gruft.
Wenn den gottlosen Cencius die Hölle verschlang, nahm den frommen Cinthius das Paradies auf. Der Stadtpräfekt, welchem Gregor während seiner Abwesenheit Rom anvertraut hatte, starb im Spätsommer desselben Jahrs 1077, ermordet im Hinterhalt, welchen ihm Stefan, des Cencius Bruder, in der Campagna gelegt hatte. Die Römer seiner Partei bejammerten und rächten den Tod ihres Präfekten; sie stürmten die Burg Stefans, zerrissen den Mörder, pflanzten dessen Kopf vor dem St. Peter auf und bestraften die Mordgenossen mit Tod oder Exil. So hatte Cinthius das Schicksal seiner Freunde Ariald und Erlembald geteilt. Auch zu seiner Gruft strömten die Gläubigen; der Präfekt, welcher sie im Leben bisweilen mit Predigten erbaut hatte, tat nun im Tod als Märtyrer Wunder. Seine Reste, im Paradiese des St. Peter in einem Marmorsarkophag beigesetzt, wurden dort noch lange Zeit verehrt.
Es folgte ihm am 14. Dezember in die Gruft die unglückliche Mutter Heinrichs. Sie starb, zerbrochen durch den tiefen Fall ihres Sohns, im Lateran. Ihre Leiche wurde beim St. Peter in der Kapelle der Petronilla bestattet. Sie und Otto II. waren die einzigen gekrönten Häupter deutscher Nation, die in Rom begraben wurden.