Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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2. Entsittlichung des Papsttums. Ferrari. Floridus. Savonarola. Karl VIII. † April 1498. Ludwig XII. Krieg und Friede zwischen Colonna und Orsini. Der Papst mit Ludwig XII. verbündet. Lucrezia mit Don Alfonso von Bisceglie vermählt. Cesare geht nach Frankreich und wird Herzog von Valence. Er vermählt sich mit Charlotte d'Albret. Kriegszug Ludwigs XII. Er erobert Mailand. Lucrezia Regentin von Spoleto. Der Papst vernichtet die Gaëtani. Cesare in der Romagna. Fall Imolas 1499.

Der politische Horizont Italiens war damals so tief verfinstert, daß eine Katastrophe im Gemeingefühle lag. Noch schwankte hier vom Stoß der Jahre 1494 und 1495 eine jede Macht, außer Venedig. Das Papsttum trieb im Strudel der Zeitströmung, und es befand sich in der heftigsten Krisis weltlicher Umbildung. Vor Alexander VI. hatten noch einige Päpste entweder die nationale Richtung desselben oder seine kosmopolitische Stellung festzuhalten gestrebt, doch jetzt waren diese Bahnen verlassen. Das theokratische Prinzip war mit der Tyrannis vertauscht worden. Der damalige Fürst auf dem Marmorthrone des Vatikan unterschied sich von den anderen Dynasten Italiens nur durch Titel und Gewänder, aber er hatte gleichwohl nicht vergessen, daß er im Besitze der geistlichen Autorität sei und sich ihrer für seine weltlichen Zwecke bedienen könne. Diese Doppelnatur, das seltsamste Produkt Europas, welches aus der Verbindung der praktischen Geschichte Roms mit der christlichen Mystik entsprang, machte den Papstkönig noch allen Mächten furchtbar und seinen Tempelstaat unzerstörlich.

Keine noch so tiefe Finsternis Roms, wie sie Satiriker oder Heilige von Pier Damiani bis auf Clemange gebrandmarkt hatten, glich der Entsittlichung zur Zeit Borgias, wo das Licht der Humanität den Schatten des Vatikan nur um so dunkler erscheinen ließ. Hier saßen unter Trümmern der alten Kirche und auch der alten Gemeindefreiheit Roms in Prunkgemächern der Vater und der Sohn, unumschränkte Gebieter, umringt von willfährigen Dienern, sich berechtigt dünkend, wie einst Tiberius, ihr Zeitalter, das feile Volk und den Senat zu verachten, der ihnen gehorsamte. In diesem Senat trauerten einige bessere Männer, wie Piccolomini und Caraffa, aber die meisten waren Geschöpfe der Borgia und verderbt wie sie. Der Jesuit Mariana nannte später Alexander VI. nicht Papst, sondern nur Vorsteher der kirchlichen Zeremonien, und in Wahrheit war die öffentliche Religion, wie sie sich in Rom darstellte, nichts mehr als ein hergebrachter Formelndienst. Sie war es auch im allgemeinen in Italien überhaupt. Ihre äußeren Gesetze aufrecht zu halten, galt als Klugheitsregel für Republiken und Fürsten; denn die Religion mit ihren Wundern konnte als Staatsmittel gebraucht werden. Nur in diesem Sinne riet Machiavelli den Regenten, sich ihrer zu bedienen und selbst den Aberglauben zu unterstützen, wie einst die alten Römer getan hatten.

Begier nach Macht und Genuß war der Trieb jener Zeit, wo die Lehre Epikurs das Christentum bezwungen hatte. Die wollüstige Natur erscheint fast in jedem hervorragenden Menschen jener Epoche, und Alexander VI. überkam Rom als einen moralischen Sumpf. In dieser lasterhaften Gesellschaft galt es, nur Menschen und Dinge zu Werkzeugen der Selbstsucht aufzubrauchen, und Egoismus ist der Grundzug des Menschen der Renaissance, wo das Gewissen des einzelnen, wie der sittliche Begriff des Rechts im Staat zerstört war. Wenn ein kräftiger Wille erschien, wurde er mörderisch. Jene Zeit ertrug und verübte das Furchtbare, als wäre es Natur. Wir Menschen von heute fassen das kaum. Die Borgia stellten die Renaissance des Verbrechens dar, wie es die Zeit des Tiberius und anderer Kaiser gesehen hatte. Sie besaßen den kühnsten Mut dazu, aber das Verbrechen selbst wurde unter ihren Händen zum Kunstwerk. Dies ist es, warum Machiavelli, der politische Naturforscher jener Zeit, einen Cesare Borgia bewundert hat. Gold war das Idol, vor dem sich alles beugte. Durch Gold stieg Alexander auf den Thron, mit ihm behauptete er ihn und gewann er für Cesare Länder. Er tat auch nur, was seine Vorgänger getan, wenn er jedes Amt, jede Gunst, jedes Recht und Unrecht feilbot. Nur tat er dies in größeren Verhältnissen. Seine rechte Hand war, seitdem Lopez Kardinal geworden, der neue Datar Giambattista Ferrari aus Modena, der Zerberus der Kurie, wie man ihn nannte. Die Römer, alle in ihren Kreisen gleich raubgierig, sahen geduldig das Unwesen im Vatikan, nährten sich selbst von dem Geldüberflusse der Kurie und vergnügten sich nur mit Satiren, wie zur Zeit Juvenals. Solange ihre Vorfahren im Mittelalter noch ihre Parlamente auf dem Kapitol hielten, schwieg die Stimme des Pasquino; er begann seine witzigen Reden, als es im römischen Volk keine Männer mehr gab, und seither war es ihm vergönnt, Satiren zu schreiben, welche die Waffen der Ohnmächtigen sind.

In allen Ländern erhob sich doch schon ein Geschrei über das Treiben in Rom. Deutsche Fürsten, die hierher kamen, wie Albert von Sachsen und Erich von Braunschweig, mußten vor dem zurückbeben, was sie hörten und sahen. In Frankreich bereute es Karl VIII., daß er nicht Alexander vor ein Konzil gebracht hatte. Portugal und Spanien ermahnten den Papst: alle Laster seien an der Kurie zügellos, alles Heilige sei für Geld feil; Rom eine Höhle schamloser Frevel; dieses Unwesen habe den äußersten Grad erreicht. Sie forderten die Reformation der Kirche und ein Konzil. Die höchsten Beamten der Kurie trieben Fälschung. Selbst der Geheimschreiber Floridus, Erzbischof von Cosenza, wurde angeklagt, Dispense verfälscht zu haben, welche den König von Spanien in Wut versetzten. Der Sturz dieses Günstlings erinnert an den Fall Sejans. Floridus, im September 1497 eingekerkert, leugnete seine Schuld, wurde dann zu Bekenntnissen verlockt, die der Papst brauchte und endlich in das Verlies der Engelsburg verstoßen, welches San Marocco hieß. Dies war ein finsterer Ort in der innern Gruft Hadrians, wo man Unglückliche durch eine Versenkung in einen Brunnen zu stürzen pflegte. Hier ward Floridus eingeschlossen; man gab ihm nur Wasser und Brot, einen Krug Öl und eine Lampe, dazu ein Brevier und die Heilige Schrift. Er verschied am 23. Juli 1498.

Der Entrüstung Italiens gab damals Savonarola den beredtesten Ausdruck. Der heilige Zorn, mit welchem derselbe gegen das Papsttum eines Borgia, gegen den Verfall der Kirche und der italienischen Nation eiferte, sichern ihm eine Stelle unter den Märtyrern des Ideals. Dieser kühne Volksredner war das Gewissen Italiens und sein Prophet im Sinne der Prediger unter dem sündigen Volk Israel. Er sah die Frevel der Zeit und zog daraus den logischen Schluß. Er prophezeite den Zug Karls VIII. und vieles andere richtig, wie Commines es mit Staunen bezeugt hat. Nicht in der Wirkung jenes Zuges auf Italien täuschte er sich, aber in der Erwartung, daß dieser König die Kirche durch ein Konzil reformieren werde. Nach der Vertreibung der Medici war er das Haupt der Florentiner Republik, wo er die Stellung eines Gesetzgebers einzunehmen begann. Aus seinem Geiste gingen magnetische Strömungen, welche Florenz elektrisierten, die Stadt der heidnischen Philosophen, der Genußmenschen, der Kunstschwelger, der Wechsler und Kaufleute, der politischen Rechenmeister und der feinsten Kritiker. Savonarola war der Cola di Rienzo von Florenz, aber mit den fanatischen Zügen des Dominikus; noch im Mittelalter, noch in seiner Kutte befangen, von der er nie loskam. Die Macht der Kirche in romanischen Landen, ihre Verflechtung in Gesellschaft und Staat, die volkartig große Zahl der Priester, das Bedürfnis des italienischen Geistes, einer moralischen Idee politische Gestalt zu geben, oder auch die Unfähigkeit, im Gebiete des reinen Denkens sich lange zu erhalten: dies alles hat Menschen wie Arnold von Brescia, Johann von Vincenza, Savonarola erzeugt, das heißt Mönche und Politiker in einer Person. Aus diesem Wesen folgte, daß ihre wichtigste Aufgabe, die kirchliche Reform, stets in Revolutionen des Staates und seiner Parteien verlorenging.

Savonarolas theatralische Stürmerei, nicht der Heiligenbilder wie in byzantinischer Zeit, sondern der »Vanitäten« des Luxus, besserte die öffentliche Moral nicht; seine Fastenpredigten brachten nur die flüchtige Wirkung hergebrachter Flagellantenprediger hervor: seine Invektiven gegen das Sodom Roms wurden als wahr erkannt, aber sie erweckten nicht den sittlich ernsten Kampf der Geistesfreiheit gegen die absolute Papstgewalt. Keine Erwartung könnte berechtigter erscheinen als diese, daß die Stimme des weherufenden Daniel das italienische Volk zur tatsächlichen Reform der Kirche, ja zum Abfall von Alexander VI. hätte treiben müssen. Doch der Prediger in der Wüste begegnete nur der Gleichgültigkeit für jede tiefere religiöse Idee. Der Sinn für Christentum und Kirche war im Volk der Italiener meistens tot, weil im äußeren Kultus untergegangen, oder das Reformbedürfnis war in die Kanäle der klassischen Bildung abgeleitet. Das Papsttum war stets für die Italiener nicht eine religiöse, sondern eine politische Frage. Savonarola wollte der Erneuerer der Religion oder doch der Moral des Volkes sein, um dasselbe dadurch für die Freiheit fähig zu machen, aber die Florentiner begehrten nur von ihm, daß er der Gründer ihrer Republik werde. Machiavelli hat die staatsmännischen Grundsätze des Mönchs von S. Marco als trefflich anerkannt, doch er schweigt von dem Wert seiner kirchlich-reformatorischen Ideen, weil diese ihn selbst, wie jeden andern Italiener, gleichgültig ließen. In Wahrheit erscheint auch der Traktat Savonarolas über die Regierung von Florenz bemerkenswerter als sein zerstreutes Programm von der Reform der Kirche, worüber er wohl nie im klaren war.

Die Erschütterung des Gewissens Alexanders nach der Ermordung seines Sohnes glaubte er ernst genug, um den »Heiligen Vater« zu ermahnen, die Reform der Kirche durchzuführen. Nur mit Verwunderung kann man seinen Brief an diesen Papst lesen. Die unheimliche, ganz in Flammen hoher Schwärmerei gehüllte Gestalt des Propheten war Alexander VI. fast weniger ängstigend als widerlich. Seine Predigten gegen die Laster der römischen Kurie mußte er endlich zum Schweigen bringen. Aufgereizt von den doktrinären Feinden des Demagogen, den Minoriten, auch von den verbannten Medici (Pietro lebte im Exil zu Rom) forderte er von der Florentiner Signorie die Auslieferung des Mönchs, dem er das Predigen verbot. Sein Kampf mit diesem kühnsten, aber schwächsten seiner Feinde welcher endlich mit einer Appellation an das Konzil hervortrat und die Fürsten Europas zur Reform der Kirche aufrief, wurde ihm durch die Zerrüttung der Florentiner Republik erleichtert, da die Gegner Savonarolas, die Arrabbiati, die Oberhand gewannen. Die mißglückte Aufführung eines Schauspiels mittelalterlichen Aberglaubens, einer Feuerprobe, wozu der exkommunizierte Prophet herabsank, zerstörte dessen Nimbus. Das getäuschte Volk stürmte sein Kloster, und Savonarola endete gleich Arnold von Brescia wie ein gemeiner Ketzer auf dem Scheiterhaufen am 23. Mai 1498. Er fiel, weil seine visionäre Ekstase ohne Inhalt von Taten und sein eitles Prophezeien das Volk langweilte, die Republik selbst ins Verderben brachte. Jetzt fühlte sich Alexander sicherer auf dem Stuhle Petri; der einzige moralische Protest Italiens gegen ihn war in den Flammen erstickt, seine Autorität von der Florentiner Republik anerkannt, sein päpstliches Ansehen von der Welt durch den Richterspruch der Signorie hergestellt. Von jetzt ab wurde er ganz furchtlos, ganz schamlos in seinem Tun.

Luther, damals ein armer Chorschüler, konnte vom Eindruck der Florentiner Tragödie schwerlich schon aufgereizt werden, aber fünfundzwanzig Jahre später gab er die Auslegung des 51. Psalms heraus, welche der sterbende Prophet von S. Marco im Gefängnis geschrieben hatte, und er weihte dabei dem Andenken des edlen Märtyrers einen ehrenden Nachruf. Die deutsche Reformation durfte Savonarola als ihren Vorkämpfer im Gebiete des Sittlichen ehren, doch sonst fand sie kaum eine Waffe vor, welche sie aus seiner Hand entlehnen konnte, wie solche die älteren radikalen Reformer, Marsilius und Ockham oder Wiclif und Hus, aus dem Stahle der wissenschaftlichen Kritik geschmiedet hatten. Schwärmer, selbst die hochherzigsten und edelsten, haben nie die Ketten des Menschengeschlechts zu brechen vermocht. In Italien erstarb auch die moralische Reformbestrebung Savonarolas in seinem Scheiterhaufen. Von diesem unglücklichen ersten Reformator der Renaissance blieb nur das geschichtliche oder literarische Bild eines Heiligen übrig. Doch glänzt auch dieses sehr hell auf dem finstern Hintergrund des Papsttums Alexanders VI. wie der Leiden und der Schuld Italiens in jener Zeit, wo Savonarola der freisinnigste Patriot, der genialste Denker und der einzige moralische Vertreter seiner Nation gewesen ist. Und nur durch ihn hat diese in jener schrecklichen Epoche der Entwürdigung sich selbst zu rechtfertigen vermocht. Kaum zwölf Jahre vergingen nach der Hinrichtung des Florentiner Reformators, und Raffael durfte es wagen, den Heiligen der Kirche auf dem Gemälde der Disputa im Vatikan selbst Savonarola beizugesellen.

Noch kurz vor seinem Tode hatte Savonarola Karl VIII. aufgefordert, ein Konzil zu versammeln, und von dem Könige war schon ein Jahr früher das Urteil der Sorbonne eingeholt worden, welches sich für ein solches aussprach. Diese Drohung schwebte über dem Haupte des Papsts; doch politische Verhältnisse ließen ihn hoffen, sie zu entfernen, ja sich enge mit dem Könige zu verbünden; da starb derselbe plötzlich zu Amboise am 7. April 1498. Sein Tod war folgenschwer. Denn kaum hatte sein Vetter Orléans, der schwache aber ehrgeizige Ludwig XII., die Krone genommen, als er durch die Titel Herzog von Mailand und König von Sizilien und Jerusalem zu erkennen gab, daß er die Unternehmung seines Vorgängers fortzusetzen willens sei. Alexander eilte, ihn zu beglückwünschen. Mit zurückhaltender Miene ließ er ihm sagen, was er selbst begehre: keinen Feldzug mehr in Italien, sondern den Türkenkrieg; die Ansprüche auf Mailand und Neapel seien unpraktisch und führten nur zum allgemeinen Verderben; die Republik Florenz sei in ihrer Freiheit zu erhalten, Pisa ihr zurückzugeben: den Orsini und Colonna sei zu verbieten, ohne Erlaubnis der Kirche in französische Dienste zu treten; den gebannten Stadtpräfekten solle der König nicht in seinen Schutz nehmen.

Gerade damals war Rom durch einen wütenden Krieg zwischen Colonna und Orsini aufgeregt. Das Glück jenes Hauses, welches die Orsini aus den Abruzzen verdrängte, erbitterte diese Erbfeinde; denn Federigo hatte am 6. Juli 1497 Fabricius Colonna mit Tagliacozza und Alba beliehen, nachdem er diese streitigen Grafschaften wegen der Empörung des Virginius konfisziert hatte. Die Orsini verbündeten sich mit den Conti, rückten mit einem ganzen Heer gegen die Colonna, erlitten aber am 12. April 1498 bei Palombara eine vollständige Niederlage. Carlo Orsini wurde gefangen, Bartolomeo Alviano, der Kardinal, sein Bruder Julius und Johann Jordan entrannen mit Not. Beide Teile erkannten hierauf, daß ihr Krieg nur der Vorteil des Papstes sei; sie schlossen im Juli Frieden zu Tivoli, verbanden sich durch Heiraten und überließen dem Könige Federigo die Entscheidung wegen Tagliacozzo. Alle Feinde der Borgia jubelten über diese Versöhnung der streitenden Häuser, während der Papst voll Argwohn war. Eines Tages fand er an der Türe der Vatikanischen Bibliothek Verse, welche die Colonna und Orsini ermunterten, ihre vereinten Kräfte nunmehr gegen den »Stier« zu richten, der Ausonien verwüste, und ihn und seine Stierkälber in die rächenden Wogen des Tiber zu versenken. Alexander geriet in Furcht; er zog achthundert Mann Fußvolk in den Borgo; doch die versöhnten Erbfeinde achteten zu ihrem Verderben nicht auf jene weise Mahnung.

Man wußte bereits, welche neuen Pläne der Papst zur Erhöhung seiner Kinder schmiede, welche verderblichen Unterhandlungen er mit Frankreich angeknüpft habe. Noch bestand die Liga zwischen ihm, Venedig und Mailand, dem Kaiser und Spanien zu Recht; aber es fanden sich Ursachen, welche es dem neuen König Frankreichs möglich machten, diesen Bund aufzulösen und vor allem den Papst von ihm zu trennen. Ludwig XII. wollte seine Gemahlin Johanna von Valois, die mißgestaltete Tochter Ludwigs XI., verstoßen, um Anna, die Witwe Karls VIII., zu heiraten, welche er um so leidenschaftlicher liebte, als sie die Erbin der Bretagne war. Ein Dispens der Kirche war dazu nötig, und deshalb unterhandelte man in Rom. Alexander ergriff dies voll Begier. Der Gedanke, ganz Italien durch eine zweite Invasion in Flammen zu setzen, ängstigte ihn nicht, denn der Ruin dieses Landes, dem er nicht angehörte, machte seine Kinder groß, während ihn selbst die Freundschaft Ludwigs XII. gegen Schisma, Konzil und alle seine Feinde schützte. Nur die Verbindung mit Frankreich war es, welche den Borgia fortan unerhörte Kraft gab.

Dem Könige ward bewilligt, was er begehrte, nachdem er zugestanden, was man verlangte. Das Nähere sollte mit ihm Cesare in Frankreich besprechen. Denn nun war auch die Zeit gekommen, wo dieser Kardinal ein französischer und dann ein italienischer Fürst werden durfte. Große Veränderungen gingen im Hause des Papsts vor. Zunächst ward Lucrezia wiederum vermählt.

Ihre kinderlose Ehe mit Pesaro hatte der Papst schon im September 1497 getrennt und sie selbst ins Kloster S. Sisto geschickt. Der beschimpfte Gemahl lebte in seiner Herrschaft Pesaro, die er nur deshalb nicht verlor, weil die Venetianer ihn schätzten. Alexander folgte jetzt dem Rate Prospero Colonnas, Lucrezia mit Don Alfonso von Bisceglie, dem Bastard Alfonsos II., zu vermählen. Der siebzehnjährige Prinz kam im Juli nach Rom, und die Vermählung der Papsttochter mit ihrem dritten Gemahl wurde im Vatikan vollzogen. Lucrezia faßte alsbald eine wirkliche Neigung für ihn. Nur aus Furcht hatte Federigo in diese Verbindung gewilligt, aber standhaft verweigerte er die von ihm für Cesare geforderte Hand seiner Tochter Carlotta nebst der Mitgift von Tarent, denn nur um dieses Zweckes willen hatte der Papst jene neapolitanische Vermählung seiner Tochter abgeschlossen. Die Prinzessin Carlotta wurde am Hofe Frankreichs erzogen, und dort bestürmte der Papst den König Ludwig, deren Einwilligung zu vermitteln. Federigo, dem die Freundschaft der Borgia noch verderblicher erschien als ihre Feindschaft, wollte von nichts hören, und mit gleichem Abscheu bebte die junge Fürstin vor der Ehe mit einem »Pfaffen und Pfaffensohn« zurück.

Der Kardinal Cesare erklärte indes am 13. August 1498 vor dem Konsistorium, daß seine Neigung stets weltlich gewesen sei und nur der Wille des Papsts ihn gezwungen habe, Geistlicher zu werden. Dies war vielleicht das einzige wahre Wort, das er je gesprochen hatte. Die Kardinäle gaben ihm einstimmig die Erlaubnis, den roten Hut abzulegen, zumal er nur Diaconus, nicht Presbyter gewesen war. Nur der spanische Botschafter Garcilaso hatte gegen die Verwandlung des Kardinals in einen französischen Fürsten und folglich in ein Werkzeug Frankreichs protestiert und eine Reformation der Kurie gefordert, was den Papst in Wut versetzte. Er scheute sich nicht, zu erklären, daß diese aus den profansten Gründen vollzogene Entgeistlichung seines Sohns die Rücksicht auf dessen Seelenheil zum Motive gehabt habe. Mit dem Kardinalshut verzichtete Cesare auf eine Rente von 35 000 Goldgulden, die ihm seine Benefizien eingebracht hatten. An demselben Tage erschien der Kammerherr Serenon, welcher ihn nach Frankreich geleiten sollte. Die Ausrüstung des künftigen Herzogs von Valentinois war schon seit dem Anfange des Jahres 1498 betrieben worden. Eine unglaubliche Menge von Gold- und Seidenstoffen hatte man aus fremden Fabriken kommen lassen. Verkauf von Ämtern in der Kurie und gewaltsame Beerbung verstorbener oder prozessierter Prälaten vermehrten die Mittel, welche der Papstsohn brauchte. Petrus de Aranda, Bischof von Calagora, der greise Hausmeister des Papsts, war im April als Marane verdächtigt und in die Engelsburg gesetzt worden. Im Juli waren dreihundert andere sogenannte Marani als Pönitenten, natürlich für Geld, absolviert und im gelben Gewand, Kerzen in der Hand, durch die Minerva geführt worden.

Am 1. Oktober 1498 reiste Cesare zur See nach Frankreich ab mit königlicher Pracht. Der ehemalige Kardinal ritt auf einem schönen Pferde, ein schwarzes Federbarett auf dem Haupt, in einem Gewande von weißem Damast mit goldener Verbrämung, darüber einen Mantel von schwarzem Samt, ganz nach französischer Mode. Der Papst sah ihm aus dem Fenster nach; vier Kardinäle begleiteten ihn; doch nicht durch Rom, sondern durch Trastevere bewegte sich der Reisezug Cesares. Hunderte von Maultieren trugen seine Schätze, das zusammengeraffte Gut des Kirchenstaats und der Christenheit, 200 000 Dukaten bares Geld oder Ausrüstungsprunk. Seine edlen Pferde hatten Hufeisen von Silber. In seinem Gefolge befanden sich junge Römer, Genossen seiner Lüste und Schmeichler seiner Macht; selbst ein Orsini, Johann Jordan, begleitete ihn. Sein Einzug in Avignon und in Chinon am 19. Dezember war der eines Souveräns. Mit öffentlichen Ehren, doch mit heimlicher Verachtung empfing ihn Ludwig XII. Dem Vertrage gemäß brachte Cesare den roten Hut mit sich für Georg von Amboise, den Erzbischof von Rouen, und für den König die Ehescheidungsbulle, welche er nach Gutdünken bei sich behalten oder für den höchsten Preis verkaufen sollte. Er begegnete bei Hofe dem Kardinal Julian Rovere, dem grimmigsten Gegner seines Vaters. Aber die Vermittlung des Königs und die verwandelten Verhältnisse zwangen die Feinde zur Annäherung. Julian, noch immer im französischen Exile lebend, hatte die Hoffnung verloren, den Kampf mit dem mächtigen Papst fortzusetzen; er unterstützte jetzt die ehrgeizigen Pläne der Borgia, indem er zugleich sein Vaterland dem französischen Eroberer nochmals unterjochen half; denn Selbstsucht war die einzige Triebfeder des Handelns bei den Menschen jener Zeit. In Tours setzte Julian jenem Erzbischof den Kardinalshut auf, jetzt ein Vollstrecker des Willens der Borgia.

Dem Könige Ludwig lag viel daran, den Papst zu gewinnen, und dies gelang ihm um den ausbedungenen Preis der Erhöhung Cesares. Der ehemalige Kardinal von Valencia wurde zum Herzog von Valence mit entsprechender Rente ernannt, und so blieb ihm der Titel Valentinus mit besserem Inhalt. Dem Vertrage gemäß hatte sich der König verpflichtet, ihm auch die Hand jener Prinzessin Carlotta zu gewinnen, wodurch Alexander den Grund zu dem einstigen Königsthron für Cesare zu legen hoffte. Diese Verbindung hatte der Kardinal Julian unterstützt, aber dem Papste geschrieben, daß sie an der Weigerung der jungen Fürstin scheitere. Er beteuerte Alexander, daß sowohl er als der König Frankreichs nichts unterließen, um diesen Widerstand zu brechen; wenn dies nicht gelänge, biete der König Cesare die Hand seiner Nichte, der Tochter des Grafen von Foix oder die der Schwester des Königs von Navarra. Voll Schmeichelei gegen den Papst rühmte der Kardinal in demselben Briefe die glänzenden Eigenschaften Cesares. »Dies«, so sagte er, »will ich Ew. Heiligkeit nicht verschweigen, daß der erlauchte Herzog von Valence eine solche Bescheidenheit, Klugheit, Geschicklichkeit und solche Gaben des Leibes und der Seele besitzt, daß er hier alles für sich eingenommen hat, bei dem Könige und dem ganzen Hofe in höchster Gunst steht und überhaupt von allen hochgehalten wird. Mit tausend Freuden will ich davon Zeugnis geben.« Der Papst beschwerte sich indes in einem Briefe an den Kardinal über den Treubruch des Königs, der ihn dem Spotte der Welt aussetze; denn es sei weltkundig, daß sein Sohn nur dieser Vermählung wegen nach Frankreich gereist sei. Ludwig bot hierauf Cesare die Hand einer minder skrupulösen Prinzessin aus französischem Königsstamme, der Charlotte d'Albret, einer Schwester des Jean d'Albret, Gemahles der Katharina von Navarra und dadurch Königs dieses Landes. Damit gab sich der Papst zufrieden. Auch hier war es wieder der Kardinal Julian, welcher den eifrigen Vermittler dieser Verbindung gemacht hatte. Der Sohn Vanozzas wurde demnach in das königliche Haus Frankreich aufgenommen, und der Papst konnte am 22. Mai 1499 den Kardinälen kundtun, daß die Ehe Cesares mit der Prinzessin d'Albret vollkommen verwirklicht sei. Zum Zeichen der Freude ward Rom beleuchtet.

Es begann nun die fürstliche Laufbahn Cesares, das schrecklichste Drama aus den Annalen des weltlichen Papsttums, dem es angehört. Der Herzog von Valence beabsichtigte, seine Staaten in Italien zusammenzubringen, denn ihm versprach Ludwig XII., Waffen zur Eroberung der Romagna zu leihen, sobald er selbst Mailand besaß. Unter dieser Bedingung trat Alexander der Liga bei, welche der König am 15. April 1499 mit Venedig geschlossen hatte, nicht achtend die Proteste Spaniens. Venedig war Lodovico Sforza feind geworden; es unterstützte nämlich Pisa gegen Florenz, was Sforza auf die Seite der Florentiner trieb. Die Signorie Venedigs, nach dem Herzogtum Mailand begierig, unterhandelte mit Frankreich zum Verderben des Nachbarstaates, und sie empfing als Preis des Bündnisses die Aussicht auf Cremona. Nur mit Abscheu kann man auf diese ehrlose Politik der Fürsten Italiens blicken, welche fort und fort fremde Herrscher in ihr Vaterland riefen, und es dann Dichtern überließen, das Unglück der schönen Italia zu beweinen. Diese Klagen haben lange das Urteil der Welt getäuscht, aber sie täuschen es nicht mehr, denn die vielumworbene Helena hat sich seit den Gotenzeiten fortdauernd den Meistbietenden selbst verkauft.

Ludwig rüstete zu Land und See, seine Rechte auf Mailand und Neapel zurückzufordern. Die einen beanspruchte er als Erbe der Anjou, die andern als Enkel der Valentina Visconti. Solche Ansprüche waren in jener Zeit des Dynasten-Rechts furchtbar genug, zumal für einen Usurpator. Sforza zitterte in Mailand. Am 24. Juli floh zu ihm der Kardinal Ascanio, welchen neapolitanische Galeeren von Nettuno nach Porto Ercole brachten, und bald auch Sanseverino. Er fand nirgends Berufsgenossen. Denn die Neutralität Spaniens und Englands hatte sich Ludwig XII. durch Verträge gesichert, und Maximilian konnte nicht bereit sein, nochmals in Italien aufzutreten. Florenz war durch Pisa beschäftigt, und Federigo von Neapel suchte vorsichtig seine eigene Rettung.

Die Katastrophe entwickelte sich in schnellen Schlägen. Als im Jahre 1499 die Franzosen unter Trivulzio, Aubigny und Ligny vom Westen und die Venetianer von Osten her gegen das Herzogtum Mailand vorrückten, fielen dessen Städte eine nach der andern durch Feigheit oder Verrat. Schon am 2. September entwich der hilflose Tyrann nach Tirol, den Schutz Maximilians anzurufen. Sein Hauptmann aber verkaufte das trefflich versorgte Mailänder Kastell dem Feinde. Jetzt erst kam Ludwig XII. von Lyon herbei: am 6. Oktober 1499 zog er unter dem Jubel des Volks als Herzog in Mailand ein. Ihn begleiteten auf diesem Triumphzuge die Vasallen seiner Gunst, die Fürsten von Savoyen, Montferrat, Ferrara, Mantua, die Gesandten Venedigs und auch Genuas, das sich selbst eilig Frankreich darbot, ferner Cesare Borgia, welcher den Fahnen des Königs als raubgieriger Geier folgte, und der Kardinal Julian, damals der willfährige Genosse des Eroberers seines Vaterlandes. Alexander suchte jetzt die Rovere ganz für sich zu gewinnen: am 18. November 1499 absolvierte er den Stadtpräfekten und überließ ihm auch jene 40 000 Dukaten. Sodann vermittelte er eine Heirat zwischen dessen jungem Sohne Francesco Maria und Angela Borgia, einer seiner Nichten.

Im Vatikan war nichts als Freude über diese Siege Frankreichs, nichts als hohe Erwartung der Größe Cesares. Das französische Bündnis mußte jetzt zur Unterwerfung des ganzen Kirchenstaats unter die Borgia führen, und dazu traf der Papst die Einleitungen. Seine Tochter hatte er bereits, ganz unerhört, zur Regentin Spoletos gemacht, einer der wenigen Städte des Kirchenstaats, die nie in die Tyrannis eines Herrn gefallen war. Dorthin begab sich Lucrezia mit Don Jofré am 8. August. Ihr Auszug war prachtvoll. Viele reichbedeckte Maultiere trugen ihre Kostbarkeiten, darunter ein Bett von Seide und Samt, worauf die schöne Regentin von ihren Sorgen ausruhen konnte. Die vatikanischen Leibwachen, der Stadtgovernator, der neapolitanische Gesandte und viele Prälaten geleiteten sie, und der Papst betrachtete aus einer Loge den Abzug seiner Tochter. Deren Gemahl hatte sich kurz zuvor heimlich zu den Colonna begeben, um dann Neapel zu erreichen. Die mysteriöse Flucht des unglücklichen Prinzen aus den Armen seiner Gattin deutete schreckliche Dinge an. Ein guter Geist warnte ihn, aber zu seinem Unglück folgte Alfonso bald dem Rufe Alexanders; er kehrte nach Spoleto zu seinem Weibe und zu denen zurück, die schon die Dolche für ihn bereithielten.

Der Papst hatte in derselben Augustzeit Madonna Sancía nach Neapel verbannt. Am 23. September traf er mit seiner Tochter, mit deren Bruder und Gemahl in Nepi zusammen. Hier entwarf man Pläne zur Vergrößerung des Hauses durch die Güter der lateinischen Barone, die Alexander jetzt im ganzen römischen Gebiet vernichten wollte. Er begann mit den Gaëtani. Dieses Geschlecht war in den Zeiten des Schisma verfallen, aber durch die Nachkommen Jacopos, eines Bruders des Honoratius, hergestellt worden. Unter ihnen glänzte in der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts der zweite Honoratius, Herr von Sermoneta und allen andern lateinischen Besitzungen des Hauses. Er hinterließ im Jahre 1490 drei Söhne, Nicolaus, den Protonotar Giacomo und Guglielmo. Mit Hinterlist umgarnte Alexander am Ende des Jahres 1499 Giacomo, das damalige Haupt des Hauses; er lockte ihn nach Rom, ließ ihn in die Engelsburg setzen und durch das feile Gericht des Senators und Governators des Majestätsverbrechens schuldig sprechen, worauf er alle Güter der Gaëtani einzog. Der Unglückliche protestierte und starb am 5. Juli 1500 an Gift in der Engelsburg. Bernardino, der junge Sohn des Niccolò Gaëtani, wurde von den Schergen Cesares bei Sermoneta ermordet, und nur mit Mühe entrann Guglielmo nach Mantua. Päpstliches Kriegsvolk besetzte Sermoneta, welches Lucrezia am 12. Februar 1500 scheinbar für 80 000 Dukaten von der päpstlichen Kammer erkaufte.

Schon im Oktober 1499 hatte der Papst, unter dem Vorwande nicht gezahlten Zinses, die Vasallen der Kirche in der Romagna und der Mark ihrer Lehen verlustig erklärt. Diese Länder, nach denen schon ein früherer Nepot, Girolamo Riario, gestrebt hatte, sollten das Reich Cesares bilden; es war die alte Idee des Königreichs Adria aus der Zeit des großen Schisma, welche jetzt der Sohn eines Papsts durchführen wollte. In den Städten dort saßen Feudaldynasten, von denen ein jeder eine lange und blutige Chronik seines Hauses aufzuweisen hatte. Die Malatesta, die Manfredi und Montefeltre, die Sforza, Varani und Bentivogli hatten meist im XIV. Jahrhundert die Tyrannis unter dem Titel von Vikaren der Kirche erlangt: ein Verhältnis, welches wesentlich von der Zeit des Albornoz herstammte. Es ist begreiflich, daß in einer Epoche, wo durch Überwindung ähnlicher Feudalverhältnisse die europäischen Monarchien sich gestalteten, auch die Päpste versuchten, zu Monarchen ihres zerstückten Tempelstaats zu werden. Alexander VI. war der rechte Papst und sein Sohn der rechte Nepot für diese Aufgabe. Aus diesem Gesichtspunkt der Reinigung Italiens von der tyrannischen Vielherrschaft ist er für Machiavelli das Ideal des italienischen Fürsten geworden.

Cesare Borgia war von der Natur glänzend ausgestattet: wie einst Tiberius der schönste Mann seiner Zeit, zugleich von athletischer Körperkraft. Seine unersättliche Sinnlichkeit stand doch im Dienst eines kalten, durchdringenden Verstandes. Auch er besaß eine magnetische Anziehungskraft für Frauen, aber eine noch viel furchtbarere des Willens, welche Männer entwaffnete. Den Jesuitismus in der Staatskunst, ein Erzeugnis romanischer Nationen, hat Cesare Borgia so vollkommen durchgeführt, daß er das Muster eines Herrschers in diesem Sinne werden konnte. Alle Eigenschaften dieser Natur zeigte er in vollem Maße: tiefe Schweigsamkeit, List und Heuchelei, planvolle Berechnung, schnelles Handeln zur rechten Zeit, erbarmungslose Grausamkeit, Kenntnis der Menschen, Verwertung von Tugend und Laster zu einem und demselben Zweck. Er konnte gerecht sein und zwar freigebig bis zur Verschwendung, aber nie aus Natur. Er führte den Grundsatz durch, daß ein überlegener Geist jedes Mittel zu seinem Zweck verwenden dürfe. Ein Bastard von solcher Anlage, erzogen in der Schule der dynastischen Ränke Italiens, konnte nur die Menschen verachten und die Welt um sich her nur als Stoff seiner Selbstsucht verbrauchen. In den Tagen der sinkenden Republik des alten Rom würde Cesare Borgia eine hervorragende Gestalt geworden sein; in seiner Zeit konnte der Schauplatz seines mörderischen Ehrgeizes nur auf den Kirchenstaat beschränkt bleiben. Ein höherer Geist würde gleichwohl diese Schranken durchbrochen haben. Er vermochte dies nicht, weil ihm jede schöpferische Idee, jede sittliche Größe fehlte. Er blieb an das Papsttum seines Vaters festgebannt, stieg und sank mit ihm, nur eine ungeheuerliche Ausgeburt des Nepotismus. Seine Laufbahn oder seine Entwicklung von der Heftigkeit einer exotischen Giftpflanze, umfaßt nur drei Jahre: und sie bietet das furchtbare Schauspiel einer moralischen Eruption Roms dar, worin eine Hölle von Verbrechen ausgespien wird. Die Menschheit darf sich glücklich preisen, daß ihre politischen und kirchlichen Verfassungen entweder solche Dämonen nicht mehr erzeugen können oder daß sie, wenn die Natur sie noch entstehen läßt, keinen Raum mehr in der Geschichte finden.

Sein Vater lieh ihm die Schätze der Kirche dar, und der König von Frankreich gab ihm als seinem Leutnant Truppen unter Ivo d'Allegre, auch einige tausend Schweizer unter dem Bailli von Dijon. Er selbst nahm Kriegsvolk in Sold, so daß er etwa achttausend Mann zusammenbrachte. Damit begann er im November 1499 von der Lombardei aus die Eroberung der Romagna. Auch schloß sich ihm der Markgraf von Mantua im Solde Frankreichs an. Zur Ausrüstung seines Krieges lieh die Stadt Mailand der apostolischen Kammer, unter deren Namen er geführt werden sollte, 45 000 Dukaten dar. So auffallend hatte der Kardinal Julian, dessen junger Neffe Francesco mit Angela Borgia, einem Kinde, verlobt worden war, seine Stellung zu den Borgia verändert, daß er nächst dem Kardinallegaten Johann Borgia die Bürgschaft dieser Summe übernahm, obwohl der erste Angriff Cesares dem ihm selbst nahe verwandten Hause Riario galt. Denn gerade gegen das Nepotenhaus jenes Sixtus IV., welchem der Kardinal Rovere alles zu verdanken hatte, wandte sich der Nepot Cesare zuerst. Er ließ seine Truppen gegen Imola vorgehen und eilte selbst nach Rom, sich mit seinem Vater zu besprechen. Er traf hier am 18. November ein, blieb drei Tage im Vatikan und reiste dann ins Lager vor Imola zurück, wo Caterina Sforza, die Witwe Riarios, sich mutig zu verteidigen beschloß. In Rom lebte ihr Verwandter, der Kardinal Raffael; als er das Verderben seines Hauses nahen sah, entfloh er, den Vorwand einer Jagd bei Kastell Giubileo benützend, am Tage der Abreise Cesares zu den Orsini nach Monterotondo und von dort weiter über Berg und Tal nach Toskana. Dies war sein Glück, denn eben entdeckte man eine Verschwörung gegen das Leben des Papsts, welchen Forlivesen, Untertanen der Gräfin, durch einen Brief vergiften wollten.

Imola fiel schon am 1. Dezember 1499, worauf Cesare vor Forli erschien. Auch diese Stadt ergab sich, aber Caterina verteidigte ihre Burg, dieselbe, welche sie nach der Ermordung ihres Gemahls zu behaupten gewußt hatte, mit männlicher Kraft. Das letzte Jahr des Jahrhunderts ging hin, ohne daß Cesare diese Amazone überwinden, noch weitere Fortschritte in der Romagna machen konnte, wo die argwöhnischen Venetianer Rimini und auch Urbino zu decken suchten.


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