Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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2. Rovere unterhandelt mit Cesare wegen der Papstwahl. Julius II. Papst 1. November 1503. Die Venetianer in der Romagna. Pläne Cesares, sich dorthin zu begeben. Der Herzog Guidobaldo in Rom. Unterhandlungen wegen der Burgen Cesares. Dessen Zusammenkunft mit Guidobaldo. Untergang der französischen Armee in Neapel. Flucht Cesares von Ostia nach Neapel, seine Gefangennahme durch Consalvo und sein Ende. Machiavelli und Cesare Borgia.

Das Ergebnis der neuen Wahl konnte kaum zweifelhaft sein, denn die allgemeine Stimme bezeichnete Julian Rovere, den stärksten Geist im Heiligen Kollegium, als den einzig möglichen Papst. Die Hoffnungen des Kardinals Amboise fielen vor einem solchen Bewerber. Venedig unterstützte eifrig dessen Wahl, die Italiener alle forderten sie, und nur der Spanier war er nicht sicher. Um sie zu gewinnen, ließ er sich zu Unterhandlungen mit Cesare herab. Die Orsini verlangten zwar gleich nach dem Tode Pius' III. mit größerem Ungestüm den Kopf des Frevlers, aber Julian setzte es durch, daß sie vom Kardinals-Kollegium gezwungen wurden, am Ende Oktober Rom zu verlassen, nebst Giampolo und Alviano. Er schloß mit Cesare und den Spaniern einen Vertrag, worin er versprach, jenen, sobald er Papst geworden sei, zum Gonfaloniere der Kirche zu ernennen. Auch machte er ihm Hoffnung, ihm die Romagna zu erhalten, ja seine kleine Tochter Carlotta dem Stadtpräfekten Francesco Maria Rovere, seinem eigenen Neffen, zu verloben. So verhalf Cesare Borgia demjenigen Kardinal, welchen sein Vater am tiefsten gehaßt hatte, zum Papsttum – in Wahrheit ein Widerspruch, über welchen beide erröten mußten. In besserer Lage hätte der Sohn Alexanders alles aufgeboten, Julian nicht Papst werden zu lassen, sondern Amboise zu erheben, aber er war jetzt so tief gesunken, daß er seine Rettung nur in dem großmütigen Schutze seines ärgsten Feindes sah.

Am letzten Oktober trat Julian Rovere schon als gemachter Papst ins Konklave. Es war nicht einmal nötig, dessen Türen zu verschließen, denn schon am Morgen des 1. November wurde der neue Papst ausgerufen und von ganz Rom mit Jubel begrüßt. Trotzdem bestieg auch er den Heiligen Stuhl wie Alexander VI. mit Hilfe simonistischer Mittel. Es ist heute kein Unterschied zwischen dem Papsttum und Sultantum, denn die Würde erhält der Meistbietende: so schrieb damals der venetianische Botschafter in Rom an seine Regierung.

Der Name Julius II. glänzt in der Geschichte des Kirchenstaates und Italiens als der des kraftvollsten Priesterkönigs auf dem Vatikanischen Thron. Wie Sixtus IV. war er von niedriger Abkunft und in kümmerlichen Verhältnissen aufgewachsen, bis ihn sein Oheim aus der Dunkelheit zog. Seit 1471 war er Kardinal von S. Pietro in Vincoli gewesen; nach und nach hatte er die Bistümer Carpentras, Avignon, Verdun, Lausanne, Viviers, Albano, der Sabina und Ostia erhalten, so daß er als einer der reichsten Kardinäle galt. Er war sechzig Jahre alt; durchaus ein Mensch vom Gepräge des XV. Jahrhunderts, welchem er angehörte und aus dem er die Willensstärke, den Ungestüm der Tat und die Großartigkeit von Plänen und Ideen in die neue Zeit hinübernahm. Die Schule eines wechselvollen Lebens hätte ihn zum vollendeten Staatsmanne ausbilden müssen, wenn seine feurige, vorwärtsstürmende Kraft ihm Zeit zum Besinnen gelassen hätte. Er war stolz und ehrgeizig, vom stärksten Selbstbewußtsein, jähzornig bis zur Wut, doch niemals niedrig und klein: ein Mann von mächtigem und großem Streben. Es lebte in seinem Wesen viel von der schrecklichen Art seines Oheims Sixtus, derselbe Sinn der Herrschaft, dasselbe hochfahrende Gemüt, doch war diese rohe Rovere-Natur in ihm veredelt. Solche Menschen sind nicht leicht zur Verstellung geneigt. Julius II. galt als ein offener Charakter. Selbst Alexander VI. bekannte, daß er in diesem Rovere unter tausend Lastern die eine Tugend der Wahrheitsliebe entdeckt habe. In ihm lag der Stoff zu einem großen König, keiner zu einem Priester. Von theologischen Trieben war nicht mehr in ihm als in den Borgia oder Medici. Sein Leben war gleich weltlich und nicht weniger lasterhaft gewesen als das der meisten Prälaten seiner Zeit. In einem zehnjährigen Exil aus seiner römischen Bahn geschleudert, hatte er den Vorteilen Frankreichs gedient und seiner blinden Rachsucht edlere Rücksichten aufgeopfert. Er war es, welcher, um Alexander VI. zu stürzen, die Invasion Karls VIII. mit Leidenschaft befördert und dadurch über sein Vaterland grenzenloses Elend gebracht hatte. Dann hatte man denselben Rovere sich den Borgia wieder nähern und Cesare zur Macht verhelfen sehen, als diese Wandlung durch die französische Politik geboten war.

Diesen Cesare nun, mit dem er einst am Hofe Ludwigs XII. als mit einem französischen Großen verkehrt hatte, sah er jetzt als Schutzflehenden in seiner Gewalt und doch zugleich als einen Mann, der stürzend ihm noch die Tiara gereicht hatte. Er haßte ihn, ohne ihn zu verachten; denn die Verbrechen des kühnen Emporkömmlings hatte er so wenig als Machiavelli je mit moralischem Maß gemessen. Aber jetzt mußte er sich von allen Erinnerungen an die Borgia für immer befreien. Noch gehorchten Cesare die Burgen Forli, Cesena, Forlimpopoli, Imola und Bertinoro, worin seine spanischen Vögte befehligten, während die Stadtgemeinden zur Kirche oder zu ihren alten Herren zurückgekehrt waren. Der Besitz jener Pfänder schützte den Sohn Alexanders, und ihrer durfte er sich bei seinen Unterhandlungen mit dem Papst bedienen, der ihre Auslieferung forderte, aber nicht mit Gewalt erlangen konnte. Mit Zeichen des Wohlwollens gab deshalb Julius II. dem Herzog Wohnung im Appartamento Borgia, wo er ihm sogar einen Hofstaat gestattete. Alsbald hieß es, daß auch dieser Papst den Sohn Alexanders begünstige und Breven zu seinem Schutz nach der Romagna ausschreiben lasse.

In dieser Provinz eilten die Venetianer, die Erbschaft der Borgia anzutreten. Sie griffen ohne weiteres zu; sie besaßen bereits Ravenna; von Pandolfo Malatesta erkauften sie Rimini; sie belagerten Faenza und machten Versuche gegen Cesena. Julius schickte Proteste an den Dogen. Dem Botschafter Giustiniani sagte er, daß die Romagna ein Kirchenland sei und nie venetianisch werden solle. Zornig wies er alle Vorschläge der Republik zurück. Er rief selbst den Schutz Frankreichs und Maximilians an. In seiner Verlegenheit wollte er sich Cesares bedienen, ihn nach der Romagna senden und dort bis auf weiteres als Vikar belassen. Der Gefangene glaubte sogar an die aufrichtige Gunst des Papstes, der ihn schmeichelnd seinen geliebten Sohn nannte; in Julius, so sagte er, habe ich einen neuen Vater gefunden. So bedürftig sittlicher Triebe ist die menschliche Natur, daß selbst in dem Verworfensten der Glaube an Treue nicht ganz erlöschen kann. Cesare fand noch Menschen, die ihm aufrichtig anhingen, und er machte dabei die für den Psychologen wichtige Erfahrung, daß es gerade solche waren, die er in seinem Glück für wirkliche Verdienste belohnt hatte. Vertrauensvoll erbot er sich, dem Papst seine Burgen zu übergeben, wenn er, sobald Venedig zurückgedrängt sei, dort Herzog bleibe; aber Julius lehnte das ab, wohl weniger aus Scheu, wortbrüchig zu werden, als um sich nicht für die Zukunft zu binden.

Cesare hatte damals öfters Unterredungen mit Machiavelli, dem Orator der Florentiner in Rom. Er klagte ihm sein Mißgeschick, und daß er von Frankreich verraten sei. Er wünschte, Florenz zu überzeugen, wie vorteilhaft ein Bündnis mit ihm sein müsse. Am 18. November gab er dem Bischof Ennio Filonardo von Veroli Instruktionen für jene Signorie, worin er sagte, daß er ohne ihren Beistand Piombino und seine andern Staaten nicht behaupten könne, seine frühere Politik entschuldigte, sich den Florentinern als Kapitän antrug und von ihnen Truppen zur Eroberung der Romagna begehrte, für welchen Fall Ferrara, Bologna und Mantua aus Furcht vor Venedig einen Bund mit ihnen schließen würden; er selbst wolle nach Livorno kommen und dort ihre Entscheidung abwarten. Der Papst genehmigte diesen Plan, aber er wollte nicht, daß Florenz dem Herzog einen Sicherheitsbrief gebe; er wollte ihn loswerden, das übrige sollten die Florentiner tun. Der Gefangene durfte Truppen anwerben, und noch befehligte für ihn einen Heerhaufen in Rocca Soriana sein Leutnant Don Micheletto Coreglia.

Am 19. November ließ der Papst Cesare mit einer Schar Söldner nach Ostia abgehen, wo zwei ihm gehörige Fahrzeuge unter Mottino lagen und er sich nach Livorno einschiffen sollte. Der Papst, so versicherte Giustiniani dem Dogen, wollte Cesares Untergang; aber andere sollten ihm diesen bereiten, ohne daß auf ihn selbst die Schuld fiel. Kaum war er fort, so erschien am 20. November der in seine Staaten zurückgekehrte Herzog Guidobaldo in Rom. Er forderte hier die Auslieferung Forlis, worin sein Feind den Raub Urbinos niedergelegt hatte, und zugleich traf die Kunde ein, daß Faenza den Venetianern zu erliegen nahe sei. Julius bereute jetzt, die Anerbietungen Cesares abgelehnt zu haben; er schickte die Kardinäle Sorrento und Volterra nach Ostia, von ihm die Auslieferung seiner Burgen zu verlangen, da sie nicht anders vor den Venetianern zu retten seien. Dies lehnte der bestürzte Herzog ab, denn wie hätte er sonst seinen Plan auf die Romagna ausführen dürfen? Seine Weigerung versetzte Julius in Wut; am 26. November, dem Tage seiner Krönung, schickte er Truppen nach Ostia und ließ hier Cesare auf einer französischen Galeere verhaften. Sofort entstand das Gerücht, daß er in den Tiber geworfen sei, und alles jubelte dem Papst zu. Der Gefangene wurde indes trotz seiner Bitten, ihm diese Schmach zu ersparen, nach Rom zurückgebracht. Man führte ihn nachts zu Kahn erst nach St. Paul, dann nach der Magliana, von dort am 30. November nach Rom. Cesare mochte den Kerker und Tod erwarten, und in der Tat rieten auch Guidobaldo und Johann Jordan dem Papst, mit ihm ein Ende zu machen. Doch er nahm ihn freundlich auf und beherbergte ihn ehrenvoll im Vatikan. Er bewog selbst Guidobaldo, ihm die erbetene Audienz zu bewilligen.

Die Begegnung Cesares mit dem Herzog, den er so verräterisch mißhandelt hatte, fand am 2. Dezember im Vatikan statt. In dieser peinlichen Szene zeigte sich der Sohn Alexanders niedrig und würdelos, während sein Feind sich als den edlen Mann bewies, wie ihn Bembo und Castiglione geschildert haben. Den Hut in der Hand, trat Cesare Borgia demutsvoll in das Gemach, worin der Herzog saß. Er näherte sich ihm mit wiederholtem Kniefall; Guidobaldo entblößte sein Haupt, ging ihm entgegen und hieß ihn sich erheben und niedersetzen. Cesare heuchelte Reue bis ins tiefste Herz, entschuldigte seine Frevel mit seiner Jugend, seinen schlechten Ratgebern, der Arglist und boshaften Natur Alexanders VI. Er verbreitete sich über dessen Wesen, verfluchte die Seele seines eigenen Vaters und alle diejenigen, die ihn zu seinem Unternehmen gegen Urbino angetrieben, woran er selbst nicht einmal im Traume gedacht habe. Dem Herzog wolle er alles geraubte Gut herausgeben, außer den trojanischen Tapeten, die er schon Amboise geschenkt habe, und andern Dingen, die in der Romagna zerstreut seien. Die Antwort war in Kürze sachgemäß; schnell abgefertigt und hinlänglich aufgeklärt, blieb Cesare in nicht geringer Verlegenheit – ein Beispiel des Glücks, welches den Spruch des Psalmisten bestätigt: er hat die Gewaltigen vom Thron gestoßen und die Niedrigen erhöht.

Er erteilte die geforderten Befehle, die Burgen Cesena und Forli auszuliefern; aber Don Diego Ramiro, der Kastellan Cesenas, ließ den Boten ohne weiteres aufknüpfen, behauptend, daß der Herzog nicht frei sei. Nun wollte der aufbrausende Papst diesen in den tiefsten Kerker werfen, jedoch er setzte ihn in die Torre Borgia. Ein panischer Schrecken ergriff die Anhänger und Nepoten Alexanders VI. Sie fürchteten, zum Teil alle schuldbewußt, die Einleitung eines Prozesses über die Frevel der Vergangenheit. Eines Nachts entwichen die Kardinäle Francesco Ramolini von Sorrento und Lodovico Borgia nach Marino. Der Gefangene hörte, daß auch sein letztes Kriegsvolk in Umbrien zerstreut sei; denn Baglione hatte dasselbe überfallen, und der von den Florentinern ergriffene Micheletto wurde auf den Wunsch des Papstes nach Rom ausgeliefert und in die Engelsburg gebracht.

Am 29. Januar 1504 unterzeichnete Cesare, welchem die Abreise des Kardinals von Rouen seine letzte Stütze entzogen hatte, einen Vertrag, worüber eine Bulle ausgefertigt wurde: binnen vierzig Tagen sollte er Bertinoro, Cesena und Forli ausliefern, so lange unter der Obhut des Kardinals Carvajal in Ostia bleiben, dann sich hinbegeben, wohin er wolle; halte er seine Zusage nicht, so erwarte ihn ewiger Kerker in Rom. Vergebens suchte der venetianische Botschafter den Papst von diesem Vertrage abzubringen, indem er ihm vorstellte, daß der Herzog ein gefährlicher Mensch sei, daß er noch Reichtümer besitze, daß sein Kriegsvolk ihm eifrig anhänge und daß er, einmal in Freiheit gesetzt, dem Papst selbst gefährlich werden könnte. Venedig fürchtete noch immer eine Unternehmung Cesares in der Romagna, und Giustiniani drang in den Papst, diese Provinz der Republik als Vikariat zu überlassen. Doch Julius II. entgegnete dem Botschafter: ich würde dann übler tun, als Alexander VI. getan hat, welcher dieses Land seinem Sohne gab; denn ich würde es einer Macht überliefern, der ich es nicht mehr entreißen könnte.

Am 16. Februar schiffte Cesare nach Ostia voll Argwohn und Furcht. Er wollte den Schutz Spaniens anrufen, denn auf jenen Frankreichs zählte er nicht mehr. Der Feldzug in Neapel hatte eben das kläglichste Ende genommen; am 28. Dezember 1503 waren die Franzosen bei Sujo am Liris von Consalvo geschlagen worden, wobei Piero Medici in diesem Flusse ertrank, zum Glück für sein Haus, welches nie nach Florenz zurückgekehrt wäre, solange dieser erbärmliche Medici lebte. Er war mit Alfonsina, der Tochter Roberto Orsinis, Grafen von Tagliacozzo und Alba, vermählt gewesen und ließ als Erben den jungen Lorenzo zurück. Am 1. Januar fiel Gaëta, und die Reste der Armee Ludwigs XII. verließen Neapel, welches nun in der Gewalt Spaniens blieb. Scharen von Franzosen kamen flüchtig nach Rom, wo sie als Jammergestalten die Straßen erfüllten.

Consalvo empfing die Boten Cesares, der ihn um einen Sicherheitsbrief und ein Schiff bat, um nach Neapel zu kommen und unter den Fahnen Spaniens zu dienen. Dies bewilligte der Vizekönig mit feierlichen Zusagen. Als nun die Nachricht kam, daß Imola, Cesena und Bertinoro übergeben seien, ließ Carvajal seinen Landsmann frei. Der ungeduldige Herzog setzte sich am 19. April in Ostia zu Pferde und ritt neun Millien weit an der Küste gegen Nettuno hin, bis er die spanischen Schiffe traf, die ihn und sein zertrümmertes Glück nach dem falschen Neapel trugen. Dort bezog er eine Wohnung im Hause seines Oheims Lodovico Borgia. Dieser Kardinal hatte sich nämlich, wie gesagt, nach Neapel geflüchtet, dazu beredet durch Francesco Ramolini, welcher, der Mitschuld an der Vergiftung des Kardinals Michiel zur Zeit Alexanders VI. bezichtigt, dem in Rom eingeleiteten Prozeß heimlich entronnen war.

Consalvo empfing seinen Schützling am 28. April mit Ehren. Er hörte seine Pläne an und bestärkte sie. Er sagte ihm zu, ihn mit Schiffen zum Entsatz Pisas zu senden, und erlaubte ihm, Truppen anzuwerben. Am 27. Mai 1504 wollte sich der Herzog einschiffen. Mehrmals umarmte ihn Consalvo beim Abschiede im Castel Nuovo, ihm Glück zu seinem Unternehmen wünschend, dann entließ er ihn, und kaum war Cesare aus dem Gemach getreten, so verhafteten ihn Wachen im Namen des Königs von Spanien. In diesem Augenblick empfing der Sohn Alexanders die Strafe für tausendfachen Verrat. Die Welt vernahm den Treubruch Consalvos mit Beifall, doch er befleckte den Ruf eines Heldenlebens, und der große Kapitän empfand darüber noch in späterer Zeit, als sein eigener König ihn mit Ungnade belohnte, quälende Gewissenspein. Zur Verhaftung Cesares hatte übrigens der Papst selbst dringend geraten, denn es offenbarte sich, daß die Burg Forli nicht übergeben war, weshalb er Carvajal die heftigsten Vorwürfe machte, weil er ihn freigelassen hatte. Er jubelte, als er jene Kunde vernahm; jetzt glaubte er der Romagna sich versichern zu können. Viele Feinde der Borgia, namentlich der Kardinal Riario, der stets in Todesfurcht geschwebt hatte, atmeten auf. Man instruierte einen Prozeß gegen Micheletto, der in der Torre di Nona eingesperrt saß; dieser Henker im Dienste Cesares sollte Rechenschaft ablegen von all den Mordbefehlen, die er vollzogen hatte. Auch der König Ferdinand hatte auf die Meldung Consalvos, daß der Sohn Alexanders in seiner Gewalt sei, dem Vizekönig seine Festnahme befohlen. Am Hofe zu Madrid forderten, so erzählte man in Rom, viele Personen die Bestrafung Cesares. Man vergaß es nicht, daß er nach dem Tode seines Vaters von der Seite Spaniens auf die Frankreichs getreten war. Die Königin Isabella war besonders gegen ihn aufgebracht, denn an ihrem Hofe lebte die unglückliche Witwe des ermordeten Herzogs von Gandia, welche jetzt Gerechtigkeit forderte, und dasselbe taten dort viele andere von Cesare beleidigte Personen, namentlich die Verwandten des von ihm erwürgten Don Alfonso von Bisceglie. Consalvo hielt seinen Gefangenen in strenger Haft; er ließ ihm nur einen Pagen, entzog ihm eine galante Freundin, die er bei sich hatte, und erlaubte niemand den Zutritt zu ihm. Statt nach Pisa zu segeln, wurde der Sohn Alexanders, dem aus Madrid gekommenen Befehle gemäß, in Ischia auf ein Schiff gesetzt und nach Spanien abgeführt, unter dem Geleit und Schutz seines edelmütigen Feindes Prospero Colonna. Er landete in Valencia am Ende des September 1504, und von dort wurde er zuerst in das Schloß Chinchilla bei Albacete gebracht. So kehrte Cesare Borgia in das Land zurück, aus welchem sein Geschlecht ausgegangen war, um Rom zu tyrannisieren, Italien mit Greueln zu erfüllen und in der Geschichte der Kirche einen fluchwürdigen Papstnamen zurückzulassen.

Zwei Jahre lang saß er im Kerker zu Medina del Campo in Kastilien, wohin man ihn aus Chinchilla geführt hatte. Er flehte Ludwig XII. an, seine Freilassung zu erwirken, und erhielt keine Antwort: seine Schwester Lucrezia, die Herzogin von Ferrara, verwandte sich wiederholt beim König von Spanien wie beim Papst für ihn. Dann entkam er anfangs Dezember 1506 nach Navarra, wo sein Schwager Jean d'Albret König war. Er meldete dies am 7. Dezember aus Pamplona dem Markgrafen von Mantua, der allein unter den Fürsten Italiens ihm noch wohlwollte. Sein Sekretär Federigo, den er mit Briefen an jenen und an seine Schwester nach Italien sandte, hatte wohl den geheimen Auftrag, zu erkunden, was dort für seinen Herrn zu wagen sei. In Bologna ließ der Papst Julius diesen Abgesandten festnehmen. Cesare fiel bald darauf im Dienste Navarras in einem Vasallenkrieg vor Viana am 12. März 1507. Seine Mutter blieb ungekränkt in Rom, wo sie mit sogenannten frommen Werken ihre Vergangenheit büßte und am 26. November 1518 im Alter von 76 Jahren starb. Die Nachkommen seines Bruders Juan blieben als Herzöge von Gandia in Spanien; die Joffrés als Prinzen von Squillace in Neapel.

Der Held des Verbrechens im Zeitalter der Renaissance dauert im Erinnern der Menschheit fort als diabolische Charaktergestalt. Er hat großartige Züge von Kraft, so daß sich der Abscheu vor ihm mit Achtung vor jener zu mischen pflegt, und vielleicht hätte sie aus ihm unter andern Verhältnissen einen Mann gemacht, wie es seine abenteuernden Landsleute Cortez und Pizarro waren. Machiavelli schreibt ihm einen großen Sinn und hohe Absichten zu, und das sind freilich hergebrachte italienische Prädikate für jede kühne Tyrannennatur auch in den kleinsten Verhältnissen der Macht. Gewiß nach großen Dingen strebte der Sohn eines ruchlosen Papstes, nach der Königskrone in Italien; und wahrscheinlich verachtete er die Menschen so gründlich, daß er sich hätte einbilden können, sogar die Papstkrone an sich reißen zu dürfen, da er doch einst Bischof und Kardinal gewesen war. Hätte er wirklich so ungeheuerliche Pläne gehegt, so würden sie kaum so sehr befremden als die spätere phantastische Idee des Kaisers Maximilian, sich selbst zum Papst zu machen.

Es wird niemals Petrarca verunehren, daß er in Cola di Rienzo den Helden seines Ideales sah, aber die Huldigung, welche Machiavelli dem verabscheuungswürdigen Cesare Borgia gewidmet hat, trübt noch heute das Andenken dieses großen Gründers der Wissenschaft von der Realpolitik. Das Buch vom »Fürsten« hat als Produkt staatswissenschaftlicher Experimentalphysik die gleiche Geltung, das schrecklichste Zeugnis seiner verderbten Zeit zu sein, wie die geschichtliche Gestalt Cesare Borgia selbst. Es gibt keinen größeren Gegensatz als der ist zwischen der idealistischen Staatsschrift Dantes, seiner »Monarchie«, die dem Kaiser, dem nach seiner Ansicht von Gott berufenen Retter Italiens, und dem »Fürsten« Machiavellis, der einem kleinen raubgierigen Medici gewidmet war. Man kann daraus den Weg ermessen, den das Erkennen von der deduktiven Scholastik zur induktiven Erfahrung zurückgelegt hatte. Das machiavellische Programm wurde mit theoretischer Entrüstung verdammt und mit praktischer Begier von Päpsten, Königen und Staatsmännern Europas als das politische Evangelium angenommen. Die Verleugnung der Menschheitsideale Dantes rächte sich bei den Italienern durch die Unfähigkeit für die Reform ihrer Gesellschaft. Wenn der Irrtum ihrer langen Messiashoffnung über die Mission Heinrichs VII., Colas, Ludwigs des Bayern, Ladislaus' von Neapel und selbst Karls VIII. verzeihlich, weil geschichtlich erklärbar ist, so kann doch nichts so sehr ihr tiefes moralisches und staatliches Elend dartun als die Tatsache, daß einer ihrer größten Denker gerade in Cesare Borgia das Muster des Fürsten seiner Zeit aufgestellt hat. Machiavellis Buch »Il Principe« stellt nicht, wie die Politik des Aristoteles, eine Untersuchung an über den besten Staat an sich, sondern über die Eigenschaften und Verbrechen, die ein Fürst besitzen und ausüben muß, welcher ein neues Reich regieren soll ( principe nuovo); sein Fürst ist nicht das absolute Ideal des Regenten überhaupt, sondern der Mann in den gegebenen Verhältnissen der Renaissance. Da nun Italien gründlich verderbt war, konnte es seinen Retter nur in einem Gewaltmenschen suchen, welcher ohne moralische Bedenken mit allen Mitteln das eine Ziel verfolgte, den Feudalismus weltlicher wie geistlicher Natur auszurotten und die moderne Monarchie, den nationalen Einheitsstaat zu gründen. Diese politische Größe entdeckte Machiavelli, der an der sittlichen Kraft der Gesellschaft verzweifelte, in Borgia, und derselbe schwebte ihm in seinem Principe vor. Ist man aber deshalb berechtigt zu behaupten, daß er geglaubt hat, ein Cesare Borgia könne je der Stifter des italienischen Einheitsstaates werden? In diesem Falle müßte Machiavelli das Verständnis für die Machtverhältnisse der Zeit und namentlich der Natur des Papsttums verloren haben. Er haßte dies und die Hierarchie als die Quelle der ewigen Verderbnis und Zerrissenheit seines Vaterlandes. »Wir Italiener«, so sagte er, »verdanken es der Kirche und den Priestern, daß wir irreligiös und schlecht geworden sind, aber sie haben noch eine größere Schuld gegen uns, die unsern Untergang veranlaßt hat. Sie besteht darin, daß die Kirche dieses unser Land in Zerrissenheit gehalten hat und noch so erhält. In Wahrheit, kein Land war je einig oder glücklich, wenn es nicht einer Republik oder einem Fürsten gehorsamte, wie es jetzt Frankreich und Spanien tun. Die Ursache aber, daß sich Italien nicht in derselben Verfassung befindet, daß es nicht auch von einer Republik oder einem Fürsten regiert wird, ist allein die Kirche. Denn da sie hier ihren Sitz und eine weltliche Herrschaft besaß, war sie nicht so mächtig und stark, um den Rest Italiens unter ihrem Zepter zu vereinigen, und wiederum nicht schwach genug, um nicht aus Furcht ihr weltliches Dominium zu verlieren, einen Mächtigen zu berufen, der sie gegen den in Italien Mächtigsten verteidige.«

Die Zerrüttung seines Vaterlandes machte Machiavelli, den einseitigen Politiker, die glänzenden Schöpfungen des Geistes vergessen, welche gerade aus der Individualisierung seiner Städte und Provinzen entsprangen und niemals entstehen konnten, wenn Italien schon im XII. Jahrhundert einig gewesen wäre. Dieselbe Zerrissenheit ließ ihn das guelfische Prinzip der Konföderation mit der ghibellinischen Idee der Monarchie vertauschen, weil nur diese das weltliche Papsttum beseitigen und den Bann des Mittelalters überhaupt zersprengen konnte. Hier hat Machiavelli so klar gesehen, daß man ihn einen Propheten nennen kann. Der Gang der Geschichte hat seine Ansicht vollkommen bestätigt, denn Italien hat sich schließlich in eine Monarchie mit der Hauptstadt Rom verwandelt, deren tausendjähriger Besitz dem Papst entrissen worden ist. Nach seinem Programm ist das neue, einige Italien entstanden. Wenn aber Machiavelli damals in Cesare Borgia nur das Werkzeug sah, welches einer künftigen Einigung Italiens dienen konnte, indem er die Tyrannen des Kirchenstaates ausrottete und dessen Säkularisation anbahnte, so mußten doch in seiner Zeit solche Hoffnungen an der Natur aller politischen und kirchlichen Verhältnisse scheitern, zumal sich die Italiener an der Reformation der Kirche beteiligten. Nur die Nachfolger Alexanders VI. ernteten den Segen der Taten Cesares: nämlich die monarchistische Einheit des Kirchenstaates. Schon Julius II. konnte daher von den »außerordentlichen Verdiensten« des Herzogs der Romagna sprechen; denn er selbst trat dessen Erbe an und stiftete die päpstliche Monarchie, welche, wie derselbe Machiavelli sagte, sogar Frankreich furchtbar zu werden begann. Sie aber verhinderte den Nationalstaat der Italiener noch mehr als dreihundert Jahre lang, ohne die Fremdherrschaft abzuhalten, mit welcher sie vielmehr einen Vertrag schloß, und alles dies mag lehren, ob auch jenes beste Resultat der Verbrechen des Hauses Borgia wirklich preiswürdig gewesen ist.


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