Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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3. Stephan II. Papst. Aistulf erobert Ravenna im Jahre 751. Stephan sucht Hilfe beim Kaiser, dann bei Pippin. Er reist ins Frankenland. Salbung Pippins und seiner Söhne zu Königen im Jahre 754. Schutzvertrag zu Quierzy mit Pippin. Dessen Erhebung zum Patricius der Römer.

Zu des Zacharias Nachfolger wählte man den Presbyter Stephan, der indes schon drei Tage nach seiner Wahl starb. Hierauf bestieg Stephan II., ein Römer, am 25. März 752 den Heiligen Stuhl.

Während des Pontifikats dieses bedeutenden Mannes begann für Rom eine neue Epoche. Der König Aistulf hatte kurz zuvor erreicht, was seine Vorgänger vergebens erstrebt hatten. Der Sitz der byzantinischen Regierung in Italien war in seine Gewalt gefallen; schon am 4. Juli 751 konnte er aus dem Palast des eroberten Ravenna ein königliches Dekret erlassen. Der letzte der Exarchen Eutychius wurde durch Ferrara und andere Gebiete unter langobardischer Hoheit abgefunden, und so hörte das Regiment griechischer Satrapen nach zwei Jahrhunderten seines Bestehens für immer auf. Dies zog wichtige Folgen herbei; denn jetzt mußte die Frage entschieden werden, ob der Langobardenkönig Herr Italiens werden sollte oder nicht. Aistulf brach nach der Eroberung Ravennas sofort nach dem Süden auf, um Rom, den Dukat und alle noch übrigen byzantinischen Provinzen zu erobern, die er jetzt als Nachfolger des Exarchen oder des Kaisers beanspruchte. Seinen Marsch (im Juni 752) hielt jedoch Stephan durch eine Gesandtschaft auf. Der König gab nach und beschwor sogar einen zwanzigjährigen Frieden mit dem römischen Dukat. Aber schon nach vier Monaten reute ihn seine Schwäche: er verlangte den jährlichen Tribut von einem Goldsolidus für jeden Römer und erklärte endlich, die Stadt seinem Reich einverleiben zu wollen.

Auf diese Drohung schickte Stephan an ihn die Äbte der damals berühmtesten Benediktinerklöster Italiens, Monte Cassino und S. Vincenzo am Vulturnus. Sie wurden nicht vorgelassen, sondern mit dem Verbot, den Papst zu sehen, heimgesandt. Unterdes forderte der griechische Kaiser den seinem Reich entrissenen Exarchat zurück, aber nicht mit den Waffen, sondern durch Briefe, welche sein Machtbote an den Papst und den Langobardenkönig überbrachte. Stephan schickte diesen Gesandten in Begleitung seines eigenen Bruders Paulus zu Aistulf, und wie vorauszusehen war, blieb ihre Sendung erfolglos. Die Gefahr wurde dringender; der Papst rief den ohnmächtigen Kaiser, seinen Oberherrn, auf, Rom zu retten und Italien dem Feinde mit Waffengewalt zu entreißen. Denn Aistulf forderte unbedingte Unterwerfung; er drohte, alle Römer niederzuhauen, wenn er die Stadt würde mit Sturm genommen haben.

In seiner Bedrängnis predigte Stephan vor dem Volk, wie das einst Gregor der Große in ähnlicher Lage getan hatte. Er regte die religiöse und patriotische Leidenschaft der Römer auf; eine Prozession zog nach S. Maria Maggiore; der Papst selbst führte sie, auf seinen Schultern das »nicht von Händen gemachte« Bildnis des Heilands tragend. An das Kreuz, welches man einhertrug, war die Friedensurkunde Aistulfs geheftet, Gott und dem Volk zum Zeugnis des Meineids dieses Königs. Aber Stephan begnügte sich nicht mit Prozessionen; ehe noch Constantin seinen Boten Bescheid geben konnte, erkannte er, daß der griechische Kaiser nicht imstande sei, die Eroberung Justinians von neuem mit Waffengewalt zu unternehmen. Die Geschichte Europas nahm ihren Zug unaufhaltsam nach dem Westen zu den lebenskräftigen germanischen Völkern; die Byzantiner wurden ihren dogmatischen Grübeleien und ihren langen Kämpfen mit den Slawen und Mohammedanern überlassen, während sich Rom aus den Armen der Griechen in die der Franken warf.

Stephan erinnerte sich der Beziehungen seiner Vorgänger zum Frankenreich, dessen Krone Pippin mit Zustimmung des Papsts eben genommen hatte. Die Not zwang ihn zu einem Schritt, dessen weltgeschichtliche Folgen er damals nicht begriff. Er sandte heimlich durch einen Pilger Briefe an Pippin, ihn zur Hilfe aufrufend und selbst eine Zusammenkunft mit ihm begehrend; diese ersten Schreiben vom Jahre 753 sind uns leider nicht aufbewahrt. Der neue Frankenkönig ergriff begierig einen Antrag, welcher ihn in große Beziehungen zu Rom brachte und für die Machtentfaltung seines Reichs von geradezu unermeßlicher Wichtigkeit sein konnte. Er schickte den Abt Droctegang von Görz ab, mit dem Papst zu unterhandeln, und bald darauf den Herzog Autchar und Chrodegang, den Bischof von Metz, ihn nach dem Frankenlande zu geleiten. Der Usurpator des Thrones Childerichs hatte es nötig gefunden, durch eine feierliche Salbung von der eigenen Hand des Papsts das Murren des Volkes zu beschwichtigen. Wechselseitiges Bedürfnis wie Dankbarkeit einiger Menschen, des Papsts, welcher Rebell gegen den legitimen Kaiser wurde, und Pippins, der die Krone seinem König geraubt hatte, gestaltete die Geschichte der Völker um. Im Hintergrunde jener Beziehungen des schutzbedürftigen Rom und der jungen Dynastie der Karolinger stand das germanisch-römische Reich, welches sich bald als Resultat ergab. Das allmähliche Werden dieses kirchlich-politischen Systems aus so geringen Anfängen und augenblicklichen Bedürfnissen bildet eins der lehrreichsten Kapitel von der Praxis der Weltgeschichte.

Rom befand sich in großer Aufregung. Hier handelte es sich um den Plan, dem Frankenkönige die Schutzherrschaft über die Stadt unter dem Titel eines Patricius förmlich zu übertragen und dadurch diesem fremden Monarchen dauernd eine Machtstellung in ihr zu geben. Dies Vorhaben war zu wichtig, als daß es der Papst auf seine eigene Verantwortung ausführen durfte. Er legte es ohne Zweifel dem römischen Volk in einem Parlament vor und wurde von ihm mit der Vollmacht bekleidet, mit Pippin einen Vertrag zu schließen, nachdem diesen die Römer zu ihrem Patricius gewählt hatten. Die Fahrt des Papsts ins Frankenland war ein unerhörtes Ereignis, denn noch nie hatte ein römischer Bischof die Alpen überstiegen, sich zu einem germanischen Volk des Westens zu begeben. Während sich Stephan im Herbst 753 zu dieser Reise rüstete, traf mit seinen Boten der Silentiar Johannes von Konstantinopel ein; statt der Waffen brachte er dem Papst den kaiserlichen Befehl, in Person an den Hof Aistulfs zu gehen, um ihn für die Rückgabe des Exarchats zu stimmen. Es ist wohl anzunehmen, daß Stephan dem griechischen Gesandten Mitteilung von seinen Unterhandlungen mit Pippin machte, dessen Boten ihn auf der Reise zu diesem begleiten sollten. Er nahm sie, den kaiserlichen Minister, mehrere Würdenträger der Kirche und Optimaten der römischen Miliz mit sich, um sich zunächst zu Aistulf zu begeben, und verließ am 14. Oktober 753 Rom, versehen mit einem Paß des Langobardenkönigs. Als sein Vorgänger zu Liutprand reiste, hatte er dem kaiserlichen Dux das Regiment der Stadt übertragen, aber Stephan übergab »das ganze Volk des Herrn dem Heiland und dem Apostelfürsten Petrus«. Ohne Frage überließ er die geistlichen Angelegenheiten einem Vikar, während eine von den Römern bereits gewählte Obrigkeit, ein Dux oder Konsul, die weltlichen leitete.

Ehe Stephan, mitten durch die langobardischen Truppen reisend, welche den Dukat besetzt hielten, Pavia erreichte, sandte ihm der König den Befehl zu, sich nicht zu unterfangen, ihm wegen der Zurückgabe des Exarchats und der anderen Städte des Reichs ein Wort zu sagen; indes der Papst versicherte, daß es fruchtlos sei, ihn einschüchtern zu wollen. Aistulf wollte ihm auch die Abreise nach dem Frankenlande nicht gestatten, auf deren Bewilligung die Boten Pippins entschieden drangen. Er ahnte die Folgen dieser Reise, allein er vermochte des mächtigen Königs wegen nicht, sie zu hindern. Stephan verließ Pavia am 15. November 753 in Begleitung von Bischöfen und Kardinälen und sicherlich auch von römischen Großen, den Bevollmächtigten des Adels und Volks. Schnell gelangte er an die Alpenpässe; im Kloster St. Mauritius, wo er Pippin treffen sollte, kamen ihm nur dessen Boten, der Abt Folrad von St. Denis und der Herzog Rothard, entgegen, ihn einladend, weiter nach Franzien zu kommen, wo er den König im Schloß zu Ponthion ( Pons Hugonis) finden würde. Dort wurde er von der königlichen Familie mit Ehren empfangen (am 6. Januar 754). Pippin stieg vom Pferde, als er ihn erblickte, warf sich vor ihm nieder und ging sodann eine Strecke Wegs neben dem reitenden Papst einher. In Ponthion erniedrigte sich auch dieser vor dem mächtigen Schirmherrn: er bat ihn auf Knien, der Sache des heiligen Petrus und der Römischen Republik seinen Schutz zu leihen, und dies hat ihm Pippin zugeschworen. Bald darauf wurde Stephan nach Paris geleitet, wo er im Kloster St. Dionysius Wohnung nahm. Das Buch der Päpste nennt hier zum erstenmal den Namen jener Stadt, und wir überfliegen einen Zeitraum von mehr als tausend Jahren, um die späte Wirkung der Reise Stephans noch wiederzuerkennen: es ist der Usurpator Napoleon, zu welchem der Papst Pius VII. reist, und es sind fast dieselben Zwecke, die auch diese Reise veranlaßt haben.

In der Kirche des heiligen Dionys salbte Stephan am 28. Juli 754 Pippin, seine Gemahlin Bertrada, seine Söhne Karl und Karlmann, und er gebot dem fränkischen Volk unter Androhung des Bannes, niemals aus einem andern als dem jetzt durch die Kirche für legitim erklärten karolingischen Geschlechte seine Könige zu wählen.

Der Dank Pippins bestand nicht in Worten. Denn schon vorher war zu Ponthion oder in Quierzy (Carisiacus) der Lohn, welchen der Papst forderte, festgestellt worden. Briefe Stephans zeigen, daß ihm Pippin heimlich versprochen hatte, nicht nur ihn von den Langobarden zu befreien, sondern die römische Kirche in Besitz zu setzen sowohl der von jenen ihr entrissenen Patrimonien als gewisser Landgebiete Italiens, sobald sie der Frankenkönig würde erlangt haben. Diese Gebiete waren der Exarchat und die Pentapolis, welche rechtmäßig dem Kaiser gehörten und von Aistulf besetzt gehalten wurden; ihre spätere Auslieferung an den Papst macht das unzweifelhaft. Das im Jahre 754 von Pippin gegebene Versprechen war die Grundlage, auf welcher der römische Bischof seine weltliche Herrschaft aufgebaut hat. Daß die Zusagen noch andere Gebiete betrafen, ist unwahrscheinlich; überhaupt ist die Ursache jenes Vertrages, mit dem die »römische Frage« geschaffen wurde, uns unbekannt. Die Ansicht solcher, welche später erdichtete Schenkungen der Karolinger und ihrer Nachfolger mit dem Pippinischen Vertrage in Übereinstimmung setzen und behaupten, daß damals zwischen dem Könige und dem Papste eine förmliche Teilung Italiens verabredet worden sei, entbehrt jeder Begründung und kann weder mit den Rechtsbegriffen noch mit den praktischen Weltverhältnissen jener Zeit in Einklang gesetzt werden.

Pippin trat in ein Rechtsverhältnis zur römischen Kirche und ihrem Oberhaupte. Er gelobte für sich und seine Nachkommen, diese Kirche zu verteidigen und mit Ländereien auszustatten, während der Papst sich verpflichtete, die neue Dynastie nie zu verlassen. So wurde ein gegenseitiges Schutz- und Trutzbündnis abgeschlossen. Die kaiserliche Reichsgewalt blieb trotzdem im Prinzip anerkannt, aber Stephan ernannte den Frankenkönig zum Defensor der Kirche und ihres weltlichen Eigentums. Er maßte sich kühn die Rechte des Kaisers an, indem er ihm und seinen Söhnen den Titel des Patricius verlieh, welchen bisher der Exarch geführt hatte. Aber die Ernennung Pippins zum Patricius und zwar der »Römer« war schwerlich ein einseitiger Akt des Papsts, sondern sie muß das Ergebnis eines Beschlusses des römischen Volkes gewesen sein. Diesen Beschluß brachte Stephan, welchen römische Große begleiteten, mit sich nach Frankreich, und Pippin nahm seine Ernennung zum Patricius ohne Bedenken an. Als solchen hatten ihn die Römer und der Papst zum Schutze nicht nur der byzantinischen Provinzen überhaupt verpflichtet, welche bisher vom Exarchen verwaltet worden waren, sondern auch im besondern zum Schirmherrn der Stadt Rom und ihres Dukats erklärt. Seither erhielt jener Titel eine geschichtliche Wichtigkeit. Er hatte ursprünglich keine Amtsgewalt bezeichnet, sondern war erst seit Constantin eine hohe lebenslängliche Würde, die auch Barbarenkönigen verliehen wurde. Da nach der Einrichtung des Exarchats diese Würde stets den Exarchen gegeben worden war, so erschien der Titel Patricius als dem des Exarchen gleichbedeutend. Er dauerte als ein uralter wesentlich römischer Begriff in der Vorstellung der Römer fort, nachdem der byzantinische Titel Exarch erloschen war. Von den beiden ehedem in dem kaiserlichen Statthalter Italiens vereinigten Würden Exarcha et Patricius blieb nur der letzte Begriff zurück, und mit ihm verband sich in der Folge die Ansicht, daß es die Befugnis des Patricius sei, auch die Papstwahl zu überwachen, wie das früher der Exarch getan hatte, und überhaupt der Advokat der Kirche zu sein.

Die Stellung des Frankenherrschers zu Rom, zum Dukat und Exarchat wurde demnach durch einen römischen Titel ausgesprochen, aber es ist auffallend, daß dieser in den päpstlichen Briefen niemals mit dem Begriffe des Defensor verbunden wird. Denn nie wird darauf hingedeutet, der König habe als Patricius der Römer die Pflicht der Verteidigung Roms, sondern die Klugheit der Päpste leitete diese nur aus dem göttlichen Beruf, dessen Symbol die Salbung gewesen sei, oder unbestimmt aus dem Vertrage mit Stephan her; sie schienen den Patriziat absichtlich zu umgehen, weil sie es nicht als ein politisches Recht, sondern als Ehrentitel ansehen wollten, ganz in der Weise wie einst Chlodwig, Odoaker und der Burgunderfürst Sigismund diese kaiserliche Auszeichnung erhalten hatten. Ob Pippin selbst davon öffentlichen Gebrauch machte, ist ungewiß; aber Karl der Große nannte sich seit 774 in Urkunden Patricius Romanorum, Defensor Ecclesiae, was er nur tun konnte, weil diese Bedeutung des Patriziats bereits festgestellt war. Ein späteres Formular spricht den Zusammenhang beider Begriffe deutlich aus. Dasselbe steht in der »Graphia der goldenen Stadt Rom«, einer Schrift aus der zweiten Hälfte des X. Jahrhunderts, welche unter anderem auch das Zeremoniell der Investitur eines Patricius enthält. Wenn derselbe ernannt werden soll, so küßt er zuerst dem Kaiser Füße, Knie und Mund, sodann gibt er allen Römern den Kuß, und sie alle sagen: »Sei willkommen!« Der Kaiser spricht: »Es schien uns zu mühevoll, daß wir allein das uns von Gott verliehene Amt verwalten sollten. Deshalb machen wir dich zu unserm Helfer und verleihen dir diese Ehre, damit du den Kirchen Gottes und den Armen Recht gebest, und davon sollst du sodann beim höchsten Richter Rechenschaft ablegen.« Er bekleidet ihn hierauf mit dem Mantel, steckt ihm an den rechten Zeigefinger den Ring und gibt ihm mit eigener Hand eine papierne Schrift, worin geschrieben steht: »Sei ein erbarmender und gerechter Patricius.« Sodann setzt er ihm einen goldenen Reifen aufs Haupt und entläßt ihn. Man darf nicht glauben, daß Pippin unter solchen Formeln mit dem Patriziat bekleidet wurde; aber dieselben Begriffe eines Helfers der Kirche schwebten dem Papst Stephan vor, während er selbst es zu vermeiden suchte, mit dem Patriziat der Franken jene direkte Gewalt in Rom zu verbinden, welche die Exarchen ausgeübt hatten. Durfte sich indes Pippin mit einem kostspieligen Titel begnügen, ohne die Macht zu beanspruchen, die derselbe in byzantinischer Zeit in sich geschlossen hatte? Diese hatte die Jurisdiktion im Exarchat und in Rom im Namen des Kaisers und Reichs, und zugleich die Bestätigung der Papstwahl umfaßt. Die Anerkennung Pippins auf dem usurpierten Throne der Merowinger war freilich ein hoher Lohn für die Kriege, welche er zum Vorteil des Papsts in Italien zu führen versprach. Er übernahm Ehren und Pflichten, aber bald ergaben sich wirkliche Rechte daraus, und der Patriziat der Frankenfürsten wurde aus einer bewaffneten Advokatur zur Gewalt oberherrlicher Jurisdiktion. Nur zögernd haben ihnen die Päpste diese zugestanden.


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