Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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3. Hildebrands wachsende Macht. Reformbestrebungen. Die Normannen. Abfall Richards und sein Marsch auf Rom. Gottfried und der Papst führen ein Heer gegen ihn. Neuer Vertrag. Die Kaiserin Agnes nimmt den Schleier in Rom. Kämpfe in Mailand. Erlembald Cotta Miles St. Peters. Tod Arialds.

Hildebrand hatte seine Absicht erreicht; denn mit der Anerkennung Alexanders waren die schwachen Versuche der deutschen Regentschaft, den Patriziat zu behaupten, vereitelt, und den Ansprüchen der Krone auf die Papstwahl konnte jetzt nachdrücklicher begegnet werden. Die Zeitgenossen verglichen den wunderbaren Mönch dem Marius, Scipio oder Caesar, und sie bestaunten den mächtigen Geist aus niederem Stande, dem eine einzige Gestalt zur Hülle diente. Der schwache Pier Damiani, für ein Ideal der Kirche begeistert, welches nicht dasjenige Hildebrands war, blickte voll ehrfürchtiger Scheu zu ihm, seinem »heiligen Satan«, empor; er sagte, daß er diesem Manne folgsamer sei als Gott und St. Petrus, ja, er nannte ihn den Gebieter, den Gott des Papstes selbst, der ihm die Tiara verdanke. Die Kirche hing an den Winken dieses einen rätselhaften Menschen, der ihr ein neues Leben verlieh.

Indes sah sich die Christenheit durch das Verbot der Priesterehe in eine soziale Umwälzung gestürzt. Die Bande der bürgerlichen Gesellschaft wurden zerschnitten, um ihrem menschlichen Boden das zahlreiche Priestertum zu entreißen und es zu einem Mönchsheer im päpstlichen Dienst umzuformen. Der Papst schleuderte Anatheme gegen die widerstrebenden Bischöfe und Priester, die sich allmählich fügten, wie auch der wankelmütige Kardinal Hugo Candidus aus Eigennutz in den Schoß der Kirche zurückkehrte. Nie hatte im Lateran eine gleiche Tätigkeit geherrscht; der päpstliche Palast empfing die Abgesandten der ganzen Christenheit, und Bischöfe, Fürsten, Männer ersten Rufs und Ranges eilten dorthin, den Konzilien beizuwohnen. Nachdem Rom in der Epoche der Crescentier und Tusculanen aufgehört hatte, der Mittelpunkt der Christenheit zu sein, wurde es durch die Energie Hildebrands plötzlich wieder zur Weltstadt erhoben.

Der römische Adel wagte es für den Augenblick nicht mehr, nach der Gewalt zu streben; die Crescentier und Tusculanen waren erdrückt; jeden Versuch eines Aufstandes hielt die Furcht vor den Normannen und vor Gottfried nieder. Dieser Fürst oder seine Gemahlin deckte Rom auf der Nordseite, im Süden sollten die normannischen Vasallen als Bollwerk dienen. Sie hatten der Kirche bereits große Dienste geleistet: die erste freie Papstwahl war durch sie durchgesetzt worden, und ohne ihre Schwerter würde Alexander II. gegen Cadalus sich nicht behauptet haben. Die Päpste mußten demnach diesen Lehnsleuten zu mehr Dank verpflichtet sein, als dieselben für sie empfanden. Vielleicht war der Lohn Richards von Capua den ihm gemachten Versprechungen nicht gleichgekommen, oder man legte seinem Umsichgreifen Hindernisse in den Weg; die Zeit des Schisma hatte er bereits klug auszubeuten gewußt, und seine schnellen Erfolge machten ihn kühner. Er brach plötzlich seinen Lehnseid (im Jahre 1066) und wurde aus einem Beschützer ein offener Feind der Kirche. Die Grafen der Campagna und die Römer, welche mit dem Sturze Honorius' II. die Hoffnung auf eine deutsche Intervention verloren hatten, mochten ihn heimlich gerufen haben. Er rückte plötzlich über den Liris, nahm Ceprano, durchzog und verheerte Latium, lagerte in der Nähe Roms und verlangte für sich die Würde des Patriziats; denn diese Gewalt hatten ihm die Gegner Hildebrands ohne Zweifel zugesagt. So weit waren die Normannen in nur dreizehn Jahren nach der Schlacht bei Civitate vorgeschritten!

Die Eroberungen Richards in Kampanien, wo er schon im Jahre 1063 Gaëta überrumpelte, erschreckten übrigens den deutschen Hof, nachdem Cadalus und Benzo ihn bisher vergebens gemahnt hatten. Der junge Heinrich war nach Italien aufgebrochen, noch ehe er Richards Marsch gegen Rom erfuhr; aber er kehrte in Augsburg um, weil dort Gottfried nicht zu ihm stieß, wie verabredet worden war. Der Markgraf von Toskana, der sich selbst als Patricius Roms betrachtete, zog indes, von Hildebrand gerufen, eilig herbei. Mit ihm war seine Stieftochter, die junge Gräfin Mathilde, die vielleicht zum erstenmal Rom betrat und der Kirche den ersten Dienst leistete. Beim Nahen Gottfrieds wichen die Normannen; Richard warf sich nach Capua, und sein Sohn Jordan lagerte in der Ebene bei Aquino, den Feinden die Straße zu verlegen. Als nun Gottfried, vom Papst und den Kardinälen begleitet, im Mai 1067 mit großer Macht gegen Aquino zog, schien der Untergang der Normannen gewiß; aber Jordan hielt sich tapfer achtzehn Tage lang bei jener Stadt; Hunger und Fieber wüteten in Gottfrieds Heer, und endlich bewirkte Gold, was die klugen Normannen wünschten. Der habsüchtige Markgraf verriet nicht ungern die Hoffnungen der römischen Kurie; er unterhandelte mit Jordan an der Brücke S. Angelo di Todici bei Aquino und trat darauf zum großen Jammer des Papsts seinen Rückmarsch an. Freilich hatte er der Kirche die Campagna wiederhergestellt, die Normannen zu einem neuen Lehnsvertrage gezwungen, aber Rom war vor einem wiederholten Raubanfall dieser schlimmen Nachbarn nicht gesichert.

Nach Verlauf dieses Sturms konnte Hildebrand wieder ungestört seine Pläne verfolgen. Er hatte in demselben Jahre 1067 sogar die Genugtuung, die Kaiserin in der demütigen Gestalt einer Büßerin nach Rom kommen zu sehen. Die Mutter Heinrichs, welche die christliche Welt durch ein Schisma entzweit hatte, war durch Einreden cluniazensischer Mönche in ihrem Gewissen erschüttert worden. Der Streit der Parteien um die Regentschaft, der verlorene Einfluß auf ihren zügellosen Sohn machte sie lebensmüde. Die gestürzte Kaiserin kam nach Rom, gehüllt in ein linnen Gewand, ein Gebetbuch in den Händen und reitend auf einem schlechten Zelter. Sie wollte das Diadem mit dem Schleier vertauschen; sie warf sich weinend am Grabe des Apostels nieder und beichtete dem Mönch Damiani, der frohlockend ausrief, daß die Königin Saba nach Jerusalem gegangen sei, die Weisheit Salomos zu erfahren, die Kaiserin Agnes aber nach Rom, die Einfalt des Fischers zu vernehmen. Der fromme Kardinal richtete die erlauchte Frau mit Ermahnungen im Geiste des Hieronymus auf; er schrieb mehrere Briefe an sie, die wir noch lesen; er führte ihr die tragischen Gestalten römischer Imperatoren vor, deren flüchtige Herrschaft oder schreckliches Ende den Unbestand aller irdischen Größe lehre, und er zeigte ihr ihren eigenen Gemahl, wie er in der Blüte seiner Kraft vom Thron ins Grab sinken mußte. Die Anwesenheit der Kaiserin in Rom war jedoch mehr als ein Gegenstand des Triumphs und der frommen Erbauung für die Eiferer; denn die ehemalige Regentin konnte Hildebrand auch als ein politisches Mittel dienen, wodurch er auf Heinrich und Deutschland wirkte.

In dieser Zeit war der Reformkampf in Mailand wieder heftig entbrannt. Zwei kühne Männer hielten dort die Partei Roms; wenn aber der Diaconus Ariald nur für die Durchführung der Reform eiferte, verfolgte der Bruder Landulfs auch politische Zwecke. Der mannhafte Erlembald Cotta, einer der bedeutendsten Charaktere jener Zeit, war von wütendem Haß gegen die üppigen Priester erfüllt, die sein Ehebette geschändet hatten; von einer Wallfahrt nach Jerusalem zurückgekehrt, wollte er die Kutte nehmen, aber Ariald bewog ihn, mit den Waffen in der Hand wie Judas Makkabäus der Kirche zu dienen. Erlembald trat demnach an die Stelle seines verstorbenen Bruders Landulf; nach dem Sturze Lanzos de Curte durch die Nobili wurde er vom Mailänder Volk, das sich damals eine demokratische Verfassung gegeben zu haben scheint, zum Kapitän gewählt; er warf sich zum Signor der Stadt auf und beherrschte sie unter heroischen Kämpfen mit dem Erzbischof Guido, dem großen Adel und Klerus einige Jahre lang mit Kraft.

Mit Alexander II., welcher gleichfalls Mailänder war, befreundet, gingen Erlembald und Ariald ab und zu nach Rom, gemeinsame Pläne zu verabreden. Der Papst unterstützte die Tyrannis des ehrgeizigen Kapitäns, welchen mönchische Frömmigkeit nicht verhinderte, in prachtvollem Aufzuge wie ein mächtiger Herzog zu erscheinen. Hätte sich Erlembald mit normannischem Glück zum Gebieter Norditaliens aufzuwerfen vermocht, so würde der Papst dies geduldet haben, wenn er ihm nur als Vasall den lombardischen Klerus und Adel unterwarf. Im Jahre 1066 empfing Alexander II. beide Männer im vollen Konsistorium zu Rom und erklärte hier Erlembald zum Ritter der Kirche, indem er ihm ein weißes Banner mit rotem Kreuz übergab.

Unsere Gegenwart, in der die Glut urkräftiger Geister und die plastische Individualität großer Männlichkeit immer seltener wird, hat schon Mühe, solche wilden, dämonischen, von Haß und Liebe flammenden Naturen zu begreifen. Sie machen einen der Reize des Mittelalters aus, und in dem beginnenden großen Streite der Kirche mit dem Reich traten viele und seltsame Gestalten dieser Art hervor. Ihre Reihe führen Erlembald und Ariald, ein mönchhafter Held und ein fanatischer Diaconus. Sie setzten es durch, daß der Papst den Erzbischof Guido bannte; als sie nun nach Mailand zurückgekehrt waren, erfolgte ein wütender Kampf, dem Ariald selbst zum Opfer fiel. Dieser fromme Zelot wurde von der Gegenpartei auf der Flucht ergriffen und mit schrecklicher Barbarei zum Märtyrer gemacht. Aber Erlembald gewann bald wieder so sehr die Oberhand, daß er den Erzbischof vertrieb und selbst einen Nachfolger an seiner Stelle erhob. Dies waren die Zustände Mailands; wir haben sie erzählt, weil vieles, was in Rom geschah, ohne die Kunde von ihnen unverständlich bleiben würde.


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