Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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5. Pippin zieht nach Italien. Aistulf hebt die Belagerung Roms auf. Eintreffen von byzantinischen Gesandten und deren Enttäuschung. Aistulf unterwirft sich. Die Pippinische Schenkungsurkunde. Stiftung des Kirchenstaats. Aistulf stirbt 756. Anerkennung des Desiderius als Langobardenkönig. Stephan stirbt 757.

Der Brief des Apostels war eine richtige Berechnung gewesen; denn Pippin konnte ihn benutzen, seine laut murrenden Franken zu einem zweiten Kriegszuge nach Italien anzutreiben. Dem Verstande eines Königs selbst jener rohen Zeit zwang die seltsame Erfindung vielleicht ein Lächeln ab, aber er durfte den heiligen Petrus nicht vor der Menge bloßstellen, auch wenn er nicht fürchtete, »Leib und Seele dem ewig unauslöschlichen tartarischen Feuer mit dem Teufel und seinen Pestengeln auszusetzen«. Seine Verträge mit dem Papst legten ihm, dem Patricius der Römer und Defensor der Kirche, die Pflicht auf, diese mit den Waffen zu schützen. Er rüstete sich zum Kriege, und die Kunde seines Aufbruchs zwang sodann Aistulf, die Belagerung Roms aufzuheben und nach dem Norden zu eilen, um die Franken von den Grenzen Italiens zurückzuhalten. Während sich Pippin den Alpenpässen näherte, trafen in Rom drei Gesandte des Kaisers Constantin V. ein, welcher mit dem Inhalt des Vertrages zwischen Pippin und dem Papst unbekannt war und sich einbildete, daß der Exarchat für »das Römische Reich« wiederzugewinnen sei. Seine Minister sollten daher den Papst auffordern, ihre Forderungen bei dem Frankenkönige zu unterstützen.

Der Kaiser hoffte sogar, die Franken selbst in seinen Dienst zu ziehen und wider die Langobarden zu gebrauchen, so wie sich einst Zeno der Ostgoten wider Odoaker bedient hatte. Es ist gewiß, daß er Pippin zu einem Kriegszuge gegen Aistulf zu überreden gedachte. Aber schon in Rom überraschte die Gesandten die Nachricht, Pippin ziehe mit Heeresmacht zum zweitenmal nach Italien; die Diplomaten warfen sich in ein Schiff, von einem Boten Stephans begleitet; sie hörten in Massilia, daß der König schon die Alpen überschritten habe. Indem ihnen jetzt der Zusammenhang der Dinge klar wurde und sie erfuhren, daß Pippin vom Papst selbst gerufen sei, gerieten sie in tiefe Bestürzung, und sie suchten den apostolischen Nuntius zurückzuhalten. Gregor, einer dieser Minister, eilte ihm mit schnellen Pferden voraus, erreichte das Frankenheer im Marsch auf Pavia und beschwor den König, nach der Besiegung der Langobarden den Exarchat und die übrigen Städte ihrem rechtmäßigen Herrn zurückzugeben. Aber Pippin erklärte jetzt ohne Rückhalt, er habe beide Heereszüge nicht um eines Menschen willen, sondern aus Liebe zum heiligen Petrus wie zum Heil seiner eigenen Seele unternommen; nicht um alle Schätze der Welt werde er sein dem Apostel gegebenes Wort brechen, vielmehr alle jene Städte St. Petrus, der römischen Kirche und dem Papst übergeben. Der Byzantiner erstaunte über diese neuen staatsrechtlichen Maximen; er eilte nach Rom, den Papst zu sehen, und nutzlos legte er gegen die unerhörte Verletzung der Rechte des Reiches Protest ein.

Unterdes streckte Aistulf, zum zweitenmal in Pavia eingeschlossen, die Waffen im Sommer 756. Er wurde dem Frankenkönige tributbar und gezwungen, den früheren Vertrag gewissenhaft zu erfüllen, auch zu jenen Städten noch Comiaclum (Comacchio) hinzuzufügen. Der Biograph Stephans sagt hier zum erstenmal, daß Pippin eine Schenkungsurkunde (jene vom Jahre 754) ausgestellt hatte, worin der römischen Kirche und allen Päpsten der Besitz der Städte ausgeschrieben ward, und daß dies Dokument noch zu seiner Zeit (im IX. Jahrhundert) im Archiv der römischen Kirche verwahrt werde. Diese berühmte Urkunde verschwand spurlos; kein Forscher hat die geographischen oder politischen Grenzen der Schenkung gesehen, und niemand weiß genau weder die geschenkten Städte zu zählen, noch viel weniger zu ermitteln, ob dem Papst nur das Dominium utile in jenen Landschaften oder das wirkliche Hoheitsrecht verliehen war. Das Verhältnis Roms und des Dukats, welches gar nicht erwähnt wird, bleibt dunkel, und da Pippin diese Provinz nicht erobert hatte, konnte sich seine Schenkung ebensowenig auf sie als auf das griechische Neapel oder Gaëta erstrecken. Dies aber kann nicht geleugnet werden, daß Pippin eine Schenkungsurkunde gemacht und darin die Städte des Exarchats und der Pentapolis, auf welche die römische Kirche keinen Rechtstitel besaß, ihr als Eroberer zugesprochen hat. Diese griechischen Provinzen entzog Pippin dem Kaiser, welcher unfähig geworden war, sie den Langobarden zu entreißen und ferner zu behaupten; er gab sie dem Bischof Roms nicht als einem geistlichen Fürsten, nicht als einem außerhalb der Reichsgewalt stehenden Souverän, sondern als dem faktisch anerkannten Haupt der Stadt Rom und des römischen Dukats. Weil der Papst diese Stellung nur dadurch einnahm, daß er das Oberhaupt der Kirche war, so empfing er jene Länder im Namen der römischen Kirche und ihres unsichtbaren Hauptes St. Petrus. Er selbst verbarg seine Usurpation hinter dem Titel des Apostelfürsten. Wenn ein solcher Prätendent den byzantinischen Reklamationen entgegenzutreten ganz geeignet war, so wurde außerdem mit kluger Politik die oberste Reichsgewalt des Kaisers fortdauernd anerkannt, so daß der Papst in jenen Ländern zuerst noch als ein Vikar des Reichs oder als Nachfolger des Exarchen und Patricius von Ravenna erscheinen konnte. Jedoch die kaiserliche Macht war tatsächlich erloschen; die dortigen Provinzen wollten weder mehr einem griechischen Vizekönige gehorchen, noch dem Langobardenkönige untertänig werden; sie anerkannten die Landeshoheit des Papsts, des mächtigsten und schon abgöttisch verehrten Mannes in Italien und des Hauptes der lateinischen Nation.

Wenn nun auch Pippin weit davon entfernt war, mit bewußter Absicht einen Kirchenstaat zu schaffen in dem Sinne, als es die Verfechter der päpstlichen Fürstenhoheit darstellen wollen, so stattete er doch den Papst mit landesherrlichen Rechten über einige der schönsten Provinzen Italiens aus und wurde so der Gründer des späteren Kirchenstaats, wodurch die Einheit Italiens für lange Jahrhunderte unmöglich gemacht ward. Betrachtungen noch anderer Natur steigen hier auf, wo wir an einen Abschnitt der Geschichte der Kirche gelangt sind. Dies heilige Institut, die sichtbare, doch nur geistliche Gemeinschaft der Gläubigen, hatte sich auf den Grundlagen des römischen Cäsarentums und in dem Organismus des Reichs zu einem eigenen Imperium ausgebildet, in dessen Mitte der Bischof Roms cäsarische Autorität im Geistlichen erlangte. Der Politismus und Imperialismus waren in die Kirche und ihre Hierarchie eingedrungen. Die Macht des Papsts war in dogmatischen Sphären anerkannt, der Primat seines Apostolischen Stuhles seit Leo I. und Gregor dem Großen durchgesetzt worden; sodann war im Bilderstreit die Unabhängigkeit desselben vom Orient vollzogen worden, und diese hatte ihren politischen Ausdruck auch in der Befreiung Italiens von Byzanz gefunden. Der Westen schied sich vom Osten; die Kirche, vom griechischen Kaiser abgewandt, verbündete sich mit der großen katholischen Monarchie der Franken, deren neues Königsgeschlecht sie selber geweiht hatte, und sie ahnte in dieser Monarchie die Wiederherstellung des römischen Kaisertums. Das Dasein des Frankenreichs war zugleich ein Glück für Europa, denn es verhinderte die Entstehung eines abendländischen Kalifats in Rom. Wenn die Päpste jener Zeit sich noch nicht zu den kühnsten Gedanken erheben konnten, so faßten sie doch seit Gregor II. und III. den Plan, ihrer geistlichen Suprematie eine praktische Grundlage zu geben und sich zu Gebietern in einem Teile Italiens zu machen. Der Untergang des abendländischen Reichs, wodurch Rom zu einer wesentlich kirchlichen Stadt gemacht wurde, die Entfernung und Ohnmacht der Byzantiner, endlich die Zerstückelung Italiens hatten den Bischöfen freien Spielraum gelassen, und die fortgesetzte Kraft bedeutender Päpste erreichte das Ziel, ihrer Kirche einen politischen Leib zu geben und sich für alle Zeit einen Tempelstaat zu schaffen. Mit dessen Gründung endete die rein bischöfliche und priesterliche, die schönste und rühmlichste Epoche der römischen Kirche. Diese verweltlichte; die Päpste, welche wider die Grundsätze des Evangelium und der Lehre Christi das Priestertum mit dem Königtum verbanden, konnten fortan nicht mehr die Reinheit ihres apostolischen Amts festhalten. Ihre sich selbst widersprechende Doppelnatur zog sie tiefer und tiefer in das Treiben ehrgeiziger Politik hinab; sie wurden mit Notwendigkeit in demoralisierende Kämpfe um die Behauptung ihrer weltlichen Titel, in innere Bürgerkriege mit der Stadt Rom und in dauernden Hader mit den politischen Mächten hineingezogen. Die vollendete Tatsache der Stiftung eines Kirchenstaats erweckte den Hunger aller andern Kirchen nach Besitz, und im Laufe der Zeit wollte jede Abtei und jedes Bistum ein unabhängiger Priesterstaat sein. Das Beispiel Roms ward eifrig nachgeahmt; viele Schenkungsurkunden wuchsen über Nacht auf.

Den Vertrag zu vollziehen, beauftragte der Frankenkönig den Abt Folrad; derselbe ging in die Städte der Pentapolis, der Aemilia und des Exarchats, empfing ihre Geiseln, nahm ihre Schlüssel und legte diese nebst der von Pippin ausgestellten Urkunde vor der Konfession St. Peters nieder. Dies sind die Ereignisse, welche der Stellung des Papsttums plötzlich eine neue, materielle Grundlage gaben und auf die Geschichte Italiens wie im besondern auf die der Stadt Rom einen mächtigen Einfluß ausübten. Mit dem Jahre 756 begann eine neue Periode ihrer inneren und äußeren Verhältnisse; ihre Form wird in einem späteren Kapitel erörtert werden, und nur dies mag hier ausgesprochen sein: am Ende des Jahres 756 erlangte der Papst tatsächlich auch die Herrschaft über die Stadt Rom, ohne daß auch jetzt deren Lossagung vom griechischen Reich durch irgendeine der handelnden Personen ausgesprochen worden wäre.

Die Natur des päpstlichen Regiments in Rom war indes keineswegs monarchisch. Die Stadt selbst behauptete schon im ersten Entstehen des Dominium Temporale der Päpste ihr kommunales Recht. Sie erkannte den Papst als ihren Dominus, aber sie bewahrte sich die Rechte des Senats und Volks, und diese fanden in der Wahl des Oberhaupts ihre beste Gewähr, denn die Papstwahl ging aus dem gesamten Volk hervor. Die Tatsache selbst der Übertragung der weltlichen Gewalt auf ihren Bischof durch die Römer hat sich im Dunkel der Geschichte verloren. Es redet niemand von einer Vertragsurkunde zwischen der Stadt und dem Papst. Es spricht niemand von dem merkwürdigsten aller Parlamente des römischen Volks, welches auf dem grauen Forum, in tribus fatis, den wichtigen Beschluß gefaßt haben mochte, dem Bischof Roms die Gewalt eines Dogen der Republik zu übertragen. Wir wissen nicht einmal, ob diese Gewalt des Papsts überhaupt einem solchen Vertrag zur Zeit Pippins entsprungen ist. Die geheimnisvolle Entstehung der päpstlichen Herrschaft ist eins der merkwürdigsten Ereignisse der Geschichte und die vor den Augen der ohnmächtigen Nachfolger Constantins geräuschlos vollzogene Besitznahme Roms durch die vermeintlichen Nachfolger Petri ein Meisterstück langer Künste des Priestertums. Dies kostbare Besitztum war der Größe der Päpste würdig, aber die Nachfolger Stephans II. erkannten bald, daß es die Natur des Geschenks der Pandora habe. Denn seit der Gründung des Kirchenstaats gerieten die drei Rechte, welche in Rom ihre Wurzeln hatten, in dauernden Kampf miteinander: das uralte, munizipale Recht des Volks, das antike Recht der kaiserlichen Monarchie und das jüngste zur Tatsache gewordene Recht der Päpste. Die Geschichte der Stadt Rom ist daher in langen Jahrhunderten nur die Entwicklung des Streites dieser drei Prinzipien mit- und gegeneinander.

Der König Aistulf überlebte seine Demütigung nicht lange. Schon am Anfange des Jahres 757 konnte Stephan dem Frankenkönige berichten, daß sein grimmiger Feind nicht mehr sei. Er tat dies in wilden Ausdrücken des Hasses und der Freude. »Jener Tyrann«, so rief er aus, »der Genosse des Teufels, Aistulf, der das Blut der Christen verschlungen und die Kirchen Gottes zerstört hat, ist von Gottes Dolchstoß durchbohrt, in den Schlund der Hölle hinabgefahren in eben den Tagen, da er vor einem Jahr sich aufmachte, diese römische Stadt zu verderben.« Der unglückliche Fürst war infolge eines Sturzes auf der Jagd am Ende des Jahres 756 gestorben. Der rohe Zorn des Papsts verfolgte ihn noch im Grabe, weil er ihm mehrere Städte noch nicht herausgegeben hatte, und also konnte Folrad nicht von allen die Schlüssel empfangen und in der Konfession des Apostels niedergelegt haben.

Das langobardische Heer übernahm es, den leeren Thron in Pavia, auf den kein Erbe Ansprüche machen konnte, zu besetzen, indem es im März 757 Desiderius, den Herzog von Tuszien, zum Könige ausrief. Aber kaum hatte der verschollene Ratchis davon gehört, als er seine Gelübde brach, die ihn zur ewigen Entsagung in Monte Cassino verdammt hatten. Er warf das Mönchsgewand ab, rief die Anhänger seines Hauses zusammen und stellte sich an die Spitze eines Heers. Desiderius wußte jetzt keinen besseren Verbündeten zu seinem Schutze als den Papst; er bot ihm für seine Anerkennung auf dem langobardischen Thron große Geldsummen, die Abtretung der von Aistulf behaupteten und langobardisch gebliebenen Städte Bologna, Imola, Ancona, Osimo, Faenza und Ferrara. Der Vertrag wurde von Stephan freudig angenommen und durch seine Boten, seinen Bruder Paul, Folrad und Christophorus in Tuszien unterzeichnet. Ratchis, durch apostolische Drohungen niedergeschmettert, hüllte sich alsbald wieder in seine Kutte. Seine Partei war schwächer als jene des Desiderius, die sich im Notfalle durch das römische Heer und eine Schar Franken unter Folrad verstärken konnte. Dieser Rat Pippins, welcher als sein Missus oder Bote noch in Rom verweilte, hatte demnach fränkische Krieger zu seiner Begleitung, denn die in Rom ansässige »Frankenschule« konnte unter jener Schar nicht gemeint sein. Desiderius nahm den Thron durch die Unterstützung der Kirche ein, und der Papst eilte, die zugesagten Städte Faenza mit dem Kastell Tiberianum, Gabellum und den ganzen Dukat von Ferrara zu besetzen, wodurch er »die Republik erweiterte«. Stephan II. starb bald darauf, auf der Höhe seines Glücks, am 24. April 757. Die Kirche hat das Haupt dieses klugen Priesters, sei es aus Zufall oder aus rühmlicher Selbsterkenntnis, nicht mit dem Heiligenschein umgeben, den sie seinem Vorgänger Zacharias zuerkannte, aber er selbst konnte seine Mitra mit dem weniger ätherischen, doch wirklichen Goldreifen eines irdischen Fürsten krönen.


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