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2. Unkultur Roms im XIV. Jahrhundert. Zustand der römischen Universität. Ihre Wiederherstellung durch Innocenz VII. Chrysoloras. Poggio. Lionardo Aretino. Die Colonna. Cola di Rienzo. Cavallini de Cerronibus. Anfänge der römischen Altertumswissenschaft. Niccolò Signorili. Cyriacus. Poggio. Römische Geschichtschreibung. Anfänge von Stadtannalen. Papstgeschichte. Dietrich von Niem.
Das XIV. Jahrhundert, so glänzend durch die ersten nationalen Werke des italienischen Genies von ewiger Gültigkeit, bietet dem Geschichtschreiber der Kultur Roms kaum für ein paar Blätter Stoff dar. Die geistige Verödung der Stadt war selten gleich groß; sie erschreckte Dante wie Petrarca. Alle Bildungsanstalten waren verfallen und die Universität Bonifatius' VIII. nach einem dunkeln Leben erloschen. Kein avignonesischer Papst sorgte für sie seit Johann XXII., und selbst Cola erließ kein Edikt zu ihren Gunsten. Der römische Bürger Petrarca half die Universität Prag einrichten, doch er dachte der römischen mit keiner Silbe; er vermachte seine kostbare Bibliothek nach Venedig. Der große Albornoz stiftete eine Bildungsanstalt in Bologna und der Kardinal Nicolaus Capocci die Santa Sofia zu Perugia; für Rom ward nicht gesorgt. In jener Hauptstadt Umbriens war die Universität von Clemens V. im Jahr 1307 gegründet worden; sie blühte bald auf und glänzte durch die großen Rechtslehrer Bartolo und Baldo von denen der letzte Peruginer von Geburt war. Nach der Mitte des XIV. Jahrhunderts beklagte der kapitolische Magistrat, daß die römische Universität aus Mangel an Doktoren zerfallen sei, und beschloß, fremde Professoren für beide Rechte, für Medizin, Grammatik und Logik zu berufen. Er verlegte den Sitz der Hochschule nach dem ruhigeren Trastevere. Wir wissen indes nicht, ob sich ein Gelehrter entschloß, statt in Bologna oder in Padua zu glänzen, einen Lehrstuhl in Trastevere zu besteigen. Das Schisma endlich mußte alle Versuche der Art vereiteln, und erst Innocenz VII. erneuerte die Universität am 1. September 1406. Die Sprache seiner Bulle spiegelte schon die humanistische Richtung der Zeit ab. »Es gibt auf Erden«, so erklärte der Papst, »keine erlauchtere Stadt als Rom und keine, worin die Studien, welche wir hierher zurückführen wollen, länger geblüht haben; denn in Rom wurde die lateinische Literatur erfunden, das bürgerliche Recht aufgeschrieben und den Völkern überliefert; hier ist auch der Sitz des Kirchenrechts. In Rom ward jede Weisheit und Doktrin erzeugt oder doch von den Griechen übernommen. Wenn daher andere Städte fremde Wissenschaften lehren, so wird in Rom nur das Eigene gelehrt.« Ohne Zweifel hatte diese Bulle Poggio Bracciolini verfaßt; denn dieser berühmte Humanist war seit dem letzten Jahr Bonifatius' IX. päpstlicher Scriptor. Er bewog den Papst, auch einen Lehrstuhl für das Griechische einzurichten und schlug ihm seinen eigenen Meister Chrysoloras als Professor vor. Die einst durch basilianische Mönche und die Schule der Griechen noch am Leben erhaltene Sprache Homers war in der Stadt verschwunden; Petrarca fand hier niemand, der sie verstand. Daß nun Chrysoloras, welcher in Venedig und Padua, namentlich in Florenz die Leidenschaft für das Griechische entzündet hatte, wirklich in Rom eine Professur bekleidete, ist nicht unwahrscheinlich, da er mit dem päpstlichen Hof auch nach Innocenz VII. in Verbindung blieb. Er starb jedoch schon im April 1415 zu Konstanz, wohin er den Kardinal Zabarella begleitet hatte. Poggius selbst und Lionardus Aretinus, der durch dessen Einfluß apostolischer Sekretär geworden war, mögen an der Universität in Rom vorübergehend gelehrt haben. Aber die Unruhen unter Gregor XII. ließen diese nicht gedeihen; die römische Sapienza zerfiel, und erst Eugen IV. stellte sie im Jahre 1431 dauernd wieder her.
Den moralischen Verfall der Ewigen Stadt zeigt die geringe Zahl nicht nur von literarischen Talenten, sondern von bedeutenden Menschen überhaupt. Im XIV. Jahrhundert gab es unter den Päpsten keinen, unter den Kardinälen sehr wenige Römer. Selbst diese Kirchenfürsten lebten fern in Avignon, wie Johann Colonna, Napoleon Orsini, Jakob Stefaneschi und Nicolaus Capocci. Die erste Hälfte des Jahrhunderts ist an namhaften Römern reicher als die zweite, wo der Name Colonna und Orsini nur noch unter den Bandenkapitänen glänzt. Den Schriften Petrarcas verdanken die Colonna seiner Zeit fast ausschließlich ihren Nachruhm, und wir können nicht mehr beurteilen, inwieweit das Lob der Bildung, welches er ihnen erteilte, begründet war. Außer ihnen und dem Haus Orsini und Anguillara zählte Petrarca zu seinen besonderen römischen Freunden Lello di Pietro von den Stefaneschi, an welchen er unter dem Namen Laelius viele Briefe gerichtet hat.
Das genialste Talent Roms, ja das wahre geistige Erzeugnis der Stadt im XIV. Jahrhundert war Cola di Rienzo, dessen Bildung wir zu beurteilen imstande sind. Der Geschichtschreiber der italienischen Literatur hat ihm mit vollem Recht in ihr eine Stelle gegeben. Seine Briefe und Verteidigungsschriften sind auch literarische Denkmäler. Sein halb notariles, halb kirchliches Latein konnte freilich nicht die Kritik des Ciceronianers Petrarca bestehen, und der Strom seiner natürlichen Beredsamkeit war nicht durch klassische Regeln geleitet, aber der Ausdruck eines originellen Geistes und einer rätselvollen Denkweise. Diese Art gotischer Prosa, worin Dante wahrhaft bezaubernd ist, ging bald im eleganten ciceronischen Stil für immer unter. Auf einem Gebiet römischer Lokalwissenschaft war der Tribun genial. Man darf ihn den ersten Altertumsforscher Roms nennen. Er zuerst hob den sagenhaften Schleier der Mirabilien von den Monumenten der Stadt und machte sie zu Gegenständen geschichtlicher Betrachtung und Folgerung. Er sammelte bereits Inschriften, welche vor ihm niemand zu entziffern verstand; er fand die Lex Regia wieder auf und erklärte sie. Bei Dante zeigte sich noch keine Spur des Sinnes für Altertümer; in seiner Komödie hatte er keinen Blick auf die Ruinenwelt Roms geworfen. Nach ihm sammelte Petrarca zwar Kaisermünzen, aber er verstand römische Inschriften nicht zu lesen; die Pyramide des Cestius hielt er deshalb noch für das Grabmal des Remus, wie er die Trajanssäule für das Grab dieses Kaisers hielt. Erst Cola di Rienzo vermochte Inschriften auf den Monumenten Roms zu entziffern, und er begründete eigentlich die antiquarischen Studien. Der größte heutige Gelehrte im Gebiet christlicher Altertumskunde hat nachzuweisen versucht, daß der geniale Volkstribun die erste Sammlung römischer Inschriften seit dem Anonymus von Einsiedeln angelegt hat. Er hat dargetan, daß diese Sammlung nicht dem Niccolò Signorili, dem Stadtschreiber unter Martin V., sondern Cola di Rienzo angehört, daß dieser auch das Büchlein Descriptio urbis Romae eiusque excellentiae verfaßt haben muß. Er war demnach der erste Forscher, welcher sich nicht mit den Mirabilien begnügte, während Petrarca und Chrysoloras diese noch zu ihrem einzigen Führer durch die Altertümer hatten.
Ein anderer Römer, Zeitgenosse des Tribuns, Giovanni Cavallini de Cerronibus, wohl ein Verwandter des Giovanni Cerroni, verfaßte gleichfalls, wie es scheint um die Mitte des XIV. Jahrhunderts, eine Stadtbeschreibung, welche sich an die »Graphia« als ihre Quelle hielt. Sie bildet einen Teil einer wunderlichen Schrift, die er Polistoria benannte und deren Gegenstand eine Untersuchung über die Geschichte des alten Rom und die Tugenden der Römer war – ein Thema, welches durchaus dem Zeitalter Colas entsprach. Das Ganze ist zusammenhanglos und phantastisch, aber es zeigt einen ungewöhnlich gebildeten Mann, welcher, so gut wie Cola, in den Schriften der Alten wie der Kirche bewandert war. Giovanni Cavallini nannte sich in seinem Werk Scriptor der apostolischen Kirche und Kanonikus der S. Maria Rotunda. Seine Stadtbeschreibung ist, soweit sich das erkennen läßt, Kompilation und zugleich Erweiterung der Mirabilien, aber mit manchen eigenen Bemerkungen und zeitgeschichtlichen Notizen versehen und immer ein höchst bemerkenswerter Versuch, die mittelalterliche Legende mit der antiquarischen Wissenschaft zu verbinden.
Nach Cola und de Cerronibus betrachtete ein ausgezeichneter Paduaner Arzt und Mechaniker die Monumente der Stadt mit wissenschaftlichem Blick: dies war Giovanni Dondi, wegen der Erfindung eines wunderbaren Uhrwerks dall' Orologio zubenannt. Er war um 1375 in Rom; hier nahm er Maße von Altertümern auf, von der Trajanssäule, dem Pantheon, dem vatikanischen Obelisken, dem Colosseum, den Basiliken St. Peter und Paul, und er schrieb zugleich einige Inschriften von Tempeln und Triumphbogen ab.
Wir schließen hier die wenigen historiographischen Schriften an, die im XIV. Jahrhundert in Rom entstanden. Auf sie beschränkt sich überhaupt die römische Literatur in dieser Epoche. Als die Stadt sich selbst überlassen blieb und das Bürgertum alleinherrschend wurde, entstanden auch die Anfänge einer römischen Stadtgeschichte in Form von Tagebüchern. Diese Versuche blieben leider vereinzelt. In der tiefen Einsamkeit Roms hätte irgendein patriotischer Mann, wenn er von der kapitolischen Republik dazu angeregt worden wäre, dem Mittelalter ein Denkmal stiften können, wie es die drei Villani für Florenz getan haben; doch statt dessen finden sich nur dürftige Ansätze römischer Annalen seit dem Romzuge Ludwigs des Bayern. Das bedeutendste Werk darunter sind »Die Fragmente der römischen Geschichte« von 1327 bis 1355, deren Hauptteil das Leben Colas bildet. Ihr unbekannter Verfasser, Anhänger, doch nicht blinder Bewunderer des Tribuns, war ein Römer vom Bürgerstande, ohne politische Bildung, doch von schulgerechter Kenntnis alter Autoren. Seine Sprache (glücklicherweise übersetzte er sein ursprünglich lateinisch geschriebenes Werk ins Italienische) scheint der römische Dialekt jener Zeit zu sein, ein originelles Vulgär, welches nichts von der melodischen Anmut der Sprache der Florentiner hat. Die naive, volkstümliche Art gibt dem Buch den meisten Reiz und die merkwürdige Zeit ihm einen hohen Wert. Wenn man den römischen Geschichtschreiber des XIV. Jahrhunderts mit dem auch politisch gebildeten Villani vergleicht, so mag man daraus auf das untergeordnete Staatswesen Roms schließen.
Die Florentiner hatten den Anstoß zu römischen Annalen gegeben; man sieht die Versuche dazu, aber es fand sich niemand, der einer solchen Aufgabe gewachsen war. Die städtische Geschichtschreibung verstummte sogar wieder, als die Päpste aus Avignon zurückgekehrt waren; erst mit dem XV. Jahrhundert setzte sie sich in der Form von Tagebüchern fort. Das erste dieser Diarien, die Zeit von 1404 bis 1417 umfassend, ist von Anton Petri, einem Benefiziaten des St. Peter, lateinisch geschrieben. Dieser ungebildete, doch lebhaft teilnehmende Mann verzeichnete, was täglich ihm bemerkenswert erschien. Seine genauen Angaben haben daher den Wert einer Lokalzeitung.
An der Geschichte des Papsttums beteiligten sich die Römer nicht. Die kirchengeschichtlichen Arbeiten des Ptolemäus von Lucca, dessen Werk bis 1312 reicht, des Bernardus Guidonis, der im Jahre 1331 als Bischof von Lodève starb und dessen Buch mit Johann XXII. schließt, ferner des französischen Augustiners Amalricus Augerius, Kapellans Urbans V., dessen Papstchronik gleichfalls nur bis zu 1321 fortgeht, gehören nicht Rom an. Das Leben der avignonesischen Päpste wurde von Franzosen geschrieben, und erst nach der Rückkehr des Heiligen Stuhls setzte man das alte Papstbuch amtlich und mit großer Dürftigkeit fort. Dagegen fand das Schisma einen zeitgenössischen Geschichtschreiber an Dietrich von Niem oder Nieheim. Dieser Westfale kam im Jahre 1372 nach Avignon, trat in den Dienst Gregors XI., begleitete den Papst nach Rom und blieb seither, mit einigen Unterbrechungen, in der Stellung eines Scriptor bei der römischen Kurie. In das einflußreiche Amt der Abbreviatoren wurden schon damals die besten Gelehrten gezogen; im XV. Jahrhundert kam es ganz in die Hände der Humanisten. Schon Urban V. hatte Petrarca dafür zu gewinnen gesucht. Der berühmte Colutius Salutatus war Sekretär dieses Papsts und Gregors XI., ehe er im Jahre 1375 Kanzler von Florenz wurde, und später wurde Dietrich von Niem der Amtsgenosse des Poggio und Bruni. Sein Gönner Urban VI. baute auf das deutsche Pflichtgefühl und nahm daher auch den Landsmann Niems, Gobelinus Persona, in Dienst, den Verfasser des Cosmodromium, welches für jene Zeit eine Hauptquelle der Geschichte ist. Beide westfälische Gelehrte folgten Urban nach Neapel. In die Zustände der Kurie tief eingeweiht, war Niem vor allem befähigt, die Geschichte des Schisma zu schreiben. Die Ereignisse und die Personen waren an ihm vorübergegangen von Gregor XI. bis zu Johann XXIII., mit welchem er in Konstanz einzog. Er starb im Jahre 1418 zu Maastricht. Seine Werke verfaßte er in seinen letzten Lebensjahren, daher enthalten sie manche chronologischen Irrtümer. Er glänzt nicht durch die Eleganz eines Poggio oder Aretinus, aber er besitzt natürliche Frische, gesundes Urteil und lebendige Beobachtungsgabe genug. Seine Feinde haben ihm Übertreibung und Mißachtung der Päpste vorgeworfen; aber konnte das Papsttum jener Zeit bei wahrheitsliebenden Menschen eine andere Beurteilung finden? Die Schriften Niems, eines freisinnigen, reformeifrigen deutschen Mannes, sind eins der kostbarsten Denkmäler jener Zeit. Seine Art, die Zeitgeschichte zu behandeln, hat nichts mehr von der alten Methode der Chronik; es ist schon das persönliche Leben der Denkwürdigkeiten, welches in seinem Werk »Über das Schisma« zur Geltung kommt.