Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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3. Rückkehr Innocenz' II. nach Rom. Tod Anaklets II. Victor IV. Gegenpapst. Rom unterwirft sich Innocenz II. Das Zisterzienserkloster ad Aquas Salvias. Lateranisches Konzil im Jahre 1139. Krieg Innocenz' II. gegen Roger I. Gefangen, anerkennt er die Monarchie Sizilien. Friedliche Tätigkeit des Papsts in Rom. Krieg der Römer mit Tivoli. Innocenz nimmt Tivoli in Schutz. Die Römer erheben sich, setzen den Senat auf dem Kapitol ein, und Innocenz II. stirbt.

Die Stadt Rom fand Innocenz durch Bernhard wirklich zu seinen Gunsten gestimmt; zwar hielt Anaklet noch den St. Peter und die Engelsburg, aber sein Anhang zerschmolz. Nur Roger wollte Innocenz II. nicht anerkennen. Der kluge Fürst übernahm die Stellung, welche Lothar abgelehnt hatte: um das Schisma, welches er allein noch aufrecht hielt, zu seinem Vorteil auszubeuten, warf er sich zum Richter über beide Päpste auf. Mit Geduld hörte er in Salerno die Ermahnungen Bernhards, ließ tagelang die erhitzten Kardinäle beider Parteien miteinander streiten und hielt seine Entscheidung zurück. Da befreite der Tod Anaklets Innocenz aus seiner Verlegenheit. Der Sohn Pierleones starb am 25. Januar 1138, nachdem er fast acht Jahre lang den Stuhl Petri mutig behauptet und selbst zwei Romzügen widerstanden hatte, von denen der letzte einer der glänzendsten Triumphe deutscher Kaiser gewesen war. Die Bernhardisten jubelten über seinen Tod, aber wir haben keine unparteiische Stimme gehört, welche diesem nicht kanonischen, doch zum Papsttum ursprünglich berechtigten Manne während seines in Furcht und Not hingebrachten Pontifikats die Sünden vorgeworfen hätte, die manche rechtmäßige Päpste entehrt haben.

Die Partei Anaklets eilte jetzt, sich von Roger einen neuen Papst zu erbitten, und mit seiner Zustimmung stellte sie den Kardinal Gregor im März als Victor IV. auf; allein das Schisma hatte keinen Boden mehr. Es diente den Römern nur als Mittel, günstigere Friedensbedingungen zu erlangen, und bald konnte der heilige Bernhard jenen Kardinal als reuigen Sünder zu seines Schützlings Füßen führen. Die Brüder Anaklets wie alle übrigen Römer huldigten, mit großen Geldsummen beschwichtigt, Innocenz II. schon zu Pfingsten als ihrem Herrn und Papst. Mit der Familie der Pierleoni wurde ein dauernder Friede geschlossen; sie behielt ihre Macht am päpstlichen Hof, und Innocenz selbst zeichnete sie durch Ehren und Ämter aus. Bernhard konnte jetzt Rom mit Ruhe verlassen; die Besiegung des Pierleonischen Schisma, der rabies leonina, die Wiederherstellung der Einheit der Kirche war größtenteils sein Werk, und wie Cicero nannten ihn seine Verehrer den Vater des Vaterlandes. Als Denkmal dieses Heiligen kann in Rom das altberühmte, einstmals sehr reiche Kloster ad Aquas Salvias hinter St. Paul betrachtet werden; denn nachdem es seit langem verfallen war, baute es Innocenz II. neu wieder auf und setzte im Jahr 1140 Zisterzienser von Clairvaux hinein unter dem Abt Bernhard von Pisa, dem Schüler jenes großen Mystikers. Wenig später siedelten sich die Zisterzienser auch in der lateinischen Campagna an, wo sie das Kloster Casamari bezogen.

Ein Lateranisches Konzil verkündigte in der Fastenwoche des Jahrs 1139 feierlich das Ende des Schisma; die Akte Anaklets wurden aufgehoben, Roger nochmals gebannt und die Lehren Arnolds von Brescia, eines Mannes, der bald in Rom selbst auftreten sollte, verurteilt. Indes der Kirchenfriede blieb unvollständig, solange nicht der mächtige König von Sizilien ihn bestätigte. Kein anderer Feind ängstigte Innocenz als dieser kluge Fürst, an dessen Hartnäckigkeit alle Unterhandlungen scheiterten. Noch immer hielt er sein Schwert über Rom, dem Papst die Anerkennung seiner Monarchie abzupressen; die Hoffnung, daß eine letzte Reaktion diese zersprengen könne, zerrann; denn der einzige dem König ebenbürtige Gegner, Herzog Rainulf, einer der hervorragendsten Charaktere jener Zeit, starb plötzlich in Troja am 30. April 1139. Als nun Roger sofort über die Städte Rainulfs herfiel, welche alle bis auf Troja und Bari sich ihm ergaben, beschloß Innocenz den Krieg. Er sammelte ein Heer, worin auch viele vornehme Römer Dienste nahmen, und zog, begleitet von dem vertriebenen Robert von Capua, nach S. Germano, um, sinnloser als Leo IX. und Honorius II., einen ungleichen Kampf zu wagen. Die Wiederholung des gleichen Schicksals ist ein kostbarer Zug in der Geschichte der Päpste, deren weltliche Unternehmungen so gerecht bestraft wurden. Von S. Germano aus unterhandelte der Papst mit Roger, welcher sich weigerte, den Fürsten von Capua wiederherzustellen. Den langen Reden beschloß der König mit einem Schlage ein Ende zu machen, etwa wie einst Heinrich V. es getan hatte. Während die Päpstlichen Galuzzo belagerten, befahl er seinem Sohne Roger, mit tausend Reitern Innocenz aufzulauern, und dies Unternehmen wurde schnell und glücklich ausgeführt. Nach einer wilden Szene der Plünderung, der Flucht und Gefangenschaft führte man den Papst, seinen Kanzler Haimerich, viele römische Edle und Kardinäle in die Zelte Rogers; nur Robert von Capua hatte die Schnelligkeit seines Pferdes gerettet. Der König und seine Söhne warfen sich ihrem Gefangenen voll normannischer Demut zu Füßen; sie baten lächelnd um Erbarmen und Frieden, und nach einem kurzen Kampf zwischen unwilliger Scham und beredter Furcht löste der Papst Roger vom Bann; er bestätigte zu Mignano »dem erlauchten und berühmten Könige« und seinen Erben das Königreich Sizilien und, mit Ausnahme Benevents, den Besitz aller von ihm eroberten Länder (am 25. Juli 1139). So wurde die kostbare Anstrengung Lothars, welche doch der Vernichtung jenes Königreichs gegolten hatte, vom Papst selbst für Torheit erklärt. Der einzige von ihm anerkannte Akt Anaklets war die Errichtung der Monarchie Sizilien. Vergebens protestierte der letzte legitime Herzog Capuas; sein schönes Fürstentum fiel an Rogers Sohn Anfusus; mit Apulien wurde der Thronfolger Roger beliehen, und nachdem auch das uralte byzantinische Herzogtum Neapel sich ergeben hatte, gebot ein kühner, vor keinem Frevel zurückschreckender Fürst über die herrlichsten Provinzen Italiens, welche zum erstenmal seit der Gotenzeit durch ihn in ein Reich vereinigt waren. Die Stiftung desselben erregte Aufsehen in der Welt; die mit so viel Hinterlist und Gewalt vollzogene Vernichtung einst selbständiger Staaten ließ auf noch weitere Absichten des Usurpators schließen. Im Auslande begrüßte man den sieggekrönten Räuber mit dem Wunsch, daß auch das »unselige Toskana« des Glücks der Annexion an die Herrschaft des Königs teilhaftig werden möchte; aber im übrigen Italien wurde keine Stimme laut, die Anschluß an die Herrschaft eines Despoten begehrt hätte. Wenn das Bestehen des römischen Kirchenstaats je eine Wohltat für Italien und seine freien Städte sein konnte, so war es in jener Zeit, denn derselbe hielt als ein Bollwerk die Eroberungsgelüste der Normannenkönige auf. Italien aber bot das seltsame Schauspiel eines grellen politischen Widerspruches dar: während der Süden nach dem Untergange der alten See-Republiken Amalfi, Gaëta, Neapel, Salerno und Sorrent für immer der Tyrannei einer feudalen Monarchie zum Opfer fiel, blühten im Norden nach dem glücklichen Verfalle des Reichsverbandes die Städterepubliken in herrlicher Fülle auf; sie gaben Italien eine zweite Kultur und eine zweite Unsterblichkeit.

Innocenz brach am 29. September von Benevent nach Rom auf, und hier wurde er wie einst Leo IX. zwar mit Ehren, doch auch mit bitterer Kritik empfangen. Es fehlte nicht an Aufforderungen, den ihm von Roger abgedrungenen Vertrag für nichtig zu erklären, aber der besonnene Papst beruhigte sich mit dem Gedanken, daß es Gott gefallen habe, der Kirche diesen Frieden durch seine Schmach zu erkaufen. Auch kehrte er aus seiner Demütigung nicht ohne Gewinn zurück, denn Sizilien bekannte sich fortan als ein Lehen nicht des Kaisers, sondern des Papsts, welcher die Rechte des Reichs in seinem einseitigen Friedensschluß mit dem Usurpator umgangen hatte.

Innocenz II., durch Roger I. geschützt, konnte sich jetzt mit den Angelegenheiten der Stadt beschäftigen. Er bemühte sich, die Eigentumsverhältnisse herzustellen, die Rechtspflege zu sichern, den Gottesfrieden zu erhalten, kurz, der wohlwollende Gebieter Roms zu sein, wo man während des Schisma verlernt hatte, an die weltliche Gewalt des Papsts zu glauben. Das vereinzelte Lob der glücklichen Lage Roms war indes entweder nur eine schmeichlerische Phrase, oder es wurde bald genug durch Ereignisse ins Gegenteil verkehrt, welche mit überraschender Plötzlichkeit eine Epoche in der Geschichte der Stadt herbeiführten. Ein Städtekrieg gab dazu die Veranlassung.

Das kleine Tivoli reizte die Römer durch widerstrebendes Freiheitsgefühl; sein Bischof hatte längst die Exemtion vom Grafenbann erlangt, nur die landesherrlichen Rechte des Papsts nahm in dem ehemaligen Comitat ein Rector wahr wie in Benevent. Die Tivolesen besaßen schon eine ziemlich freie Munizipalverfassung; sie führten selbst mit ihren Nachbarn, namentlich mit dem Abt von Subiaco, Kriege, und dies schwerlich immer unter der Autorität ihres Bischofs. Während des Investiturstreits sahen wir die Stadt auf seiten der Gegenpäpste; Paschalis II. hatte sie mit Mühe unterworfen, Innocenz II. sie wahrscheinlich mit den Waffen Lothars dem Anaklet entrissen, doch sie empörte sich bald wieder. Als die Söhne Rogers im Jahre 1140 nach den Abruzzen zogen und die Grenzstädte am Liris unterwarfen, befestigten die Tivolesen ihre Stadt, sich vor einem Überfall zu schützen. Innocenz wurde jedoch von Roger beruhigt, dessen Söhne jenen Grenzfluß nicht überschritten; aber Tivoli findet sich schon im Jahre 1139 in Zerwürfnis mit dem Papst und bald darauf in vollem Aufstande gegen ihn wie im Kriege mit Rom. Die Ursachen sind unbekannt; vielleicht hatte der Papst die Aufnahme römischer Besatzung in Tivoli begehrt, und sicherlich trachtete er darnach, die Regungen bürgerlicher Freiheit so in Rom wie in allen Städten des Kirchenstaats niederzuhalten.

Die Städtekriege in der Lombardei und Toskana fanden jetzt auch im Römischen ihre Nachahmung; aber es war für die Hauptstadt der Welt wenig ehrenvoll, sich wieder im Kampf mit kleinen lateinischen Orten zu sehen, wie in ihrer Kindheit zur Zeit des Coriolanus und der Decier, und ein empfindlicher Schimpf, von den Tivolesen sogar geschlagen zu sein. Die Belagerten schützte die Festigkeit ihrer Stadt über der großen Schlucht des Anio; ein mutiger Ausfall auf das Lager der Römer trieb die erlauchten Konsuln, welche an die Kaiser so stolze Briefe schrieben, in die Flucht. Die römische Miliz wurde von den Bürgern Tivolis bis in die Mauern Roms zurückgejagt. Beschämt und wutentbrannt kehrten die Römer unter dem Befehl des Präfekten Theobald im folgenden Jahre wieder, und Innocenz II. selbst befeuerte ihre Anstrengungen gegen das rebellische Kastell. Eingeschlossen und bestürmt, ergaben sich endlich die Tivolesen nicht den Römern, sondern dem Papst, wie sie sich einst Silvester II. ergeben hatten.

Es wiederholten sich überhaupt die Vorgänge aus Ottos III. Zeit. Wir besitzen noch das Friedensinstrument, welches die Bürger Tivolis dem Papst beschworen: treu zu sein St. Peter und den kanonischen Päpsten; nicht mit Rat noch Tat beizutragen, daß der Papst Leben, Glieder, Freiheit verliere; böse Anschläge wider ihn zu offenbaren; den Inhalt seiner Botschaften geheimzuhalten; ihm zur Behauptung zu helfen des Papsttums in Rom, der Stadt Tivoli und der dortigen Domänen, der Festung am Pons Lucanus, der Kastelle Vicovaro, St. Polus, Boveranum, Cantalupus, Burdellum, Cicilianum und andrer Regale St. Peters; endlich den Comitat und Rektorat Tivolis in die Gewalt der Päpste zu geben.

Als die Römer von diesem Vertrage hörten, gerieten sie in die größte Aufregung: der Papst entzog ihnen eine von ihnen selbst eroberte Stadt, welcher zu gebieten das römische Volk beanspruchte; er selbst nahm dort die Grafengewalt an sich. Ihre Niederlage wollten sie durch die Zerstörung Tivolis rächen; sie forderten diese von Innocenz, der sie verweigerte. Als 143 Jahre früher Silvester II. die gleiche Forderung den Römern abgeschlagen hatte, war die Folge davon ein Aufstand gewesen, dem die Kaiser- und Papstgewalt zum Opfer fielen; die Folge der Weigerung Innocenz' II. war ein noch wilderer Aufstand in Rom, welchem die weltliche Herrschaft der Päpste zum Opfer fiel. An keiner Stelle dieser Geschichte beklagen wir das Versiegen aller Nachrichten so tief als hier, wo es sich um eine so denkwürdige Umwälzung handelt. Kein römischer Annalist hat darauf ein Licht geworfen; nur einige Geschichtschreiber berichten flüchtig, daß die zornentbrannten Römer nach dem Kapitol eilten, den seit langer Zeit erloschenen Senat wiederherstellten und sodann den Krieg gegen Tivoli erneuerten. Sie erzählen, daß der Papst voll Furcht, die weltliche Gewalt für immer zu verlieren, Drohungen, Bitten und Gold verschwendete, den Aufruhr zu stillen, und daß er mitten in ihm vom Tode erlöst ward.

Innocenz II., welcher die Hälfte seines Pontifikats im Exil oder wie ein General auf Kriegsfahrten hingebracht hatte, sah die irdische Herrschaft St. Peters in Trümmer gehen; das Zepter Roms fiel aus seiner erkaltenden Hand; er starb am 24. September 1143 vor Aufregung und Schmerz, während das altersgraue Kapitol vom Jubelgeschrei der Republikaner widerhallte. Mit ihm schloß sich das gregorianische Zeitalter der Stadt und öffnete sich ein neues und denkwürdiges, dessen Charakter das folgende Kapitel schildert.


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