Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Der unbekannte Gott

Der griechische Kunstschriftsteller Pausanias, der zur Zeit der antoninischen Kaiser seine »Rundreise«, eine Art Cicerone durch die hellenischen Sehenswürdigkeiten, verfaßte, berichtet in Übereinstimmung mit anderen Autoren, daß es in Griechenland von alters her Altäre gegeben habe, die »dem sogenannten unbekannten Gotte« geweiht waren, darunter einen neben der Bildsäule des Zeus von Olympia, dem weltberühmten Goldelfenbeinwerk des Phidias. Und der Kompilator Diogenes Laertius, der etwa ein halbes Jahrhundert später gelebt haben dürfte, erzählt in seinem Buch über »Leben, Lehren und Aussprüche der berühmten Denker«, einem mehr belletristischen als philosophischen, aber in den Angaben sehr zuverlässigen Werk, daß sogar »anonyme Altäre« vorhanden waren, die überhaupt keine Aufschrift trugen. Man versichert uns zwar, dies seien bloße Äußerungen einer religio eventualis gewesen, einer Religion für alle Fälle, die besorgte, man möge vielleicht einen Gott übersehen haben, der in Vergessenheit geraten oder nur im Ausland bekannt geworden sei, auch habe es auf jenen Altaraufschriften nur ganz allgemein geheißen: »Den unbekannten Göttern«, und die Berichterstatter hätten sich bloß verlesen, aus den anonymen Opfersteinen aber spreche die Verehrung einer Art von namenlosen »Gattungsgöttern«; indes, alle diese späten Kalküle einer engbrüstigen Philologenspitzfindigkeit tragen, so »belegt« sie sein mögen, den Stempel superkluger Unglaubwürdigkeit. Viel natürlicher und menschlicher, größer 19 und einfacher wäre es, anzunehmen, schon in den Alten habe ein dunkles Gefühl dafür gelebt, daß der ganze Kreis der Olympischen und selbst der zur »reinen Vernunft« geläuterte Zeus nicht das Wesen der Gottheit umspanne, daß vielmehr einer noch fehle, der sich noch nicht geoffenbart habe und daher unbekannt sei; und zugleich namenlos, da er über allen Namen sei.

An ein solches Heiligtum, das in Athen dem unbekannten Gotte geweiht war, knüpft die Predigt an, die der heilige Paulus auf dem Areopag hielt. Er sagte: »Ihr Männer von Athen! Ich verkündige euch eben diesen Gott, den ihr bisher, ohne um ihn zu wissen, verehrt habt. Denn er ist ja nicht fern von einem jeglichen unter uns: in ihm leben, weben und sind wir.«


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