Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Die Saïten

Asarhaddon, der seinem Vater das Leben gekostet hatte, wurde dennoch König und erwies sich als die richtige Wahl. Er versöhnte sich mit den Babyloniern und baute ihre Hauptstadt wieder auf. Dann wandte er sich gegen Ägypten, schlug den 430 anfänglich siegreichen Pharao Taharka und eroberte im Jahr 671 Memphis. Taharka floh nach Süden, von den Assyrern verfolgt, die Theben gründlich ausplünderten, aber nicht dauernd in der Hand zu behalten vermochten. Es hat sich jedoch von diesem Schlage nie wieder erholt. Damals ist aus der farbenflammenden Millionenstadt die erhabene graue Märchenruine geworden, die das Reisevolk aller Zeiten und Zonen seither mit Staunen betrachtet. Die Äthiopier zogen sich nach Napata zurück und haben nie mehr in die ägyptische Geschichte eingegriffen; schon für die Mitwelt verschwamm ihr halbbarbarischer Staat, in dem die Nilkultur zu immer bizarreren Formen erstarrte, zum legendären Nebenreich. Ihre spätere Hauptstadt war Meroë, wonach die besondere Hieroglyphenschrift, die sich allmählich bei ihnen herausbildete, die meroïtische genannt wird.

Ganz Unterägypten wurde assyrische Provinz: Neben jeden Gaufürsten wurde ein königlicher Resident gesetzt. Aber schon nach wenigen Jahren, 663, kam die Befreiung. Psammetich der Erste aus Saïs, einer Hauptstadt des westlichen Deltas am Arm von Rosette, vertrieb mit Hilfe des Königs Gyges von Lydien, der ihm ionische und karische Söldner sandte, die Asiaten und begründete die sechsundzwanzigste Dynastie der Saïten, die, obgleich ebenfalls Fremde, da sie von libyschen Söldnern abstammten, dem ägyptischen Volk bis zum Jahre 525, wo sie den Persern erlagen, eine letzte Zeit nationaler Blüte schenkten. Psammetich regierte vierundfünfzig Jahre, und es gelang ihm, sowohl die alte zentralisierte Verwaltung wie die Bewässerungsanlagen, die in argen Verfall geraten waren, wiederherzustellen. Er war eine Art »Bürgerkönig«, der mehr auf Handel und Industrie bedacht war als auf riskante militärische Unternehmungen, und ein Freund der Griechen, denen er in Memphis ein eigenes Viertel einrichtete und hohe Stellungen im Heer einräumte, was sie ihm durch freundliche Legenden dankten. Erst seit jener Zeit datiert die intimere Bekanntschaft 431 der Hellenen mit der ägyptischen Kultur, und sie äußerte sich deutlich in gewissen Ägyptizismen, die sowohl an ihrer frühen, der sogenannten »archaischen« Kunst wie in ihrer theologischen Spekulation hervortraten. Unter dem vorletzten und bedeutendsten Saïten, Amasis, wurde sogar eine Hafenstadt gegründet, die völlig griechisch war: Naukratis, die »Schiffsmächtige«. Als der Perserkönig Kambyses Ägypten in Besitz nahm, erklärte er sich nach alter Landessitte für den rechtmäßigen Pharao und ließ, um diese Fiktion zu unterstützen, die Fabel ausstreuen, er sei ein Enkel des Apries, der Amasis vorangegangen war. Hieraus erhellt, daß Amasis in Ägypten nicht für legitim galt. Dies wird auch durch eine Anekdote bei Herodot bestätigt: Der König hatte ein goldenes Becken, worin er und seine Gäste sich die Füße wuschen, das zerschlug er und machte daraus ein Götterbild, dem die Ägypter alsbald große Verehrung erwiesen; darauf rief er sie alle zusammen und sagte: Wie mit dem Fußbecken verhält es sich auch mit mir: zuvor ein gemeiner Mann, bin ich doch jetzt euer König, dem ihr Verehrung schuldig seid. Obschon also ein Parvenü oder Usurpator, war er doch sehr populär. Er war ein »liberaler« Pharao, der die Distanz zwischen Herrscher und Volk nicht betonte, gern einen Becher über den Durst trank und gute Witze machte, die eifrig kolportiert wurden. Die krampfhafte Wiederbelebung des Altertums, von der am Ende des vorigen Kapitels die Rede war, erreichte unter ihm ihren Höhepunkt. Beides: die unägyptische »Modernität« der Saïten wie ihr hyperägyptisches Antikisieren, war eine künstliche Konstruktion, wie sie müden und altersschwachen Völkern eigentümlich ist.


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