Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Herodot

Der erste Ägyptologe war eigentlich Herodot. Von seinen neun den Musen gewidmeten Geschichtsbüchern handelt das zweite (Euterpe) gänzlich, das dritte (Thalia) in seinen Anfangskapiteln von Ägypten. Während seines Aufenthalts, der in die Mitte des fünften Jahrhunderts fällt und nicht viel länger als ein Vierteljahr dauerte, besuchte er das Deltaland, verweilte längere Zeit in Memphis, besichtigte das Faijum und gelangte bis Elephantine. Auf seiner Reise begleitete ihn die »Erdbeschreibung« des Hekataios von Milet (nicht zu verwechseln mit dem vorhin erwähnten Hekataios von Abdera), des ersten Griechen, der über Ägypten geschrieben hat, Herodot hat ihn ziemlich stark, aber nicht ohne Kritik benützt. In der Gegend des griechischen Hafens Naukratis, des Vorläufers Alexandrias, haben sich sogar Bruchstücke einer Vase gefunden, die den Namen Ἡρόδοτος trägt, denn die Touristen huldigten damals genauso wie heute der Sitte, an berühmten Stätten ihre Visitenkarte zu hinterlassen. Man hat Herodot lange Zeit ohne Grund nicht recht ernstgenommen. Lucian nannte ihn einen Lügner. Er verstand allerdings, ebenso wie Hekataios, nicht Ägyptisch und war daher auf die Angaben angewiesen, die ihm die eingeborenen Dolmetscher und seine Landsleute, meist Gastwirte und Händler, zutrugen: dabei wird es wohl ohne Flunkereien und Renommagen nicht abgegangen sein. Die »Priester«, auf die er sich gern beruft, waren nicht viel mehr als Tempeldiener, die die Fremden unter mehr oder minder albernen Erklärungen herumführten. Auch ist bei Herodot von einem Interesse, geschweige denn Verständnis für die Kunstdenkmäler nichts zu bemerken; er hat nur Sinn für das 162 novellistische Element: die Entstehungsgeschichte der großen Bauten, die Fabeln, die sich um sie ansetzten, und dergleichen. Die Sphinx erwähnt er überhaupt nicht; es ist allerdings möglich, daß sie damals unter Sand begraben lag. Aber trotz alledem ist, wie die neuere Forschung festgestellt hat, seine Darstellung für die beiden Jahrhunderte, die ihm vorauf gingen (die Saïten- und Perserzeit), in allen wesentlichen Punkten vollkommen zuverlässig; aber auch für die frühere Geschichte ist sie durchaus nicht ohne Wert: sie schildert den Bodensatz, den diese in der Volksseele zurückgelassen hat, und besitzt daher, wenn auch nicht immer die äußere, so doch eine innere Wahrheit, etwa von der Art, wie wenn man die Geschichte Barbarossas und selbst Napoleons aus der Legende konstruieren wollte: bei aller Verzerrung und Verkürzung würde das wirklich Bedeutsame der Vorgänge gleichwohl Gestalt annehmen.

Die einheimischen ägyptischen Quellen sind nicht sehr ergiebig. Sie erzählen alle von denselben Dingen: Siegen, Tributen, Opfern, Bauten; und mit fast denselben unpersönlichen und hochtrabenden Phrasen. Von Niederlagen, Thronwirren, Gebietsverlusten ist fast niemals die Rede; eine Kritik an einer königlichen Handlung findet sich nur ein einziges Mal. Das Motiv für diese höchst parteiische Berichterstattung ist wahrscheinlich nicht bloß in Großsprecherei und Liebedienerei zu suchen, sondern wohl ebensosehr in einer gewissen Scheu, unglückliche Ereignisse und überhaupt irgendwelche unangenehmen Dinge beim Namen zu nennen: man fürchtete, dadurch ihre Wiederholung herbeizuziehen. Der Glaube an die Magie des Worts war im ganzen Altertum viel stärker als in der heutigen Welt, die ihn nur in der Warnung, den Teufel nicht an die Wand zu malen, aufbewahrt hat. Der Ägypter gebrauchte zum Beispiel nur ungern das Wort »Krokodil«, sondern sagte lieber »Kraut des Sees« (weil es darunter versteckt lauerte), wie ja auch die Römer die Schlange umschreibend serpens, die 163 Kriechende, nannten; zudem entstellte er häufig die Schreibung von gefährlichen Dingen: wilden Tieren, Krankheiten und ähnlichem, oder ließ die Wörter auch ganz aus. Böse Geschehnisse aber gar im »ewigen Stein«, dem Material der Chroniken, aufzuzeichnen, wäre besonders bedenklich gewesen.


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