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Es wurde schon erwähnt, daß diese sogenannten »hippokratischen Schriften« eifrig gelesen wurden, und überhaupt begann das Buch im öffentlichen Leben bereits eine Rolle zu spielen. Erst aus ägyptischen Funden, also erst seit dem vorigen Jahrhundert, kennt man das antike Buch durch Anschauung. Die Hauptquelle ist die Kartonage aus gebrauchten Papyrusblättern, womit die Mumien verkleidet waren. Man hat auf diesem Wege auch eine ganze Anzahl neuer Texte kennengelernt: Bruchstücke aus Tyrtaios, Archilochos und Pindar, Sophokles, Euripides und Epicharm, eine Schrift des Aristoteles »Vom Staat der Athener«, Arbeiten des Favorinus, des Erfinders der 876 »Buntschriftstellerei«, vor allem Szenen aus Menander und Herondas. Der älteste griechische Papyrus, den man bisher kennengelernt hat, ist eine Grabbeigabe aus dem vierten vorchristlichen Jahrhundert: der Schluß des dithyrambischen Gedichts »Die Perser«, das Timotheos um 400 für eine Festaufführung seiner Vaterstadt Milet schrieb. Im ganzen Altertum war die Form des Buches die Rolle, die sich heute nur noch in der »Rolle« des Schauspielers, in der Thorarolle des mosaischen Gottesdienstes und in der Urkundenrolle, zum Beispiel beim Doktordiplom, erhalten hat. Die Thorarolle bewahrt auch darin einen besonders altertümlichen Charakter, daß sie aus Leder besteht. Dies war auch in Hellas und Persien das älteste Material, und das Pergament, das im dritten vorchristlichen Jahrhundert dem Papyrus Konkurrenz zu machen versuchte, war ebenfalls eine besonders fein bearbeitete Tierhaut. Aber erst das Leinenpapier, eine chinesische Erfindung, die um 800 nach Christus nach Arabien und von da nach Westen gelangte, hat den Papyrus völlig zu verdrängen vermocht, der nunmehr selbst in Ägypten nicht mehr gebaut wurde. Nur in einzelnen europäischen Namen ist ihm eine gewisse pietätvolle Erinnerung bewahrt geblieben, indem der Deutsche, Franzose und Engländer sein neues Material nach ihm taufte (im Italienischen heißt nur der Papyrus papiro, das Papier carta) und der Russe die Zigarette papirossa nannte. Für Schulübungen, flüchtige Aufzeichnungen und kurze Mitteilungen verwendete man Täfelchen aus Holz oder Elfenbein, die mit dunklem Wachs überzogen waren; geschrieben wurde in diesem Fall mit einem Metallgriffel, der am andern Ende spatenförmig war, um das Wachs wieder glätten zu können: deshalb bedeutete »den Griffel wenden« soviel wie »tilgen« oder »von vorn anfangen«. Heftete man zwei oder mehr Täfelchen zusammen, wobei ein erhöhter Rand die Schrift vor dem Abscheuern schützte, so entstand das Diptychon oder »Doppeltgefaltete«, von dem 877 nicht nur unsere Notizhefte und Registratoren, sondern überhaupt alle modernen Buchformen abstammen. Zum Schreiben auf Papyrus diente der Rohrstab, kalamos, zurechtgeschnitten nach Art der Gänsekiele (weshalb das Federmesser ein unentbehrliches Requisit war) und die Tinte, genannt τὸ μέλαν, das Schwarze; doch verwendete man auch rote Tinte, besonders für die Überschriften: daher unser Wort »Rubrum«. Diese setzte man an den Schluß der einzelnen Abschnitte, ebenso den Buchtitel an das Ende des Werks. Aber auch wenn er am Anfang gestanden hätte, würde er bei der Form der antiken Bücher zur Orientierung nichts genützt haben. Die Rollen wurden daher auf Regalen nebeneinandergelegt oder in einen Behälter aus Stein, Ton oder Holz gesteckt, den man kiste oder teuchos nannte (der Pentateuch ist das Werk »in fünf Töpfen«, wir würden sagen: Bänden), und als Erkennungszeichen ließ man einen Streifen aus dem Titel heraushängen: Es ist dies der noch heute in Amtsarchiven gebräuchliche »Aktenschwanz«. Die Größe der antiken Bücher war sehr verschieden: Sie schwankte zwischen 5 und 40 Zentimeter, also zwischen Liliputformat und Foliantenformat, das Durchschnittliche aber war wie bei uns 20 bis 30 Zentimeter. Auch das Verhältnis der Kolumnenhöhe zur Seitenhöhe war dem der gedruckten Bücher ähnlich: 2 zu 3 oder 3 zu 4; die vollkommene Ebenmäßigkeit eines Satzspiegels konnte natürlich mit der Schrift niemals erreicht werden. Dem Umfang waren engere Grenzen gesteckt als heutzutage: eine Rolle war ungefähr das, was wir ein Kapitel nennen würden; auch wir teilen ja noch voluminösere Werke in »Bücher«. Bei der Lektüre wickelte man das Gelesene um einen Stab, auch das noch nicht Gelesene blieb zusammengerollt, so daß man, genau so wie jetzt, immer nur eine Seite »aufgeschlagen« hatte. War die Lektüre beendet, so war das ganze Buch zur linken Hand aufgewickelt, aber verkehrt, so daß ein ordnungsliebender Mensch es wieder zurückrollen mußte. 878 Auch das »Nachschlagen« und »Zurückblättern« war eine umständlichere Sache, als sie es derzeit ist, und durch das notgedrungene häufige Rollen wurde ein Buch auch viel rascher zerlesen. Hingegen bedurfte man keines Lesezeichens, sondern konnte das Buch, beiderseitig »angerollt«, einfach wieder ins Regal legen. Der Korrektor war für das antike Buch eine ebenso wichtige Persönlichkeit wie für das moderne; nur vollzog sich seine Tätigkeit nicht in ruhmloser Verborgenheit, sondern im vollen Licht des Tages, und eine Abschrift galt für um so wertvoller, je mehr Ausbesserungen sie enthielt, die ebenso viele Schönheitsfehler waren. Man hat jedoch bisher kein umfangreicheres Werk gefunden, das nicht Fehler enthielte, welcher Mißstand aber auch durch Gutenberg nicht behoben worden ist. Die Verbreitung geschah zum Teil auf privatem Wege: sich ein Buch ausleihen bedeutete zumeist soviel wie sich eine Abschrift davon nehmen, zum Teil aber auch schon gewerbsmäßig: Der Buchladen wird bereits in der Komödie des fünften Jahrhunderts erwähnt. Einen Schutz des Urheberrechts aber gab es noch nicht und dementsprechend auch kein Schriftstellerhonorar: Wo von einem solchen die Rede ist, handelt es sich um Ehrenspenden einer Stadt oder eines Mäzens. Der Preis richtete sich nach der Schönheit der Abschrift, der Sorgfalt der Korrektur und der Eleganz der Ausstattung. Wohlfeile Ausgaben verwendeten Blätter, die bereits auf einer Seite beschrieben waren: so vereinigt zum Beispiel eine Rolle Pindars Pläne und altes Aktenmaterial. Die Werke des Anaxagoras waren auf dem athenischen Markte um eine Drachme zu haben, was sehr billig ist. Allerdings scheint Anaxagoras einer der meistgelesenen und einflußreichsten Schriftsteller des perikleischen Zeitalters gewesen zu sein.