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In der letzten Zwischeneiszeit, also vor zwanzigtausend bis zweihunderttausend Jahren, tauchte der berühmte Neandertaler auf, so genannt, weil seine fossilen Reste zuerst im Neandertal bei Düsseldorf gefunden wurden. Er gilt als der homo primigenius, der Urmensch. Er war über ganz Afrika, Asien und Europa verbreitet und verschwand während der letzten Eiszeit. Er hatte einen massigen Kiefer, kein richtiges Kinn und starke Knochenwülste über den Augenhöhlen, die Stirn war fliehend, das Schädeldach flach. Er besaß also verhältnismäßig wenig Gehirnmasse, und das Vorderhirn, wo sich das Sprachzentrum befindet, war besonders klein. Indes gestattet dies noch keine zwingenden Schlüsse auf seine Geistesart: »Wer wollte«, hat schon vor mehr als sechzig Jahren der berühmte Geograph Oskar Peschel gegen diese materialistische Argumentationsweise bemerkt, »nach dem Gewichte entscheiden, ob eine Turmuhr oder ein Taschenchronometer schärfere Zeiteinteilungen gewähren«? Man denke an das Denkorgan der Biene und Ameise, das kaum stecknadelkopfgroß ist. Auch hat 85 man von einigen Kapazitäten das Gehirn untersucht und dabei gefunden, daß es bei Gauß und Helmholtz nur wenig über den Durchschnitt wog, bei Ignaz von Döllinger sogar weniger. MacGregor hat versucht, das Antlitz des Neandertalers in einer Büste zu rekonstruieren; auf dieser hat er einen Sokrateskopf. Er war mit der Verwendung des Feuers vertraut, machte allerlei Werkzeuge, übte die Sitte der Totenbeigaben und besaß als Voraussetzung alles dessen sicher schon eine Art Lautsprache. Im übrigen lebte er gleich einem Raubtier von anderen Tieren; aber das tun wir ja auch. Er jagte wahrscheinlich auch seinesgleichen; aber das tun wir ja auch. Es liegt also kein Grund vor, sich über den Urmenschen aufzuregen.
Der Rhodesiamensch, der erst vor kurzem auf dem Gute Broken Hill in Südafrika entdeckt wurde, wird vielfach als die Übergangsstufe vom Neandertaler zum homo sapiens angesehen: nur die Stirnbogen sind noch affenartig und der Unterkiefer auffallend massiv. Man schätzt sein Alter auf wenige Jahrtausende. Hier stoßen wir aber auf einen neuen Vexierpunkt der prähistorischen Wissenschaft. Es haben sicher zu fast allen Zeiten höhere und niedrigere Rassen gleichzeitig auf Erden gelebt, und da wir bei keinem der Funde wissen, ob er die älteste oder die jüngste Form seines Zeitalters darstellt, so sagt er uns entwicklungsgeschichtlich gar nichts. Welche Ansicht die Prähistoriker in hunderttausend Jahren von der heutigen Spezies haben werden, wird lediglich davon abhängen, ob ihre Schaufeln auf den Angehörigen einer hochgezüchteten Rasse oder auf einen Australier stoßen werden, dem der Rhodesiamensch nicht gar so unähnlich gewesen sein dürfte.