Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Philippos

Über ihn sagt Droysen sehr treffend: »Sein Charakter war, keinen Charakter zu haben, sondern Zwecke.« Er verkörperte den ganz ungriechischen Typus des tausendäugigen Tatsachenmenschen, der alles umfaßt und durchschaut, ergreift und sich dienstbar macht: Die griechische Phantasie bewegte sich in Ideen, die seinige immer in Realitäten. Dabei hatte er trotz aller Überlebensgröße des Wollens und Könnens etwas von einer Genrefigur, schon in seiner äußeren Erscheinung: Er war einäugig, was er durch einen Lorbeerkranz zu decken versuchte, von stämmiger, aber untersetzter Statur, und im Umgang von einer dämonischen Pöbelhaftigkeit, wie bekanntlich auch Napoleon, daneben sehr witzig und geistreich und durchaus nicht ohne Sinn für Kunst und Kultur: er hat nicht nur Aristoteles zum Erzieher seines Sohnes bestimmt, sondern auch Apelles nach seiner Residenz Pella berufen. Seine Stellung in der Kriegsgeschichte erinnert an Gustav Adolf: er verdankte seine Erfolge ebenfalls den drei Tatsachen, daß er ein wirkliches Nationalheer besaß, daß er dieses Heer, und zwar mit seltenem Feldherrngenie, monarchisch leitete und daß er die Reiterei zu einer Hauptwaffe machte. Die makedonische und thessalische Kavallerie war jeder anderen an Zahl und Qualität überlegen und außerdem eben nicht, wie bisher, eine bloße Hilfstruppe, sondern zum erstenmal ein entscheidender taktischer Körper. 908 Durch diese völlig neue Methodik der kombinierten Waffen sicherte sich Philipp, indem er die Offensive der beweglichen Reiterei, die Defensive der schweren Infanterie übertrug, die gleichzeitige Initiative auf beiden Flügeln: Dies ist der Fortschritt gegenüber Epaminondas. Ferner ermöglichte ihm seine Kavallerie die völlige Ausnützung des Sieges durch nachhaltigste Verfolgung und hierdurch wurde er der Schöpfer der Vernichtungsstrategie. Ganz unerhört war auch, daß er sich weder von der Jahreszeit noch von der Nacht in seinen Operationen behindern ließ, daß er die Maschine als Kriegsmittel einführte und daß er in allen Arten des Manövrierens: in Scheinrückzügen, verschleierten Bewegungen, unerwarteten Vorstößen, plötzlichen Schwenkungen eine Meisterschaft entwickelte, der die Griechen fassungslos gegenüberstanden.

Den Landadel verwandelte Philipp in einen Hofadel, indem er ihn in seine nächste Umgebung zog: als Leibwache der hetairoi oder philoi, Gefährten und Freunde des Königs, und als Pagenkorps, das ihn bei Tisch bediente, zu Bett brachte und Nachtwache hielt, was einigermaßen an Ludwig den Vierzehnten erinnert. Auch Hellas war für die Monarchie reif. Ihre Heraufkunft wetterleuchtete bereits in der Literatur, zum Beispiel in Xenophons monarchistischem Tendenzroman von der Jugend des Kyros, der einen großen Leserkreis fand, obgleich er, wie Beloch bemerkt, »abschreckend langweilig« ist: eine Kritik, deren Vorurteilslosigkeit aus der Feder einer Fachgröße doppelt erfrischend wirkt; noch unverblümter nennt Wilamowitz Xenophon einen »Major a. D.«, und in der Tat ist er lesenswert nur in seiner Eigenschaft als Landwirt, Bereiter und Troupier, während seine Politik und Philosophie sich auf dem Niveau eines gebildeten Stammtischs bewegt. Er hat nur die Anfänge Philipps erlebt, aber Isokrates erblickte in diesem einen neuen Agamemnon, den Führer der geeinten Hellenen gegen den Erbfeind; als höchstes Ziel betrachtet er (und 909 offenbar auch Philipp) die Eroberung Kleinasiens bis zum Halys. Das ist noch ägäisch gedacht. Daß Philipp, der Schöpfer der Alexanderarmee und einer der größten Strategen aller Zeiten, die Perser besiegt hätte, ist wohl kaum zu bezweifeln. Es läßt sich aber fragen, ob er dann nicht gegen seinen Willen in den alexandrinischen Imperialismus hineingewachsen wäre, der seinem Denken zunächst allem Anschein nach fernlag. Parmenion und Antipater standen während des ganzen Alexanderzuges auf dem Standpunkt, daß man am Euphrat haltmachen und abendländische Politik betreiben solle. Sie waren die zwei vorzüglichsten Feldherren Philipps, Antipater auch von hoher staatsmännischer Begabung, beide aber ihrem König an Penetranz des Scharfblicks und Elastizität des Schnelldenkens doch nicht ebenbürtig. Die Frage läßt sich also nicht eindeutig entscheiden.

Auch den Aischines hat Philipp nicht einfach durch Gold gewonnen, sondern schon vorher durch den Zauber seiner Persönlichkeit und die Macht seines Geistes aus dem Widersacher einen Anhänger gemacht. Die Priesterschaft von Delphoi, die nicht immer sehr patriotisch, aber fast immer sehr weise und vorausblickend dachte, stand ebenfalls auf seiner Seite, was aber Demosthenes mit dem Bonmot abtat: »Die Pythia philippisiert.« Dieser hätte lieber einen panhellenischen Zusammenschluß mit Persien gesehen, dessen Spitze gegen Philipp gerichtet gewesen wäre, wie die süddeutschen Partikularisten die Anlehnung an Frankreich einer preußischen Hegemonie vorgezogen hätten, womit sie aber, ganz wie die athenischen, ihre Hegemonie meinten. Der Hauptunterschied zwischen Demosthenes und den meisten früheren Leitern der athenischen Politik bestand darin, daß diese in erster Linie Strategen gewesen waren, Demosthenes aber ein militärischer Ignorant war; er war aber auch ein politischer Dilettant. Mit Schlagworten wie »Barbar« und »Abenteurer« glaubte er ein Phänomen 910 wie Philipp abtun zu können, ohne den geringsten Instinkt für historische Mächte, Zeitgeist und Wandel der Zeiten. Die Fähigkeit, die den Politiker macht: Tatsachen zu sehen, und früher als die anderen, und sich ihnen anzupassen, um sie zu beherrschen, fehlte diesem Doktrinär, für den die ganze Welt ein Problem der Rhetorik war, in erschreckendem Maße.


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