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Man hat berechnet, daß das Steinmaterial, das zur Cheopspyramide erfordert wurde, fünf Lastzüge füllen würde, jeder so lang wie die Strecke Wien-Paris. Die Brüche, denen es entstammte, lagen fünfzehn Kilometer vom Pyramidenfeld entfernt, wobei außerdem der Nil zu übersetzen war. Der Granit für die Tempelbauten stammte sogar aus Assuan, das rund tausend Kilometer von Gise entfernt ist. Die ungeheuer schweren Quadern mußten viele Stockwerke hoch gehoben werden. Einfache Maschinen wie Hebebäume, Rollen, Krane, Flaschenzüge haben die Ägypter sicher besessen. Es gibt auch ein bekanntes Grabgemälde, das den Transport eines Kolosses darstellt: 172 Mann ziehen an Tauen einen Bretterschlitten, auf dem die 6½ Meter hohe Bildsäule festgeschnürt ist; unterlegte Lederstücke schützen sie vor dem Abscheuern durch die Stricke; auf dem Piedestal steht einer, der Wasser ausgießt, um zu verhüten, 196 daß die Planken sich durch die Reibung entzünden, ein Aufseher gibt, in die Hände klatschend, den Takt an, Leute mit Werkzeugen und Wasserträger folgen. Sollten die Pyramiden wirklich auf diese primitive Weise zustande gekommen sein, so würde dies an die fabelhaften Leistungen gewisser Insekten erinnern. Der Entomolog MacCook hat die Nester einer pennsylvanischen Ameisenart gemessen und ausgerechnet, daß sie im Vergleich zu den Dimensionen des Insekts vierundachtzigmal so groß sind wie die Cheopspyramide. Und dabei enthielt die Stadt, die die Tiere angelegt hatten, sechzehnhundert solche Nester; »neben solchen Siedlungen«, fügte MacCook hinzu, »sind London und New York bloße Dörfer«. Was die staunenswert exakte Bearbeitung der Bausteine anlangt, so kann an die Bienenzelle erinnert werden, die von so absoluter Regelmäßigkeit ist, daß Réaumur sie als internationales Normalmaß vorschlug. »Wenn«, sagt Maeterlinck in seinem wundervollen Buch über das Leben der Bienen, »ein Geist aus einer anderen Welt auf die Erde herabstiege und die vollkommenste Schöpfung der Logik des Lebens zu sehen begehrte, so müßte man ihm die schlichte Honigwabe zeigen.« Übrigens ist das Gehäuse, das sich die gemeine Weinbergschnecke erbaut, ein noch viel beunruhigenderes Problem. Es ist nach den Gesetzen einer Kurve zusammengerollt, welche »logarithmische Spirale« oder Schneckenkurve genannt wird und eine sogenannte transzendente Kurve ist, das heißt: eine, die durch unsere algebraischen Gleichungen nicht ausgedrückt werden kann. Dieses gemeine Weichtier ist also ganz offenbar eine höhere Mathematikerin als der Mensch. In diesen Zusammenhang gehören vielleicht auch die Kunststücke, die seinerzeit die Pferde von Elberfeld vollbracht haben: sie zogen unter anderm mit einer Geschwindigkeit, in der sie die meisten Menschen übertrafen, Quadratwurzeln und Kubikwurzeln aus vielstelligen Zahlen. Man pflegt alle diese Leistungen gerade darum so sehr anzustaunen, weil sie auf bloßer 197 Instinktmäßigkeit beruhen. Man müßte aber umgekehrt sagen: nur weil sie Instinktleistungen sind, konnten sie überhaupt zustande kommen. Je tiefer wir hinabsteigen, desto sicherer sehen wir die Organismen arbeiten; desto enger wird aber auch der Kreis ihrer Tätigkeit, die Domäne ihres Genies. Der Geist geht in die Irre, weil er frei, weil er schöpferisch ist; der Instinkt trifft ins Zentrum, weil er zwangsläufig und unoriginell ist. Die zuverlässigste Art des Funktionierens findet sich an der toten Materie: dem rotierenden Kreisel, dem fallenden Stein, der rollenden Kugel. Der Geist ist deshalb in seiner Herrschaft weniger gesichert, weil er umfassender, weil sein Apparat universeller ist. Der Instinkt ist borniert wie alle Spezialisten. Auch auf dem Gebiet der Kunst erreichen die reichsten und tiefsten Ingenien niemals die technische Vollendung gewisser Virtuosen. Der geschickteste menschliche Handwerker wird mit der freien Hand nie etwas so Vollkommenes wie die Bienenzelle zustande bringen: die Hand vermag es nicht, eben weil sie frei ist. Auch die Marskanäle, falls sie existieren sollten, würden keineswegs für eine höhere Kulturstufe der Marsbewohner sprechen. Und so wären die Pyramiden, die größten Wunder der Baukunst, die in historischer Zeit jemals entstanden sind, »Instinktschöpfungen«?
Man könnte aber das Rätsel auch gerade vom entgegengesetzten Ende her zu lösen versuchen. Wir müssen uns dabei an die »vitale Technik« der Atlantier erinnern. »Urweltliche, andersartig in die Natur schauende Menschenwesen«, sagt Dacqué, »mögen grundlegend andere, uns nur sagenhaft bekanntgewordene Eigenschaften an sich gehabt haben, die uns physikalisch unverständlich sind. So etwa . . . eine Kraft, die sich nach außen werfen und sie dann etwa Steinkolosse von Ausmaßen und auf Entfernungen transportieren ließ, die von der spätzeitlichen Technik für unmöglich erklärt oder beneidet und als Geheimnis angestaunt werden.« Und so wäre vielleicht 198 die Pyramidenzeit der letzte Abglanz jener über die halbe Erde verbreiteten magischen Kultur der Atlantis? Für diese Auffassung spricht manches. Zunächst müßten die Anlagen, wenn sie auf einem Wege zustande gekommen wären, der dem unserer modernen Technik analog ist, immer gigantischer geworden sein: Das liegt im Wesen jedes Maschinenzeitalters. Es verhielt sich aber gerade umgekehrt. Und zweitens hieße es die Kulturentwicklung auf den Kopf stellen, wenn man annehmen wollte, daß der Triumph der Mechanik irgendwo am Anfang gestanden habe. Es ist vielmehr ein völkerpsychologisches Gesetz, daß die Mechanisierung ein Endprodukt ist: aus Kunst wird Können, nicht umgekehrt, wie die dekadenten Zeitalter glauben, in denen das Kunsthandwerk die Hegemonie innehat. Alle »Fortschritte«, alle Erfindungen waren ursprünglich Künste, wie schon der Name sagt: die Heilkunst, die Rechenkunst, die Buchdruckerkunst, die Kunst des Schiffbaus; und zugleich eine Art Zauber. Faust, der Stammvater des »wissenschaftlichen« Menschen, ist selber noch Nekromant, Gutenberg war ein Schwarzkünstler, Kopernikus überzeugter Astrolog. In ihrer Jugend ist alle Chemie Alchimie, alle Naturforschung Mystik, und der Dichter ist in alten Zeiten ein Seher, Beschwörer, Magier; später »können« die Menschen das alles.