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Warum Nietzsche gerade die Figur des Zarathustra zu seinem Mundstück gewählt hat, hat er selbst erklärt: »Zarathustra hat erst im Kampf des Guten und des Bösen das Rad im Getriebe der Dinge gesehen. Zarathustra schuf diesen verhängnisvollen Irrtum, die Moral. Folglich muß er auch der erste sein, der ihn erkennt. Nicht nur, daß er hier länger und mehr Erfolg hat als sonst ein Denker – das Wichtigere ist, Zarathustra ist wahrhaftiger als sonst ein Denker. Wahrheit reden und gut mit Pfeilen schießen: das ist die persische Tugend. Die Selbstüberwindung der Moral aus Wahrhaftigkeit, die Selbstüberwindung des Moralisten in seinen Gegensatz – in mich –: das bedeutet in meinem Munde der Name Zarathustra.« Indes hat Nietzsche, wie jedermann weiß, an die Stelle des alten Dualismus einen neuen gesetzt, den von »gut« und »schlecht«, der mit der zarathustrischen Religion, die ausgesprochen aristokratisch war, gar nicht so unvereinbar ist. Jeder religiöse Genius, und zu diesen zählte Nietzsche, ist notwendig Dualist und Moralist. Die Haupttugenden des Übermenschen: Tapferkeit der Seele, Reinheit und Freigebigkeit des Herzens, Lichtdienst, Stärke des Tuns unter Ewigkeitsverantwortung sind sublimierte awestische.
Daß der Mazdaismus an Totengericht, Himmel und Hölle 764 glaubt, versteht sich nach seiner ganzen Anlage von selbst, und er ist auch bereits zu dem folgerichtigen Gedanken vorgeschritten, daß es, falls gute und böse Taten einander aufwiegen, ein Fegefeuer geben müsse. Als Geschöpf Ormuzds gehört der Mensch von Natur dem Reich des Guten an. Aber er hat in jedem Augenblick seines Lebens das Recht der freien Entscheidung. Von dieser Wahl hängt nicht nur sein eigenes Schicksal, sondern das der Welt ab. Denn jede gute Tat erhöht die Macht Ormuzds, jede böse Tat vermehrt das Reich Ahrimans und verzögert so den Endsieg des Lichts. Die Engel führen darüber genaue Rechnung. Die Grundlage der zarathustrischen Moral bildet die heilige Trias: »gute Gedanken, gute Worte, gute Werke«. Im einzelnen wird besonders Reinheit gefordert, sowohl der Seele wie des Körpers, Aufrichtigkeit und Barmherzigkeit, Pflege des Ackerbaus und des Rinds (die Kuh gilt als Lieblingsschöpfung Ahuramazdas). Als reinstes und alles reinigendes, zugleich lichtspendendes Element wird das Feuer verehrt: Seiner heiligen Flamme auf den Altären darf sich der Priester nur mit Handschuhen und Mundbinde nahen, um es nicht zu verunreinigen, zum Schüren und Anfachen dienen geweihte Zangen und Straußenfächer. Da auch die Leiche unrein ist, so kann sie weder durch Feuer noch in der Erde bestattet werden, und dies führte zu der einzigartigen Sitte, die Toten den Hunden und Vögeln zum Fraß vorzuwerfen. Doch waren daneben auch andere Begräbnisformen üblich, die ebensowenig gegen die Reinheitsgebote verstießen: Die Verstorbenen wurden mit Wachs überzogen und sitzend beigesetzt oder in isolierende Särge gelegt.
Heilige Tiere waren der Hund und der Hahn, dieser vor allem als Morgenbote und Verkünder des Lichts; er hieß in Griechenland lange Zeit der »persische Vogel«. Dem Hunde, lautete das Gebot, soll man das Beste vorsetzen, wie einem Ehrengaste. Ein vieräugiger Hund (der zwei Stirnflecken hatte) 765 vermochte sogar durch seinen Blick die Teufel zu vertreiben. Für die Hochschätzung des Pferds und des Kamels zeugen die männlichen Eigennamen, die mit uschtra, Kamel, und aspa, Pferd, zusammengesetzt sind: so hieß zum Beispiel der Vater des ersten Dareios Vischtaspa (griechisch Hystaspes). Von den Pferden gab es zwei Hauptrassen: die sehr schnelle araboide des Südwestens und die schwere, sehr ausdauernde des Nordostens. Eine spezifisch persische Verwendung fanden die ersteren bei der Post, die letzteren bei den Sichelwagen, die, an der Deichsel und den Rädern mit großen Messern bewehrt und von vier vollständig gepanzerten Rossen gezogen, anfangs großen Schrecken verbreiteten. Geschöpfe des Ahriman hingegen waren die Mäuse des Hauses und Feldes, die Schlangen und Frösche, Raubtiere und Insekten; ihre Vertilgung war religiöse Pflicht.
Als die oberste Pflicht aber galt das Vermeiden der Lüge, und in diesem Zusammenhang war auch das Schuldenmachen untersagt, weil es sehr leicht dazu nötigen kann, die Unwahrheit zu reden. Von den Parsi in Bombay, den einzigen echten Nachkommen der einstigen Zarathustrajünger, gilt noch heute in der ganzen Geschäftswelt der Handschlag für eine sicherere Garantie als jeder Vertrag; auch ist ihre Freigebigkeit sprichwörtlich. Eine andere Eigenschaft der Perser, die nicht minder das Staunen der Hellenen erregte als ihre Wahrheitsliebe, war ihre Ritterlichkeit gegen Feinde und ihre Milde gegen Besiegte: das Verbrennen der Tempel, sagten sie, hätten sie von den Griechen gelernt; sie griffen dazu übrigens nur gelegentlich, um ein Exempel zu statuieren oder den Gegner einzuschüchtern. Auch die Knabenliebe war im Awesta verpönt, freilich ohne sonderliche Wirkung, der Weingenuß aber erst im Koran: Er bildete neben Jagd, Würfelspiel und Wettrennen das Hauptvergnügen der Perser, sie beraten sich, berichtet Herodot, beim Trunk, überprüfen es aber dann in der Nüchternheit: eine gar 766 nicht so unweise Methode. Alles zusammengefaßt ist der Zoroastrismus, im Gegensatz zu sämtlichen Glaubensformen des Altertums mit Ausnahme des Hinduismus, eine universalistische und eine Vaterreligion und, im Gegensatz zu diesem, eine Religion der Tat. Inder und Iranier bildeten ursprünglich ein gemeinsames Volk, die Arier im engeren Sinne, und es ist, als hätte die Natur zeigen wollen, wie aus derselben Wurzel zwei polar entgegengesetzte Weltbilder und Lebensformen zu entstehen vermögen. Perser, Meder und Parther waren bloß Zweige des iranischen Stammes, nicht verschiedener als Franken, Schwaben und Bayern.