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Das Neolithikum, das man auch schlechtweg als Steinzeit im engeren Sinne bezeichnen kann, entspricht, grob gerechnet, dem Alluvium bis zum Beginn der Metallzeit: sein Anfang fällt also in das Abklingen der letzten Eiszeit. Nicht so eindeutig läßt sich sein Ende bestimmen. In Ägypten und Mesopotamien fand es bereits um 4000 vor Christus seinen Abschluß, in Mittel- und Nordeuropa um 2000, in Ozeanien besteht es noch heute. Doch sind gerade die Ozeanier ein Beweis dafür, daß Metall und Kultur durchaus nicht Begriffe sind, die sich gegenseitig bedingen: ihre Technik des Mattenflechtens zum Beispiel und ihre Kunst, aus Baumbast zartesten »Batist« und gediegenstes »Leder« zu erzeugen, hat auf der ganzen Erde kein zweites Beispiel.
Als allgemeinste Merkmale des Neolithikums gelten: der Gebrauch von Steinwerkzeugen, die bereits (mit feinem Sand) geschliffen sind, der Betrieb der Töpferei (mit Bevorzugung der Flechtmuster, offenbar als Erinnerung an die bisher verwendeten Korbgefäße), der allmähliche Übergang von der 90 alleinigen Verproviantierung durch »Okkupation« (Jagd und Sammeln) zu Ackerbau und Viehzucht und die Leichenverbrennung, die zwar nicht allgemein, aber vielfach verbreitet ist, auch in Amerika. Das Rentier, dem es in Mitteleuropa zu warm wird, wandert nach Norden ab und wird durch den Hund ersetzt, der wahrscheinlich vorher noch nicht Haustier war. Ob auch das Pferd von Anfang an gezähmt war, ist ungewiß; auf Zeichnungen erscheint es bereits im Aurignacien. Rind, Schaf und Ziege waren sicher schon domestiziert.
Die Endgrenze der Steinzeit deckt sich mit der Vorgeschichte nicht so allgemein, daß es prinzipiell erlaubt wäre, zu sagen: Mit dem Metall beginnt die eigentliche Geschichte. In Mittel und Nordeuropa zum Beispiel, wo die Bronze bereits im zweiten Jahrtausend der vorchristlichen Ära in Gebrauch steht, reicht die Vorgeschichte bis zum Anfang unserer Zeitrechnung. Ebensowenig aber kann man sagen: erst mit dem Verlassen der Vorgeschichte hebt wahres Wissen an. Auch die Prähistorie ist eine Wissenschaft, sie ist nur keine historische Wissenschaft. Denn die Historie hat es immer mit der Individualität, mit der Einmaligkeit zu tun: auch wenn sie Kollektiverscheinungen, Massenereignisse betrachtet, sind es doch stets solche, die mit diesem Gesicht und Gang nie vorher da waren und nie wiederkehren werden. Die Menschen der Urzeit aber sind für uns eine körperlose Geisterschar: stumm, ohne Antlitz, ein Nebelschwaden. Nur durch Winke und Zeichen, die meist rätselhaft sind, künden sie uns ihr Dasein. Trotzdem ginge man viel zu weit, wenn man die Vorgeschichte als Objekt der Forschung überhaupt nicht anerkennen wollte. Das war das Vorurteil eines druckenden und nichts als druckenden Zeitalters, dessen Wortidolatrie nur an Geschehnisse glaubte, die aufnotiert waren, und daher die Geschichte dort aufhören ließ, wo die Philologie nichts mehr zu beißen hat. Den Gedanken, daß es auch schriftlose Kulturen gegeben haben könne, die den 91 toten Buchstaben nicht brauchten, weil sie ihn durch das lebendige Gedächtnis ersetzten, hätte ein exzerpierendes, kollationierendes, rubrizierendes, Kommentare kommentierendes Jahrhundert mit überlegenem Lächeln zurückgewiesen. Erst die jüngste Zeit hat sich zu der Erkenntnis durchgerungen, daß der Grundriß eines Hauses, die Verzierung eines Gefäßes, die Anlage eines Grabes oder Altares ebenfalls ein historischer Bericht ist, der an Gewicht einer Inschrift oder Chronik durchaus gleichkommt. Aber nur an Gewicht, nicht an Gehalt; denn die primitivste oder dunkelste Rede des Menschen sagt uns mehr von seiner Seele als alle seine Schalen, Trachten, Schwerter und Idole. Wie er seine Tracht trug, welche Idee im Idol lag: das wünschen wir zu erfahren. Es wird also doch in einem gewissen Sinne bei den Worten des weisen Ranke bleiben: Vorgeschichte ist Naturwissenschaft oder Religion; wir haben nur die beiden Möglichkeiten, uns in ihren schönen Formenschatz liebevoll beschreibend zu versenken oder vor ihren geheimnisvollen Botschaften ehrfurchtsvoll zu verstummen.
An die Stelle der »Leitfossilien«, die den Paläontologen durch das Labyrinth der Erdgeschichte führen, tritt in der Steinzeit die Keramik mit ihren Schnur-, Band-, Rankenmustern. Auf die ebenso komplizierte wie kontroverse Einteilung in Perioden und Kreise gehen wir nicht näher ein. Das Neolithikum war eine Zeit der Völkerwanderungen. Künstlerisch stand es zweifellos unter dem Spätpaläolithikum. Jedermann bekannt sind die Pfahlbauten, auf hohen Holzrosten über Seen, Mooren, Flußtälern, aber auch über festem Boden errichtete Wohnstätten, ursprünglich wohl zum Schutz gegen wilde Tiere angelegt. Sie lassen sich bis in die Tropen verfolgen. Ebenso finden sich überall die Einbäume, aus großen Baumstämmen gehöhlte Boote. Die Untersuchung der Küchenabfälle, die besonders im Norden sehr reichlich zutage gefördert worden sind, zeigt uns, daß der Mensch der Pfahlbauzeit schon Gerste und Weizen, 92 Hirse und Erbsen, Holzäpfel und Wein baute, daß er nicht bloß reichlich Fische, sondern auch Austern, Miesmuscheln und Strandschnecken speiste und daß er sich, mit Ausnahme des Geflügels, fast alle heutigen Haustiere hielt; auch die Zucht des Pferdes, die nach dem Süden erst viel später gelangte, war ihm schon vertraut. Umgekehrt ist die Katze erst ein spätes Geschenk des Orients an Europa. Die Pfahlbauten bildeten bereits Dörfer; bei ihren größeren Anlagen ist die Gliederung in Herrenhaus, Verwaltungsgebäude, Viehstall und Getreidespeicher deutlich zu erkennen. Ein besonderes Charakteristikum der späteren Steinzeit sind die Hünenbetten oder Megalithgräber, die auch nach einem keltischen Wort, das soviel wie »Steintische« bedeutet, Dolmen genannt werden: aus Felsplatten erbaute Grabkammern in Form künstlicher Hügel, zu denen Alleen von obeliskenartigen Denksteinen führen, die sogenannten Menhire oder »langen Steine«. Ihre Fundstätten erstrecken sich von England bis Nordafrika. Bezeichnend für weite Gebiete ist auch der Dolchstab, eine Metallklinge, die rechtwinklig in einen Holzstiel eingelassen ist, Nachkomme der Axt, Vorläufer des Schwerts; neue Formen sind: Ledergefäße, große Tonfässer, auch zur Bergung von Hockerleichen, Kugelflaschen, Tulpenbecher, »Kaffeetassen«, ja es gibt sogar schon die Anfänge einer Similimanufaktur, indem roter Ton durch Politur Kupfer imitiert.