Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Der Fall Milets

Die Tendenz des persischen Imperialismus wies gebieterisch nach Westen. Nachdem der gesamte lydische Besitz in die Hände der Achämeniden übergegangen und sogar Ägypten erobert war, war ein Angriff auf die Balkanhalbinsel nur eine Frage der Zeit. Die Lage der ionischen Griechen war keineswegs drückender als unter Kroisos: Die Perser beschränkten 771 sich darauf, Tyrannen einzusetzen, von denen sie annahmen, daß sie ihnen aus Dank ergeben sein würden, und beließen den Städten im übrigen ihre völlige Freiheit, sogar das für die Hellenen wichtigste Recht, sich untereinander befehden zu dürfen. Aber gerade jene Tyrannen schürten zum Aufstand, der im Jahr 499 ausbrach, gegen den dringenden Rat des völkerkundigen Hekataios von Milet, der vergeblich anhand seiner Weltkarte die Aussichtslosigkeit des Unternehmens darlegte. Auch Athen sandte Schiffe zur Unterstützung, während Sparta besonnen genug war, sich fernzuhalten. Der Überfall auf Sardes, die Residenz des Satrapen, gelang: die Stadt ging in Flammen auf. Aber auf dem Abmarsch wurde das griechische Aufgebot bei Ephesos von den Persern vollständig geschlagen. Nachdem sie auch der Flotte der Aufständischen in der Bucht von Milet bei der Insel Lade eine entscheidende Niederlage beigebracht hatten, schlossen sie die Stadt zu Wasser und zu Lande ein und erstürmten sie, 494. Da sie die Seele des Aufruhrs gewesen war, wurde sie niedergebrannt und ihre Bevölkerung deportiert, wie dies etwa ein Jahrhundert früher Jerusalem von den Chaldäern widerfahren war. Milet hat im Altertum noch eine zweite Blüte erlebt, heute aber ist es ein armseliges Mückendorf und der Hafen, in dem drei Weltteile ihre Schätze tauschten, zum tristen Weideland versandet, aus dem die einstige Insel Lade wie ein Totenhügel emporragt.


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