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Auch in der Wahl ihrer Kolonien zeigten die Phoiniker eine Vorliebe für Vorgebirge, küstennahe Inseln und Landzungen: Ihre Pflanzstädte waren bloße Seeburgen und Stützpunkte, vom Kontinent aus möglichst unangreifbar, vom Meer aus möglichst leicht erreichbar, ohne jede Ambition einer wirklichen Aufschließung und Besiedlung des Landes. Sie haben niemals etwas anderes gegründet als periphere Niederlassungen mit Forts und Faktoreien, die lediglich der Monopolisierung des Handels und der Sicherung der Seelinien dienten. Übrigens konnten sie es schon darum zu keiner entscheidenden historischen Bedeutung bringen, weil ihre Kopfzahl zu gering war; es ist dasselbe Mißverhältnis, das zum Beispiel auch den imposanten Vormarsch Schwedens im siebzehnten Jahrhundert zu einer bloßen Episode gemacht hat. Und außerdem gebrach es ihrer Zähigkeit und Geschicklichkeit an jeder höheren politischen oder gar ethischen Idee. Sie waren die versatilen und versierten Zwischenhändler der Antike, und weiter nichts. Daß man lange Zeit darüber anders zu denken pflegte, hat seinen Grund darin, daß ebendiese Antike sie in ihrer Eigenschaft als Erfinder sehr stark überschätzt hat, indem sie die Vermittler mit den Urhebern verwechselte.
291 Ihre erste große Expedition dürfte die Landung auf Zypern gewesen sein. Hierdurch gewannen sie ein seestrategisch sehr wertvolles Vorland und eine unerschöpfliche Reichtumsquelle, denn die nirgends sonst so ergiebige Förderung jenes Metalls, das von der Insel noch heute seinen Namen führt, verlieh ihnen für die damalige Zeit und Welt fast eine Art Kupfermonopol. Ein ähnlicher Erfolg gelang ihnen später durch direkte Verbindung mit Britannien, von wo fast der ganze alte Handel mit dem für die Bronzeerzeugung so wichtigen Zinn versorgt wurde. Ob sie aber selber bis zu den »Zinninseln« gelangt sind, ist mehr als fraglich. Es ist sogar möglich, daß das Ganze nur ein Geschäftstrick war und sie das minderwertige spanische Zinn, das sie sich von ihrer Kolonie Gades aus leicht beschaffen konnten, für nordisches ausgegeben haben, um es dadurch konkurrenzfähiger zu machen. Ebensowenig ist die Tatsache, daß sie auch im Bernsteinhandel führend waren, ein Beweis dafür, daß sie die Nordsee erreicht haben. Hingegen haben sie schon sehr früh an der Südküste Kleinasiens stattliche Handelsimperien gegründet, die bei den Ägyptern »die Eilande des Nordens« hießen, denn diese Landratten glaubten, da oben gebe es nichts als Inseln. Ob sie sich vor dem letzten vorchristlichen Jahrtausend bereits am Nordrand Afrikas ausgebreitet hatten, läßt sich nicht sagen.
Die bedeutendsten Errungenschaften, die die Alten den Phoinikern zuschrieben, sind die Schrift, das Glas und der Purpur. Daß die Einführung der Buchstaben und die Herstellung von Glasflüssen den Ägyptern zu verdanken ist, haben wir bereits gehört. Purpurschnecken finden sich an der phönizischen Küste besonders zahlreich; ihr Saft ist bei den kleineren Exemplaren dunkelrot, bei den größeren fast schwarz, bei den Trompetenschnecken scharlachrot. Eine griechische Anekdote erzählt, daß eines Tages einem Hirten, der am Meeresstrande trieb, sein Hund mit bluttriefendem Maule entgegengerannt 292 kam: er hatte aber bloß eine Schnecke zerbissen. Der Begriff »purpurn« umfaßte im Altertum eine ganze Farbenskala: durch Mischung, Verdickung und Verdünnung vermochte man alle möglichen Nuancen zu erzeugen, vom zartesten Hellrot bis zum tiefsten Blauschwarz. Als die feinsten Sorten galten der »doppelt gefärbte« tyrische Blutpurpur und der violette Amethystpurpur. Der griechische Name Φοίνικες kommt von φοινός, »dunkelrot; und »purpurfarbig« heißt auf griechisch φοινικοῦς. Derselbe Wortstamm phoinos kehrt in der lateinischen Bezeichnung Poenus, der Punier, wieder. Doch ist es auch denkbar, daß sowohl Griechen wie Römer den Phoinikern wegen ihrer rötlichbraunen Hautfarbe diese Namen gegeben haben. Übrigens nannten die Hellenen auch die Dattelpalme phoinix, weil sie deren Früchte zuerst von den Phoinikern bezogen hatten; ebenso hieß bei ihnen ein aus Kleinasien importiertes Saiteninstrument. Und hier dürfte auch der Schlüssel für die Lösung des Purpurproblems zu finden sein: die Phoiniker waren die fixen Exploiteure und Lieferanten aller dieser schönen Dinge. Der Purpur, der im Altertum so teuer war, daß selbst Wohlhabende sich mit einem breiten Streifen am Gewande begnügen mußten, hat übrigens für uns seinen Nimbus völlig eingebüßt: man ist jetzt imstande, die verschiedenartigsten lichtechten Imprägnierungen nicht nur sehr billig herzustellen, sondern auch in viel satteren und glänzenderen Farben; Purpurmäntel, wie sie früher nur ein Großkönig trug, besitzt heute jedes kleine Stadttheater.
Die phönizische Schrift war eine tatsächliche Verbesserung der ägyptischen, die, wie wir uns erinnern, Wortbilder, Silbenwerte, Deutzeichen und Konsonanten durcheinander gebrauchte, während jene eine reine Buchstabenschrift war, bestehend aus zweiundzwanzig Zeichen, die aus einfachen Strichen und Kreisen kombiniert waren. Doch bedeutete diese Restriktion und Rationalisierung der blühenden Hieroglyphenfülle 293 einen rein praktischen, verkehrstechnischen Fortschritt, wie er einem kaufmännisch orientierten Denken eben nahelag. Die Maße und Gewichte, deren Erfindung man ebenfalls auf sie zurückführte, hatten die Phoiniker aus Babylonien. Daß sie tüchtige Rechner waren, versteht sich, aber erfunden haben sie auch hier nichts; sie waren auf allen Gebieten bloß die fingerfertigen Kolporteure. Dasselbe gilt von ihrem Kunsthandwerk: es war kostbarer Schund, schlaue Spekulation auf den gefallsüchtigen Negergeschmack des großen Haufens und seine Affenfreude an Glanzplunder, Modeindustrie, auf flotte Bedienung einer Allerweltskundschaft abgestellt, in allen Stilen zu Hause, aber nur zur Miete, dabei alle barbarisch vermischend und ebendarum international erfolgreich: phönizische Stickereien und Schmucksachen, Möbel und Tischgarnituren, Toiletten und Spielsachen eroberten die ganze Mittelmeerwelt. Die Phoiniker haben niemals eine eigene Kunstproduktion entwickelt, sondern immer nur, der Konjunktur folgend, eine imitierte ägyptische, assyrische, persische, griechische. Und ebenso entlarvend wie ihre Kunst ist ihre Religion: Zwischen Gott und Mensch besteht ein pures Geschäftsverhältnis des do, ut des, eine Art Kontokorrent, und es herrscht der Glaube, daß sich durch korrekte kultische Leistungen die Gunst der höheren Mächte geradezu erzwingen läßt.