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In die Zeiten des Mittleren Reiches fallen auch die Anfänge einer wissenschaftlichen Literatur. Dem Ägypter galt alle Wissenschaft als Gottesgabe; daher befand sie sich von Anfang an in den Händen der Priester und ihr Lehrort war die Tempelschule. Es ist merkwürdig, daß dasselbe Ägypten, das der Stilkunst eine ausschweifende Wertschätzung entgegenbrachte und im Schriftkundigen den höchsten Stand bewunderte, sich niemals mit Grammatik befaßt hat. Hingegen war die elementare Mathematik recht gut ausgebildet: dies lehrt der Papyrus Rhind, der auf eine Vorlage aus der zwölften Dynastie zurückgeht. Dort werden eine ganze Reihe praktischer Rechenaufgaben gestellt und gelöst, Multiplikation und Division gelehrt, allerdings nur als ein kompliziertes Addieren und Subtrahieren, Brüche aneinander gemessen, aber (außer ⅔ und ¾) nur solche mit dem Zähler 1. Ferner verstanden die Ägypter die Berechnung des Flächeninhalts eines Rechtecks (aus den beiden ungleichen Seiten), eines rechtwinkligen Dreiecks (als halbes Rechteck) und des Kreises mittels der Zahl 31/7, die π ziemlich nahekommt. Für 1, 10, 100, 1000, 10 000, 100 000 und eine Million hatten sie besondere Zeichen, die übrigen Zahlen bezeichneten sie durch entsprechende mehrfache Setzung, also zum Beispiel 4241, unser ältestes Datum der ägyptischen Geschichte, durch 4 Tausender, 2 Hunderter, 4 Zehner, einen Einser; doch verbanden sie in der Praxis schon von 10 000 an mit hohen Zahlen nur sehr allgemeine Vorstellungen. Ein Einmaleins besaßen sie nicht, da sie sehr geübte Fingerrechner waren. In der Medizin hatten sie Spezialisten für alle möglichen Krankheiten; es war dies aber vielleicht mehr in ihrer pedantischen Geistesart begründet als in einer besonderen Genauigkeit ihrer Kenntnisse: ihre anatomischen Begriffe zumindest waren sehr beiläufig, schon weil Untersuchungen durch Leichensektion aus religiösen Gründen völlig undenkbar waren. Sehr beliebt waren Diätkuren und Wasserkuren, vor allem aber 218 Brechmittel und Lavements. Im übrigen huldigte die ägyptische Heilkunst einer ausgesprochenen »Polypharmazie«: je mehr Medikamente, desto besser; auch gab es viele recht ekelhafte, die offenbar symbolische Bedeutung hatten: Würmer, Fischgräten, Schweinezähne, Schlangenfett, Eidechsenblut, Katzenharn, Kot von Eseln, Hunden, Fliegen. Auch bestimmte Steine und Metalle galten als Krankheitsvertreiber, kurz: es war eine richtige Hexenküche. Dies um so mehr, als der Arzt sich stets als eine Art Beschwörer und Exorzist empfand: nie ordinierte er ohne ein umständliches Ritual. Jedoch seit man erkannt hat, welche große Rolle bei aller Therapie die Suggestion spielt und welche geheime Heilkraft vielen »Bauernmitteln«, ja sogar manchen Ingredienzien der verrufenen »Dreckapotheke« innewohnt, wird man vielleicht über die ägyptischen Heilkünstler, die im ganzen Altertum das höchste Ansehen genossen, nicht mehr so naserümpfend hinweggehen wie bisher. Zudem können wir nicht wissen, über wieviel wirkliche Magie sie noch verfügten.