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Dieser Konventionalismus (im Grunde abermals ein infantiler Zug; man hat immer den Eindruck: die Ägypter spielen Erwachsene) hat auch die größte und eigenste Leistung der ägyptischen Kultur, die bildende Kunst, von Anfang bis Ende beherrscht. Die Plastik zum Beispiel kennt nur ein einziges Gruppenbild: Vater, Mutter, Kind; die eheliche Verbundenheit wird stets dadurch ausgedrückt, daß der Mann den Arm um die Schultern der Frau oder seine flache Hand auf die ihrige legt; das Kind ist meist unverhältnismäßig klein, ja nicht selten ist auch die Gattin bedeutend kleiner. Die stehenden Figuren sind fast immer an eine rechteckige Platte gelehnt, bei den sitzenden bilden die Beine einen Block, und hier wie dort werden die Arme dicht an den Leib gepreßt: auch dies beruht nicht etwa auf Unbeholfenheit, sondern auf Tradition aus einer Zeit, wo das Material oder Anfängertum es noch notwendig gemacht hatte. 251 Besiegt der König einen Feind, so ist dies immer dadurch bezeichnet, daß er ihn am Schopf packt. Auch für den Schreiber (der vielleicht ein Vorleser ist) gibt es nur eine einzige Stellung: Er sitzt mit untergeschlagenen Beinen, über dem weißen Schurz die gelbe Papyrusrolle, die Hände aufliegend, den Blick geradeaus. Die Stirnlocke und der Finger im Mund bedeuten »Kind«, und so kann es mitunter vorkommen, daß ein erwachsener junger Mann den Finger in den Mund steckt, zum Zeichen, daß er noch ein Prinz ist; und selbst der thronende Horus muß seine Sohnschaft auf diese Weise zur Schau tragen. Auch hat man schon früh bemerkt, daß die Schreitenden immer das linke Bein vorsetzen: vielleicht war »links« ein gutes Omen (so daß also die Ägypter sich gehütet hätten, mit dem rechten Fuß aus dem Bett zu steigen), vielleicht aber auch geht es auf die alte Schrift zurück, in der die Hieroglyphen stets nach rechts blickten; um Überschneidungen zu vermeiden, mußte dann stets der vom Beschauer abliegende Fuß vorgestreckt werden, und dies war eben der linke. Es gibt aber auch noch andere Gründe für die »Starrheit« der ägyptischen Rundbildnerei als den Traditionalismus. In Ägypten sind alle Großplastiken entweder selber eine Art Bauwerke, wie der Sphinx und die Memnonskolosse, oder Bauteile, integrierende Bestandteile des Raumeindrucks, als die sie sich von Säule, Türfüllung, Wandbekleidung nicht grundsätzlich unterscheiden, und daher, wie alle Architektur, »geronnenes Leben«. Darum sind sie mehr oder weniger geometrische Gebilde, die zum Winkel tendieren. Bezeichnend hierfür ist zum Beispiel der »Würfelhocker«: die kauernde Figur, die genau einen Kubus ausfüllt, und die Gepflogenheit, geballte Hände Walzen, sogenannte »Füllungen«, halten zu lassen, wodurch ebenfalls ein stereometrischer Eindruck entsteht. Auch die viereckige Rückenplatte geometrisiert. Zudem war in Ägypten alle große Kunst religiös, magisch; sie mußte daher ganz unausbleiblich zu allen Zeiten stilisiert, konservativ, 252 hieratisch, »ägyptisch« sein. Alles Lebende ist vergänglich, Organismus ist Stoffwechsel. Ewigkeitscharakter wird der Form verliehen, wenn man sie dem Unorganischen annähert, versteinert, kristallisiert. »Das Leben der Götter ist Mathematik«, sagte Novalis. Die Kleinkunst der Ägypter, die dem bloßen Schmuck diente, trägt alle diese Züge nicht: sie ist graziös, kokett, gelöst, filigran, eine Art »japonisme«. Daß aber die ägyptischen Bildwerke doch nicht tot wirkten, dafür sorgte schon die Farbe, die niemals fehlte und in diesem Lande, wo die Sonne ganz anders koloriert als bei uns, sich viel mehr erlauben konnte (selbst Goethe sagt in seiner »Italienischen Reise«, obgleich längst Klassizist: »unter einem recht heitern und blauen Himmel ist eigentlich nichts bunt«). Auch die Augen waren sehr lebhaft nachgebildet: Sie bestanden aus silbergefaßtem Bergkristall mit einem Metallknopf in der Mitte, an den Großfiguren der Reliefs aus Email, bei dem berühmten goldenen Sperberkopf der Memphitenzeit, einem Wunderwerk edelster Natursynthese, aus rotem Jaspis. Bei jenen Gesteinsarten, die durch ihre natürliche Färbung die Bemalung überflüssig machten, kam als Steigerung die leuchtende Politur hinzu; wie geschätzt sie waren, geht daraus hervor, daß man in Holz und Kalkstein Rosengranit imitierte. Die Hauptfarben der Flachmalerei waren Weiß aus Gips und Eiklar, Gelb aus Ocker, Blau aus Lapislazuli, Grün aus Malachit, Rot aus Zinnober, Braun aus Tonerde, Schwarz aus gebranntem Elfenbein. Auch das Gold empfand der Ägypter als ein Stück der Palette. Doch war seine Malerei bloße Illumination, ein Austauschen der Flächen. Zwischen Gemälde und Relief machte er keinen Unterschied, oder vielmehr: Er faßte alles als Relief auf; selbst einfache Bilder umzog er mit roten oder schwarzen Konturen, so daß sie wie ausgemeißelt wirkten. Auch die verschiedenen Reliefarten behandelte er als ganz gleichwertig; eine davon: das versenkte Relief oder relief en creux, kommt sonst nirgends vor. 253