Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Hochsteinzeit

Man könnte die vordynastische Zeit auch kurz als eine »Hochsteinzeit« bezeichnen, denn die Steintechnik hat damals einen Gipfel erreicht, der einzig dasteht. Die Gefäße sind auf das ebenmäßigste gerundet und poliert, die Griffe, die Ösen, die Ausgußröhren aufs präziseste gearbeitet. Die Kämme, die Anhänger, die Schminkplatten, in originellen Tierformen, sind vollendete Kunstwerke. Dabei wagte man sich an die härtesten Gesteine: Granit, Porphyr, Diorit. Bei Waffen und Werkzeugen dominiert der Feuerstein. Die Messer und Sägen, Äxte und Lanzenspitzen, Pfeile und Harpunen sind so spiegelglatt und haarscharf geschliffen, daß sie fast metallisch wirken. Daneben finden sich Goldarbeiten, glasierte Perlen, schöne Fayenceeinlagen, Tongefäße, die mit geritzten und gemalten Mustern und rohen, aber sehr lebendigen Bildern geschmückt und noch mit der freien Hand gedreht sind; später war den Ägyptern der Gebrauch der Töpferscheibe so selbstverständlich, daß sie sich die ersten Menschen auf ihr erzeugt dachten. Hingegen stand der Feuerbohrer schon damals in allgemeiner Verwendung: seine Hieroglyphe bedeutet »Handwerker, Künstler«. Auch »Elfenbein« verstand man zu bearbeiten; es handelt sich jedoch in diesen Fällen meist um Flußpferdzähne. Die Wildstierfüße für Throne und Ruhebetten aus diesem Material sind Höchstleistungen des Kunsthandwerks. Die Nachbildungen von Hund, Affe, Fisch, Frosch, Nilpferd in Ton, Knochen, Stein sind von prachtvollem Naturalismus, doch auch oft von sehr glücklicher Stilisierung.

174 Zum Bauen verwendete man Ziegel, die aus Nilschlamm geschnitten und an der Luft getrocknet waren: ein vorzüglich verwendbares, aber nicht sehr haltbares Material. Die gewöhnlichen Hütten werden nicht viel anders ausgesehen haben als die noch heute von den Fellachen bewohnten. Die Haare trug man kurz und gekräuselt, Wangen und Kinnbart ebenfalls kurz geschoren und spitz zugeschnitten, die Lippen rasiert. Das Abzeichen der Krieger bestand in einem Kopfschmuck aus Straußenfedern, ihre Ausrüstung in Wurfholz und Bogen, Lanze und Schild, Dolch und Streitkolben. Die Hieroglyphen für Bogen und Bumerang zeigen diese Waffen in sehr feiner Silhouette; Keule + Schild bedeutet »kämpfen«. Die Knaben wurden beim Eintritt in die Mannbarkeit beschnitten und trugen von da eine Phallustasche: diese ist, da sie nicht verhüllt, sondern im Gegenteil unterstreicht, sicher nicht auf Schamgefühl zurückzuführen (das überhaupt in seiner heutigen Form dem Altertum unbekannt war), sondern hat ihren Ursprung in der dunklen Tiefe des Religiösen. Es herrschten in jener Zeit noch in jedem Bezirk besondere Götter, ja man kann, trotz der allgemeinen Verehrung des Horus, noch von Gaureligionen sprechen. Alle Gestalten des späteren ägyptischen Pantheons waren ursprünglich Stadtgötter, wie es ja auch anfangs nur souveräne Stadtfürsten gegeben hat; und die Erinnerung daran hat sich auch bis zu einem gewissen Grad immer erhalten: so hat bis in die spätesten Zeiten Amon in Theben besondere Verehrung genossen und Ptah als der Spezialgott von Memphis gegolten. Auf diesen Zusammenhang verweisen auch die »Nomoi« oder Kreise, in die Ägypten eingeteilt war: der zwölfte zum Beispiel hieß der Thotgau, der fünfte der Neithgau. An den Baum- und Tierkult erinnerten Bezeichnungen wie »Sykomorengau«, »schwarzer Stiergau«, aber auch viele ägyptische Eigennamen, die auf uns zum Teil spaßhaft wirken, wie Nilpferdstochter, Kaulquappe, Ichneumon, Affe. Aber beim Ägypter bezeichnet die Vergleichung 175 mit dem Tier niemals eine Herabsetzung; das haben erst die Semiten aufgebracht. Ihm galten die Tiere als geheimnisvolle Schicksalsgefährten und gerade wegen ihres fremdartigen Wesens als verehrungswürdig, Sitz übernatürlicher Kräfte, übermenschlicher Sinne. Der Kult des Apis ist so alt wie Ägypten, und noch von Strabo, der zur Zeit des Augustus Ägypten bereiste, hören wir, daß im Faijum ein heiliges Krokodil lebte, das mit Backwerk, Fleisch und Wein gefüttert wurde: »Wir fanden das Tier am Ufer liegend; während einige Priester ihm den Rachen öffneten, steckte ein anderer ihm den Kuchen hinein, dann den Braten und goß den Wein nach; darauf sprang das Krokodil in den See und schwamm an das jenseitige Ufer.« In der Spätzeit wurden sogar zahlreiche Tiere einbalsamiert und als Mumien auf eigenen Friedhöfen feierlich beigesetzt.


 << zurück weiter >>