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Die Thiniten, mit denen die historische Zeit anhebt, regierten über vierhundert Jahre. Als Begründer der Dynastie gilt Menes. Sein Name ist auf einem Schmuckstück in einer Kartusche erhalten: so nennt man den ovalen Ring: XXX, der in Ägypten zum Schutze gegen Dämonen den Eigennamen oder auch den Ortsnamen als Umrahmung diente. Vielleicht ist der 177 König Narmer auf der berühmten Prunkpalette, die seine Siege verherrlichte, mit Menes identisch. Das Symbol des Königtums, der Horusfalke, sitzt auf einem Rechteck, das die Fassade des königlichen Palastes darstellt und zwei Tore hat, eines für den Norden, eines für den Süden. Dieser Dualismus wird überall festgehalten: in allen Verwaltungsämtern, Magazinen, Büros, Hofchargen. Der König wird häufig zweimal nebeneinander abgebildet, zuerst mit der Krone von Oberägypten, dann mit der Krone von Unterägypten; er konnte aber auch den pschent tragen: XXX, die hohe weiße Krone in die flache rote geschoben. Die großen Opfer in den Tempeln brachte er zweimal dar, ja er hatte sogar zwei Gräber, eines südlich von This, in Abydos, das als Bestattungsort des Osiris galt, und eines bei Memphis. Der später abgestorbene ägyptische Dual, der durch Doppelsetzung desselben Zeichens geschrieben und für alles paarweise Auftretende verwendet wurde: die beiden Sohlen, die beiden Arme, die beiden Ohren, diente auch allen Begriffen, die sich auf die Zweiteilung des Landes bezogen; die allgemeine Hieroglyphe für »Land«, XXX, bedeutete, zweimal gesetzt, Ägypten (die beiden Länder). Auch die hebräische Bezeichnung für Ägypten, misraim, ist ein Dual; der Singular heißt masar. In den Doppeltitulaturen geht das Südland immer voran. Das Delta scheint noch lange unruhig gewesen zu sein, denn Inschriften der ersten und zweiten Dynastie sprechen von »Besiegung der Rebellen des Nordlands«. Es bestand also nur Personalunion; doch wurde der Dualismus allmählich zur reinen Formalität.
Menes gründete an der Grenze zwischen Oberägypten und Unterägypten die Hauptstadt des Alten Reiches, die nach der Farbe des Südens »die weißen Mauern« hieß, womit sie zugleich als Festung bezeichnet wird. Sie war in der Tat als Zwingburg gegen das Deltaland gedacht, was schon daraus hervorgeht, daß sie nach Oberägypten zu offen war. Ihren allbekannten Namen 178 erhielt sie erst viel später, unter der sechsten Dynastie, als König Phiops (oder Pepi) der Erste sich in der Nähe der Stadt seine Pyramide erbaute, die er Men-Nofer, »gute Ruhestätte«, nannte. Daraus entstand dann »Memphis«. Auch die »Fürstenmauer« gegen Asien, in der Gegend des Suezkanals, ist ein Werk der Thiniten.
Der König gilt als Inkarnation des Horus, seine Wohnung heißt »Horizont«, seine Nilbarke »Stern der beiden Länder«; wenn er sich zeigt, geht er auf, wenn er stirbt, geht er unter. Er selbst führt den Titel »der Himmel«, auch paro, hebräisch pharao: »das große Haus«. Diese unpersönliche Bezeichnungsweise hat sich in Ausdrücken wie der Heilige Stuhl, die Hohe Pforte bis zum heutigen Tage erhalten, und wenn wir jemand als »großes Haus« apostrophieren, so sprechen wir, obschon weniger zeremoniös, noch immer ägyptisch. Dem Pharao gegenüber vermied man tunlichst die persönliche Anrede: man spricht nicht »zu« ihm, sondern »vor« ihm, »in seinem Angesicht«, »in seiner Gegenwart« und wählt, wenn man ihn erwähnt, gern Umschreibungen: »man besuchte«, »man befahl«, »man beabsichtigte«; auch von sich selbst gebraucht man nicht die Ichform, sondern nennt sich den »Diener seiner Majestät«. Der König ist der alleinige Eigentümer von allem; was seine Großwürdenträger besitzen, ist ihnen nur geliehen. Er ist das Auge des Landes, dem nichts verborgen bleibt, mit unendlich vielen Ohren begabt, er »versteht besser zu beobachten als die Sonne«. Er ist auch höchster Priester und vollzieht bei allen großen Anlässen: Siegesfeiern, Erntefesten, Tempeleinweihungen das Opfer in eigener Person. Denn unter der ersten und zweiten Dynastie gab es noch keinen selbständigen Priesterstand; auch in der Vorzeit waren die Gaufürsten Oberpriester des Lokalgottes gewesen. Außerdem hatte jedermann die Befugnis, sein eigener Priester zu sein, indem er vor der kleinen Kapelle, die das Bild seines Lieblingsgottes barg, alltäglich 179 Opfergaben niederlegte und seine »Verehrung« rezitierte, bei Krankheit besondere Schutzheilige anrief und bei Genesung ihnen Dankspenden darbrachte. Daneben aber scheint es schon frühzeitig Berufspriester gegeben zu haben, wenn auch vielleicht nur von subalternem Range. Diese hatten die Aufgabe, die Statue des Gottes, die im Allerheiligsten des Tempels, einer dunklen fensterlosen Kammer, wohnte, jeden Morgen herauszunehmen, durch Niederfallen und Gebet zu begrüßen, zu beräuchern, zu waschen, zu bekleiden und mit einem Mahl aus Brot, Braten und Wein auf blumengeschmücktem Tisch zu bewirten. An anderen Tagen führten sie den Gott in Prozession an den Tempelsee zum Bade oder in die Heiligtümer anderer Götter zum Besuche oder durch die Stadt, um ihn dem Volke zu zeigen. Daneben hatten sie die Aufgabe, das Eigentum und die Einkünfte des Tempels zu verwalten, Träume und Zeichen zu deuten. Eine besondere Klasse bildeten die Vorlesepriester, die der richtigen Betonung und Aussprache der heiligen Texte kundig waren: dem ägyptischen Glauben an Wortmagie galten sie als Zauberer. Es war unvermeidlich, daß sich aus der hohen Wichtigkeit aller dieser Funktionen allmählich ein mächtiger Priesterstand entwickelte.