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Gutes Kopfrechnen gehört zwar theoretisch genommen zur Mathematik, zeigt sich aber in höchster Steigerung gewöhnlich bei Personen, die sonst eine deutliche Befähigung zur mathematischen Wissenschaft nicht hervortreten lassen. Ebenso 29 häufig ist die umgekehrte Erscheinung. Ein Lumen des Fachs, wie weiland der Professor Ernst Kummer, von 1855–1884 Zierde der Berliner Universität, geriet in tödliche Verlegenheit, sobald sich im Lauf seiner Vorlesungen die Notwendigkeit des Zahlenrechnens einstellte, und stockte vor Aufgaben, die ins Gebiet des kleinen Einmaleins fallen; während z. B. Professor Schlömilch zu Dresden im Kolleg, wenn vielstellige Multiplikationen auftraten, das Resultat ohne Zwischenrechnung von rechts nach links oder von links nach rechts mit Leichtigkeit hinschrieb.
Aber die eigentlichen Zahl-Athleten bilden, wie gesagt, eine Klasse für sich, eine Sondergattung ohne die höhere Geistigkeit des forschenden Mathematikers. Sie operieren anscheinend mit einem besonderen, abkürzenden Sinn. Der bekanntesten einer, der Hamburger Künstler Zacharias Dase (1824–1861), vermochte auf einen einzigen Blick von weniger als Sekundendauer die Anzahl der Ziegel oder Schindeln auf dem Dach eines Hauses mit Sicherheit anzugeben.
Mit ganz außerordentlichen Leistungen trat im vorigen Jahrzehnt der Rechenkünstler F. A. Heinhaus vor das deutsche Publikum. In seinem Programm befanden sich folgende Kopfrechnungsaufgaben, die in der Regel fehlerlos und mit Blitzesschnelle gelöst wurden:
Erheben von Zahlen unter 100 zur dritten und vierten Potenz;
Die Quadratwurzel aus 6- bis 8-ziffrigen Zahlen unter genauer Angabe des Rests auszuziehen, sowie die Kubikwurzel aus aufgehenden 9-ziffrigen und nicht aufgehenden 6-ziffrigen Zahlen, ebenfalls unter genauer Bezeichnung des Rests;
Reduktion irgend welcher auswärtigen Valuten zu einem beliebigen Kurs in Reichsmark;
Eine vorgelegte Zahl von Jahren bis zu 100, das Jahr zu 365 Tagen gerechnet, in Sekunden auszudrücken;
Ein vollständiges, genau nach Jahren, Monaten, Tagen usw. bestimmtes Lebensalter in Sekunden auszudrücken, mit Berücksichtigung der Schaltjahre und des Wechsels von 30 und 31 Tagen in den Monaten;
Ermittelung des Wochentags eines beliebigen Datums der Vergangenheit oder Zukunft, sowohl aus diesem Jahrhundert als auch aus früheren oder späteren Jahrhunderten vom Beginn der christlichen Zeitrechnung an. –
Bei der Beurteilung des Schwierigkeitsgrads ergeben sich Undurchsichtigkeiten. So wird wohl jeder Laie das Ausziehen einer 5ten Wurzel für schwieriger erachten als das einer Kubikwurzel. Aber gerade bei der 5ten Wurzel liegt für den Kopfrechner eine aus mathematischer Quelle erfließende, 30 ganz entscheidende Erleichterung vor, die es selbst einem sehr mäßig veranlagten Kopf gestattet, das Kunststück auszuführen. Die fünfte Potenz jeder Zahl hat nämlich dieselbe Schlußziffer wie die Zahl selbst. Diese Kenntnis in Verbindung mit einer ziemlich einfachen Gedächtnishilfe gibt in jedem Fall den Schlüssel für jede vorgelegte, höchstens 10zifferige Zahl.
Hierauf beruhte das Glanzstück des Wunderknaben Frank, der damit alle Welt in Erstaunen setzte. Nur wenige Eingeweihte wußten, daß Frank gar nicht nötig hatte zu rechnen, sondern die Lösung als reines Kinderspiel mechanisch aufsagen konnte.