Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Das Buch der 1000 Wunder
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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160. Die Brownsche Bewegung

Quellen: Jean Perrin: »Die Atome«, deutsche Ausgabe von Lottermoser. Verlag Theodor Steinkopf, Dresden und Leipzig, 1914. – Van't Hoff: »Die Lagerung der Atome im Raum«. – Emanuel Lasker: »Atomstudien« in »Das Begreifen der Welt«. Verlag von H. Joseph, Berlin. – H. Vaihinger: »Die Philosophie des Als Ob«. Verlag von Reuther & Reichard, Berlin.

Richtet man ein Mikroskop stärkster Art auf gewisse milchige Flüssigkeiten, Kolloid-Lösungen (von Kollos = Leim), so gewahrt man eine höchst auffällige Erscheinung: man erblickt ein Chaos wirbelnder Körperchen; sie schlängeln sich zu tausenden, verändern regellos die Richtung, und hören in diesem Spiel niemals auf. Im Innern eines verschlossenen Gefäßes, das die Verdunstung abhält, kann man diese Bewegung monatelang, jahrelang beobachten. Sie vollzieht sich in Flüssigkeitseinschlüssen, die sich seit tausenden von Jahren in Quarz befinden. Sie ist ewig und selbsttätig, anscheinend ein Perpetuum mobile.

Schon Buffon und Spallanzani kannten diese Erscheinung, hatten aber in Ermangelung ausreichender Mikroskope ihre Natur nicht erkannt. Der Botaniker Brown entdeckte sie aufs neue, als die ersten achromatischen Objektive aufkamen; nach ihm wurde die Bewegung benannt.

Die ersten Physiker, die sich mit ihr beschäftigten, waren geneigt, in den tanzenden Teilchen eine Art mikroskopischer Tierchen zu sehen; oder ein Seitenstück zu den Stäubchen im Sonnenstrahl. Später gelangte man zu dem unausweichlichen Schluß, daß das Brownsche Phänomen auf Molekularbewegung beruhe und hierdurch ein tiefstes Geheimnis der Natur enthülle.

Sind es nun wirklich die wirbelnden Moleküle, die wir durchs Vergrößerungsglas erblicken?

Ja und nein. Eigentlich sind es nicht sowohl die Moleküle als vielmehr gewisse an der Grenze der Sichtbarkeit befindliche harzige Teilchen, Emulsionskügelchen, deren Existenz uns das Mikroskop verrät. Sie sind groß genug, um durch die Stöße der Moleküle in lebhafte Bewegung zu geraten; einem schaukelnden Schiff am Horizont vergleichbar, das uns noch erkennbar wird und dabei die Meereswellen verrät, die wir aus so weiter Entfernung nicht mehr wahrnehmen können. Es ist also ein Vorgang, der nur indirekt auf einen anderen, tiefer liegenden schließen läßt. Diese in den Raumkreis des Lichts gezwungenen Kügelchen sind tatsächlich die Anzeiger der Ursubstanzen geworden.

Diese wurden nicht nur erschlossen, sondern mit einem überaus hohen Genauigkeitsgrad errechnet, vornehmlich mittels einer durch das Genie Einsteins gefundenen Methode. Experiment und Mathematik vereinigten sich auch hier zu dem schönsten Ergebnis; sie führten zu einer neuen Ermittelung der sogenannten Avogadro'schen Zahl, die über Maße und Zahl der Moleküle und Atome Ausschluß gibt.

Diese Zahl ist das Erkennungsmaß für jene kleinsten Größen, die auf der Grenze zwischen Körper und Nichts stehen. Sie ergab sich als ein Vielfaches 218 (ungefähr 64mal) der Zehn, zweiundzwanzigmal mit sich selbst multipliziert; in ihr sprach sich die Menge der Moleküle aus, die einen gewissen, eng abgesteckten Raum erfüllen. Eine Trilliardenrechnung, die, auf die verschiedenste Weise angegriffen, auch auf Grund der Brownschen Bewegung ihre vollkommene Bestätigung erfahren hat. (Siehe auch den vorigen Abschnitt.)

In dieselbe Gruppe von Erscheinungen wie das Brownsche Phänomen gehört ein anderes Naturspiel, dessen Name einen Widerspruch mit sich selbst darzustellen scheint: die flüssigen Kristalle. Man weiß seit den ausgezeichneten Arbeiten von O. Lehmann, daß es Flüssigkeiten gibt, die in optischer Hinsicht, wenn sie sich im Gleichgewicht befinden, die Symmetrie einachsiger Kristalle zeigen. Unter gewissen Bedingungen beobachtet, bieten sie ein Funkeln an allen Punkten des Gesichtsfelds, das ein schwaches, schnell von Ort zu Ort, von Augenblick zu Augenblick wechselndes Licht gibt. Auch hier walten Molekularbewegungen, die auf die Achsenstellung der kleinsten Teilchen Einfluß ausüben. Zu der Schwierigkeit der Erkenntnis tritt in dieser Erscheinung noch die Schwierigkeit des Worts; aber vielleicht findet man sich mit dem Ausdruck »flüssige Kristalle« noch leichter ab als mit der Substanz, an der diese neuerdings demonstriert wurden; denn diese Substanz führt den abenteuerlichen Namen: Benzolcyanamidozimtsäureäthylester!


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