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Quelle: Dr. Conrad Günther: »Vom Urtier zum Menschen«, erster Band. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart, 1909.
Daß zwei Menschen mit verschiedenen Begabungen sich zusammentun, damit jeder aus der Summe des Könnens von beiden einen größeren Vorteil ziehen kann, ist eine ja nicht gar seltene Erscheinung. Erstaunlicher aber ist es schon, 95 wenn ein solcher Zusammenschluß zweier Kompagnons auf dem Grund des Meers stattfindet und noch dazu zwischen Individuen, die recht tief auf der tierischen Stufenleiter stehen.
Da gibt es unter den Krebsen ein recht bedauernswertes Geschöpf, das durch einen im Krebssinn schweren körperlichen Mangel gezwungen ist, in eigenartiger Weise getrennt von seinen Stammesgenossen zu leben. Es ist das der Einsiedlerkrebs, ein rot gefärbtes, unserem Flußkrebs nicht unähnliches Tier, das jedoch einen weichen von der Schale nicht bedeckten Hinterleib besitzt. Um diesen ungeschützten Körperteil den zahlreichen ihm drohenden Gefahren zu entziehen, steckt der Eremit ihn in eine der vielen leer herumliegenden Schneckenschalen, die er nun zeitlebens mit sich herumschleppt. Bei Gefahr zieht sich der ganze Krebs in das Schneckenhaus zurück und ist dort geborgen.
Nur gegen einen Feind, und zwar gerade gegen seinen Hauptverfolger, nützt ihm dieses Verstecken nichts. Es naht sich ihm der Oktopus, ein Mollusk aus dem Geschlecht der Tintenfische, und mit seinen langen, mit vielen Saugnäpfen versehenen Armen zieht der kräftige Räuber den umsonst sich Sträubenden aus der Schale heraus. Der Einsiedlerkrebs, der schon einmal eine kluge Schutzmaßnahme getroffen hat, möchte sich nun auch vor diesem Schicksal bewahren. Und wenn er es recht überdenkt, fällt ihm ein Tier ein, ein seltsames, sonst ziemlich hilfloses Geschöpf, vor dem er die Oktopusse schon zurückweichen sah. Das Tier ist ein Polyp, Adamsie genannt. Der Polyp streckt, wenn er angegriffen wird, aus seinem Mund lange Fäden gleich Würmern hervor, die mit Nesselorganen besetzt sind und bei Berührung jedes Tier sofort zurückschrecken.
Der Krebs begibt sich also zu einer Adamsiensiedelung, und ohne lange zu zögern, lüpft er mit einer Schere einen der Polypen oder auch mehrere von ihrer Unterlage und setzt sie auf seine Schneckenschale. Die Polypen saugen sich hier sofort mit ihren Füßen fest und begleiten den Krebs nun, wohin er sich wendet. Sucht jetzt ein Oktopus sich an dem Krebs zu vergreifen, so lassen die Adamsien ihre Nesselfäden auf den Arm des Mollusken herunter, und sogleich zieht sich dieser, durch das heftige Brennen seiner Glieder erschreckt, zurück und läßt den also geschützten Krebs in Ruhe.
Dieses Kompagnongeschäft nennt die Naturwissenschaft Symbiose. Beide Tiere haben Vorteile von ihrem Zusammenleben. Der Krebs ist vor seinen Feinden geschützt, und die Adamsie, die sonst warten muß, bis ihr etwas in den Mund fällt, weil sie sich nicht fortbewegen kann, kommt durch ihren Freund an verschiedene Stellen des Meers und kann auch immer etwas von dem auffangen, was der Krebs verzehrt und mit seinen scharfen Zangen zerkleinert. 96