Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Das Buch der 1000 Wunder
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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241. Sonnenfinsternis

In den Sagen aller Völker spielen die Verfinsterungen der Sonne, das plötzliche, anscheinend unvorhersehbare Erlöschen unseres Muttergestirns eine große Rolle. Und das ist wohl begreiflich. Denn es gibt kaum ein erschütternderes Phänomen als dies. Den Wilden muß es niederwerfen in den 335 Staub, ihm rinnende Angst vor den grausam waltenden Naturmächten durch den Körper jagen. Doch auch der Aufgeklärte, der Wissende, beugt wohl das Haupt, wenn über ihn mitten am Tag der himmlische Schatten streicht, den er wohl voraus berechnen, aber doch keineswegs beeinflussen kann.

Von den Nordeuropäern dürften nur wenige in ihrem Leben eine totale Sonnenfinsternis gesehen haben. Und weil die Erscheinung in unseren Breiten so selten ist, werden häufig beim Herannahen des Phänomens von den großen Sternwarten Expeditionen nach günstigen Beobachtungspunkten ausgeschickt. Der bekannte Astronom Dr. Wilhelm Meyer, der Begründer der Berliner Urania, war Mitglied einer Expedition, welche die Sonnenfinsternis vom 30. August 1905 bei Assuan in Ägypten zu beobachten und wissenschaftlich zu verarbeiten hatte. Ihm verdanken wir die folgende Schilderung des großen Ereignisses.

„In den letzten Sekunden nahm die Dunkelheit mit erschreckender Schnelligkeit zu. Als aber erst die letzten, über den mit Bergen besetzten Mondrand hinperlenden Sonnenstrahlen verschwunden waren, vollzog sich in der letzten Sekunde ein so vollkommener Wandel der Szenerie, daß man trotz aller Vorbereitungen völlig davon überrascht war.

Es war wie ein Riß durch die Natur. War es vorher dunkel, so wurde es jetzt im ersten Augenblick plötzlich ganz finster wie in schwarzer Nacht, bis sich das Auge einigermaßen akkommodiert hatte. Ebenso plötzlich, als ob im Lauf der letzten Sekunden durch das transparente Himmelsgewölbe der geheimnisvolle Schein von einem Jenseits herüberglimmte, trat der silberne Strahlenkranz der Korona (des leuchtenden Kranzes um die bedeckte Sonnenscheibe) hervor; es war, als ob dieses Licht jetzt eben erst von der Stelle, wo die Sonne nun gänzlich verschwunden war, ausginge und mit Schnelligkeit in den dunklen Raum hinausgeschleudert würde. Weil der Ort, wo vordem die Sonne stand, jetzt dieselbe Dunkelheit und Färbung wie der übrige Himmel besaß, sogar durch Kontrastwirkung mit der Korona noch etwas dunkler erschien, so hatte man den verwirrenden Eindruck, als ob das Tagesgestirn wirklich aus der Welt gekommen wäre, in nichts zerflossen, diesen gespenstigen Schein rings um die entstandene Leere zurücklassend, und als ob die ganze Natur nur noch eine Schattenexistenz besäße.

Am Horizont lagerte ein düster orangegelber Schein, von den Teilen unserer Atmosphäre herrührend, die nicht mehr vom Kernschatten des Monds getroffen wurden. Dieses gelbe Licht teilte sich den Gesichtern mit, so daß auch die Menschen nur noch wie fahle Schatten aussahen.

Die Pulse der irdischen Natur stockten, sie selbst schien auf ihrem Weg anzuhalten. Man kann sicher sein, daß jeder, auch der Stumpfsinnigste, seine 336 Schritte anhielt, als der Mondschatten über ihn hinwegsauste. Charakteristisch war es in dieser Hinsicht, daß der Maschinenführer eines Zugs, der noch einige Kilometer von dem Bahnhof von Assuan sich auf der Fahrt befand, den Zug unter dem verwirrenden Eindruck der einbrechenden Dunkelheit anhalten ließ, wie vor einem gefahrdrohenden Hindernis. Zwei rote Flammen, Protuberanzen, die über den Mondrand hervorglühten, konnte ich mit bloßem Auge deutlich sehen und einige Strahlenbüschel der Korona in ihrer eigentümlichen Form bis etwa anderthalb Sonnendurchmesser am Himmel verfolgen. Einige Sterne glänzten am Himmel, namentlich Venus.

Aber ehe man es sich versah, viel schneller als man sonst den Eindruck einer Zeitspanne von zweieinhalb Minuten hat, blitzte der erste Sonnenstrahl über den Mondrand hinweg, die Korona zog sich wieder in sich selbst zusammen; schneller, als sie verschwunden war, schien die alltägliche Beleuchtung wiederzukommen.”


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