Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Das Buch der 1000 Wunder
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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119. Selbstbetrug in Trance

Quelle: E. d'Espérance: »Im Reich der Schatten, Licht aus dem Jenseits«. Verlag der Hofbuchhandlung von Karl Siegismund, Berlin, 1901. Z.

Wenn auch keine einzige der vielen in spiritistischen Schriften geschilderten Geistererscheinungen als wissenschaftlich festgestellt gelten kann, so ist es doch nicht immer notwendig, einen absichtlichen Betrug durch das Medium anzunehmen. Meistens wird wohl ein solcher stattfinden, wie die vielen Entlarvungen beweisen, 163 aber es kann auch vorkommen, daß das Medium in gutem Glauben handelt. Befindet es sich doch oft genug während der Sitzungen in einem ganz abnormen Geisteszustand, in einer Selbsthypnose, während der jede Trugvorstellung möglich ist.

Über die Gefühle eines Mediums während des Trance sind wir ganz vorzüglich durch ein eigenartiges Buch unterrichtet, das schon vorher einmal erwähnt wurde (Abschnitt 113). Es ist die Selbstbiographie eines sehr bedeutenden Materialisationsmediums, der Frau E. d'Espérance, betitelt »Im Reich der Schatten«. Nach der ganzen Schilderung kann man nicht daran zweifeln, daß Frau d'Espérance an die Tatsächlichkeit der Geistererscheinungen geglaubt hat, und doch hat sie die Geister selbst gespielt, wie sie in ihrer Schrift, wenn auch indirekt, ganz deutlich erkennen läßt.

In den Sitzungen erschien öfter der Geist Yolande, ein junges arabisches Mädchen von 15 oder 16 Jahren, eine schlanke olivenfarbene Maid, deren Naivität und Grazie viel bewundert wurden.

„Es bestand, so schreibt Frau d'Espérance in ihrem Buch, eine merkwürdige Verbindung zwischen uns. Ich konnte nichts tun, um ihr Erscheinen unter uns zu verbürgen. Sie kam und ging, soweit ich mir bewußt bin, vollständig unabhängig von meinem Willen. Aber wenn sie kam, war sie, wie ich fand, während ihres kurzen materiellen Daseins von mir abhängig. Ich schien nicht meine Individualität, aber meine Kraft und Bewegungsfähigkeit zu verlieren, und, obgleich ich es damals nicht wußte, einen großen Teil meiner materiellen Substanz. Ich fühlte, daß ich in irgend einer Weise verändert war, aber die Anstrengung, logisch zu denken, beeinflußte auf irgend eine geheimnisvolle Art Yolande und machte sie schwach. Je stärker und lebhafter sie wurde, desto weniger Neigung hatte ich, zu denken oder zu folgern, aber die Fähigkeit, zu empfinden, wurde verstärkt bis zu einem schmerzvollen Grad, ich meine nicht in dem physischen Sinn, sondern in dem psychischen. Mein Gehirn wurde anscheinend zu einer Art von Flüstergallerie, wo die Gedanken von andern Personen körperliche Gestalt annahmen und wiederhallten, als wären sie wirkliche, substantielle Gegenstände. Litt jemand, so fühlte ich den Schmerz.

Wenn jemand seinen Sitz verließ und damit die Kette brach, wurde diese Tatsache mir in einer geheimnisvollen, aber unverkennbaren Art mitgeteilt.

Zuweilen verursachten mir Yolandes Wanderungen eine unbestimmte Besorgnis. Sie freute sich augenscheinlich über ihren kurzen Aufenthalt in unserer Mitte und war so kühn, trotz ihrer anscheinenden Zaghaftigkeit, daß ich oft von Furcht gequält wurde über das, was sie vielleicht tun könne, und ein unheimliches Gefühl bemächtigte sich meiner, daß jeder Unfall und jede Unvorsichtigkeit 164 von ihrer Seite auf mich zurückfallen würden; in welcher Weise jedoch, davon hatte ich keine klare Idee. Ich mußte dies später lernen.

Wenn zu irgendwelcher Zeit mein Gefühl von Beunruhigung wirklich die Form eines Gedankens annahm, entdeckte ich, daß dies Yolande zwang, in das Kabinett und zwar immer widerwillig zurückzukehren und zuweilen mit einer kindlichen Unwilligkeit, die zeigte, daß mein Gedanke eine zwingende Macht über ihr Tun ausübte, und daß sie nur zu mir zurückkam, weil sie nicht anders konnte.”

Noch deutlicher ist die Identität von Medium und Geist bei einem Vorfall zu erkennen, den man wohl als eine Entlarvung bezeichnen kann. Frau d'Espérance beschreibt das für sie entsetzliche und folgenschwere Ereignis in ihrem Buch zwar widerwillig, aber in einem schönen Drang nach Wahrhaftigkeit. Es heißt da:

„Ich weiß nicht, wie lange Zeit während der Séance verstrichen war, ich weiß nur, daß Yolande ihren Krug auf ihre Schulter nahm und außerhalb des Kabinetts weilte. Was sich eigentlich ereignete, sollte ich späterhin erfahren. Alles, was ich wußte, war eine schreckliche, qualvolle Empfindung, als wenn ich zusammengeklappt und zusammengequetscht würde; ähnlich, denke ich, müßte eine hohle Guttaperchapuppe, hätte sie Empfindung, fühlen, wenn sie ihr kindlicher Eigentümer heftig umarmt.

Ein Gefühl des Entsetzens und furchtbaren Schmerzes kam über mich, als ob ich den Halt des Lebens verlöre und in irgend einen grauenhaften Abgrund fiele, doch nichts wissend, nichts sehend, nichts hörend, außer dem Echo eines Schreis, den ich wie aus der Entfernung vernahm. Ich fühlte, daß ich immer tiefer sank, und wußte nicht wohin. Ich versuchte, mich zu retten, nach etwas zu greifen, aber verfehlte es. Und dann kam eine Leere, aus der ich mit einem Schauder von Entsetzen und dem Gefühl, als wäre ich zu Tode geschlagen, erwachte.

Meine Gedanken schienen wie verweht zu sein, und nur nach und nach konnte ich sie genügend sammeln, um in einem geringen Grad zu verstehen, was geschehen war. Yolande war erfaßt worden, und der Mann, der sie ergriffen hatte, behauptete, daß ich es sei.”

Auch zufällige Körperzustände des Mediums traten bei dem Geist in genau gleicher Weise auf.

„Ich hatte mir durch einen unglücklichen Zufall meinen Arm verbrannt; beim Anzünden einer Hängelampe war ein Stück des Streichholzes auf mein Kleid gefallen, und der dünne Musselin stand augenblicklich in Flammen. Meine Arme waren bloß, und obgleich die Flamme schnell gelöscht wurde, hatte doch mein Arm schmerzende Brandwunden erhalten . . . Merkwürdigerweise beobachtete 165 jeder, daß Yolande ihren Arm hielt, als ob er verletzt sei, und daß sie, wenn sie zufällig berührt wurde, zusammenzuckte, als ob sie Schmerz empfände.”

Und wie soll man sich die folgende Begebenheit, die Frau d'Espérance in ihrem Buch »Im Reich der Schatten« ebenfalls mitteilt, anders erklären, als dadurch, daß eben Medium und Geistererscheinung ein und dasselbe waren.

„Nun kommt eine andere Gestalt, kleiner, schlanker und mit ausgestreckten Armen. Am entferntesten Ende des Kreises steht jemand auf und kommt ihr entgegen, und die beiden liegen sich in den Armen; dann hört man unbestimmte Rufe, wie »Anna!« »O Anna!« »Mein Kind!« »Mein geliebtes Kind!«

Alsbald steht jemand anderes auf und schlingt die Arme ebenfalls um diese Gestalt; es mischen sich Schluchzen, Ausrufe und Segenswünsche ineinander. Ich fühle meinen Körper hin- und herschwanken, und alles wird dunkel vor meinen Augen. Ich fühle jemandes Arme um mich, obgleich ich allein auf meinem Stuhl sitze. Ich fühle jemandes Herz gegen meine Brust schlagen. Ich fühle, daß etwas vorgeht. Niemand ist mir nahe außer den beiden Kindern. Niemand beachtet mich. Aller Augen und Gedanken scheinen auf die weiße, schlanke Figur konzentriert zu sein, die dort steht, umschlungen von den Armen der beiden schwarz gekleideten Frauen.

Es muß mein eigenes Herz sein, das ich so deutlich schlagen fühle. Doch diese Arme um mich?! Sicherlich empfand ich niemals eine Berührung so deutlich wie diese. Ich fange an, mich zu fragen, welche von beiden ich bin. Bin ich die weiße Gestalt, oder bin ich die, die auf dem Stuhl sitzt? Sind es meine Hände, die sich um den Hals der alten Dame schlingen, oder sind diese meine, die auf meinen Knien vor mir liegen, oder ruhen sie auf dem Schoß der Gestalt, wenn ich es nicht bin, die auf dem Stuhl sitzt?

Sicherlich sind es meine Lippen, die geküßt werden. Es ist mein Gesicht, das von Tränen naß ist, die diese guten Frauen so reichlich vergießen. Doch wie kann dies sein? Es ist ein schreckliches Gefühl, also den Halt seiner Persönlichkeit zu verlieren. Ich verlange danach, eine dieser Hände auszustrecken, die so hilflos daliegen, und jemand zu berühren, nur um zu wissen, ob ich ich selbst bin oder nur ein Traum – ob »Anna« ich ist, und ich gewissermaßen in ihre Person verloren bin.

Ich fühle die zitternden Arme der alten Dame, die Küsse, die Tränen, die Segenswünsche und Liebkosungen der Schwester, und ich frage mich in einer qualvollen Erwartung und Verwirrung: wie lange kann das dauern? Wie lange wird es zwei von uns geben? Welche werde ich am Ende sein? Werde ich »Anna« oder wird »Anna« ich sein?”

Unbegreiflich für jeden normalen Menschen ist nur, daß bei den vielen 166 Sitzungen mit der d'Espérance nur äußerst selten der unwillkürliche Betrug entdeckt worden ist. Aber nicht nur das Medium, sondern auch die andern Teilnehmer an spiritistischen Sitzungen befinden sich ja während deren Dauer stets in einem seltsamen Geisteszustand, der jede Täuschung gern aufnimmt, ja herbeisehnt. Hat doch in diesem Fall sogar eine arme trauernde Mutter den »Geist« bereitwillig als ihr verstorbenes Kind angesehen.


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