Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Das Buch der 1000 Wunder
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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22. Die Entzifferung der Hieroglyphen

Quelle: Dr. Adolph Ermann: »Die Hieroglyphen«. G. J. Göschensche Verlagshandlung G.m.b.H., Berlin und Leipzig, 1912.

Die Bedeutung der heiligen Schriftzeichen Altägyptens war bis zum Beginn des neunzehnten Jahrhunderts vollständig vergessen. Keine der vielen Hieroglyphen-Inschriften in den Gräbern konnte man entziffern, und es erschien hoffnungslos, daß das jemals geschehen würde. Denn auch die Sprache der alten Ägypter war unbekannt, ja selbst von den Geschehnissen, die darin geschildert sein konnten, wußte man nichts mehr.

Und doch haben wir heute den Schlüssel in der Hand. Dem Franzosen Jean François Champollion, der 1790 zu Figeac in der Dauphiné geboren wurde, gelang es im Jahre 1832, die bis dahin unbekannten Zeichen, die in einer unbekannten Sprache über unbekannte Ereignisse berichteten, zu deuten.

Unterstützt wurde er durch die beim Feldzug Napoleons nach Ägypten im Jahre 1798 geschehene Auffindung des berühmten »Steins von Rosette«. Dieser enthielt einen Beschluß, den die Priester Ägyptens zu Ehren des jungen Königs 32 Ptolemäus Epiphanes erlassen hatten. Oben stand die verstümmelte hieroglyphische Inschrift, darunter in der sogenannten demotischen Schrift eine Übersetzung in die Volkssprache, unten die griechische Übertragung.

Das gab den ersten Anhalt. Arbeiten des englischen Naturforschers Thomas Young näherten sich dem Problem, aber Young wurde von der endgiltigen Lösung durch die damals immer noch vorherrschende Meinung abgelenkt, die Hieroglyphen seien nicht Buchstaben, sondern ausschließlich symbolische Zeichen.

Erst Champollion brach endgültig mit dieser Überlieferung und zwar auf Grund einer einfachen Überlegung: der hieroglyphische Teil der Inschrift von Rosette enthielt etwa dreimal soviel Zeichen wie der griechische Worte, wie sollte da jedes Zeichen einem ganzen Wort entsprochen haben? Und dann folgte, wie Erman erzählt, endlich der erste große Schritt. Champollion umschrieb die griechischen Namen, die er im Demotischen zu lesen wußte, rückwärts in die hieratische Schrift und von da aus wieder rückwärts in Hieroglyphen. Und siehe da: die Schreibung, die er so für den Königsnamen Ptolemäus erhielt, entsprach genau einer Stelle der Inschrift: , in der er den Namen des Königs suchte.

Er hatte auf diese Weise p, t, o l, m, i, s gefunden. Aber er war des Errungenen doch noch nicht sicher, und eine ziemliche Zeit mußte er langend und bangend verbringen, denn er wußte, daß ihm die Inschrift auf einem Obelisken, die nach einem dazugehörigen griechischen Text den Namen Kleopatra enthalten mußte, entweder höchste Freude oder tiefsten Sturz bringen konnte. Endlich traf die Nachbildung dieser Inschrift bei ihm ein, und er fand wirklich den Namen Kleopatra so geschrieben, wie er es erwartet hatte. Die Buchstaben p, o l wurden dadurch bestätigt, und er lernte k, r, e, a und ein zweites Zeichen für t neu kennen.

Noch immer war er sich der Größe seiner Entdeckung nicht bewußt. Er glaubte, daß die von ihm erkannte Schreibart nur für griechisch-römische Namen verwendet worden sei. Aber am 14. September 1822 erhielt er neue Abschriften aus Ägypten mit den Königsnamen und , in denen er sofort Ramses und Thutmosis, zwei große Herrschernamen aus alter Zeit, erkannte. Nun ward es ihm klar, daß er das große Geheimnis der Hieroglyphenschrift wirklich enthüllt hatte.

Er stürzte zu seinem Bruder ins Zimmer und rief ihm zu: »Je tiens l'affaire.« Dann fiel er besinnungslos nieder. Die französische Akademie der Wissenschaften nahm am 27. September 1832 die große Nachricht entgegen, daß die Hieroglyphen entziffert seien. 33


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